Mein erster »Frauenporno«


Thomas Groh machte gerade auf das 1st PORNfilmfestivalBERLIN 2006 aufmerksam, auf das er durch den Blog von Erika Lust gestoßen war. Erika Lust ist Chefin des Porn-Labels Lust Films, Bloggerin, hat in Politischer Wissenschaft »with a special degree in Feminism and Sexual Studies« promoviert und schon vor zwei Jahren den Film The Good Girl gedreht, den sie als »indie porn for women« bewirbt. Der gut zwanzig Minuten lange Film steht unter Creative Commons-Lizenz und kann kostenlos heruntergeladen werden – um Spenden wird gebeten.

Nachdem ich letztens erst Linda Williams’ Hardcore gelesen habe, in dem diese den Pornofilm historisch einordnet und so manche Argumente vermeintlicher Feministen und Feministinnen ad absurdum führt, war ich schon sehr drauf gespannt, den ersten »Frauenporno« zu sehen. Dass ich den Begriff in Anführungszeichen setze, deutet schon drauf hin, dass ich diese Genrezuschreibung nicht ganz unproblematisch finde. Bezieht sich »Frauenporno« auf die Herstellungsweise von Filmen (Porno von Regisseurinnen, von Drehbuchschreiberinnen, von Kamerafrauen) oder auf Porno für Frauen? Letzteres würde ja bedeuten, dass es bestimmte objektiv festlegbare Wertunterschiede zwischen dem gibt, was Frauen wollen und dem, was Männer wollen. Tatsächlich, so sagt Williams, sind diese Unterschiede empirisch feststellbar: Frauen wollten keine aneinandergereihten Fickszenen mit vorgetäuschter Story, keine Charaktere, die sich nur durch die Größe ihrer Schwänze bzw. Titten auszeichneten, keine Großaufnahmen von Cumshots und Vaginas. Frauen bevorzugten ausgereifte Skripte, attraktive Darsteller, realistischeren Sex. Wie sieht es damit bei The Good Girl aus?


Alex: Direkte Ansprache des Zuschauers

Man kann davon ausgehen, dass sich Erika Lust als Promovierte zum Thema Sexual Studies mit der Historie des Pornofilms auskennt. Offenbar lehnt sich The Good Girl ein Stück weit an die historischen Vorfahren des abendfüllenden Pornofilms an. Die ersten Filme, die diesem Genre zugeordnet werden können, waren Kurzfilme mit zumeist nur ein bis höchstens drei expliziten Szenen, die narrativ (so denn davon gesprochen werden kann) auf den Punkt (also die explizite Szene an sich) hin produziert worden sind. So auch The Good Girl. Und eine weitere Parallele tut sich auf, schaut man sich die Metatexte des Filmes, Vor- und Abspann, an. Die Regisserin wird genannt, zwei der insgesamt sechs Darsteller, der Titel wird eingeblendet und schließlich noch die Produktionsfirma. Auch in den frühen Sexfilmen waren die Metatexte, also Angaben zu Regisseuren, Kameraleuten, Drehbuchschreibern, kurzum der ganze Stab entweder nicht vorhanden oder anonymisiert. Geht man von der naheliegenden Annahme aus, dass es sich bei dem Namen Erika Lust nicht um einen tatsächlichen Namen handelt, bleiben auch hier die Personen, auf die es ankommt im Dunkeln. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass es sich dabei um Anonymisierungsstrategien wie im frühen Porno handelt – schließlich sucht Erika Lust und ihre Produktionsfirma die Öffentlichkeit. So kann davon ausgegangen werden, dass es sich tatsächlich um eine Bezugnahme oder Referenz auf diese frühen Pornostreifen handelt, deren Macher damals Schutz in der Anonymität suchten und deren wissenschaftliche Analyse nicht zuletzt dadurch heute enorm erschwert wird.


Der übergewichtige, asthmatische Pizzabote

Die Rahmenhandlung geht so: Die Geschäftsfrau Julie (file under: tough Businesswoman) ruft vom Büro aus ihre Freundin Alex an und erzählt ihr von der Eroberung ihres Yogalehrers. Julie ist eine ungebundene, offen mit ihrer Sexualität umgehende Frau. »She behaves like a man«, sagt Alex in direkter Ansprache des Zuschauers in die Kamera und stellt gleich klar, dass auch sie ganz ähnliche Phantasien habe. Sie bewundert Julies promiskuitive Lebensweise. Ironischerweise erzählt uns Alex – wieder direkt zur Kamera gewandt – von diesen Phantasien als Abbildern von Pornofilmen: »I thought on what they always do in the porno movies […] But in the real life the pizza guys are not exactly gorgeous handsome models«. Man erwartet es schon fast: Alex bestellt sich eine Pizza, springt unter die Dusche und, Überaschung!, der Pizzamann klingelt. Selbstverständlich ist dieser ein ausgesucht exquisites Exemplar von Pizzamann. In Rückblenden sieht man zuvor Julies bisherige Pizzaboten: Ein verkifft-versiffter Typ, ein asthmatischer Dicker nahe dem Exitus und ein Schwuler. Dieser ist also ganz anders. Und so überwindet sich Alex, wirft das Handtuch von sich und es folgt das, was folgen soll.




Spiel mit Klischees: Verführung des Pizzaboten

Der Sex wird kaum minder explizit gezeigt als in den üblichen Pornofilmen und dennoch gibt es Unterschiede. Da wäre zunächst die Art und Anzahl der Stellungen. Im Pornofilm haben sich gewisse Stellungen zum Standard gemausert, die das Eindringen des Penis möglichst genau abbilden sollen. So kommt es zu immer den gleichen Kameraeinstellungen, Blickwinkeln und Personenkonstellationen. The Good Girl scheut sich nicht davor, den Vorgang an sich explizit darzustellen, lässt aber eben auch viel Raum für Stellungen die zwar außergewöhnlich scheinen, dabei aber nicht in reines Gymnastikturnen ausarten. Darüber hinaus: Es wird sich wesentlich mehr Zeit gelassen. Man entdeckt sich gegenseitig, spricht und lacht gemeinsam. Auf akkustische Overdubs wie im Standardfilm, asynchrones Stöhnen, wird verzichtet. Wohl aber kommentiert Alex ihr Vorgehen, sie beschreibt seinen Schwanz, ihre Überraschung als er sie am Anus küsst usw. All das, was im üblichen Pornofilm zum visuellen Klischee geronnen ist, wird hier durch die Tonspur dekonstruiert – freilich ohne, dass dadurch die Atmosphäre der Szene zerstört würde. Dies geht so weit, dass Alex schließlich sogar sagt »I want you to come in my face like in the porno movies«.


Rekurs auf das Genre: »I want you to come in my face like in the porno movies«

Diese stete Selbstkommentierung und reflexive Genrebetrachtung durch den Film selbst ist äußerst beachtlich. Das Ganze rutscht dabei zu keiner Zeit in einen besserwisserischen Gestus á la »Alle Pornos sind frauenverachtend, hier ist das Gegenmittel« ab. Vor allem der Humor trägt dazu bei. Gerade das direkte Sprechen in die Kamera, zur Perfektion getrieben in den Scream-Filmen, sorgt für eine Leichtigkeit, die den Film zu tragen vermag. Aber auch der pointierte Einsatz von Musik hilft dabei; so sehen wir den übergewichtigen Pizzboten und es spielt eine tiefe Posaune, beim schwulen Pizzaboten ertönt Disco-Musik. Das sind alles keine neuen Strategien, der Mainstream hat sie längst aufgegriffen. Dennoch ist diese Herangehensweise zumindest für das Pornogenre eine fast schon revolutionäre Art, mit dem Genre an sich, mit seiner Geschichte und mit seinen Stereotypen umzugehen.

Elektro Willi & Sohn


Okay, ein wenig bescheuert muss man dafür schon sein. Geht aber klar. Wer sich rosa Häschenohren aufsetzt, einen acidgetränkten Knarzbeat laufen lässt und dazu singt »Du hast mir Töne in mein Haar geschmiert, doch meine Kopfhaut ist rasiert« kann kein ganz so schlechter Mensch sein.

Elektro Willi und Sohn, das

a) ist eine Elektrofachhandelgeschäft in der Aachener Innenstadt, der wohl auf Grund seines Namens eine gewisse Berühmtheit innerhalb der Aachener, äh, Szene erlangt hat.

b) sind Willi/Ernst, der Labelchef von Modul8, bei Ladomat auch als Aeric unterwegs und Sohn Klaus/Daniel, einer der Herausgeber des Aachener Literaturmagazins [sic] (habe ich auch mal interviewt). Beides exorbitant liebe Menschen, klar.



Und was die beiden da zusammengeworfen haben, lässt sich nur durch ein Wort beschreiben: Spaß. Äh, nein, so: SPASS! Die Textfragmente changieren irgendwo zwischen Scooter und Grosz, zwischen Väth und Jandl (jaja, Gude Launä ist durch jetzt), die Sounds erinnern an eine sehr waghalsige Mischung aus Modeselektor, Egoexpress und ein Schuß Ascii Disko vielleicht. Oder, wie mein Co-Moderator Achim in unserer letzten Sendung sagte »die Aachener Antwort auf das Bierbeben«. Rough also, bumbum und knirsch. Jedenfalls mehr Flammenwerfer als Feuerwerk.

Und wie sich das für einen Labelchef gehört, hatte Willi natürlich gleich auch die richtigen Kontakte zur Hand. Oder wie will man sich das sonst erklären, wenn ein solches Projekt nicht mal vier Monate nach dem ersten Auftritt (Platte kommt noch, bisher gibt es nur Promos) bereits von Chloé im Studio 672 zu Köln gespielt wird? Man munkelt auch, die De:Bug hätte schon mal vorgefühlt, was denn da gerade in der westlichsten Provinz Deutschlands ginge. Und, hey, neben diversen kleineren Radiosendern hatte sie auch schon EinsLive in der Nachtschiene ... Top Of The Pops, ick hör dir trapsen.

Wie dem auch sei, wer sich für visuellen Blödsinn nicht zu schade ist (mal ehrlich, wer ist das schon?) fährt sich auf Willis und ihm sein Sohn die Seite mal das Video von dem inzwischen legendären ersten Auftritt rein. Streams von den Stücken kann man sich auf der MySpace-Seite anhören.

Cheers!

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