06 Platz 2


The Hold Steady - Boys & Girls In America
Es ist eine der Sachen an Geschichten, an fiktiven Zusammenhängen und den verwobenen Figuren drin, dass wenn sie gut sind, du darin Platz hast. Natürlich ist die epische, größenwahnsinnige Erzählung über Leute, die die Galaxis retten, auch spannend, aber Geschichten, die den Alltag nehmen und ihn einfrieren, auf eine nicht so kleine Kleinigkeit darin hinweisen, oder eben Geschichten, die solche Momente des Alltags, solche Kleinigkeiten nehmen, und aus ihnen Blockbuster machen, manchmal einfach unentbehrlich. Diese Geschichten und dieses Gefühl hat kaum eine Platte für mich so perfekt eingefangen wie Boys & Girls in America. Dieses Gefühl ist auch der Grund, warum kaum ein Text über diese Platte ohne Andeutung auf Alkohol auskam. Der macht diese Alltagsentgleisung auch dauernd. Das Schlichte fischt hier auch in Form der fast schon redundanten Rock-Instrumentierung herum, und schafft daraus Epen wie »First Night«, die Bruce sich nie schreiben hätte getraut, und die die Killers nicht mal träumen könnten. Weil Bar, statt Stadion. Weil Firefly, statt Star Wars. Und auch wenn in deutschsprachigen Gefilden bei Sauf-Rock meistens ein anderer Hotelbewohner zuerst genannt wird, ist Craig Finn von amerikanischer Seite mit dieser Platte am nähesten an jenes Glitzern herangekommen, das Zeilen von Thees Uhlmann auslösen können.

Built to Spill - You in Reverse
Als mich beim ersten mal Anhören auf myspace die Minute 7 vom epischen Eröffnungsstück »Goin' Against Your Mind« erreichte, habe ich fast geweint. Es wirkte so irreal, dass diese Band so lange nach ihren Ära-definierenden Großtaten, nach einer etwas fragwürdigen Platte und nach fünf Jahren Pause mit so einem geronnenen Bekenntnis zu ihren alten Stärken, mit so einem breitem Sound zurückkehrt. Ich war überglücklich, denn das war es, was ich heuer von einer Indierock-Platte, geschult durch die vergangenen Jahre, einfach nicht erwarten konnte. Es erwies sich dann zwar auf Albumlänge als nicht ganz so episch, wie es der Opener vorgab, und auch nicht als so fantastisch wie Perfect from Now On und Keep It Like a Secret, aber was übrig blieb reichte allemal, um mich staunen zu machen. Die Platte »scheitert« wirklich nur an ihrem schier unmessbaren geschichtlichen Ballast, an dem Werk der Band. Ich unterschreibe nochmal, was ich einst über »Conventional Wisdom« sagte: Ein perfekter, geradezu wahnsinniger Popsong wird per Gitarrenjam ins Mäandern gezwungen. Dieses Beisammensein von so schwierig zu kombinierenden Rockwelten wird immer den Hörer spalten, weil BTS eben genau diesen Spalt so lieben und so gut kennen. Und dieser Spalt hebt sie (2006 noch immer) vom Rest der Indierock-Welt eben ab. Weswegen You in Reverse (wie alle BTS-Platten) natürlich zeitlos ist, aber halt gerade so, und gerade heuer mehr als nötig war. [mehr]

The Stills - Without Feathers
Eine typische Band für die hinteren Plätze. Durch durch nicht weltbewegend, mit einem sehr feinen Debüt, das traurige Popsongs in bekanntem Gittarengewand präsentierte, und dafür logischerweise übersehen wurde. Zweite Platte, zweite Sprache, zweite Chance. Als ich erstmals »In The Beginning« gehört habe, war ich schon überrascht, wieviel da passiert ist inzwischen. Aber bei Nr. 2 - »The Mountain« - war ich restlos begeistert. Das war nicht mehr dieselbe Band. Das war nicht mehr hinterer Platz. Das war nicht Kanada. Das war jene heimliche Lieblingsplatte, die ich niemandem erklären konnte. Vielleicht wuchs sie deshalb zu so einem Mythos in mir heran, weil sie das war, was für viele Phoenix immer dargestellt haben: Die völlig unerklärbare Liebe zu verteufelt schöner Musik, die witzig, romantisch, idealistisch, völlig übertrieben und immer klug ist. Etwas, was man sich nicht nehmen lassen will. Etwas, was man niemals teilen könnte. Hier sogar noch mehr, da sich diese Platte vehement weigert irgendeine Gemeinsamkeit, irgendeine Party am Dancefloor zu veranstalten. Das hier passiert nur dir. Das hier hat nichts mit der Welt da draußen zu tun. Und so egoistisch wie eine derartige Rezeption anmutet, so traumhaft funktioniert sie auch. [mehr]

...And You Will Know Us by the Trail of Dead - So Divided
Letztens las ich im Stylus: »Stand in Silence« (...) takes a big chunk of Jane's Addiction's »Had a Dad« and converts it into bratty mall-core from 2002. Und ich musste zustimmen. So wie generell die meisten negativen Kritiken zu So Divided meine Zustimmung fanden. Gut geschriebene wie jene im Stylus erst recht. Ich will jetzt nicht wiederholen, warum ich diese Platte nicht mag, warum sie nicht an Worlds Apart herankommt. I'm tired of fighting. Aber die Platzierung deutet schon daraufhin, dass bei all der Aversion, bei all der Enttäuschung immer noch eine Platte da ist, die weit mehr wert ist, als in die Ecke geschmissen zu werden. Auch weil »Stand in Silence« ein geiler bratty mall-core from 2002 ist. Auch weil der Titeltrack witzig die Secret Machines beklaut. Auch weil »Sunken Dreams« eben großartig episch ist. Würde ich mir das Leben (also auch die Rezeption dieser Platte) nicht absichtlich so schwer machen, wäre ich vermutlich deeply begeistert. Schließlich bleibt also nur zu klären, warum mir eine Platte so wichtig war, dass ich mich so sehr bemüht habe, sie so kaputtzukriegen. [mehr]

Hey Willpower - P.D.A.
Das absolute Gegenteil war dann hier am Werk. Überlieferungen meines imaginären Freundes behaupten, dass ich schon beim ersten Anhören von P.D.A. vor Freude Schaum vorm Mund hatte. Angeblich habe ich bei »Not Trippin'« erstmals die grandiose Idee bejubelt, eine derartig unterproduzierte Lo-Fi-R 'n B-Platte zu machen, um dann bei »Double Fantasy« mit absurden Verrenkungen die sexuelle Geladenheit der Tanzfläche zu zelebrieren. Bei »Phenomenon« brach ich dann angeblich in einem theoretischer Backlash mit einem sehr klug klingenden Monolog über Körperkultur und queere DIY-Strategien ein, was dann bei »Magic Window« plötzlich wieder auf der Platte landete. Ich verzweifelte angeblich völlig an der Offenheit mit der hier eigene Partys geschaffen werden. Bei »Uh-Uh-Uh« war dann die Lieblingsmusik so klar da, und so schön umgeformt in etwas, was soulful und knackig und durch und durch grundgut klang, dass ich mich angeblich gar nicht mehr traute das Wort »Geschlechterordnung« oder »gay« in den Mund zu nehmen. Denn der war dann wie gesagt voll vor Freude und Staunen und stammelte nur etwas von wegen »Ich hab doch gar keine imaginären Freunde, die sind ja alle wirklich da...«, bevor er schließlich lechzte nach dem einen Knopf, den so große Platten für's Herz, für den Kopf, für die Party und den ganzen Rest wirklich verdienen: Repeat.

Delbo - Havarien
»Soziologen-Rock« hieß es letztens in der Delbo-Shoutbox auf last.fm. Demgegenüber Selbstdarstellung bei wennsrockt: »Vielleicht so'n Wärmeakku in die Hand legen. Und eine graue Wand, so als Fläche.« Wer daraus sich ne Mitte denken kann, tut schon mal Gutes. Als Delbo mit ihrem Zweitling Innen/Außen mich auf dem falschen Fuß erwischt haben, und »19er Bitte« so ziemlich das spannendste Enigma 2003 für mich war, hätte ich nicht gedacht, dass sie mit einer derartigen Innen-Platte wiederkommen würden. Ich hätte eigentlich gedacht, die gehen jetzt raus. Die erobern jetzt die Welt, holen sich Tobias Levin oder so, und machen einer der erfolgreichsten deutschen Indie-Platten des Jahres. Aber nichts davon ist geschehen. Umfeld-Umwälzung hin oder her, eigentlich hätte auch nichts besseres passieren können, als eine derartig verstörend-grandiose Nachdenkpause wie Havarien. Nicht besseres als »Peroma« oder »Départ«. Nichts besseres als die Gewissheit um die eigene Kaputtheit. Die langsamen Züge, mit denen sich diese Platte Richtung Wut und Dominanz ausdehnt, der verbissene Minimalismus im Komplexen, diese Art zu träumen, es hätte wahrlich nichts besseres passieren können. Und ich bin um ein Enigma reicher, das mich noch lange begleiten und beschäftigen wird.

Nathan Fake - Drowning in a Sea of Love
Auf einem nicht unähnlichen Blatt wie Delbo steht diese Platte, weil sie eine ähnlich kompakte Statik hat, eine ähnliche vertrackte Art ihre Elemente anzuordnen und im Endeffekt auch in eine ähnliche Art Schwebezustand auslöst. Nur geht es hier eben um eine völlig extrovertierte Liebe. Eine Liebe, die mit den vielen Flüssigkeitsassoziationen aber niemals zu einem epischen Klumpen wird. »Klebrig« wäre wohl der passende Aggregatszustand für diese Platte. Und was an Klebrigkeit erinnert, hat durchaus auch was mit Shoegazing zu tun, was aber der Platte, wenn man vorschnell sein will, leicht zum Vorwurf gemacht werden kann, und doch ins Leere zielt. Der Vergleich funktioniert nur auf jener Ebene, die Brian Eno damals über My Bloody Valentine's »Soon« gebracht hat, nämlich »It's the vaguest music ever to have been a hit.«. Und wenn man nun »Hit« wegstreicht und »Love« einsetzt, kommt man ungefähr hin. Aber auch ohne diese Referenz ist Drowning in a Sea of Love ein in seiner nie verklärten Ruhe und Gewagtheit erschütternder und ergreifender Moment des Stehenbleibens, Umsehens und Abtauchens. Wände, die keinen Club umfassen. Romantik auf Trip. Und eine damit einhergehende Einsamkeit, die ich ihr wie gesagt nicht abkaufe. Dafür ist es viel zu sehr eine »Du«-Platte. [mehr]

Snowglobe - Oxytocin
Es erscheint mir völlig lächerlich diese Platte hier zu besprechen, habe ich heuer doch das gesamte, drei Alben umfassende Werk der Band aus Memphis kennengelernt. Und eigentlich verdient es jede der drei Platten massivst gelobt und promoted zu werden. Aber gut, Oxytocin war 2006, und stellt auch schon eine gewisse Sonderstellung für die Band dar (es ist das erste in einer Serie von kommenden Alben, die primär von einzelnen Bandmitgliedern geschrieben wurden), daher die Einzelbehandlung. Also, worum es geht ist jene Sorte langweiligen Indiepops, die euch in der Liste schon gefühlte 40 mal auf die Nerven gegangen ist. Wenn ich könnte, würde ich etwas von »Mercury Rev auf Kollektivismus« labern. Da ich mir aber selbst darunter wirklich nichts vorstellen kann, belasse ich es dabei zu sagen, dass hier eine traumhaft zurückhaltende Songwriting-Tradition gepflegt wird, die in der perfekten Gradwanderung zwischen zu wenig Pop und zu viel Pomp 14 Perlen hervorgebracht hat, die etwas zu groß für Architecture in Helsinki und etwas zu klein für Broken Social Scene sind. Und wenn dann exakt das die größte Stärke der Platte ist, dann müsst ihr euch nur noch in Erinnerung holen, dass es da noch zwei so gute Alben gibt, die entdeckt werden wollen. Denn wer soweit mitgelesen hat, weiß eh, dass Übersehen mittlerweile keine Option mehr darstellt.

Tomte - Buchstaben über der Stadt
Ganz und gar nicht übersehen werden konnte Tomte heuer. Und was soll ich euch noch dazu sagen? Diejenigen, die es beschämend finden, dass ich voll und ganz hinter dieser Platte stehe, lesen diese Zeilen eh nicht. Und die, die selbst voll und ganz hinter dieser Platte stehen, wissen eh um all ihre Schönheit und Imposanz. Deswegen nochmal, nur kurz zur Erinnerung: Du flehst in Telefone | in einer Sprache die niemand spricht | Und seit drei, vier Wochen | erdrückt dich ein Gewicht | Du hast so bitterlich geweint | zwei Meter von mir entfernt | Du hast gesagt, dass die Sonne scheint | für den der sie nicht mehr begehrt | Ich sag die Sonne scheint so oder so | die Wolken entscheiden ob du sie siehst | Man könnte sagen das man das | stärker liebt was man seltener sieht | Du flehst in Telefone |mit zum Himmel gereckter Hand | Ein passionierter Mensch | in einem mediokren Land | Ich habe es gekostet | ich weiß wann es begann | Und ich weiß warum ich hier stehe | ich weiß warum ich hier stand | Nichtsdestotrotz | was für ein wunderschönes Wort | Und da wo ich vor dir stand | was für ein großer Ort | Es bedeutet nichts anderes, | dass man mit allem kämpft auf der ganzen Welt | Nur um einmal hier zu stehen | an einem Punkt an dem einem alles gefällt. Wie diese Platte. Ihr wisst, was ich meine. [mehr]

Dendemann - Die Pfütze des Eisbergs
Und Tomte nicht unähnlich hat Dendemann heuer das vollbracht, wofür wir damals Eins Zwo auch geschätzt haben: Das in-den-Mund-legen. Immer diese Sätze, diese Ideen, diese Witze, die man übernimmt in den eigenen Wortgebrauch. Gleichzeitig eine gewandte, sehr knappe Platte, die nicht mit unerreichbaren Ufern kokettiert, sondern nah dran ist an dir, und dich immer direkt ins Geschehen miteinbezieht. Und das Geschehen ist wie immer ein flottes, Geschehen hat hier nichts mit Passieren zu tun, wir schauen nicht zu. Die Silben, die sich hier so irre an die Beats kleben, regen zur Bewegung an, zum selbst-gestalten, zum Mitmachen. Der Dendemeier – auch wohl eines der erfolgreichsten Comebacks des Jahres – kann's wieder. Die drei Ws (Witz, Wahrheit und Walzer) sind ihm nie zu schwer. Die Leichtigkeit, mit der das hier abläuft, ist sowieso für die lange Zeit, die es brauchte, irre. Denn Dende rapt bis Gott ein DJ ist. War insofern also eh nicht anders zu erwarten. Und bevor ich euch noch mit meinen liebsten Zeilen bombardiere, um die Tätowierungsindustrie zu beleben, belasse ich es lieber bei einem lockeren »Einfach so sensationell!« als Zusammenfassung. Hauptsächlich natürlich, weil ihr selbst entscheiden müsst, womit ihr euren Körper verunstaltet. Und es wird Platzmangel herrschen.
[100-91][90-81][80-71][70-61][60-51][50-41][40-31][30-21][20-11][10-1]

fallobst



06 Platz 3


Xiu Xiu - The Air Force
Die Selbstverständlichkeit mit der Xiu Xiu mittlerweile Jahr für Jahr großartige Alben rausbringen wird sogar mir langsam unheimlich. Die fünfte Großtat in Folge (EPs, Singles, Splits und Livealben nicht eingerechnet) beweist nun hoffentlich, dass der Höhepunkt, der lang erwartete Schlusspunkt in dieser konstanten Aufwärtsbewegung einfach nicht kommen wird. Auch wenn es so wirkt, als ob jedes Album besser als alle vorherigen ist: Xiu Xiu werden wohl niemals ihr »Meisterwerk« haben, ab dem es dann bergab ging. Sondern einfach nur Jahr für Jahr Erschütterungen im Pop-Äther setzen; Jahr für Jahr Schrecken, Verzweiflung, Schmerz und elendigliche Schönheit unter das von Kaugummi beschütze Volk mischen; Jahr für Jahr weiter fragen, weiter Grenzen einreißen, weiter erzählen, weiter leiden. Weil eben diese Dinge niemals aufhören. Just like Xiu Xiu.

The Blood Brothers - Young Machetes
Eigentlich kann ich dazu nichts mehr sagen, hab ich mich mit gewissen Wortwahlen eh schon aller Kritikfähigkeit zu der Platte enthoben. Trotzdem bin ich dankbar, dass dann am Ende mit Alterswerk einem Freund der passende Begriff eingefallen ist, um meine Bedenken zu beschreiben. Die klügste, beste, tollste Blood Brothers Platte aller Zeiten. Zum Verschlucken und Erwürgen. Und trotzdem nicht Top 5, wo sie hingehört. [mehr]

TV on the Radio - Return to Cookie Mountain
Pitchfork, stereogum und Spex. Scheint die ewigzweite Platte heuer zu sein. Nirgendwo auf eins, fast überall in den Top 20. Und als sie anrollte, meinten alle, weil ich die erste verpasst habe würde das meine neue Entdeckung sein. Mindestens Platz 1. Vielleicht wurde das nicht so groß wie erwartet, weil alle meinten, das wäre mein großes Ding. Aber ich verstehe irgendwo, warum diese Platte mich umhauen sollte, ich versteh es in ihren stärksten Momenten (an denen sie auch etwas zerbricht), beim überirdischen »Wolf Like Me« und beim heimlichen Lieblingslied »A Method«. Ich will den Rest genial finden. Aber landen tu ich irgendwo zwischen hervorragend und großartig.

Peaches - Impeach My Bush
Dass sich Peaches nach dem enttäuschenden Fatherfucker auf ihrer dritten Platte so selbstbewusst und klug ihrer eigenen Angriffsfläche und Position stellt, hätte wohl niemand erwartet. Und zwar eben nicht in einem diversifizierenden Wegentwickeln und einem drückenden Bekenntnis zur Unverständlichkeit, nein, Peaches macht ihre Rehabilitierungsplatte, indem sie mehr Peaches than ever und somit näher dran an der Angriffsfläche (und ihrem Geist namens »Klischee«) ist, als es ihren Kritikern (und Ghostbusters) wohl lieb ist. Trotz der Öffnung, der Ich-lade-meine-Freunde-ein-Attitüde, ist diese Platte etwa 6 Jahre nach Erfindung dieser irren Selbstbewusstheit ihre wohl stärkste Aussage. Und die Aussage ist immer noch ganz im Sinne von Performativität mehr Handlung, als Bedeutung. Welche, das erklärt sich von selbst. Im Bett, in der Politik und am Dancefloor.

Islands - Return To The Sea
Nein, ich hab die Unicorns nicht gemocht. Für mich Hinweis genug darauf, wie anders dieses kleine Juwel ist. Allein wenn am Anfang »Swans (Life After Death)« neuneinhalb Minuten lang träumt und träumt, und sich am Ende endlich in diesem, ähem... »netten« Akkord wegträumt, dann ist schon alles erreicht. Trotzdem hat man dann noch genug von diesem ganzen Zirkus, diesem verspielten Melodienherumtürmen, dieser Kanadigkeit zu erspüren, dass es wirklich niemals durchschnittlich wird. Es bleibt irgendwie ein (für viele wohl trauriges) Beispiel, dass sich Querschädel durchaus dem Popsong zuwenden können, ohne Platzhalter für rein gar nichts oder Gemeinplätze abzuliefern. Denn den Scheiß könnte man von nun an vielleicht ex-negativo definieren – anhand von Return To The Sea. Ja, so eine Platte ist das.

Snow Patrol - Eyes Open
Okay, »You're All I Have« kann ich nicht mehr hören, aber den Rest dafür umso mehr. Bei »Chasing Cars« richtig das Stadion hören. Bei »Set the Fire to the Third Bar« richtig Martha Wainwright hören. Bei »Hands Open« richtig laut hören. Ich liebe diese Band für diese bescheuerte Idee nochmal was so bescheuert schönes wie Final Straw aufzunehmen. Ich liebe sie dafür, die größte, beste und bedeutendste Lo-Fi-Band der Hitparaden zu sein. Ich liebe sie dafür, dass sie mit jeder verkauften Single für Lou Barlow Werbung machen. Ich liebe sie dafür, dass sie die Chance gepackt haben, und trotzdem Lieblingsplatten für mich machen, wie Death Cab for Cutie. Ich liebes sie dafür, dass sie tausendmal wichtiger und besser sind als alles was Coldplay, Keane, Oasis, Muse oder die Killers machen. Und ums wichtiger-sein geht’s doch bei Jahresendlisten.

Klez.E - Flimmern
»"Strandlied" und "Tag im Fall" bringen sogar eine Überzeugung zurück, die bisher nur das weiße Album von Tocotronic auzulösen im Stande war: Das Aus-sich-Heraustreten und das ganz und gar lautlose Verschwinden sind gewissenhaft zu prüfende Lebensoptionen.« (Jan Wigger @ spon) Okay, wenn ich nun sage, dass ich sowohl die weiße der Tocos, als auch Jan Wigger (der Flimmern gar zu den Alben des Jahres zählt) nicht mag, und das oben gesagte trotzdem die Besonderheit dieser Platte super einfängt, glaubt ihr mir das nicht, oder? Egal. Dieses fragile Stück unterschätzter Popmusik wird trotz aller Radiohead- und Notwist-Vergleiche irgendwann zum Worst Case Scenario der deutschsprachigen Nullziger werden. Und ihr könnt gar nichts dagegen machen.

Aberdeen City - The Freezing Atlantic
Ganz und gar nicht meine Baustelle, irgendwelche Interstrokes-Kinder. Aber seit »God Is Going to Get Sick of Me« mir das erste mal seine Refrain-Droge verabreichte, war ich erledigt. Und es ist ja nichtmal so, dass das eine typische Indierock-Platte ist, die »mehr als einen Hit« hat, no way, ich würde bei dem sterilen Klima, bei dieser düsteren Unverfangenheit, diesem Misstrauen, das hier herrscht eher soweit gehen zu sagen, diese Platte lebt – wie nur wenige Gitarrenplatten – zwischen den Songs, sie lebt in der Konnotation, im Gemeinten, nicht im Gesagten, sie verschwindet immer und immer wieder vor deinen Augen, denn sie lebt davon, keinen einzigen Hit zu haben. Und das bedeutet mir sehr viel. [mehr]

Scissor Sisters - Ta-Dah
Langsam komme ich in die Phase, wo die Willkür einer Liste explizit wird. Denn Ta-Dah ist eine Platte, für die es Platte-des-Jahres-Tagesverfassungen gibt. Als jemand, der das Debüt verschlafen hat, war das hier eben meine albern schöne Sommerplatte 2006. Auch wegen der Eigenart, wie sie sich der unbedingten Tanzfläche von »Comfortably Numb« entzieht, z.B. auf der Bonus-Disc, die mit »Transistor« das wohl beste, äh... Mike Patton-Stück seit Mike Patton drauf hat. Dieses immer wieder wegbrechen ist für einen Chartserfolg so untrivial wie in dem Fall selbstverständlich. Die schiere Fülle an Schönheit, die hier eigentlich in nichts und wieder nichts gebuttert wird, liefert den nötigen Rest für Hits, die mit Liebe so verschwenderisch umgehen, wie ihre Schaffer mit musikalischen Ideen. Mehr als nur großes Kino.

The Roots - Game Theory
Das hier hat Weile gebraucht. Vor allem auch weil mit The Tipping Point eine böse Messlatte vorlag. Aber nachdem ich einsah, dass auf der Hit-Ebene (die bei den Roots spätestens seit Things Fall Apart irren Stellenwert hat) »Don't Feel Right« nicht schlechter, sondern anders als »Don't Say Nuthin« wirkt, konnte ich auch den Rest beruhigt als ihr Kid A ansehen: Düster, erwachsen und ambitioniert. Nach der Party (welch Zufall, dass die Scherenschwestern genau drüber sind) kommt zwar nicht zwingend die Moralkeule, aber etwas nachdenken ist immer erlaubt und oft verpflichtend: »2006 called for a very serious record« sagte ?uestlove dazu. Wie gut das technisch funktioniert, und wie plastisch es sich anfühlen kann sieht man dann bei monolithischen Killern wie »In the Music«, »Long Time« oder – und vor allem – bei »Here I Come«. Wie es in der Spex so schön hieß: Game not over (yet)!
[100-91][90-81][80-71][70-61][60-51][50-41][40-31][30-21][20-11][10-1]

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