Dietmar Dath: Heute keine Konferenz


Dietmar Dath: Heute keine KonferenzIch kenne Dath nicht. Ich kenne Daths Firefly/Serenity-Text in der Spex (essentiell), seinen Madonna-Text in der Spex-Jubiläumsausgabe (sehr gut) und eine gute Adolf Noize-Rezension gab's auch mal in besagtem Heft, aber mehr kenne ich nicht. Der Name fällt oft, die Bücher werden oft gelobt. Dass gerade mein erster wirklicher Dath-Kontakt die Sammlung seiner Zeitungstexte ist, mag man als unglücklich bezeichnen, aus der Perspektive. Ich mag es als unglücklich bezeichnen, aus so ziemlich jeder Perspektive.

Denn der Dath den ich hier lese, passt in mein kleinbürgerlich-primitives, österreischisches black-and-white-Weltbild über Journalismus: Die F.A.Z., liebe Leute, ist nun mal echt uninteressant. Ich werd aber das Gefühl nicht los, ihr seht das alles differenzierter und feiner, und überhaupt ist das ja alles nicht so einfach. Und ihr habt Recht, natürlich. Ich habe halt gehofft, dass mir die Lektüre von Daths F.A.Z.-Geschreibsel genau das eröffnet, nämlich, dass das alles nicht so einfach ist. Stattdessen ging alles nach hinten los, ich habe den guten Dath, den so viel gelobten Dath, den Dath einer ganzen Spex-Epoche, von der ich auch immer nur Ruhmesgeschichten hörte, und den Dath, den Freak gelesen, und fand nur den Dath, den Opa. Der Dath, den ich hier las, ist ein alter, wissenschaftlicher, moralischer Zeigefinger für alles Alte, Gute und Wahre. Zeigefinger wollen immer Recht haben. Da fängt das Übel an.

Wer in der Einleitung alle Kritik am Gesagten als „persönlich“ vorbeischießen lässt (und ich würde auch sagen, somit verschmäht), darf sich nicht den Luxus erlauben, Recht haben zu zu wollen. Dath hat andauernd Recht. Das ist das, was ihn so stur, so lustig, so verrückt macht. Er schreibt aus einer Text-Verliebtheit heraus, die den Text als wahrheitsfähiges Argument auffasst, als Beweis. Dass Texte durch die Gretchenfrage des Rechts, der Vernunft und der Argumentatitivät seit jeher „spannender“ sind, weil sie sich ins Gefährliche der echten Welt hinauswagen, und mit den Mitteln der Bösen spielen, um das Gute zu erwirken, mag für einen Literarizisten stimmen. Aber für den dummen, jungen Leser, der Wahrheit an sich fad und argumentative Texte etwas mittelalterlich empfindet, ist das halt nicht spannend genug. Klar, dies ist eine Sammlung seiner Zeitungsartikel, und das erklärt die Argumentativität schon bis wohin. Wie sein Buch-Ich ist, kann ich demnach nicht beurteilen. Trotzdem und gerade deshalb.

Überhaupt ist die Textualität seiner Argumentation an den meisten Stellen recht frivol umtriebig, schießt nach einer formalistischen halb-linken Flanke am Anfang jedes Textes recht flott ins thematische Zentrum, wo es herumwuchert und lungert, lose Enden aufnimmt und weiterspinnt, zersetzt, rechtfertigt und verwirft, bis es am Ende zu dem krönenden ... Ende kommt. Daths Texte in diesem Buch sind ein Musterbeispiel für jene Verbrechen, die es seit Beginn jeder Text-Wissenschaft, seit Beginn jeder Rhetorik gab: Die Formalismen. Der gute alte (von Dath sicher belächelte) Roland Barthes hätte Daths Texte als Musterbeispiele für einen Mythos hernehmen können, der zwar seinen Sinn im gesagten Argument, in dieser entwickelten Historie oder in jener Konzertkritik einnimmt, der aber tatsächlich auch sehr viel Aufmerksamkeit auf die textuelle Verpackung und die Textualität der Verpackung lenkt. Kommt mir hier bitte keiner, dass die Kategorien von mir kommen. Dath baut unentwegt an einem zweiten semiotischem Systen, das über dem Gesagten schwebt, und darauf verweist, dass das Gesagte ein Text sei. Auf dass es ein Text sei. Sein Text-Ich, Sein Text-Schöpfer mit all der mythologischen Grausamkeit, die aus der Ratio und der Geburt zu holen ist, verwenden mindesten die Hälfte der Zeit, das Gesagte als Text zu erschaffen. Dabei ist seine Text-Definition nicht geklärt (was voll und ganz okay ist), aber sie hat ein derartiges Existenzrecht in den Worten, im Gesagten, dass man sich fragt, woher der Widerspruch kommt und wie Dath für sich damit umgehen kann. Der Mythos, an dem er arbeitet, ist sehr wohl der Text an sich. Und mit Barthes sind Mythen konservativ und naturalisierend. Wer Daths Text-Mythologie als Punk deuten will, vergisst dass es sich dabei auch um ein Handwerk handelt, nicht nur um Kunst. Dath hat eine der wichtigsten Lektionen von seinem großen Liebling Joss Whedon nämlich nicht verstanden: Die Wichtigkeit einer unauffälligen Kamera. Denn wenn Whedons Kamera-Umgang bei Buffy und erst Recht bei Firefly eines zeigt, dann dass die unauffällige Kamera eben aus ihrer reinen Fremdreferenzialität jenes vom Gezeigten einfordert, was wir dann erst im zweiten Schritt seine „Kunst“ nennen. So fangen in besagten Serien die Schauspieler an schau zu spielen, und das meilenweit vom Drehbuch entfernt. Whedons Charaktere, diese verdammt schlaue Art, wie er uns das Persönliche im sozialen Austausch präsentiert, kommt direkt von der Kameraführung, behaupte ich mal. Und das blöde ist irgendwie, dass Whedon selbst es Dath in jenem Spex-Interview mehr oder weniger direkt ins Gesicht gesagt hat. Umso schader ist es zu sehen, wie Dath sein Gesagtes mit seiner auffälliger-geht's-nicht-mehr-Kameraführung, die seine Text-Mythologie eben ist, zugrunderichtet.

Der Anfang mit der Flanke, der Schluss mit der Pointe, das mag also alles etwas stiefmütterlich wirken, und es mag natürlich am Verwertungszusammenhang liegen. Das tatsächliche Problem am Formalisieren ist aber nicht, dass Dath damit elegant die textuelle mit der ideationalen Metafunktion verschwurbelt, das Problem ist, dass er die interpersonale dabei völlig vergisst. Und die Hallidaysschen Metafunktionen hat Dath sicher nur angelesen, bevor er sie für irrelevant befand. Weil das, was Textwissenschaft über Texte sagen kann, immer weit hinter (und vor) dem politischen und ästhetischen Horizont liegt, den Dath in seinen Texten auftut, während das, was Dath in seinen Texten betreibt, über seinen Sonderfallcharakter für die Wissenschaft nie hinauskommen wird. Schön ist, dass beide Unversöhnlichkeiten gut so sind. Weniger schön ist, dass Dath viel von dem Schrott schlauer hätte gestalten können, wäre diese Text-Verliebtheit nicht gewesen.

Mit Schrott meine ich nun meine generelle Unverständnis bezüglich dem, was er behauptet. Ich meine... ihr alle jubelt doch schon hin und wieder auch über das, was Dath sagt, oder? Der Kerl hat schon Recht, hin und wieder, nichwa? Aber was ist es denn? Der Dath, der Popkultur bejubelt, der Dath über Regisseure, Filme, Musik, SF, Zombies und auch der irre Dath über Nullstellen der Autorfunktion oder Drogen, das alles geht ja irgendwie (auch weil da die Kamera deutlich mehr das Maul hält), aber Sex mit Puppen führt zur Versachlichung (... der echten, menschlichen, humanen Gefühle?) zur Kapitalisierung (... des Lebens? Gibt’s das nicht schon seit einiger Zeit vor den Puppen? Wie war das mit Feminismus?) und zur Nekrophilie (...?!)? Jugendliche werden beim halb-professionellen Pornomachen erwischt, und die Welt steht vorm sittlichen Bankrott? Die moderne Wissenschaft macht vor der Gesellschaftsordnung halt? Der Einzelhandel hält als guter Vergleich für Probleme der Text-Redaktion einer Zeitschrift oder eines Magazins her?

In welchem Christenrock bin ich denn da gelandet?

Ne, quatsch, sagt ihr jetzt. Ist ja kein Christenrock, weil er ja eben nicht den Sinn, sondern den Grund der Dinge sucht. Klar. Als ob Sinn und Grund seit jeher so unvereinbare Welten wären (wie Dath es behauptet). Seine Argumentationen sind manchmal ein Paradebeispiel dafür, wie Ratio und Moral sich durchdringen und in einem textuellen Verwirrspiel gern gegeneinander ausgespielt werden können, wo in Wirklichkeit nur eine gegenseitige Stärkung passiert. Dath hat (zurück zur interpersonalen Metafunktion) nämlich keinen Bezug zu uns. Sein Schreien ist ein hörerloses. Das macht seine Argumentativität eben so moralisch ergiebig, und seine Moral so argumentierbar. Dath wertet reasonable. Was einerseits klar, erlaubt und vermutlich eine große Stärke ist, aber in der Wahrheitsfähigkeit richtig gemacht gehört, damit es nicht so unendlich wehtut wie bei ihm. Denn seit jeher sind die effektivsten und ekligsten Zeigefinger die, die sich am geschicktesten an dir als Hörer vorbeischleichen, und dir somit den Eindruck geben, du wärst eh nicht gemeint. Oder hat sich je wer gemeint gefühlt von einem Dath-Text? Wer diese Art zu schreiben als Hip Hop verstehen will, wie es Diederichsen tat, vergisst, dass diese Sichtweise von Hip Hop in ungefähr so fahrlässig ist, wie ihn auf seine Spiritualität zurückzuführen.

Und außerdem mag ich nicht, wie altherrenklug Dath sich gibt. Er kreidet Unwissenheiten an, die his very own Wissenheit sogar umschließen, ergo ermöglichen. Vatermord geht anders. Er mag es, wenn Sachen „historisch älter“ sind, und mag es nicht, dass niemand mehr vernünftig Deutsch spricht. Himmel, wenn ich das lesen will, gehe ich auf die Uni. Und sogar dort dürfte das runtergenudelte Ego der Wissenschaftlernden eine seichte Relativierung erfordern. Aber nicht so bei Dath. Die Zeitungseite hat mit ihren Formalismen soviel Geschichte, Baby, dass der „Netzdreck“ da mal baden gehen kann, Baby. Dies ist in beiden Richtungen falsch: Einerseits kann, wer will, auch im Netzdreck Formalismen finden. Andererseits ist Geschichte egal, Baby, und viele schätzen den Netzdreck gerade wegen seiner ahistorischen Egalheit. Das darf wiederum Dath egal sein. Aber wenn alles, was in Blogs steht, nur die banale Ansammlung des Gesagten sei, dann ist alles hier auch schließlich und endlich mal: gesagt. Was seiner Ehren Relevanzkritirien zwar nicht erfüllt, was aber wiederum mir egal sein kann.

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