Die Genealogie des Schmerzes
»No one’s heard a single word I’ve said. They don’t sound as good outside my head.« (Trent Reznor)
Eine Kopfstimme bohrt sich durch die beiden Stereo-Lautsprecher, hinterlässt Angst und Verzweiflung auf einer hoffnungsvollen Talfahrt durch die Frage, warum du all die Liebe dieser Welt bekommst. Eine Kopfstimme, die gefährlich groß klingt, wie einst bei »Where Is Everybody«, einem der Schlüsseltracks von »The Fragile«, jenem Album, mit dem Trent Reznor alias Nine Inch Nails 1999 die Popmusik im Melting-Pot seiner Soundästhetik zusammenschrumpfte auf zwei Scheiben kondensiertem Vielschichtigkeits-Irrsinn. Wir schreiben 2005, sechs Jahre später kommt Reznor wieder mit »With Teeth«, und muss sich erst mal befreien von dem ganzen verdammten Ballast der Produktion und der Erwartungen in selbige.
»All The Love In The World« ist jener Opener, der die Befreiung liefern sollte. Eine Disko-Pop-Perle, die die Stimmlage gegen den Vier-Viertel-Takt ausspielt und Gospel-Schulungskurs für Altindustrielle bietet. Vorbei also die Zeit der »The Wall«-Vergleiche. Vorbei auch die Zeit der »Downward Spiral«-Selbstvernichtungs-Tour-de-Force von 1994. Und lang vorbei auf jeden Fall die Industrial-Neuerfindung mit der »Pretty Hate Machine« von 1989. Wenn soviel vorbei ist, dann bleibt entweder gar nichts übrig, oder es wird so undurchschaubar wie der trübe Zorn eines alternden Trent Reznor. »With Teeth« ist trüb, vom Artwork und von der Musik her, als ob es direkt aus dem Angstschweiß von Dave Grohl gepresst worden wäre. Sein Beitrag ist ein völlig nachvollziehbarer Fokus auf Live-Drums und dynamische Retro-Rhythmen, was »With Teeth« knackig und soulful macht. Die Songs sollten alle miteinander gute Freunde sein, meinte Trent Reznor im Vorfeld, und es möge nicht erstaunen, dass ein Mensch, der ein Konzeptalbum nach dem anderen im Abstand von 5 Jahren herausbringt, das auch hinkriegt. »With Teeth« ist die Knickerbockerbande der NIN-Platten.
Wo der Schlüssel diesmal liegt? In »Getting Smaller» z.B., einer College-Rock-Hymne von Breitwand-bis-bescheuert-Format. In »Beside You In Time«, der lange fälligen Suicide-Aufarbeitung. In »Right Where It Belongs«, der lange fälligen Notwist-Aufarbeitung. In »Everyday Is Exactly The Same«, dem Industrial-Urgestein, das der nie veröffentlichte Bonustrack der »Pretty Hate Machine« hätte sein können. Und es hätte jenes Album ähnlich gesprengt, wie es das heute tut. Was man getrost über Reznors Werk im Bezug auf die Musik seiner Zeit im Allgemeinen sagen kann. Zu wirklich jeder Zeit. Und wirklich überall.
»I can’t remember how this got started. But I can tell you exactly how it will end.« Und zwar hoffentlich nicht mit diesem Album. Dafür ist es zu gut.
VÖ: 02.05.2005 auf Nothing/Interscope7Universal
INFO: www.nin.com
in: platten.kritk | von: wiesengrund | 4. Mai, 13:03
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