Thalija
Da ist ein Kreis. Du siehst ihn genau vor dir, verstehst, warum er die perfekteste Figur der Mathematik ist, denkst dir die unendlich vielen Symmetrieachsen darin, und gestehst dir am Ende doch ein: Ein Vieleck ist eine Band ist ein Kreis. Thalija ist alles davon.
Die Wurzeln des Problems sind relativ leicht erklärt: Ein Kreis ist ein Nichteck. It’s just as simple as that, mit dem schalen Beigeschmack, dass ein Kreis gleichzeitig sowohl Unendlichkeit als auch Eingrenzung ist. Ein Innen und ein Außen. Ehemals produktive Levi-Strauss-Zitate surren im Hinterkopf, während doch die Erkenntnis winkt, dass Pi unendlich viele Nachkommastellen hat. Was also deutlich jenseits der Vorstellungskraft des Menschen liegt. »Die Menschheit hat Pi genauer bestimmt, als der Kreis rund ist.« sagte dazu ein namentlich nicht bekannter Mathematik-Student.
Thalija war einst auch namenlos. Als Gruppe, als Spinnennetz der verschiedenen Möglichkeiten, sind es jetzt 15 Leute, die sich genau als »Thalija« verstehen, also als Kompromiss, als Idee des Gemeinsamen im Einzelnen, als Kollektiv. Eine Fußballmannschaft mit Reservebank, die die einzelnen Qualitäten gut und gerne als Schnittpunkte eben jenes Netzes sehen. Postpunk hier, Postrock da. Kanadische Kälte mit germanischer Krautvergangenheit. Aber so weit weg einen dieser Gedanke führen kann, so weit daneben liegt er dann doch von Thalija, die ja eigentlich gleich um die Ecke sind, hier in Wien. Hier stehen also die Musiker und Musikerinnen im Kreis aufgestellt, und spinnen die Fäden zwischen sich, ergänzen sich, auch wenn schon genug da ist, und nehmen einander weg, was sowieso schon fehlt. Thalija sind beängstigend und fordernd. Das Netz zwischen den Klangarchitekten (und ja: dieses Wort IST vorbelastet) ist das Sinnbild eben jener Prozesse, die von Jazz über Improvisation bis hin zu Pop immer wieder den Zündfunken liefern, die eigenen Parolen zu hinterfragen. »Zündfunken« meint hier auch Schichten-Ver(un)schachtelung, Sound-Türme, Gewalt-Exzesse, Subjekt-Delokation. Es schreit förmlich danach, sich selbst «Labil-Rock!« oder »Dekonstruktion!« zu nennen. Aber sagen wir mal die Postrock-Konzepte der letzten Zeit seien die Horrorfilme der letzten 10 Jahre. Dann ist Thalija eine Mischung aus »Blair Witch Project« und dem Nachspann des Remakes von »Dawn Of The Dead«.
Die selbstbetitelte Platte von Thalija ist dann die Anekdote um diesen Kreis, den die Menschen an seinem Rand bilden. Die sechs Stücke entnehmen ihre Namen ihrer Position auf dem Werk – das kürzeste, »4«, ist nur sieben Minuten lang, und entwickelt vermutlich durch diese Komprimierung seine enorme Intensität. Die Stücke schichten und türmen übereinander was nur geht, zwei Schlagzeuge reihen rhythmischen Krach aneinander, während die Loops und Effekte der Gitarren und Bässe die Geschichte erzählen, die eigentlich keine wirkliche Geschichte ist. Das alles funktioniert aber ohne die oft beschuldigte »Kopflastigkeit« oder »Überladenheit« dieser Musik-, ähem….Gattung. Die Improvisation durchdenkt nicht die Konsequenzen ihrer Handlung, vielmehr umgehen Thalija jedes (auch postmoderne) Trauma durch jene Prise Zurückhaltung und Kleinkariertheit, die eher an der elektronischen Front einen Siegeszug nach dem anderen einfahren konnte. »Minimal-Postrock« ist es aber trotzdem nicht so ganz, weil es wie gesagt die Angst den Zuhörern überlässt. Wenn du sie in deinem Kopf mittürmst, bist du quasi selbst schuld; dass Thalija die lauteste Band der Welt sein wollen und maßlos übertreiben, versteht sich von selbst. Und diese Verantwortungsabgabe ist es auch, die es so leicht macht, Thalija in ihren vielen Kontexten zu lesen. Als Antwort auf Broken Social Scenes Weiterentwicklung des Postrock hin zum Indie-Pop. Als Korrektur der schiefen Wiener Improvisationsbrille. Als Kaffeehausmusik für angehende Mathematiker. Ein fiktives Gespräch zwischen selbigen könnte dann so aussehen:
X: […] Also das Vieleck geht beim Grenzübergang in einen Kreis über.
Y: Und stell dir dabei vor, welche Vielecke unterwegs mit Zirkel und Lineal konstruierbar sind.
X: Aber ich dachte es geht um DEkonstruktion?!
Y: (lacht) Schau mal her… Ein Kreis kann im Flatland nichts weiter sein, als die Momentaufnahme einer Kugel, die das Flatland gerade durchdringt.
X: Ja, gut.
Y: Und genau darum geht es auch hier… 15,14159265 Menschen weichen Grenzen der Perfektion, des Verstandes und der Gesetzmäßigkeiten ihrer eigenen (musikalischen) Dimension auf. Insofern… kannst du es auch Dekonstruktion nennen.
X: Dann ist der Kreis also doch ein Unendlicheck, und kein Nichteck?
Y: Ja. Oder anders: Auch die beste Postrock-Platte seit The Microphones »Mt. Eerie« ist nur so rund, wie die Presse, aus der sie kam.
VÖ: 10.01.2005 auf Pumpkin Records
INFO: thalija.com
MP3: "4"
in: platten.kritk | von: wiesengrund | 23. Mär, 18:27
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