Matt Elliott - "Drinking Songs"


drinking songsDas ist also die Fortsetzung des vielbesprochenen Erstlings »The Mess We Made«. Matt Elliott a.k.a. Third Eye Foundation stirbt wieder. Wieder verspricht sein »wirkliches« Alter Ego die Abkehr von den düsteren Drum ´n Bass-Tüfteleien und die Besinnung auf traurig-melancholische Minimal-Songs. Wieder sehen wir dem armen Kerl beim leiden und trinken zu. Klavier und Gitarre surren um sehr weit entfernte Stimmen herum, breiten sich wie Teppiche in unseren Seelen aus und bilden oft elegische Emotionstürme, die gut und gerne auch an Godspeed You! Black Emperor erinnern dürfen.
Was auf »Drinking Songs« herausragt, ist ein starker Bezug zu slawischen Klängen, die uns nie vergessen lassen, dass es doch noch irgendwo auch Tanz und Freude im Suff gibt. War der Vorgänger die Platte eines »ertrinkenden Matrosen« (skug-Review), so ist »Drinking Songs« die Platte eines russischen Kneipenbesitzers, der Folk mit Jungle verwechselt. Im letzten Track landet Elliott doch wieder bei einem 20-minütigen D ´n B-Fiasko. Wir sehen ihm staunend dabei zu, wie er rückwärts taumelnd die ganze Pop-Welt auf seinen müden Schultern ausbalanciert. Ein Kunststück, das.

VÖ: 21.03.2005 auf Ici d' ailleurs
INFO: www.thirdeyefoundation.com

Adam Green - "Gemstones"


gemstonesEin Wunder, der Kerl. Was mal den Stil »Anti-Folk« betiteln sollte, wurde in seinen Händen zu einem der konsensfähigsten und erfolgreichsten Musikphänomene unserer Zeit – in Europa, wohlgemerkt. Seine Heimat Amerika, wo seine Texte nicht halbaufmerksam gelesen werden wie bei uns, wird mit seiner pubertär-subversiven Naivität nicht warm. Adam Green greift schließlich auch tief amerikanische Mythen an, wenn er den Indie-Sinatra mimt oder Jessica Simpson lieblos tituliert. Allein die unterschiedlichen Lesarten seiner Musik, die möglichen ironischen Brechungen und verzwickten, aber unaufdringlichen Um-die-Ecke-Hüpfer, erklären zum Teil seine Kredibilität bei der Ö3- wie auch bei der suhrkamp-Kundschaft. Sein gerade erschienenes Buch »Magazine« wird immerhin von Thomas Meinecke übersetzt und soll das » »On The Road« meiner Generation« sein.
»Gemstones«, die Fortsetzung dieser Erfolgsstory, ist der Soundtrack zum Broadway, den Adam Green die letzten Jahre auf- und abgegangen ist. 15 weitere Pop-Perlen, die vielleicht etwas reifer wirken als diejenigen vom Hit-Vorgänger »Friends Of Mine«, die aber trotz allem funkeln, sich winden, deren Themen und Hauptfiguren öfter sterben oder wechseln als es den identifikationssüchtigen Zuhörern lieb ist. Die bei der letzten Tour quasi unterwegs geschriebenen Songs leben irgendwo zwischen Mythos und Wirklichkeit, und stellen ein kaum ergründbares, weil vielschichtig verwobenes und gleichzeitig leeres Sprachspiel dar. Hätte die Postmoderne das »Genie« nicht umgebracht, wäre er vielleicht der neue Dylan.

VÖ: 10.01.2005 auf Rough Trade
INFO: www.adamgreen.net

Sabine Christiansen erschießen



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Allsonntäglich entfaltet sich ab 20 Uhr die neue deutsche TV-Dreifaltigkeit: Tagesschau, Tatort, Talk mit Sabine Christiansen. Nach den Mythen der Tagesschau (Staatsmänner, Kriege, Katastrophen, Sport) und den tröstlichen Gewissheiten des Tatorts (Alle haben Dreck am Stecken) sondiert Sabine Christiansen das Gesellschaftsterrain. Unerbittlich stellt sie Fragen, die in das Dunkel unserer Zukunft weisen. Es treten auf: die Lobbyisten und ihre Statthalter im Parlament. Multimillionäre warnen davor, dass es kurz vor zwölf sei. Aber, bitte sehr, man könne ja auch ins Ausland gehen. Politiker führen entschlossen das Drama der Sachzwänge auf. Die große Koalition der Dauerreformer gibt sich die Ehre. Fast noch wichtiger als das, was gesagt wird, ist, was systematisch nicht gesagt wird. Komplexe Themen werden dramatisch vereinfacht und fortan in diese Richtung öffentlich diskutiert. Insofern eignet sich diese Sendung wie keine andere, um zu begreifen, wohin die Deutschland AG steuert. (Klappentext)

Medienkritik ist wahrlich nichts neues. Von Platons Schriftkritik über Wittgenstein bis hin zu Luhmann und den Hyperlink-Theoretikern scheint das Thema derart beackert, dass die meisten nur noch müde abwinken: »Alles schon gehört, längst erledigt, Thema für Alt-Linke und Rhetorik-Spinner«.

Jaja, aber: Eine direkte Verzahnung der medien-/schrift-/kulturkritischen Theorien mit ihren praktischen Sujets scheint mir nur anhand von soziologischen Fallstudien zu existieren, deren Ergebnisse zwar verwertet, aber nicht von beliebigen Lesern direkt nachvollzogen werden können. Deshalb meine Freude über dieses Buch. Aha, dachte ich mir, da packt endlich mal jemand am konkreten Beispiel die Quasselrunde an den Eiern. Dachte ich. Geschnitten.

Denn obwohl der Klappentext, der Titel und das Umschlagbild eindeutig signalisieren, es gehe um ebenjene Talkshow »Sabine Christiansen«, will van Rossum eher den ganz großen politischen Bogen schlagen. Die Sendung scheint nur als Feigenblatt für die unverhohlene Neoliberalismus-Kritik van Rossums zu dienen. Natürlich hat diese Kritik ihre Berechtigung, immer mehr sogar. Aber van Rossum muss sich schon die Frage gefallen lassen, warum er dann das trojanische Pferd »Praktische Medienkritik« reiten muss. Zumal seine Analysen bisweilen ins Konspirative hineinragen. Wenn er zum Beispiel in stets gallig-polemischen Ton die Politiker, die Sendung und die Frau Christiansen in einen kausalen Zusammenhang setzt, als würden sie gemeinsam in den Katakomben des Bundestages das nächste Unheil aushecken, um den kleinen Bürger bluten zu lassen. An solchen Stellen geht van Rossum zu weit, weil er es sich zu einfach macht. Richtig dagegen seine (hier leider nur: impliziten) Beobachtungen zur gegenseitigen Einflußnahme von Politik und Medien und den dadurch produzierten Wahrheiten. Aber auch das kann man anderswo besser, tiefer und sorgfältiger argumentiert nachlesen (empfohlen sei hier Andreas Dörners »Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft«).

Noch ein Buch muss erwähnt werden: Der von Stefan Münker und Alexander Roesler herausgegebene Reader »Televisionen« befasst sich mit der goldenen Vergangenheit, ernüchternden Gegenwart und – so die Herausgeber – düsteren Zukunft des Leitmediums Fernsehen. Highly recommended!

[Nachtrag: »Die Gastgeberin, von Anbeginn ihrer Laufbahn darin geübt, einen nicht vorhandenen Verstand zu simulieren, spricht analog ihrer Sendung eine Bedeutung zu, die sie nicht hat«]


Walter van Rossum: »Meine Sonntage mit ›Sabine Christiansen‹. Wie das Palaver uns regiert«. – Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004, 3. Auflage [=KiWi Paperback 831] | 185 Seiten; 8,90 €; ISBN: 3-462-03394-8 | Amazon | Buecher.de

Andreas Dörner: »Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft«. – Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, 1. Auflage [=edition suhrkamp 2203] | 256 Seiten; 11 €; ISBN: 3-518-12203-7 | Amazon | Buecher.de

Stefan Münker, Alexander Roesler (Hrsg.): »Televisionen«. – Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, 1. Auflage [=edition suhrkamp 2091] | 239 Seiten; 7 Abb.; 10 €; ISBN: 3-518-12091-3 | Amazon

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