So United
Nicht vergessen, wie das so ist. Nie vergessen, wie du die alten Leute auf den Straßen siehst und dann beim genauen hinhören diese Melodie pfeifen hörst. Tatsächlich... 60, 70, 100-jährige Menschen pfeifen deine Melodie, deinen Ohrwurm. Nicht vergessen, wie es sich anfühlt, wenn große Rockalben noch größeres Staunen hervorrufen, und alles auf einer enorm knapp bemessenem Geilheitsbatterie werkt, minimal eigentlich, sounsoviele cm Disk-Durchmesser, sounsoviele Einsen und Nullen. Was für eine Abstraktionsarbeit da nötig ist, um von da zu dem Opa, der die Melodie pfeift zu kommen, was wir da eigentlich tagtäglich machen, versuchen, schaffen, erscheitern, was eigentlich genau dieses Gefühl ist, dass man beim Abstrahieren erlebt, bei diesem »Ich packe dich nun, du Platte, und ich nehme dich als Teil meines Lebens auf«, was das eben ausmacht, und wieviel es bedeuten kann, all das kann man nur an den wirklich großen Platten erleben. An den Platten, denen man einfach nicht mal seine Seele dafür hergeben kann, weil das mit Inflation ja niemals hinkommen würde. So eine Platte war Worlds Apart für mich.
Dabei sind es manchmal wirklich die dümmsten und blödesten Menschen, die einem sowas geben, und es mag auch daran liegen, dass ich gerade Trail of Dead so furchtbar dumm finde, dass diese Platte damals sowas ausgelöst hat. Weil sie dumm sind, und ich ja nicht dumm bin, haben sie mich quasi zu dieser Abstraktion herausgefordert. Ein Album, ein Wettkampf, und klar lasse ich mich da auf genau ihre Dummheit ein, Schwanzvergleichspunkrock, Hölle, wo bleibst du? Trail of Dead haben diesen Kampf auf den Einsen und Nullen gewonnen. Aber ich ging ja los, damals, und kam zurück als Sieger in der Verlängerung, konnte Trail of Dead ihr Prädikat »dumm« ins Gesicht brüllen, wütend und enttäuscht die Muffathalle verlassen, genervt Leuten zuschauen, die ihre fucking größte Indierockband aller Tage abfeiern. Und verdammt, ja, so e[g|m]o sollte das alles ja jetzt nicht werden, aber wie gesagt... wenn du in der Straßenbahn sitzt, und der Opa vor dir pfeift ein Stück einer Trail of Dead-Platte, dann weißt du: Es geht um dich. Und genau dann eben nur um dich. Niemand sonst holt die Einsen und Nullen aus ihrem trostlosen Formalismus. Bedeutung ist das, was man den Dingen beimisst. Wir sind dran, wieder einmal, und wir sind, wieder einmal, so divided.
Okay, ich sag's euch: Großartige Platte. Bla. Indierock-Heaven. Bla. Perfekte Antwort auf die Fans, die Worlds Apart als zu ausdifferenziertes Popzeug verdammten. Bla. So Divided erschließtundöffnet uns Worlds Apart, geiler Kommentar, schafft einen referenziellen Überbau, in dem erst die Größe und Dominanz von Worlds Apart erklärt werden kann. Bla. Schafft selbstverständlich das unmögliche, besser zu sein, als das beste Rockalbum unseres Jahrzehnts. Bla. Trommelwirbel, Little Drummer Boy, un-glau-blich viel Beatles, Schlussstück verheiratet The Rapture mit Spiritualized, Bluesrock für den intelligenten Bar-Suff (Linksscheitel, Student, zu klug für diese Welt), Oasis (weil ja Beatles), böser Secret Machines-Ripoff, ein Guided by Voices-Cover, famose Nr. Zwei. Bla. Danach kommt nichts mehr. Bla. Alles, was in diesem Absatz steht, stimmt nicht nur weil es so ist, sondern auch weil ich es weiß. Bla.
Und trotzdem: Wirklich stimmen tut nur der Kommentar. Yeah, die Zeiten sind anders, und yeah, sie werden niemals wieder so gut und frisch und unverbraucht sein, wie vor zwei Jahren, aber eben yeah, auch dies ist etwas, was der Opa in der Straßenbahn begreift, erfühlen kann, wenn er seine Lippen formt und dabei nachdenkt, was könnte die universellste, wunderbarste Melodie sein, die ich grad pfeifen kann, da überlegt er isch das ganz genau, das passiert nicht einfach so. Diese Platte wird er nicht pfeifen. Auch weil sie keine Platte ist, sondern eine EP, ich hab's euch schon hundertmal vorgerechnet, es sind nur 7 neue Stücke, und wer die 7 alle als 10 von 10 einstufen will, meinetwegen, go for it, aber es bleibt fuzziwuzzi. Ein Kommentar. Eine Fußnote. Ich weiß, dass ich gemein und kurzsichtig bin, weil ja Stand in Silence, verdammt, WAS FÜR EIN SONG!, und wegen Sunken Dreams, ohmyfockinggod, das alles ist wirklich so richtig wie wichtig. So traumhaft groß. So schön und für mindestens einen Monat unentbehrlich. Aber es lässt sich nicht zu etwas abstrahieren, was ein Leben lang hält. Ich kann mich an dem nicht mehr festhalten. Maybe, ja, kommt nun alle, und lacht, weil wer will sich schon festhalten wollen, wer will schon Sicherheit, und überhaupt: Ich hab diese Band ja eh nie verstanden. Und ihr habt vollkommen Recht. Ich bin auch verdammt glücklich diese Band nie verstanden zu haben, nie gemocht zu haben und niemals auch nur einen Ton ihres intelligenten Indiesigns geglaubt zu haben. Das sind Arschlöcher. Idioten. Absolute Trotteln. Die es aber (sei es via Ghostwriter oder whatever) geschafft haben, diesen einen Prozess, dieses in der Welt sein und die Abstraktion mitnehmen, sie als das größte denkbare Risiko einfach für sich arbeiten zu lassen, die genau das für einen kurzen Moment klarer gesehen, gefühlt und hingespielt haben als irgendwer sonst. Dieser Moment ist vorüber, wir sind hier um seine Trümmer, die der letzten zwei Jahre aufzusammeln. Die Trümmer sind so divided, sie heißen so divided und womöglich wird ganz im Gegensatz zu Worlds Apart die lauschende Gemeinde diesmal nicht so divided sein. Und so erhält ihr Name auch eine gewisse Ironie. Wir kennen sie nun, die neue Platte, als eine Spur von toten Momenten ihres Vorgängers. That's for the history part. So eklig? Nein. Aber so geil auch nicht.
Okay, ich sag's euch nochmal: Großartige Platte. Weil es eben nicht immer um history geht. Bei den Blood Brothers gelernt, wie man diese Scheiße abstellen kann/soll/muss, und auch wie dort... ya know... es bleibt bei einer Platte, die mindestens in die Top 30 des Jahres gehört. Teil 2 von 3 der altbewährten US-Indiehoffnungen 06 schafft es also auch ins Ziel. Angeschlagen, aber doch.
in: platten.kritk | von: wiesengrund | 11. Nov, 11:39
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