Montag, 23. Mai 2005

Es geht los...


Seit 19 Uhr kreisen im knallgelben Licht der untergehenden Sonne wunderschöne Pollen durch die Luft. Am Donaukanal fängt das regen, abendliche Treiben an zu Brummen. Chinesisches Abendessen wird serviert, die erste Biere genommen, Drogenvorrat für den Abend eingekauft. Konzertkarten werden hie und da verhandelt, »RESTLOS AUSVERKAUFT!« prangt von allen Wänden des Eingangsbereichs des Flex. Kamerateams surren vorbei, Gruppen aus Polen, auch Kroatien versuchen sich mit den Einheimischen zu verständigen. The Arcade Fire spielen in besagten Ländern kein Konzert, weswegen sie den weiten Weg gekommen sind. Das coole Fühlen, ich spür’s.

arcade fire live2

***

Es ist eng, schon zehn Minuten vor der Vorband ist es eng. Arcade Fire bitten darum nicht zu rauchen. Schnell noch die letzten Zigaretten genißen, bevor es losgeht. Im Kopf spulen sich Listen ab. Liste 1 sagt »Wake Up« und dann »Laika«, dann der Block an alten Sachen, dann der Hammer-Block mit den besten Albumstücken. Liste 2 sagt »Laika« am Anfang und »Wake Up« als Zugabe, außerdem dabei im Gegensatz zu Liste 1 ist »7 Kettles«. Liste 2 ist aktueller. Angst. Vergiss die Listen, sei bei Arcade Fire, schau auf die Bühne. Es ist dunkel, Eine Absperrung wurde gezogen, das Flex ist noch enger. Die Gesichter um mich herum sind magisch erhellt, jeder Mensch in diesem Raum hier wartete seit Monaten auf diesen Augenblick. Es war elektrisch, ganz und gar unerklärbar gespannt, und wenn jemand nur eine Zigarette zu viel geraucht hätte, wenn das Streichholz auf den Boden gefallen wäre, hatte man das Gefühl, als würde dann ein riesiger Gassee unter uns hochgehen, die Wolke auf der das Publikum zu schweben vermochte. Schweben und warten, um kurz nach Acht betritt Owen Pallet die Bühne.

***

Beinahe-Nervenkollaps, Übernachtigkeit und hemmungslose Nervosität prägten den Tag. Angst, Schweiß und Unvermögen in geraden Sätzen zu reden. It’s the Reinsteigern-Thing. Verarschen ließe sich das mit »Ist ja nur irgendeine Band, von irgendwoher«. Und jeder, wirklich jeder im Raum hätte gewusst, dass es einfach nicht stimmte. »Funeral« ist nicht irgendeine Platte. Das Listenabspulen im Kopf lässt keine Ruhe, ist die beste Ablenkung von den Fangarmen dieses Abends,

Neighborhood #1 (Tunnels) Gewinner: Keiner.
Neighborhood #2 (Laika) Gewinner: Keiner.
Une Annee Sans Lumiere Gewinner: Keiner.
Neighborhood #3 (Power Out) Gewinner: Keiner.
Neighborhood #4 (7 Kettles) Gewinner: Keiner.
Crown Of Love Gewinner: Keiner.
Wake Up Gewinner: Keiner.
Haiti Gewinner: Keiner.
Rebellion (Lies) Gewinner: Keiner.
In The Backseat Gewinner: Keiner.

Der Computer läuft, er muss nur einsehen, dass es immer irgendwann den Punkt geben kann, an dem es einfach sinnlos ist weiterzuspielen. Einfach sinnlos ist weiterzuspielen. Einfach. Sinnlos. Ob ich das je verstehen werde?

arcade fire live3


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Owen Pallet ist nicht Patrick Wolf, auch wenn er fast so aussieht. Final Fantasy, ich hab’s nur einmal gespielt, das VIII. Damals interessierten mich Computer nicht so, ich hab den ganzen Hype darum nicht ganz verstanden. Owen Pallet ist Final Fantasy, eine Solo-Band. Er und seine Geige sind die besten Freunde. Ein Sampler noch mit an Bord, und los geht’s. Eine halbe Stunde lang wird Owen ins Publikum singen und lachen. Dabei führt er unwahrscheinliche Songs auf seiner Geige aus, lässt die Riffs loopen, schichtet Turm auf Turm und macht mit einer fantastischen Stimme auf einmal schlagartig alles weg, was vorher meinen Kehlkopf zugeschnürt hat. Wenn bei einem kurzen Final Fantasy-Stück im Höhepunkt sich die sieben Geigen-Melodien, die gerade übereinander liegen, schlagartig auflösen ist es Sonnenaufgang, obwohl draußen gerade das Gegenteil herrscht. Patrick Wolfs Gestus ist aber dabei bei Final Fantasy. Auch Label-Kollege Xiu Xiu, krampfähnliche Ausschreie erwecken hier die Erinnerung. Final Fantasy vermag uns für eine halbe Stunde in ein anderes Universum zu katapultieren.

***

Sieben Menschen plus Owen Pallet sind auf der Bühne. Die Zeit ist um, wer jetzt noch gehen möchte kann es tun. Ich überlege kurz, ganz nach hinten zu gehen. Nein doch erste Reihe. Die Wahnsinnigen auf der Bühne lachen. Der erste Akkord schneidet das Flex in kleine Stücke. »Wake Up« ist Chaos. Ein Song, er ist da. Ich lege mich rein. Nicht aufgeben. Es muss weitergehen. Und das tut es auch. Auch wenn ich es vorher aus Live-Mittschnitten erahnt habe, ist jener sensationelle Übergang zwischen »Power Out« und »Rebellion (Lies)« einfach unglaublich. Hier wird die Platte neu erfunden. Was bei einer so unglaublichen Platte mehr als mutig ist. Verrückt, energetisch, zum wahnsinnig werden schön war die Halle des Flex im Widerschein eines Anbeginns einer neuen Epoche getaucht.

arcade fire live

***

Der nächste Tag war auch sonnig. Aber es hörte sich anders an.

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txt - 23. Mai, 23:45

"Gassee"

Oh, Mann, das hat aber gedauert, bis ich dahinter gekommen bin, dass es sich weder um eine österreischiche Form einer Gasse noch um einen dem Amerikanischen entnommen Slang-Ausdruck handelt. Die Buchstaben und die Bedeutungen, sie tanzen heute wieder Klammer-Blues mit mir. ;)

wiesengrund - 23. Mai, 23:52

LOL!

tjacha, das ist mir nun aber selber nicht mal aufgefallen. hab das wort sicher noch nie vorher verwendet. klingt aber jetzt so im nachhinein genaur betrachtet durchaus sinnvoll. sollt ich mir merken. *aufschreib*

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