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Adam Green – 02.04.006


Dass der Wirrkopf mit seinem mittlerweile vierten Album »Jacket Full Of Danger« niemandem noch was beweisen muss, war von Anfang an klar. Dass seine Konzerte bei all seinem oftmals am Rande des erträglichen Egos trotzdem noch so gut funktionieren und Spaß machen, war aber gut zu wissen.

Adam Green

Ich möchte es gleich vorausschicken: »Gemstones«. War »Garfield«/»Adam Green« ein perfektes Debüt, »Friends Of Mine« eine perfekte Adam Green-Platte, »Jacket Full Of Danger« eine perfekte Breitwand-Folk-Scheibe, so war »Gemstones« schlicht eine perfektes Songwriting-Album. Für mich hat Herr Green nirgendwo zwingendere Songs und besser ausbalancierte Arrangements gefunden als dort. Was die Sache in Verbindung mit einem Konzert nicht unbedingt leichter macht, sieht man sich doch schon in der Ecke stehen, und bei den zwei »Gemstones«-Songs mitsummen, und beim Rest nachdenklich rekapitulieren, warum der Kerl vorne doch nicht so toll ist, wie man vielleicht lange Zeit glaubte.

Aber nichts dergleichen ist geschehen. Adam Green hat in der atmosphärelosen Gasometer-Halle sein sehr breites (und junges) Publikum nach allen Regeln der schelmischen Kunst unterhalten, vor den Kopf gestoßen und lieb gehabt. Das Set eine guten Mischung aus Hits und Halbhits aus den letzten drei Alben, seine Laune wohlwollend und charmant, seine Band, pardon: sein Orchester nicht zu statisch. Alles super eigentlich.

Fragen kann man sich natürlich, ob das Riesen-Porträt an der Rückwand (das zu Beginn theatralisch mit »Tubular Bells« – es hätte auch »Also sprach Zarathustra« sein können ...) nicht einen Star an dem Punkt zeigt, wo er etwas über seine Ziele hinausgeschossen ist. Fragen kann man sich natürlich auch, ob die »Jacket Full Of Danger«-Songs vielleicht etwas schal und unausgegoren wirkten im Vergleich zu den Perlen der früheren Alben. Aber bei all den Fragen bleibt am Ende doch das Resultat, dass man für eineinhalb Stunden prächtig unterhalten wurde, ohne sich je zu langweilen oder die Meute vor sich als scheiß-kommerzialisiertes FM4-Alternative-Mainstream-Pack zu beschimpfen (was nicht undenkbar gewesen wäre). Für die, die es noch nicht wussten: Nach dem Konzert schaute Herr Green noch zum Überraschungs-Gig von Pete Doherty ins Flex, Bühneperformance inklusive. Es gilt also dranbleiben, beim Herrn Green, solange er sich auf solchen Partys herumtreibt. Beim nächsten Mal heißt es vielleicht schon: Akustik-Abend mit Adam Green, Sting und Franz Ferdinand in der Wiener Stadthalle. Brrrrrr.

Sperrstunde/Closing Time – Naked Lunch & Thomas Woschitz, 21.03.2006


Als »Sperrstunde« Premiere hatte, beim Donaufestival 05, war das Publikum sofort gefangen. Nach einigen erfolgreichen Filmfestivalauftritten ist das Projekt um Österreichs einzig wahre Indie-Melancholiker Naked Lunch und ihren Langzeitpartnerregisseur Thomas Woschitz in ein Stadium gelangt, wo eine volle Szene Wien schlichtweg begeistert ist.

Sperrstunde - Closing Time

Ob man jetzt Filmkonzerte, diese doppelte Reizüberflutung, dieses eigenartige More-than-Soundtrack-Gefühl und diese Gorillaz-Ästhetik mit Leinwand und Band dahinter nun generell mag oder nicht, kann eine knifflige Frage sein. Es hängt vermutlich stark von dem Publikum, eventuell auch von so Lächerlichkeiten wie Bequemlichkeit ab. Aber als Medium, das diese zwei Ebenen auf eine eigenartig neue Weise miteinander verbindet, kann so ein Filmkonzert schon was besonderes sein. Naked Lunch und Thomas Woschitz haben unter Amour Fou- und Donaufestival-Produktion ein ganz besonderes Filmkonzert auf die Beine gebracht: »Sperrstunde«.

Es sind neun Geschichten, die mit neun Songs begleitet, durch die Klagenfurter Nacht schweben und all die Momente einfangen, wo jemand abgewiesen, auf der Straße sitzen gelassen, verlassen wird. Ein eindringliches, mit sehr unprätentiösen Bildern sehr berührend in Szene gesetztes Portrait der Einsamkeit, die nur noch getoppt wird von diesen Songs, die Naked Lunch für diesen Film neu geschrieben haben. Diese Songs, die mir persönlich besser gefallen, als alles, was Naked Lunch bisher gemacht haben. Diese Songs, die – ich wiederhole mich gerne – die Sperrstunde im Herzen schlichtweg verunmöglichen. »Sperrstunde« ist ein sensibles Manifest für den Neuanfang, der nach jedem Abschied erfolgt, was filmisch und musikalisch gekonnt gekoppelt wird. Die erste Nummer »No End« (eine verdammt großartige Notwistonie) wird begleitet von einer Geschichte eines Menschen, der wegen eines Fernsehausfalls das Ende seines Krimis nicht sehen kann, und vom Elektriker aber wegen der Uhrzeit abgewiesen wird. Kein Ende im Anfang. In ähnlicher Tonart, mit oft minutenlangen Onetakern spinnt sich die Geschichte weiter um einsame Bräute, die sich zufällig getroffenen Kriminellen auf der Flucht anschließen, und nächtlichen Putztrupps die wegen letzteren ihren Job verlieren. Die Klagenfurter Allnacht ist hart, frustrierend, nichts Schönes.

Sperrstunde - Closing Time

Beim finalen Schlusspunkt gibt es keine Titel, keinen Abspann, sondern eine Leinwand, die nach oben verschwindet, und den Blick frei gibt auf Naked Lunch, die zum großartigen Songfinale von »Colours« noch einmal unser aller Herzen vereinnahmen. Selten hat es sich so schön angefühlt, eine Band, nach all ihrer schweren Zeit, auf so einem Zenit zu sehen. Und welche Band kann uns mehr von Sperrstunden und Neuanfängen erzählen als Naked Lunch? Eben.

31 Knots – 20.03.2006


Ein erfrischend nervöses Bündel sind sie, die 31 Knots aus Portland. Eine Band, die schon in diversen Ankündigungen (von Immergutaufreisen, bis hin als Vorband von Q And Not U) aufgetaucht ist, aber mir erst jetzt persönlich beweisen konnte, wie spaßig so ein ausgeflippter Abend mit ihnen sein kann.

31 Knots

Die vielen Erzählungen wie toll ein 31 Knots-Gig sein kann waren schon beeindruckend. Man denkt sich dann ein Monstrum im Kopf zurecht und muss selbstverständlich daran scheitern, diese Erwartungen zu erfüllen. Bei den 31 Knots aber steht Spaß am Scheitern am Programm, und so kehrt sich die schlimmste Befürchtung des Abends in seine größte Stärke.

Die drei Herren der 31 Knots machen Indierock, der besser als seine Masche ist. Indierock, der nie aussterbenden Sorte. Eckig, krachig, stolpernd. Nicht fließend, schön und melodiensicher. Da wird randaliert und geschrieen. Ohne sich in irgendwelchen elektronischen Abgründen zu verlieren, das ist astrein Gitarre, Bass, Schlagzeug und Mundwerk. Zur Show gehört, dass sich der Sänger per mitgebrachtem Koffer im Publikum umzieht, und selbiges mit beachtlicher Körpernähe zum Mitausflippen animiert wird. Die 31 Knots haben schon ne Menge Alben draußen, haben die meisten Songs vergessen und scheren sich auch sonst vermutlich um kaum etwas – außer Spaß an der Sache.

Und so ist es dann auch: Es macht Spaß. Nach nicht mal einer Stunde ist der Spaß dann vorbei, du gehst heim und es bleibt einen nette Stunde im Kopf, die aber vermutlich zu Hause kaum eine Fortsetzung finden wird. Eine gute Live-Band, die vermutlich von der Geschichte sehr bald vergessen werden wird, was schade ist. Denn hin und wieder blinzelt bei den 31-Knots so ein Moment durch, wo sie irre gute Melodien drauf haben, oder diese eine Biegung vom Uptempo-Teil in das schluchzende Ende des Songs so genial hinkriegen, dass »Gänsehaut« es nicht annähernd trifft. Da ertappt man sich dabei, den 31 Knots zu wünschen, sie hätten doch lieber eine saubere Songwriter-Pop-Karriere gestartet, um es heute mit Death Cab For Cutie oder ähnlichen Leuten aufzunehmen. Aber lange hält der Gedanke nicht. Songs schreiben ist an so einem Abend einfach uncool. Songs schreiben die Langweiler am Schulhof. Songs braucht die Welt nicht mehr. Dafür mehr Postindiepunkrockwhatever. Mehr Dampf. Mehr gutes Finish. Mehr Zweiminüter. Die 31 Knots sind dahingehend die beste »Ferner liefen …«-Band, die mir seit langem begegnet ist.

Tomte – 15.03.2006


Wer weiß schon, was schief gehen kann bei einem Tomte-Gig. Ich wusste es nicht, und bin auch jetzt, Tage nach ihrem erneuten Wienbesuch im Flex noch ratlos darüber, warum es denn nun eigentlich nicht klappen wollte mit uns.

Tomte

Denn eigentlich – und jeder der Tomte mal live gesehen hat, weiß das – handelt es sich um eine Band, die für Konzerte wie geschaffen ist. Mit einer gut abgestimmten Crew an Musikern, die nichts runternudeln, weil es ihr Job ist, sondern mit Leidenschaft und Herz jeden Song dem Publikum wirklich auf den Knien SCHENKEN und genau wissen, dass diese Songs Leben retten können. Mit Thees, einem Sänger und Frontman, der weit mehr als nur Lyrics mit geschlossenen Augen runterbetet, sondern auch (und vor allem) ERZÄHLT, zwischen den Songs unterhält und einen mit Input füttert, der auf den Platten nicht zu finden ist, der einem erst so richtig das ganze Phänomen »Tomte« erschließt. Dieses Phänomen, das spätestens 2003 die deutschsprachige Gitarrenmusiklandschaft bis zur Unkenntlichkeit verändert hat. Und jetzt 2006 mit »Buchstaben über der Stadt« ein selten einzigartiges Statement der Liebe und der Passion abgeben hat. Der Erfolg ist jetzt Platz 4, statt Platz 50 der deutschen Albumcharts, die Sellout-Rufe selbstverständlich in aller Munde (vielleicht war es auch das, was der verirrte Austria-Fan an jenem Flex-Abend nach dem Spiel auch aus der letzten Reihe in bester Stadionmanier nach vorne gebrüllt hat).

Also sagen wir es so: Die, die meinen, Tomte könnten nun keine guten Konzerte mehr geben, weil sich Thees so verändert hat, und nun erfolgreich ist und eine zufriedene Platte aufgenommen hat, die schießen sicherlich vorbei an dem, was im Flex los war. Das alles wären Gründe, die neue Platte für sich persönlich abzulehnen oder dergleichen, aber das Donauinselfest letztes Jahr (welches die vielleicht beeindruckendste Konzerterfahrung für die Band darstellt, was auch fotographisch samt Panoramablick auf die 20.000 Fans bei der FM4-Bühne im Booklet zu »Buchstaben über der Stadt« festgehalten wurde) oder das heurige FM4=11-Fest in der Arena konnten beweisen, dass die neuen Songs, dieser vielbeschworene »neue Thees« und der ebenso vielbeschworene Sellout nichts an der Perfektion und dem Tomte-Feeling eines Konzerts ändern konnten. Nein, Tomte sind und bleiben eine der besten deutschen Livebands überhaupt, und mit dem neuen Album und dem neuen Erfolg ist das Einhergehen mit größeren Konzerthallen nur für die eklige »Ich kannte Tomte schon, da haben die alle in die Windeln geschissen.«-Fraktion ein Problem. Ich gönne ihnen diesen Erfolg und diese Hallen, diese – wenn ihr so wollt – »Massen«.

Tomte

Warum der Flex-Gig also mein erster nicht-grandioser Tomte-Abend war lässt sich so also nicht erklären. Vielleicht war die Abmischung etwas unstimmig, vielleicht war es die Stickigkeit eines Indoorevents, da ich Tomte bisher nur Open Air erlebt habe. Aber da bekannt ist, wie sehr Tomte Wien vergöttern, und wie viel sie der Stadt (und FM4) verdanken, und es auch bei jedem Gig hier in glitzernden Sympathiebekundungsanekdoten bezeugt wird, wissen wir, dass Tomte wieder kommen werden. Und auch wenn es dann im Gasometer wäre, ich würde ihnen wieder eine Chance geben. Denn es ist diese Schönheit der Chance, die einen auch immer wieder auf diese Band zurückbringen wird, egal wie hoch die Chartsplatzierung dann sein wird.

Jens Friebe – 22.02.2006


Du bist nie allein. Bei Jens Friebe-Gigs erst recht nicht. Dafür sind die Bilder von Vertrauen und Selbstachtung, Leidenschaft und Augenzwinkern zu präsent. Und Bilder – das weiß der junge Mann – können die wichtigsten Freunde sein.

Jens Friebe

Jens Friebe. Eigentlich eine ziemlich eigenartige Sache. 2004 spaltet sein Debüt »Vorher Nachher Bilder« die Gemeinde jener, die sich noch mit deutschsprachigem Indierock beschäftigen. Einerseits Jubel und Euphorie, ob der unglaublich plastischen Texte, die sich jedem Vorwurf der »Peinlichkeit« elegant entziehen wie es die frühen Tocotronic nicht besser konnten. Andererseits erschüttertes Protestieren gegen diese Jugenzentrum-Befindlichkeits-Lyrik, die ihr innewohnende »Peinlichkeit« und den – sagen wir es ganz offen – oft ziemlich ideenlosen (Techno-)Schlager. Keine Frage, auf welcher Seite ich stand.

Als Herr Friebe letztes Jahr in Wien sein Konzert zu »Vorher Nachher Bilder« gab hat er bewiesen, wie sympathisch diese tolle Platte live umgesetzt werden kann. Wie die Songs dazugewinnen, wenn jemand vor dir steht, der dich anschaut und singt »Ich will nicht, dass du mich trotz meiner Schwächen … Ich will nicht, dass du mich, weil man mit mir über alles sprechen kann … Ich will nicht, dass du mich, weil ich für dich da bin … Ich will, dass du mich willst, weil ich ein Star bin.«. Wie diese Fähigkeit von Jens Friebe, textlich Welten von Nebenan zu verträumen, live zu einer richtigen Entertainerperfektion wird. Ich habe gehofft, dass er nicht daran zerbricht und ein mindestens ebenso gutes Nachfolgewerk hinlegt.
Das war dann »In Hypnose« ohne Frage. Vielleicht etwas direkter, etwas zugänglicher, nicht so trashig wie das Debüt, aber trotzdem eine perfekte Platte, die wieder spaltet. Eine Platte, die noch mal 12 Songs in die Welt schmeißt, die Welt so eigentlich gar nicht gebraucht hat. Manchmal muss man eben die Gefahr auch als Chance begreifen (und hier auch mal Dank an Alfred Hilsberg, der damals den Jens Friebe überhaupt aufgegabelt hat). Jens Friebe ist ein Star. Auf der Bühne gekonnt, charmant, immer gut aufgelegt. Selbstbewusst.

Jens Friebe

Wenn er seine Metaphern ins Publikum schießt, steht dahinter ein Mensch, dem du es zutraust, Sprüche wie »Wie eine Stimme, die beim Tischfußball zu dir spricht: Klapp deine Männchen hoch, den Rest mach ich.« auszusprechen und dabei dieses angesprochene tiefe, gefühlte V.E.R.T.R.A.U.E.N. ernst zu meinen. Jens Friebe hat bei jedem Konzert die richtigen Freunde im Publikum. Ob Tex Rubinowitz diesmal wieder da war, weiß ich nicht. Aber wir waren da. Und ich ärger mich auch nicht, dass er mit »Jede Menge Ziele« mein Lieblingstsück von »In Hypnose« genüsslich ausgelassen hat. Aber wie so oft stand dieses Stück eh als implizites Motto hinter dem Abend: »Und ich hab jede menge Ziele – ihr habt vielleicht mehr / Aber ich hab auch ganz viele, ich verrat sie euch bloß erst hinterher.« Lieber Herr Friebe, gerne. Solange es so großartig klingt wie bisher.

Death Cab for Cutie – 17.02.2006


Gespaltene Gefühle, irgendwo zwischen »Ich sehe gerade eine der wichtigsten Bands unsere Tage am Zenit.« und »Worauf sind die denn?« dominierten den Gig weitestgehend. Bis zum Ende. Dort verschmolzen sie dann zu einem der unfassbarsten Konzertmomente, die Indie zur Zeit so bieten kann.

Death Cab for Cutie

Man will nicht drumrumreden: DCFC sind angekommen. Im Olymp. Auf einer Stufe mit den Größten der Größten. Für mich in einem Atemzug mit Modest Mouse, Built To Spill und Wilco. Das ermöglichen die ewig-wunderschönen Gitarrenlinien, Ben Gibbards ewig-wunderschöner Gesang, und (Wilco in der Hinsicht nicht unähnlich) die beiden letzten Meilenstein-Alben »Transatlanticism« und »Plans«. Eigentlich müsste man meinen, dass sie viel zu verlieren haben. Aber denkste.

Erwartet habe ich mir ein nachdenkliches Set, einen melancholisch vor sich hin träumenden, uns alle hypnotisierenden Ben Gibbard, und sogar bei den flotteren Stücken gekonnt-gefühlvolles Arrangement, Gespür für die Kleinigkeiten, für die winzigen, pathetischen Songpartikel, die DCFC immer so besonders machen. Aber auch hier: denkste. Die ersten beiden Stücke waren die jeweiligen Opener der letzten beiden Alben, zuerst »Marching Bands Of Manhattan«, dann »The New Year«. Und schon an Gibbards Fuß-Gestik war abzulesen: Nachdenklich und romantisch wird hier nichts. Sogar besagtes »Marching Bands Of Manhattan« mit seiner endlosen Ruhe wurde von DCFC in eine Gitarrenflächen-Rock-Oper umgewandelt mit einem hysterischen Gibbard als Dirigent und Shouter. Ähnlich erging es allen anderen ruhigen Stücken der letzten beiden Alben. Teilweise waren die ruhigen Momente schon zu spüren, wenn Gibbard hinterm Keyboard »Different Names For The Same Thing« anstimmte oder solo mit Akustikgitarren »I Will Follow You Into The Dark« die purste Indie-Heirat-Hymne der letzten Jahre anstimmte. Aber man merkte schon: Wirklich Spaß machen ihnen die Rocker.

So gab es doch auch ein paar Stücke der wilden, frühen Alben zu hören, und beim FM4-Hit »Crooked Teeth« oder beim »Transatlanticism«-Hit »The Sound Of Settling« war schon ein gefühltes Mosh-Pit nahe. Das Konzert war eine Achterbahnfahrt zwischen Himmel und Hölle, und in mir wechselten sich hauptsächlich zwei Gedanken ab: Einerseits war ich beeindruckt davon, wie es ihnen gelingt den Sound von den Platten live weiterzuentwickeln, diesen Rockismus daraus zu extrahieren und eine völlig überdrehte Show abzuziehen, inklusive siebzehn Litern Spucke und Schweiß. Und andererseits, der Wunsch, sie hätten es gar nicht getan, weil die Songs, so wie sie sind, schon perfekt sind und eigentlich gar keine Steigerung brauchen und vertragen. (siehe auch: Trail Of Dead live)

Death Cab for Cutie

In ihrer Unbeschwertheit und ihrem Drang, einen wilden, spaßigen Abend zu verbringen haben DCFC damit sicher einige vor den Kopf gestoßen. Aber es gab eben auch die Momente, die mich schlichtweg umgehauen haben. »What Sarah Said« war Nummer 1. Und Nummer Zwei war die letzte Nummer. Der vielleicht schönste und größte Popsong der Nullziger, das vielleicht eindringlichste und wunderbarste Stück Musik, das dieser Northwest-Sound je hervorgebracht hat, dieses eine Lied, das einen Ozean gebärt und als einzig definitiver Schlusspunkt eines Konzertes dastehen kann. Weil es »Come On!« als letzte Zeile ruft. Weil es endlose Umarmungsketten im Publikum auslöst. Weil es intensiv ist. Weil es sich wie Arcade Fire live anfühlt (und ich hab mir eigentlich geschworen den Namen in der Konzertbesprechung nie fallen zu lassen). Danke, liebe Death Cab For Cutie, für dieses Lied, das alle vorherigen Zweifel weggeblasen hat. Ich habe gerade eine der wichtigsten Bands unsere Tage am Zenit gesehen.

Tja, Pete...


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Ich muss sagen: Ich lache. Ich lache schadenfroh. Schadenfroh, ob der horrenden Preise, die für den Babyshambles-Gig gestern in Graz gezahlt wurden. Ich lache, weil Pete ein Vollidiot ist. Ich lache, weil er nicht da war.

»Die besten Minuten an diesem Tag drehen sich 45 um sich selbst.«

Ich lache, weil wir ganz woanders waren gestern. Ich lache, weil wir mit dreißig Leuten für 4 Euro Eintritt eine wahrhaft großartige Band gesehen haben. Ich lache, weil Tchi so nette Menschen sind. Ich lache, weil alles so klein doch funktionieren kann. Ich lache, weil spud, der vermutlich größte Tchi-Fan dieses Planeten, mit Jan, dem vermutlich größten Tchi-Sänger dieses Planeten, so nett und ergiebig lang plaudern konnte.

»Der Dreck an unseren Fingern fängt zu kleben an. Und wenn der Abspann läuft, fängt das Leben. Warte noch einen Moment, unsere Namen stehen auch irgendwo da unten…«


Ich lache, weil Tchis neues Album einfach großartig ist. Ich lache, weil Tchi überhaupt ein zweites Album aufgenommen haben. Die besten Minuten drehen sich im CD-Player aber wahrscheinlich erst im Sommer, wenn es rauskommt. Tchi sind junge, verspielte Deutschindierocker. Ihr Debüt »Auf den Point« war ein tolles Debüt. Tchi sind eine der unzähligen kleinen Bands, die sogar in für diese Szene einschlägigen Fanzines kaum einen Review erhielten.

»Das Nichts, aus dem wir kommen, ist ein Katapult.«


Tchi sind aus Braunschweig, klingen, wie wütende, punkigere, verrücktere Tomte-auf-nicht-glatt und sprechen lyrisch einem öfter aus dem Herzen, als es einem lieb ist. Sie klingen wie die besten Momente von Delbo, wie die schönsten Bilder der jungen Tocotronic, wie die unbekümmerte Jugend, die zehn Jahre zu spät ist.

»Du sagst, du magst das Geräusch von Türen, die ins Schloss fallen. Und ich weiß, es klingt von beiden Seiten gleich.«


Tchi sind live schüchtern, kleinlaut und fehlerhaft. Ihre Melodien stimmen nicht, ihre Stimmlage ist oft sehr schief, kurzum: sie machen POPmusik im schönsten nur denkbaren Sinn. Sie scheren sich nicht, sie denken mit. Sie wundern sich, und sie lieben es bei ihrem ersten Gig außerhalb Deutschlands vor dreißig Menschen zu spielen. Sie lieben Siluh, das neue Wiener Indie-Label, das ihre neue Platte rausbringen wird. Sie sind mutige Angsthasen und verträumte Realisten. Tchi stehen, stolpern, sind auf dem Point und doch wohl eher ein...

»Wir sind das Tempodrom. Wir drehen uns in selbst gebauten Kreisen.«


Produziert wurde die neue Platte »Stehen, Stolpern« von Tobias Siebert, Delbo, Klez.e, ihr solltet ihn kennen. Auch wenn »Rakete« von Tchi (auf der bereits bei Siluh erschienen Split-10’’ mit grafzahl) kein Cover des gleichnamigen Delbo-Hits ist. Produziert wird hier also ein kleinformatiges Wunderwerk und Tchi werden hoffentlich mit diesem Album das Gehör erlangen, was ihnen als eine der besten deutschen Gitarrenbands unserer Zeit zusteht.

»Schöne Grüße aus dem Weltall. Und gleich sind wir verschwunden.«


Also: Beeilt euch, Tchi kennenzulernen. Bevor Jan auch wie Pete aufhört zu ihren Konzerten aufzutauchen.

The Go! Team – 06.12.2005


Wer glaubt heute noch an den Irrsinn, dass Rock als Tanzmusik funktioniert? Ich bis gestern auch nicht.

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Ich tue mir schwer den Auftritt von Go! Team mit jenem vom Monsters Of Spex in Köln zu vergleichen. Dort war es später Nachmittag, tageshell, Open Air; und als Opener des Festivals vor einer sehr kleinen Menge von Leuten wollte natürlich nicht der leiseste britische Funke überspringen. Zwar war der Gig im Flex trotz fragwürdiger Eintrittspreise doch besser besucht, aber der Funke war hier von der ersten Sekunde an da und das Feuer loderte bis an die Decke. The Go! Team lassen keinen Stein auf dem anderen.

Vielschichtig-hybrid, geographisch uneinfangbar, wild, ja ekstatisch wird hier Rock mit HipHop, Funk mit Punk, Soul mit Glockenspiel verwurschtelt, dass die Tanzbeine des Publikums auf keinen Fall in Ruhe bleiben können. Die Direktheit mit der diese Tanzmucke vorbehaltlos von der Bühne runterdonnert erinnert (auch eben was die Hybridität anbelangt) gleichzeitig an die Scissor Sisters und an Von Spar – nur sind The Go! Team trotz ihrer geographischen Spannweite britischer. Auch wird hier Instrument um Instrument getauscht, einzig Rapperin Ninja bleibt konstant an der Bühnenfront. Das stark instrumentale Album »Thunder, Lightning, Strike« erhielt live neue Textstellen und entwickelte somit eine ganz eigene Dynamik.
Beachtlich (und für die Direktheit mitverantwortlich) sind selbstverständlich die beiden Schlagzeugsets, die Go! Team immer begleiten, und wenn mal bei einem Song nur eines dabei ist, merkt man am eigenen, vibrierenden Körper, dass da was fehlt. Gefehlt hat songtechnisch allerdings gar nichts, gespielt wurden alle Hits von »Thunder, Lightning, Strikes« (also fast alle Stücke) und dabei ganz besonders die Jahrhundertsingle »Junior Kickstart«, die als ein einziger Orkan alles zum Schmelzen brachte, plus einige neue Stücke, die sich allesamt sehr gut bis grenzwertig genial in das Set einfügten, was die Spannung für das nächste Album nur wachsen ließ. Das Publikum war gegen Ende aus dem tranceartigen Rockismustanz gar nicht mehr rauszukriegen, und bewies somit: Alles was The Go! Team brauchen, um zu funktionieren, ist ein Dach über dem Kopf, eine enge Halle, eine laute Anlage und gute Laune. Oder verdammt geile Kopfhörer für zuhause, wenn »Thunder, Lightning, Strike« die Zeit zwischen zwei Gigs verkürzen soll. I want more, definitely.

Broken Social Scene – 01.12.2005


Zu zehnt wurde das neue BSS-Album in einer fast vollen Szene Wien präsentiert. Voller Überraschungen, wahnsinniger Momente und unbändigem Spaß an der Sache.

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Vielleicht sollte man es vorwegnehmen: Gespielt wurden die besten Stücke aus den besten beiden Alben. Fast ausnahmslos. Gefehlt hat insofern nicht viel, außer vielleicht das opulente »It’s All Gonna Break«, der Schlusstrack vom aktuellen Album, der die meisten der bisherigen Konzerte mit seinem Bolero-Ende schlichtweg explodieren ließ. Für Wien entschied man sich als Schluss für ein neues Stück, einen punkrockigen Orkan, der dann das Publikum so wenig loslassen konnte, dass noch zehn Minuten nach dem Ende des Gigs sich die Band zu noch einer Zugabe überreden ließ. Ein viertelstündiger »Vienna Jam« entließ uns in eine kalte Nacht.

Wie nahe Improvisation, Postrock und Pavement beieinander liegen war also das voll erfüllte Ziel des Abends. BSS waren leider nur zu zehnt, weil so manche Schlüsselfiguren mit den anderen zurzeit sehr erfolgreichen BSS-Umfeldbands auf Tour sind. Die Stars, Metric oder selbst Feist seien hierfür mal Beispiele. Sehr wehgetan hat auch die Abwesenheit der Vorband, The Most Serene Republic, deren Debüt hoffentlich bald auch Europa erobern wird. Zur Tour stießen sie erst zwei Tage nach dem Wien-Gig hinzu, somit musste Andrew Whiteman von BSS und Apostle Of Hustle als Vorsänger einspringen.

Was soll man zu dieser Band noch sagen? Exzess. Trauer. Vielfalt und Wahnsinn. Alles vereint auf einem Menschhaufen, der sich auf der Bühne die Seele aus dem Leib rockt. Bei den langsamen Nummer (»Lover’s Spit«, »Anthems For A Seventeen Year-Old Girl« oder das verlangsamte »Superconnected«) war Gänsehaut obligatorisch, wobei auch erwähnt werden sollte, dass sie von »Major Label Debut«, dem berührenden, kleinen Einod auf dem neuen Album auch (und zwar nicht hintereinander!) die schnelle Version von der Bonus-EP gebracht haben. Es sind ganz viele kleine Details, die so ein BSS-Konzert ausmachen. Wie z.B. »Almost Crimes« den Wall of Sound neu erfindet ohne androiden Indierock zu vergessen. Ganz anders, als auf Platte. Unverschämte Leichtigkeit regiert dieses noch unverschämtere Durcheinander. Song-Giganten wie »Ibi Dreams Of Pavement« werden schlichtweg hingerotzt, als ob sie ein Radio-Jingle wären. Instrumententäusche sind so oder so dauernd an der Abendordnung und Bläser und Geige tun ihr bestes um schlichtweg eins zu bieten: Mehr.

Der einzige Grund, warum von einem BSS-Gig abzuraten ist, ist der, dass er entmystifiziert, was man auf Platte für unglaubliche Sachen hört. Dass er den Widersprüchen Namen gibt. Dass er den Mythos etwas schrumpfen lässt. Aber der Lohn dafür ist, diese grenzlose Sympathie und Liebe dieser Menschen zu spüren. Zu sehen, wie sie aufgehen, und selber mitaufzugehen ist wohl das höchste der Gefühle, das ein Konzert überhaupt zu bieten hat. Insofern: Einfach unübertroffen.

Nada Surf – 28.11.2005


Nada Surf-Gigs sind wie Sterne-Gigs: Am Ende hast du zwei Stunden nur Hits gehört, und dir fallen immer noch x Stücke ein, die gefehlt haben. Weil es eben so Bands gibt, die zu viele Hits schreiben.

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Das neue Nada Surf-Album ist geradezu meisterhaft. So schnörkelloser, wunderschöner Alternative-Gitarrenpop ist heuer selten über uns hereingebrochen. Eine Band, die nach so vielen schwierigen Jahren jetzt endlich singen kann: »The Weight Is A Gift«. Chris Walla nahm den Nachfolger zum famosen (aber etwas faden) Comeback »Let Go« von 2003 auf, und es gehört definitiv zu einer der wichtigsten Gitarrenplatten des Jahres. Nada Surf müssen sich endlich nicht mehr rechtfertigen. Für »Popular«, den Hit, der sie 1996 zum »nächsten großen Ding, nach Grunge« machen sollte. Natürlich wurden diese Erwartungen nie eingelöst, und die Band fand sich schnell in Problemen. Aber mit »Let Go« war es auf einmal wieder da, das gute Songwriting, die famose Stimme, die Idee. Und mit »The Weigth Is A Gift« wurde sie perfektioniert.

Live bedienen Nada Surfe alle Phasen ihres Schaffens, durch und durch grandiose Songs, die (wenn etwas älter) sehr 90er-mäßig (im positiven Sinn!) und auch (wenn etwas jünger) sehr allem voraus wirken können, gegenüber dem was heuer so im Indierock herumfleucht. Aber was wirklich erstaunt, ist die Wärme, die Energie, mit der diese Songs vorgetragen und vom Publikum aufgenommen werden. Zwei Stunden wird hier um jede Sekunde gebettelt und gelächelt. Das Publikum bei einem Nada Surf-Gig ist nicht einfach nur ein Publikum: Es ist der intime Freundeskreis einer Band, die sogar an alle imaginären Freunde der Welt Briefe schreibt. Dass besagter Track auf dem neuen Album, »Imaginary Friends«, live wie eine Bombe funktioniert, versteht sich von selbst. Danach hält Sänger und Gitarrist Matthew Caws kurz inne und schreibt auf einer imaginären Schreibmaschine einen imaginären Brief, in dem er die Leute oben auf dem Balkon fragt, ob es ihnen auch so gut geht, wie uns unten. Dann noch schnell einen imaginären Papierflieger gebaut, und ab damit in den Saal.

Unsterbliche Momente sind eben auch, wenn »Always Love« (die aktuelle und auch von FM4 recht gefeierte Single) vom Publikum mitgesungen wird, als ob es kein Morgen gibt. Oder wenn der erste Ton von »Blonde On Blonde« von »Let Go«, welches nicht mal ne Single, aber eben doch heimlicher Hit von vielen war, das Publikum fast zur Explosion bringt. Du spürst diese Augenblicke voller so unglaublicher Intensität, dass du dir denkst, du wärst 15 und auf deinem ersten guten Konzert, für das du natürlich von zu Hause ausbrechen musstest. Du spürst Wärme und Liebe einer Band, die beim Erwachsenwerden nicht erwachsen geworden ist.

Als Zugabe gibt es neben einem neuen, zum Niederknien schönen Miau-Song (ehrlich, darum geht’s!) und dreimaligem Raus- und Wiederreingehen auch als absoluten Schlusspunkt »Popular«. Es ist auf einmal 1996. Der ganze Saal droht zu bersten. Nada Surf leugnen also ihre Vergangenheit nicht und es macht ihnen auch unglaublichen Spaß, immer noch so alte Stücke zu spielen. Fragt doch mal, wie oft Beck »Loser« oder Blur »Girls & Boys« noch spielen. Eben.

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