06 Platz 1


The Whitest Boy Alive - Dreams
Das war wohl die Gitarrenplatte des Jahres. Irgendwie. Nicht weil sie die schmissigsten Rock-Monstren unter die Leute brachte, derlei kommt eh noch, sondern weil die vermutlich einzige Gitarre, die ich im Schlaf erkennen würde, diejenige von Erlend Øye ist, wie sie sich durch die zehn Stücke von Dreams schleicht. Zurückhaltend, manchmal sogar mit einem Hall, der aber nicht – wie oft üblich – auf eine große Halle hindeutet, in der das aufgenommen wurde, sondern auf das kurze Beibehalten von den diskreten Einheiten unserer Erfahrung (eben das, was bei der Gitarren die Töne und Akkorde sind), Momente des Lebens, und der Hall ist dann die kurze verblassende Erinnerung daran. Und es ist bei Gott untrivial einen Hall und die Gitarre so hinzukriegen. Und wie das schleicht und mit einer viktorianischen Unaufdringlichkeit immer im Hintergrund werkt ist zwar durchaus Minimal Pop, aber eben auch eine an Eleganz und Träumerei nicht zu überbietende Disco. Wem dass dann zu absrakt und verkopft wirkt, der kann bei den Konzerten erleben, dass diese Ableitung im konkreten Berührungsfall fast schon gefährlich greifbar wird, völlig selbstverständlich passiert und eine Art Party erzeugt, die du so niemals gesehen, gehört und gefühlt hast. Und wer jetzt noch immer nicht mitwill braucht »Don't Give Up«.

Yeah Yeah Yeahs - Show Your Bones
Wenn man die Epochen lustig aufteilen mag in rockige vs. elektronische, dann kann man schon dabei rauskommen, dass jeweils die erste Hälfte des Jahrzehnts den Gitarren gehörte. Und wenn dem so auch in diesem Jahrzehnt sein mag, wenn man also die Wiederauferstehung anhand aller britischer, skandinavischer, ja auch kanadischer Rock-Ideen feiern möchte, so gab es eigentlich nur New York als amerikanischen Gegenpol, der da mithalten könnte. Und neben den Strokes 'n Stripes steht da hoch oben am Podest jener epochenschaffenden Bands eben auch Karen O. Auch mit gewissem Recht könnte man dann Fever to Tell als den Höhepunkt ansehen, und Show Your Bones als das finale grande, den unzersetzbaren Schlussakkord dieser gewaltigen Sinfonie. Aber ich könnte das nie so durchdenken, war ja nicht dabei. Außerdem fallen mir vom Impact, von der Bedeutung und von dem, woran ich mich noch sehr lange erinnern werde, mit Worlds Apart und Sound of Silver gleich zwei weitere Alben ein, die ähnlich bombastisch wie Show Your Bones auf Ruinen tanzen. Und da es immer nur einen Schlussakkord geben kann, lass ich das lieber. Dass diese Platte hier mit ihrem Vorgänger kaum was zu tun hat, sagte ich ja bereits. Dass sie nevertheless eine der klügsten, forderndsten und im Endeffekt auch schönsten amerikanischen Rockscheiben der letzten Jahre ist, nun auch. [mehr]

Fotos - Fotos
Ohne auch ansatzweise nachvollziehen zu können, warum das so und nicht anders kam: Ja, diese Platte ist einfach verdammt großartig. Ich kann euch wirklich kaum was dazu sagen, und war selbst völlig baff, als es mir klar wurde. Es hat womöglich was damit zu tun, dass es mich immer irgendwie erwischt, wenn ich merke, dass hier große Liebhaber ihre Lieblingsmusik spielen, und wenn da die Platte mir zuhört, weil wir ja von Fanboy zu Fanboy uns gegenüberstehen, und nur wenige Platten sind so Fanboy, dass sie sich wirklich nicht über dich stellen, sondern wirklich neben dir sitzen. Ich kann mit denen reden, weil diese Platte so gottverdammt freundlich ist. Weil sie so unendlich nachvollziehbar ist. Für mich. Auch vielleicht weil ich irgendwann aufgehört habe, die Sterne-Anspielungen zu zählen, die der guten Sorte, und vor allem auch: die der guten Sterne. Und obwohl die Zeit ganz anders ist, was sich in der deutlich unterschiedlichen musikalischen Dimension abspielt, und somit Nostalgie als Grund so ziemlich wegfällt, packten mich die Texte und Ideen dieser jungen Menschen ungefähr so locker und trotzdem alles relativierend, wie damals mit 14 Posen und Von allen Gedanken.... Ich weiß, das klingt bescheuert. Aber welche Liebe ist das nicht?

Candy Bars - Of Cutting Ti-Gers in Half and Understanding Narravation
»Landscape«, das Weihnachten, wo du merkst, dass du nicht mehr dazugehörst, »Works Cited«, der Trauermarsch, der die Beerdigung vom Sozialen ins Private holt, »Violets«, der Schuljunge, der seine Jause mit dir teilt, »The Flood in Your Old Town«, der Ohrwurm, der sich am Ende als Zahnarztbohrer herausstellt, »The Birthday Song«, der Geburtstag, den du immer vergessen wirst, und »Enough to Choke a Cold Air«, die Sekunde, die du damals, als du das erste mal verprügelt wurdest, gebraucht hast, um aufzuschlagen. Diese sechs Stücke kenne ich von dieser Platte, und kein einziges mehr. Elf Nummern sind es insgesamt. Und wenn ich mir nur ansatzweise vorstellen könnte, was auf den restlichen fünf passiert, wäre das hier nicht aus den Top 3 wegzudenken. Aber wenn es einen Funken Gerechtigkeit gibt, wird »A Family Photo Taken at an Aquarium« die expliziteste Aufarbeitung dieser so unglaublich düsteren Arcade Fire-Variante sein, wird »Lovesong Lake« ein sechsminütiges Geigen-Instrumental über Nessy sein, wird »You Were Always a Horse« eine laute Hommage an Bill Callahan in seiner prä-Julius Caesar-Phase sein, wird »Winter is a Cathedral« Endes Phantásien wie eine Lego-Stadt aussehen lassen und wird »The Basque Country« die Narravation sehr traurig zu Ende führen, mit einem Paukenschlag am Ende, um vielen, sehr vielen Federn, die vom Himmel herabschweben, um sich wie ein Vorhang vor diese Platte zu legen. Und ich wäre vor Überbelastung sowieso schon zusammengebrochen.

Cuff The Duke - Life Stories For Minimum Wage
Wie bei Snowglobe eigentlich eine Frechheit, das so zu besprechen, haben Cuff The Duke doch diese Platte 2002 rausgebracht und seither (eigentlich schon 2005) schon einen Zweitling unters Volk gemischt. Falscher kann's also gar nicht gehen. Aber eine ehrliche Zusammenfassung meines Jahres kommt an dieser Platte nicht vorbei. Obwohl ich anfangs dachte, es würde sich um ein One-Hit-Wonder handeln, womit der Rest der Platte (wie auch der besagte Zweitling) großteils ignoriert werden könnte. Aber dem war nicht so. Natürlich: Die größte Last auf den Schulter trägt die »Ballad of a Lonely Construction Worker«, und es wird wohl noch lange dauern, bis mich ein Song so derartig entgleisen lassen wird, wie der, aber Life Stories... hat als ein unschuldiges Debüt einer Indie-Country-Band auf Albumlänge die emotionale Pfiffigkeit so präzise auf den Kopf getroffen, dass sich sehr schnell auch »Blackheart«, »The Difference Between Us« und das famose Schlussstück »The Trouble and the Truth« unter meinen meistgehörten Songs des Jahres einordneten. Bedenkt man, dass das hier vor der ganzen Arts & Crafts-Explosion war, vor Arcade Parade, vor Black Mountaintops, dann fragt man sich schon, warum jemand wie Amy Millan so lange gebraucht hat, um mit einer Country-Platte in die Charts zu kommen. Man fragt sich worauf eigentlich alle gewartet haben. Einzig Hayden war wohl schlau genug. [mehr]

The Decemberists - The Crane Wife
Ich hätte gelacht, hätte mir jemand zu Picaresque-Zeiten erzählt, ich würde die nächste Decemberists-Platte besser als die nächste Built to Spill-Platte, größer als »fantastisch« und als Inbegriff allen Amifolks des betreffenden Jahres ansehen. Gelacht. Aber The Crane Wife ist eigentlich gar nicht zum Lachen. Eigentlich dürfte man vor Angst, was kaputtzumachen, gar nichts machen. Nicht, weil sie so fragil ist, ganz und gar nicht, wächst sie doch in ihren lauten Momenten zu einem gravierend bedrohlichen Monster heran, sondern weil sie so perfekt austariert, und ihrer Schönheit so ergreifend ist, dass man das alte Phantom des Äthers in der Luft sieht, wie er sich nach den Mustern dieser Lieder formt. Die Freaks denken sich hier bitte grünen Buchstabenregen. Und ein Atemzug allein könnte diese Muster zerstreuen, ihnen ihre schüchterne Einfachheit nehmen, ihnen ihre Eleganz absprechen. Meinetwegen ist das überproduzierte Scheiße. Meinetwegen ist es Verrat an Lo-Fi, Indie und Menschenrecht. Aber es gibt sie trotzdem, diese Übergänge zu kommerziellen Phasen, die bei all ihrer Fragwürdigkeit schlicht perfekte Platten hervorbringen – und das nicht erst seit Modest Mouse. Also: Ich kennen schlicht und ergreifend nicht eine Silbe in meinem Wortschatz, mit der ich anfangen könnte an The Crane Wife was auszusetzen. [mehr]

Boy Kill Boy - Civilian
Ja, das sind meine Arctic Monkeys, meine Maximo Parks und meine you-could-have-it-so-much-betters. Meine Kooks, meine Razorlights und meine Babyshambles. Außerdem auch die erste Band, auf die ich via profilbasierter last.fm-Recommendation gekommen bin. Eine Band die typischerweise alles falsch macht, und eigentlich kaum eine Chance bei mir bekommen hätte, wenn nicht... ja, wenn nicht die Platte einfach so verdammt großartig wäre. Wenn ihre Keyboardflächen nicht so verdammt lächerlich wären. Wenn ihre Geschwindigkeit nicht die übliche Manie, die man eh niemandem glaubt, wäre. Wenn ihre Songs nicht so verdammt einfach und uninteressant wären. All das hat mich überzeugt. All das hat mir gezeigt, woran sich all die von mir verhassten UK-Bands nicht herantrauen. All das hat mich hoffnungslos glücklich gemacht und bewiesen, wie toll es sich anfühlt, wenn die besten Freunde dich kopfschüttelnd für völlig idiotisch erklären, weil du das magst. Ja, auch dafür, obwohl es erst später kam, mag ich diese Platte. Und weil es eben beweist, dass neben allem Übel auch ein kleines Gutes zu finden ist, wenn man nur genau genug schaut. Also nochmal: »Civil Sin«, nochmal: »Suzie«, und dann eben: »Back Again«. Keine Platte hatte heuer mehr H!I!T!s, als die hier. Finde ich. [mehr]

Kante - Die Tiere sind unruhig
Ich weiß eigentlich bis heute keine wirklich gute Erklärung dafür, warum diese Platte Zombi übertrifft, warum sie so unfassbar dringlich ist, und warum ich nicht ohne sie leben kann. Vokabularproblem. Und dass, obwohl das gar nicht so way out ist, wie die üblichen Platten, wo das Problem auftaucht (von Newsom bis BSS), sondern total simpel, eigentlich. Eine Rock-Platte. Nichts mehr. Die Worte, die Zutaten sind wie eh und je, fiebrige Blicke, Verändeurng, die in der Luft liegen, lange, hypnotische Stücke, und ein Mörderhit zum Niederknien. Just another Kante-record. Aber eben auch nicht. Vielleicht ist der tatsächlich Grund, warum das so über allem steht, was die Band bisher gemacht hat, und über fast allem, was mir heuer zu Ohren gekommen ist, weil es sich geöffnet hat. Weil Kante jetzt nicht mehr für sich arbeiten, sondern für sich Spaß haben. Weg vom Soziologen-Rock (auch wenn man ihr bisheriges Schaffen aufgrund der offenkundigen emotionalen Dichte niemals so bezeichnen würde), hin zur größten Party der Geschichte. Und dass die bisher geschaffene Komplexität so elegant mit Party zusammenpasst, war eben das überraschende, das unfassbare, das ausschlaggebende Element um zu sagen, dass ich seit sehr, sehr langer Zeit keine so verdammt zwingende deutschsprachige Platte mehr gehört habe. [mehr]

My Latest Novel - Wolves
Eigentlich schade, heute ist nicht mein Tag. Nicht zum schreiben. Gestern hab ich noch gezittert bei den Plattenbesprechungen, vor Aufregung und Auseinandersetzung, heute schaut alle Welt auf die Uhr, alles rast auf einen Moment zu, und meine Konzentration schwindet. Vielleicht sind auch einfach die Ideen schon ausgegangen, was sich noch über Popmusik 2006 sagen lässt, was nicht schon gesagt wurde. Auf der anderen Seite: Dem Countdowm sei Dank passt das auch ganz gut, denn die Platten, die am meisten von sich selbst aus klar machem, warum sie Meisterwerke sind, spüren das Vokabularproblem am meisten. Und haben mehr Chance von Interessierten unbefangen, nur mit dem schlichten Lob einer enorm hohen Platzierung versehen gehört zu werden. Obwohl... gerade bei MLN tut es mir schon wieder verdammt weh. Weil ich einfach generell hier nichts dazu gesagt habe. Und auch wenn ich damals, zur zweiten Hommage-Ausgabe, über eben diese Platte den einzigen Text meines gesamten Fanboytums verfasst habe, an dem ich bis heute nichts auszusetzen habe, nützt euch das jetzt vermutlich verdammt wenig. Also: Einfach hingehen, anhören, gefangen nehmen lassen. Eine schönere Platte gab es heuer nicht. An ihr wird sich Neon Bible messen müssen, und so schlimm es auch klingt, aber die beiden bisher gefunden Stücke deuten deutlich darauf hin, dass Wolves sich nicht mal anstrengen muss.

Malajube - Trompe-l'oeil
Okay, und da wären wir. So fühlen sich also 75.000 Zeichen Jahresrückblick an. So fühlt es sich an, wenn man im Laufe eines Monats dann noch all die Platten bemerkt, die man vergessen hat zu erwähnen, trotz des 100er-Wahnwitzes. Und so fühlt sich dieser Moment an, wenn der Übergang zum Neuen greifbar nahe ist. Es ist schon schicksalsgleiche Fügung, dass diese Platte hier den Thron der wichtigsten, besten, bescheuertsten und rundum buntesten Platte des Jahres 2006 einnimmt, denn es könnte durchaus sein, dass mit Verabschiedung dieses alten Jahres erst das Jahr anfängt, in dem Malajube uns erobern werden. Es deutet sich an. Wenn denn tatsächlich dieses kleine kanadische Label auf die Idee kommt, einen Europa-Release zu machen. Und wenn es denn dann noch Magazine gibt, die willig genug sind, diese nette Platte zu featuren. Und wenn nicht, macht nix. Importieren, ausleihen, vorsingen. Es gibt genug Wege. Ganz abgesehen davon, dass diese Songs völlig ohne Probleme einfach aus der U-Bahn-Ansage oder dem Supermarkt-Lautsprecher tönen könnten, grad jetzt, grad in deiner Stadt, weil ihrer Macht keine Grenzen gesetzt sind. Sie wollen halt nur grad nicht. Und selten war dieses Erlegensein gegenüber einer Platte so schön, selten war ein Jahr auf Knien so schön, wie gegenüber Trompe-l'oeil, wie heuer. Auf dass sie 07 alle holen. Auf dass ich 07 mal endlich lerne, nicht Kanada auf 1 zu haben. Auf dass die optischen Täuschungen nie aufhören. Und auf dass mir endlich mal wer erklärt, worüber die eigentlich singen. [mehr oder weniger]
[100-91][90-81][80-71][70-61][60-51][50-41][40-31][30-21][20-11][10-1]

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