The Perfect Crime
Es ist der vollste Sound. Das Major Label Debut. Ihr Plans. Als ob es da noch was zu holen gäbe, für die Decemberists, nach Picaresque, diesem schelmischen Juwel, das sich mir leider nicht zur Gänze erschließen konnte, das aber auch schon andeutete: Die nächste Platte wird noch sauberer. Mit noch vollerem Sound, deutlich mehr Wucht und vermutlich sogar mehr Instrumenten. Prognose: Gut. Resultat: Fantastisch. The Crane Wife, meine Damen und Herren.
Das geht auch deswegen, weil die Decemberists ihre laute Phase rüberholen, sie aber in der Produktion aufgehen lassen. Ich habe lange spekuliert, ob nun hier die The Tain-EP wieder von den Toten erweckt wird, jene EP, die das Lager der Fans vielleicht am meisten spaltetet, in die, die Black Sabbath mögen, und die die lieber wieder ein Neutral Milk Hotel-Revival haben wollten. Okay... es gibt sie die Momente auf der neuen Platte, wo sie in so einem Rock-Sumpf landen (take »Come and See« oder »When the War Came«), aber es bleibt eine willkommen Prise Wahnsinn in einem ansonsten durch unfassbare Rundheit, Symmetrie und Eleganz ausgezeichneten Ozean an schönen Songs. The Decemberists, Posterboys des Nullziger-Indies, Verteidiger des Amifolk-Glaubens, haben sich zwischen die Laut-und-Leise-Stühle gesetzt. Und eine der wichtigsten Songwriting-Platten unserer Tage aufgenommen.
Dass das mit dem Laut-und-Leise nicht trivial ist, sieht man z.B. an Bands, die immer schon davon lebten, und dann daran zerbrachen (allein heuer: Sophia, The Dears, Secret Machines...). Was auch als gefährliche Mahnung verstanden werden kann: Die nächste Decemberists könnte eine eklige Portion überproduzierter Scheiße werden, wenn sie nicht aufpassen. Aber das mag uns vorerst mal egal sein. Weil es genug genau richtig sitzende Produktion auf The Crane Wife gibt, um bis dorthin satt zu werden. Tucker Martin und (once again) Chris Walla sind verantwortlich für das herrliche Poltern in »The Landlord's Daughter«, die stoisch-gespenstische Ruhe bei »Shankill Butchers«, den epischen Trennungsschmerz (für's Album) und Neubeginn (für den Inhalt) bei »Sons and Daughters«. Ersterer hat übrigens auch Laura Veirs produziert, die uns bei »Yankee Bayonet (I Will Be Home Then)« um Kopf und Kragen singt. Wenn diese Platte eines bewirkt, dann hoffentlich, dass ein paar Indiekids sich den Backkatalog dieser Dame zu Gemüte führen.
Ja, und die Songs? Was ist mit den Songs, den Texten, den Ideen? Die sind – wie nicht anders zu erwarten – eine Welt für sich. Zwar habe ich den Decemberists niemals ihre Kauzigkeit abgekauft, aber die hier erzählte Geschichte um ein altes japanisches Märchen verzaubert natürlich, schafft neue Referenzwelten, die aber herrlich unaufdringlich bleiben. Man ist nicht gezwungen diese Schönheit zur Gänze zu schlucken. Und das ist es vielleicht was diese Platte (im Speziellen und die Decemberists im Allgemeinen) so wichtig macht: Dass sie am wenigsten will, aber am meisten macht. Die erwähnte mächtigere Instrumentierung entpuppt sich im Endeffekt als eine Fokussierung aufs Wesentliche. Die Platte ist mehr am Punkt und näher bei dir als alles, was sie bisher gemacht haben. Und - richtig - dieser Trick, dir was zu vorzumachen, was gar nicht da ist, ist hier mal nicht billig, denn, ja: Diese Platte darf das. Dies Platte kann das. Diese Platte ist vielleicht genau dazu da. Um an das Konzept zu erinnern, das sämtliche Fiktion immer schon im Hintergrund begleitet (und gelenkt) hat. Nämlich das un-reale Pendant zum wachen, vernünftigen »Bild« und somit zum Realen selbst: Der Traum.
Und genau das ist diese Platte, meine Damen und Herren. Genau deswegen schafft sie es mit ihren schüchternen 12-Minuten-Epen diesen Moment zwischen dem »Klick« des Lichtes und dem Anfang eines Traumes einzufangen. Als ich das erste mal »O Valencia!« gehört habe, und Picaresque schon etwas her war, dachte ich mir noch »naja«. Beim ersten Mal durchhören dachte ich mir zehn mal »naja«. Wie jeder Traum ist diese Platte ein Grower. Erst mit der Zeit kapierst du, was sie mit dir macht. Obwohl ich (auch von den Vorgängern ausgehend) dieser Platte am wenigsten Zugang dazu gab, nein: geben wollte, und es auch am wenigsten erwartet habe, ist nun also Teil 3 von 3 der klare Sieger, der klare, beste, schönste Aspekt davon, auf neue Platten, auf Nachfolger zu warten, und sich zu fragen, ob das denn überhaupt gut gehen kann. Hier ging es gut, wie selten etwas in diesem Jahr.
in: platten.kritk | von: wiesengrund | 18. Nov, 13:13
2 Kommentare | Kommentar verfassen | 0 Trackbacks
DIY - 20. Nov, 16:52
schoener text zu einer wundervollen platte ... zu schade dass ich im feb nicht in wien bin
driftwood - 2. Dez, 11:03
Ich finde dieses Album sehr viel leichter zugänglich, als die bisherigen Decemberists Alben (außer vielleicht das letzte). Es macht genau das, was der Hörer will, ist immer genau richtig: nie zu laut, nie zu leise, nicht zu dramatisch, perfekt instrumentiert und dann diese herrlichen, kleinen Geschichten. Aber vielleicht hat mich eben das an The Crane Wife bis jetzt auch etwas gestört: dass sie zu sehr meine Erwartungen erfüllt. Es gibt einfach nichts auszusetzen (nur ist eben das manchmal das Verhängnisvollste).
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