Freitag, 11. März 2005

Keep it in the family


»Die Blume des Bösen« (La Fleur du mal) (FR 2003, Claude Chabrol)
Kino
»Die Bourgeoisie hat die Kohle und den Einfluss. Allein deshalb muss man sich mit ihr beschäftigen. Davon abgesehen habe ich gar nichts gegen bourgeoise Menschen. Sie sind ordentlich gekleidet, sauber, und man kann sich mit ihnen unterhalten.« – Claude Chabrol im Interview mit Katja Nicodemus, 2003

»Wir leben doch schon seit Jahren wie Heuchler« – »Seit Menschengedenken leben die meisten wie Heuchler. Tja, sowas nennt man ›Zivilisation‹« – Tante Line im Gespräch mit François

Hat Claude Chabrol nicht doch ein wenig seinen Frieden mit dem Bürgertum gemacht? Die bourgeoisen Verhältnisse, die er einst zu sezieren sich auf die Fahnen geschrieben hatte, sind mit ihm gealtert und brüchig geworden. Auch wenn das in Frankreich nicht in dem Maße wie hierzulande zutrifft: In Zeiten von Globalisierung, neuen vernetzten Grasroots-Bewegungen und politisch-ideologischer Diversifikation allenthalben ist das alte Feindbild – aus dem auch Chabrol selbst entstammt – nicht mehr so klar erkennbar. Das und eine gewisse Altersmilde kennzeichnen seinen einundfünfzigsten Film.

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»Die Blume des Bösen« ist ein Familienporträt. Der Sohn François (Benoît Magimel, bekannt aus Hanekes »Die Klavierspielerin«) kehrt nach Jahren aus Amerika in seine gutbürgerliche französische Familie zurück, in der alles seinen geregelten Lauf zu nehmen scheint. Während François’ Stiefmutter Anne Bürgermeisterin werden will und sich inmitten des Wahlkampfs befindet, der Vater Gérard eine Apotheke im Stil eines amerikanischen Konsumtempels führt und die Cousine Michèle ihr Psychologiestudium gerade aufgenommen hat, hält zu Hause Tante Line mit großmütterlicher Verve die Familie zusammen. Nichts Neues im Kapitalismus also; bis ein diffamierendes Flugblatt die Familie erschüttert. Inzest und Mord werden ihr vorgeworfen, gar Nazi-Kollaborateure sollen sich im Ahnenstamm finden. Mit und mit offenbaren sich die blinden Flecken der Familiengeschichte, das Unterschlagene. Nichts Neues im Chabrol’schen Kapitalismus also.
»Zeit existiert nicht. Sie ist eine immerwährende Gegenwart.« – Tante Line
Aber wie er das alles erzählt! Mit dieser grausamen Leichtigkeit, mit diesen Bildern, die so ausgelesen schön scheinen wie das Anwesen der Familie, dabei aber gleichzeitig immer alle Schuld in sich tragen, mit diesen Farben und dem Licht, das gleichzeitig verbirgt und offenlegt – das kann man Chabrol bei allem Hang zur redundanten Wiederholung nicht ernsthaft übel nehmen. Genau wie man nicht allen Figuren ihre Schuld anrechnen will, man hätte gerne eine Oma wie Line, gegen ein leicht inzestuöses Verhältnis hätte man auch nichts, sähe die Cousine doch nur so aus wie Michèle. Alles wunderschöne Blumen des Bösen. Allein der Vater scheint das Unkraut zu sein, so wie er seine Frau betrügt.

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Chabrol zeichnet in »Die Blume des Bösen« die Familie als Spiegelbild der Politik. Ebenso wie in den ermüdenden realpolitischen Prozessen ist die Familie als Institution und Schlachtfeld gezeichnet von Paktieren und Fraktionsbildung. Ob der Feind in der eigenen Familie oder der opponierenden Partei sitzt – wer vermag das schon zu sagen? So ist es nur folgerichtig, wenn Anne den Gegenkandidaten als Verfasser der verleumdenden Flugblätter vermutet, dieser sich natürlich dagegen verwehrt und darauf hinweist, man säße doch »im gleichen Boot« und gleichzeitig anderenorts der Verdacht die Runde macht, Gérard sei Verfasser der Flugblätter. Chabrol lässt dieses Geheimnis ungelüftet. Warum auch nicht? Dass hier jeder Dreck am Stecken hat und gleichzeitig doch so eine Art morbiden Gangstercharme aufweist, ist nicht übersehbar. Letztendlich werden sich alle in dem Flugblatt erhobenen Vorwürfe als wahr herausstellen und das ist ja auch genug des Bourgeoisie-Bashings. Man will es ja nicht übertreiben.


Info: IMDB | Offizielle Seite des Films

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