Donnerstag, 28. Dezember 2006

06 Platz 6


The Essex Green - Cannibal Sea
Trotz Brooklyn als Basis (und etlichen sehr amerikanischen Pop-Wurzeln) fällt oftmals Hidden Cameras oder New Pornographers in dem Kontext. Nicht ganz verständlich, aber gut: Eine präzise Indiepoprock-Aufarbeitung mit sehr direkt erfassenden Songs und wunderbaren Stimmen kann schon an fröstelnden Norden erinnern. Betrunken habe ich dieses Album tatsächlich mal mit Belle & Sebastian verwechselt. Alkoholgetränkte Elephant Twee-Eleganz auf Merge, wenn das mal nichts ist.

Ellen Allien & Apparat - Orchestra of Bubbles
»während apparat bisher für eine algorithmen-basierte Ästhetik stand und ellen allien die möglichen höhen und tiefen des dancefloors auch in der breite auslotete, wird sich in der gemeinsamen produktion an einem prinzip versucht, dem sich elektronische musik seit dem beginn verschrieben hat und das nun einfach anders buchstabiert wird: kontingenz.« Wie schön, dass gerade Begegnung, das Aufeinadertreffen an sich mittels der doppelten Kontingenz zu so einem sozialen Problem wird. Umso schöner ist es, wenn solche Platten dann zeigen, wie gut sich solche Probleme lösen lassen. Wie wichtig Begegnung sein kann.

Justin Timberlake - FutureSex/LoveSounds
Wie zwingend der das kann, das war halt in hochkonzertrierter Form in »SexyBack« und »My Love« zu finden. Heilige Scheiße. Was den Rest anbelangt, war anfangs eine deutliche Unzufriedenheit am Herrschen. Zu ausgefasert, zu lang, zu gnagnagna. Das wich dann, als mich einmal »Losing My Way« völlig unerwartet aufjauchzen ließ und direkt im Anschluss »What Goes Around...« zum Heulen brachte. Und nein: Es war nicht umgekehrt. Absurde Geschichte. Und die schreiben bekanntlich die besten Alben.

Amy Millan - Honey From The Tombs
Puuh, das hätte deutlicher schiefer gehen können. Voll in Ordnung. Das erwartete Meisterwerk konnte es gar nicht werden. Andererseits fallen mir unendlich viele Soloplatten derartig geliebter Bandmitglieder ein, die way schlimmer als das hier sind. Also, Hut ab, Amy. Schade, dass du mein liebstes Stück, »Baby, I«, nicht selbst geschrieben hast. Und hoffentlich steigen dir die Solo-Chartserfolge nicht zu Kopf, da gibt es noch ein paar Bands, die du retten musst.

Tilly and the Wall - Wild Like Children/Bottoms of Barrels
Weil das 04-er Wild Like Children erst heuer in meine Hände fiel, und dann gleich mit der neuen, leider etwas abschwächelnden Bottoms of Barrels quasi abgelöst wurde, hier beide zusammen. Zwei solide Platten, mit ihrem Stepptänzer-Charm und einem Songwriting-Feeeeeeling, das mir irgendwie gar nicht nach Omaha passt, aber trotzdem dort irgendwie Herrn Oberst verrückt macht. Was soll's, auch die besten Platten haben furchtbare Fans. Allerdings: Auch die besten Platten mögen es nicht, allzu oft wiederholt zu werden. Der dritte Streich muss jetzt schon etwas Bewegung ins traute Indie-Glück bringen.

The Album Leaf - Into The Blue Again
Nach In a Safe Place war das ja nicht so klar, ob er an dem Album zerbricht oder gewinnt. Das war schon nah dran an allem, was aus der Idee dieses Indiepostrockotronica-Projekts rauszuholen ist. Nah dran. Nicht, dass nun mit Into the Blue Again sein krönendes Meisterwerk gelungen wäre, Luft nach oben ist noch immer. Aber der Jimmy weiß nun, wie man geschickte Platten machen muss. Vom Wunderkind zum Schlitzohr.

The Hidden Cameras - Awoo
Langsam macht sich Nervosität breit. Die Zahlen neben den Platten wirken schon so absurd hoch. Weil ja alles bereits wirklich verdammt gute Musik ist. Und trotzdem nicht mal Top 50. Well, kein Meisterwerk, weil etwas stagnativ, und im Vergangenheitsspielchen halt schon etwas überbemesslattet, aber meinegüte... wer will schon Fortschrittshörigkeit. Der Titeltrack pfeift noch immer in meinem Ohr. Ausdauer ist wohl das Schlüsselwort.

Belle and Sebastian - The Life Pursuit
Ihr erfolgreichstes Album. Sogar in Ö Platz 60 in den Charts. Und ich hab natürlich wieder mal keine geschichtliche Einordnung. Trotzdem hab ich ihr erstes Österreich-Konzert gesehen, und murmelte bei dem, was ich später als »Funny Little Frog« identifizieren sollte, völlig ehrfürchtig etwas von »ja, so macht man das«, und Freunde berichten, ich hätte noch Tage später das, was ich später als »The Blues Are Still Blue« identifizieren sollte, gesummt. Und sowas ist immer ein gutes Zeichen.

Sonic Youth - Rather Ripped
Jetzt noch eine Popsong-Scheibe von Sonic Youth? Ohne O'Rourke und noch dazu das Ende der Geffen-Ära? Ja, und warum genau nicht? »Sleepin' Around«, »What a Waste«, »Incinerate«. Hölle. Kim singt viel und gute Songs, die catchy, aber unpeinlich, und nervig, aber nicht fad sind. Ja, Zustimmung zu Pitchforks »her best work since "Kissibility" and "Kool Thing"«. Und die Erinnerung muss ne Platte mal ausgraben können. Süße Sensation, schöne Physik.

Die Sterne - Räuber und Gedärm
Knapp vor den Top 50 noch eine Versöhnungsplatte. Wie uninteressant die letzten Jahre der Sterne waren, habt ihr ja eh alle selber mitgekriegt. Und grad wenn es mit Das Weltall ist zu weit nicht mehr schlimmer kommen konnte, kommt die Wende. Mit Schirm, Charme und Grashalm. Der letztjährigen Tocotronic nicht unähnlich, macht hier Neuerfindung Spaß und Recht. Man fragt sich, woher sie den Witz und die Bassläufe nehmen, wenn sie sie schon mal verloren haben. Und vielleicht kommen Witz und Bass genau deshalb so herrlich schief zusammen, weil sie sich verloren haben. Also eine herrliche Selbstzerstörung, die gute Asche für einen organische eigene Wiedergeburt geliefert hat. So wie es sein sollte.
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