Deconstructing Hitch
»Psycho« (USA 1998, Gus Van Sant)
TV: VOX
Gus Van Sants Remake des Hitchcock-Klassikers »Psycho« ist eines im Wortsinne: Ein Wieder-Machen nichts als Aufgreifen von Story-Elementen sondern als take-for-take-Umsetzung des Originals.
Bereits in den ersten Bildern, schon während des Vorspanns ist klar, dass etwas nicht stimmt, weil alles übereinstimmt: Die horizontalen und vertikalen Linien, die lakonische Datums- und Uhranzeige, die Kamerafahrt über der Stadt und durch das Fenster hinein ins Zimmer, schließlich Marion Crane auf dem Bett.
»Warum das alles?«, haben sich wohl die meisten Zuschauer und Kritiker gefragt, wie man an den niedrigen Einspielzahlen auf der einen und den vernichtenden Kritiken auf der anderen Seite ablesen kann. »Warum will Van Sant eine öde Kopie abliefern?« Gegenfrage: Ist das überhaupt eine Kopie? Oder nicht doch bloß ein zitierendes Original?
Es spricht einiges dafür, dass ein paar Filme sich ihren eigenen Thron geschaffen haben und das so offensichtlich, dass entweder niemand ein Remake wagen würde (»2001 – Odyssee im Weltraum« zum Beispiel) oder aber dieses Remake aufgrund seiner bemitleidenswerten Lächerlichkeit beim Publikum floppt. Das liegt an den Mythen, die diese Filme aus sich heraus produziert haben und die als kulturelle Artefakte bisweilen losgelöst von ihrem Ursprung im gesellschaftlichen Kollektivgedächtnis weiterleben: Jeder kennt den Monolithen aus »2001«, jedenfalls sicherlich mehr als »2001« selber. Das satanisch verzerrte Gesicht Jack Nicholsons ist uns von Tausenden Photos, Postern, Filmausschnitten eingebrannt worden – »Shining« wird nicht so bekannt sein wie diese Fratze. So steht es auch mit »Psycho«: Niemand, der nicht sofort an den Schatten eines Messers dächte, an einen heruntergerissenen Duschvorhang, an das immer schneller kreiselnde Blut im Abfluß der Dusche. Dieser Argumentation folgend ist ein Remake eines solchen epochemachenden und für das Genre paradigmtischen Über-Films wie »Psycho« schlichtweg nicht möglich.
Gus Van Sant wählt deshalb einen anderen Weg: Er dekonstruiert »Psycho«. Sich gar nicht mehr der Illusion hingebend, etwas Neues erzählen zu können (weil eben »Psycho« bereits so manifest im Kollektivgedächtnis verzahnt und verankert ist) wirft er sich mit aller mimetischen Kraft gegen das Original und zersplittert es in seine einzelnen Bilder und Codes – freilich ohne, dass das Original ernsthaften Schaden nähme. So (und nur so?) funktioniert dieses Remake: als Kommentar, nicht als Erzählung sondern als Erzählung über eine Erzählung, als dokumentiernde (nicht dokumentarische) Fiktion.
Die schönsten Widersprüche ergeben sich dabei aus der Diskrepanz zwischen den heutigen Darstellern und den 50er/60er-Jahre-Settings wie den Kostümen und Bauten. Van Sant ist nicht gescheitert, weil das Scheitern in diesem Experiment bereits als Vorraussetzung für sein Gelingen angelegt ist. Er versucht gar nicht erst, das zu verschleiern. So direkt zu Beginn, wenn das Datum mit 1998 angegeben wird, so auch in der Mordszene, die Van Sant mit einigen surrealistischen Bildern ergänzt.
Van Sant wird einen Heidenspass gehabt haben als er diesen Film den Studios vorstellte. Dass irgendjemand tatsächlich auf einen selbst nur marginalen Profit gewettet haben könnte erscheint so absurd wie Van Sants Experiment charmant. Als Horrorfilm scheitert dieses Remake, als Allegorie auf und Kommentar zu einem der größten Filme des Horrorgenres gibt es wohl kein besseres.
Info: IMDB: Psycho (1960) | IMDB: Psycho (1998) | Die Bilder zeigen ein Screening des Original-Films, leider undatiert [zur Quelle s. auch Kommentare]
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