06 Platz 3
Xiu Xiu - The Air Force
Die Selbstverständlichkeit mit der Xiu Xiu mittlerweile Jahr für Jahr großartige Alben rausbringen wird sogar mir langsam unheimlich. Die fünfte Großtat in Folge (EPs, Singles, Splits und Livealben nicht eingerechnet) beweist nun hoffentlich, dass der Höhepunkt, der lang erwartete Schlusspunkt in dieser konstanten Aufwärtsbewegung einfach nicht kommen wird. Auch wenn es so wirkt, als ob jedes Album besser als alle vorherigen ist: Xiu Xiu werden wohl niemals ihr »Meisterwerk« haben, ab dem es dann bergab ging. Sondern einfach nur Jahr für Jahr Erschütterungen im Pop-Äther setzen; Jahr für Jahr Schrecken, Verzweiflung, Schmerz und elendigliche Schönheit unter das von Kaugummi beschütze Volk mischen; Jahr für Jahr weiter fragen, weiter Grenzen einreißen, weiter erzählen, weiter leiden. Weil eben diese Dinge niemals aufhören. Just like Xiu Xiu.
The Blood Brothers - Young Machetes
Eigentlich kann ich dazu nichts mehr sagen, hab ich mich mit gewissen Wortwahlen eh schon aller Kritikfähigkeit zu der Platte enthoben. Trotzdem bin ich dankbar, dass dann am Ende mit Alterswerk einem Freund der passende Begriff eingefallen ist, um meine Bedenken zu beschreiben. Die klügste, beste, tollste Blood Brothers Platte aller Zeiten. Zum Verschlucken und Erwürgen. Und trotzdem nicht Top 5, wo sie hingehört. [mehr]
TV on the Radio - Return to Cookie Mountain
Pitchfork, stereogum und Spex. Scheint die ewigzweite Platte heuer zu sein. Nirgendwo auf eins, fast überall in den Top 20. Und als sie anrollte, meinten alle, weil ich die erste verpasst habe würde das meine neue Entdeckung sein. Mindestens Platz 1. Vielleicht wurde das nicht so groß wie erwartet, weil alle meinten, das wäre mein großes Ding. Aber ich verstehe irgendwo, warum diese Platte mich umhauen sollte, ich versteh es in ihren stärksten Momenten (an denen sie auch etwas zerbricht), beim überirdischen »Wolf Like Me« und beim heimlichen Lieblingslied »A Method«. Ich will den Rest genial finden. Aber landen tu ich irgendwo zwischen hervorragend und großartig.
Peaches - Impeach My Bush
Dass sich Peaches nach dem enttäuschenden Fatherfucker auf ihrer dritten Platte so selbstbewusst und klug ihrer eigenen Angriffsfläche und Position stellt, hätte wohl niemand erwartet. Und zwar eben nicht in einem diversifizierenden Wegentwickeln und einem drückenden Bekenntnis zur Unverständlichkeit, nein, Peaches macht ihre Rehabilitierungsplatte, indem sie mehr Peaches than ever und somit näher dran an der Angriffsfläche (und ihrem Geist namens »Klischee«) ist, als es ihren Kritikern (und Ghostbusters) wohl lieb ist. Trotz der Öffnung, der Ich-lade-meine-Freunde-ein-Attitüde, ist diese Platte etwa 6 Jahre nach Erfindung dieser irren Selbstbewusstheit ihre wohl stärkste Aussage. Und die Aussage ist immer noch ganz im Sinne von Performativität mehr Handlung, als Bedeutung. Welche, das erklärt sich von selbst. Im Bett, in der Politik und am Dancefloor.
Islands - Return To The Sea
Nein, ich hab die Unicorns nicht gemocht. Für mich Hinweis genug darauf, wie anders dieses kleine Juwel ist. Allein wenn am Anfang »Swans (Life After Death)« neuneinhalb Minuten lang träumt und träumt, und sich am Ende endlich in diesem, ähem... »netten« Akkord wegträumt, dann ist schon alles erreicht. Trotzdem hat man dann noch genug von diesem ganzen Zirkus, diesem verspielten Melodienherumtürmen, dieser Kanadigkeit zu erspüren, dass es wirklich niemals durchschnittlich wird. Es bleibt irgendwie ein (für viele wohl trauriges) Beispiel, dass sich Querschädel durchaus dem Popsong zuwenden können, ohne Platzhalter für rein gar nichts oder Gemeinplätze abzuliefern. Denn den Scheiß könnte man von nun an vielleicht ex-negativo definieren – anhand von Return To The Sea. Ja, so eine Platte ist das.
Snow Patrol - Eyes Open
Okay, »You're All I Have« kann ich nicht mehr hören, aber den Rest dafür umso mehr. Bei »Chasing Cars« richtig das Stadion hören. Bei »Set the Fire to the Third Bar« richtig Martha Wainwright hören. Bei »Hands Open« richtig laut hören. Ich liebe diese Band für diese bescheuerte Idee nochmal was so bescheuert schönes wie Final Straw aufzunehmen. Ich liebe sie dafür, die größte, beste und bedeutendste Lo-Fi-Band der Hitparaden zu sein. Ich liebe sie dafür, dass sie mit jeder verkauften Single für Lou Barlow Werbung machen. Ich liebe sie dafür, dass sie die Chance gepackt haben, und trotzdem Lieblingsplatten für mich machen, wie Death Cab for Cutie. Ich liebes sie dafür, dass sie tausendmal wichtiger und besser sind als alles was Coldplay, Keane, Oasis, Muse oder die Killers machen. Und ums wichtiger-sein geht’s doch bei Jahresendlisten.
Klez.E - Flimmern
»"Strandlied" und "Tag im Fall" bringen sogar eine Überzeugung zurück, die bisher nur das weiße Album von Tocotronic auzulösen im Stande war: Das Aus-sich-Heraustreten und das ganz und gar lautlose Verschwinden sind gewissenhaft zu prüfende Lebensoptionen.« (Jan Wigger @ spon) Okay, wenn ich nun sage, dass ich sowohl die weiße der Tocos, als auch Jan Wigger (der Flimmern gar zu den Alben des Jahres zählt) nicht mag, und das oben gesagte trotzdem die Besonderheit dieser Platte super einfängt, glaubt ihr mir das nicht, oder? Egal. Dieses fragile Stück unterschätzter Popmusik wird trotz aller Radiohead- und Notwist-Vergleiche irgendwann zum Worst Case Scenario der deutschsprachigen Nullziger werden. Und ihr könnt gar nichts dagegen machen.
Aberdeen City - The Freezing Atlantic
Ganz und gar nicht meine Baustelle, irgendwelche Interstrokes-Kinder. Aber seit »God Is Going to Get Sick of Me« mir das erste mal seine Refrain-Droge verabreichte, war ich erledigt. Und es ist ja nichtmal so, dass das eine typische Indierock-Platte ist, die »mehr als einen Hit« hat, no way, ich würde bei dem sterilen Klima, bei dieser düsteren Unverfangenheit, diesem Misstrauen, das hier herrscht eher soweit gehen zu sagen, diese Platte lebt – wie nur wenige Gitarrenplatten – zwischen den Songs, sie lebt in der Konnotation, im Gemeinten, nicht im Gesagten, sie verschwindet immer und immer wieder vor deinen Augen, denn sie lebt davon, keinen einzigen Hit zu haben. Und das bedeutet mir sehr viel. [mehr]
Scissor Sisters - Ta-Dah
Langsam komme ich in die Phase, wo die Willkür einer Liste explizit wird. Denn Ta-Dah ist eine Platte, für die es Platte-des-Jahres-Tagesverfassungen gibt. Als jemand, der das Debüt verschlafen hat, war das hier eben meine albern schöne Sommerplatte 2006. Auch wegen der Eigenart, wie sie sich der unbedingten Tanzfläche von »Comfortably Numb« entzieht, z.B. auf der Bonus-Disc, die mit »Transistor« das wohl beste, äh... Mike Patton-Stück seit Mike Patton drauf hat. Dieses immer wieder wegbrechen ist für einen Chartserfolg so untrivial wie in dem Fall selbstverständlich. Die schiere Fülle an Schönheit, die hier eigentlich in nichts und wieder nichts gebuttert wird, liefert den nötigen Rest für Hits, die mit Liebe so verschwenderisch umgehen, wie ihre Schaffer mit musikalischen Ideen. Mehr als nur großes Kino.
The Roots - Game Theory
Das hier hat Weile gebraucht. Vor allem auch weil mit The Tipping Point eine böse Messlatte vorlag. Aber nachdem ich einsah, dass auf der Hit-Ebene (die bei den Roots spätestens seit Things Fall Apart irren Stellenwert hat) »Don't Feel Right« nicht schlechter, sondern anders als »Don't Say Nuthin« wirkt, konnte ich auch den Rest beruhigt als ihr Kid A ansehen: Düster, erwachsen und ambitioniert. Nach der Party (welch Zufall, dass die Scherenschwestern genau drüber sind) kommt zwar nicht zwingend die Moralkeule, aber etwas nachdenken ist immer erlaubt und oft verpflichtend: »2006 called for a very serious record« sagte ?uestlove dazu. Wie gut das technisch funktioniert, und wie plastisch es sich anfühlen kann sieht man dann bei monolithischen Killern wie »In the Music«, »Long Time« oder – und vor allem – bei »Here I Come«. Wie es in der Spex so schön hieß: Game not over (yet)!
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| von: wiesengrund | 30. Dez, 13:15
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