Als neues Festival hat man’s nie leicht, umso beachtlicher war das Line-Up des neuen Gravity-Festivals im Planet-Music. Soundtechnische Schwierigkeiten und teilweise recht mangelndes Publikumsinteresse konnten aber nicht verhindern, dass ein paar Bands ein paar verdammt wichtige Konzerte gegeben haben.
Der Eröffnungsabend war vor allem von einer Startschwierigkeit eines jungen Festivals geprägt: Niedrige Besucherzahl. THE WRENS wären ja eine eigentlich große Band (und »groß« meint hier, dass sie das Flex sicher ausverkaufen würden). Aber im Endeffekt kamen nur ungefähr 100 Leute in den Genuss des ersten Österreich-Gigs der Wrens. Diese 100 erlebten also aus erster Hand, wie alte Indie-Helden, die 2003 den vielleicht sensationellsten Reunion-Durchbruch aller Gitarrenzeiten feierten, ihrem vorauseilenden Ruf als Bühnenlegenden gerecht werden.
»The Meadowlands«, besagte Sensations-Platte, ist diesbezüglich niemals ein uneinholbarer Koloss, mit dem du den Gig ständig vergleichst, um herauszufinden, ob er nun besser oder schlechter ist. The Wrens machen ab dem ersten Song klar, dass auch 100 Leute reichen, um sich selbst, seine eigene Geschichte und das ganze Drumherum völlig zu vergessen. Es gilt ab da nur mehr präsent zu sein, diese Kraft und unschuldige Wut zu spüren. Diese Songs, diese Ekstase zu erfassen. Schließlich werden ein Dutzend Menschen aus dem Publikum auf die Bühne geholt um Percussion wörtlich zu nehmen: Als Erschütterung. Am Ende gehen die Herren durch das Publikum und danken jedem einzelnen persönlich für’s Kommen. Und sie waren nicht mal Headliner sondern drittletzte Band am Eröffnungsabend, dem Tag 0 dieses jungen Festivals. Ob das noch zu toppen war?
Sagen wir’s mal so:
My Latest Novel hätten sie getoppt. Da konnten die Wrens noch so gut sein,
My Latest Novel hätten sie getoppt. Weil
My Latest Novel zurzeit einfach alles toppen. Umso tragischer ist es, dass diese Band auf dem Weg zur Weltherrschaft mit den schönsten Songs dieses schönen Lebens wegen einem Todesfall in der Familie nicht nach Wien kommen konnte. Auch wenn Tag 1 also unter traurigen Vorzeichen stand, gab es einige gute Sachen zu sehen: Die von Bright Eyes ausgehend sich in rockig-okaye Höhen hochschaukelnden A LIFE, A SONG, A CIGARETTE tummeln sich zurzeit recht erfolgreich im Wiener Indieground. Am Tag zuvor noch Vorband der grandiosen New Pornographers eröffneten sie den Abend gemütlich, bevor MISSOURI uns etwas mit ihrem Neo-Blues-Whatever gelangweilt haben und der NEW YOUNG PONY CLUB mit synthiesinfected 80er-Pop inkl. augenzwinkerndem Punk-Anteil die Bühne erobert hat. Das solide Set erinnerte vielleicht zwei Mal zu oft an die Yeah Yeah Yeahs, behielt aber eine gute Stimmung und coole Tanzbarkeit bei. Danach brachen die TWO GALLANTS herein, ließen mit ihrer White-Stripes-Variante (wo »Blues« durch »Folk« ausgetauscht wird) keinen Stein auf dem anderen und sorgten für gute Stimmung in der an diesem Abend wirklich gut gefüllten Halle. Diese Stimmung sollte ihre finale Krönung und Entladung im sensationellen Headliner-Gig der SHOUT OUT LOUDS finden.
Hierbei wurde die Perfektion und durchgängige Verliebtheitserweckung des seit 2003 herumschwirrenden Debüts
»Howl Howl Gaff Gaff« einfach auf der Bühne nacherzählt. Bis in die letzte Pore auf der richtigen Seite der Macht. Eröffnet wird mit »The Comeback«, klar. Seinen schlicht unpackbaren Höhepunkt erleben wir natürlich bei »Very Loud«, der, ja, besten Gitarrenhymne der letzten Jahre. Punkt. Ihr könnt sagen was ihr wollt. Bei »Please Please Please« erzittert die zahlreiche FM4-Fraktion, und bei »Wish I Was Dead« (mit Drummachine statt Drum) erzittern die Herzen auch der letzten Reihe. »Sound Is The Word« wurde natürlich von allen vermisst, während dieselben alle bei »100 Degrees« ganz und gar den Verstand verloren.
Ach ja: Wer meinte, die Shout Out Louds müssten sich mehr anstrengen, kompromissloser sein, um auch die Fans der hinteren Reihen zu überzeugen, vergisst leider, dass die Shout Out Louds niemandem mehr was beweisen müssen, niemanden von irgendwas überzeugen müssen, niemanden auch nur in einer Sekunde was schulden. Sie touren sich mit diesem sensationellen Debüt-Album aufgrund miserabelster Veröffentlichungspolitik seit drei Jahren den Arsch ab, und werden nicht müde es einfach so lässig und knackig rüberzubringen, wie es ist: Laut. Wuchtig. Melodienverliebt. Schwedisch. Und dabei aber nie im derzeit regierenden Disco-Rockismus verhangen. Die Shout Out Louds gewinnen auch dann, wenn am Ende nur drei Leute vor der Bühne stehen bleiben. Sie gewinnen, weil sie den Zirkus auch unter solchen Soundbedingungen wie eben beim Gravity machen, wo die so wichtige Stimme z.B. unter den Bass gemischt wurde, was schlicht und einfach nicht funktionieren kann bei den Songs. Sie gewinnen eben weil sie kompromisslos sind, und denjenigen, die überzeugt werden wollen, ihre Überzeugungswollung lassen. Die gleich um’s Eck liegenden Hype-Argumente sind ihnen herzlich egal. Und dafür liebe ich die Shout Out Louds, nach jenem Abend mehr denn je.
Tag 2 stand im Zeichen von alten Helden, die aber vorher noch durch etwas jüngeres Up & Coming-Zeug eingeläutet wurden. Z.B. GO DIE BIG CITY! Ich freu mich ja immer über so kleine Undergound-Hypes, und GDBC! haben ihren definitiv verdient. Das Wiener Vielköpfigkeits-Wunder setzt auf kurze, schräge Popsongs, in einem punkigen Duktus der Architecture in Helsinki, und wurden von der DJ-Playlist passend mit Broken Social Scene ein- und mit Animal Collective ausgeleitet. Die Namens-Nähe zu den kanadischen You Say Party! We Say Die! ist vermutlich kein Zufall, und Spaß macht die Sache natürlich auch. Mit Xylophon, wilden Drums und Vollbart. Das nächste Mal sollten sich die Regional-Medien aber zweimal überlegen, ob sie das Wort »Arkaden-Feuer« so schnell in den Mund nehmen.
Weniger eckig (aber noch deutlich unzugänglicher als z.B. The Futureheads) gingen Londons neue Disko-Pop-infizierte New Wave-Rock-Hoffnung NEGATIVE FOR FRANCIS ans Werk – und ihr könnt euch denken, wie tief das aaaa in Fraaancis ist. Mindestens so tief wie ihr Gig solide war.
Danach kam aber einer der wichtigsten Helden des Festivals: CASIOTONE FOR THE PAINFULLY ALONE, mit seiner ruhigen Emotronica-Bierbank. Deutlich älter, als ich ihn mir vorgestellt habe, bewies er geniales Songverständnis, wunderbar indieesques Flächenmanagement, immer die richtige Beatwahl und einen Erzähler-Charme, der wohl nicht nur vom Vollbart definiert wird. Ein so berührendes und gleichzeitig nicht erdrückendes Konzert hat Wien schon lange nicht mehr gesehen.
Grandios konterkariert wurde das alles von den schlichtweg grausigen THE GLASS, die mich vermutlich das erste Mal seit Jahren dazu gebracht haben, nach zwei Lieder zu gehen.
Nach der Absage von BIKINI ATOLL standen also endgültig die großen, alten THE WEDDING PRESENT auf der Bühne. Die wiederum deutlich jünger waren, als ich gedacht hatte. Natürlich können sie noch immer punkigen Brit-Poprock der 80er Bauart machen, der nicht langweilt und uns immer wieder vorführt, dass wir 90er-Kinder mit Go-Betweens (
R.I.P. Grant), The Fall, Buzzcocks und Konsorten natürlich eine Unmenge guter Musik verpasst haben. Aber wenn man mal nicht so ist, und das einfach mal ausblendet, bleibt mit The Wedding Present eine gute Live-Band über, die für ca. eine Dreiviertelstunde frischen, dynamischen Rock auf die Meute losließ und dabei recht vergnügt war. Vielleicht lag es an der schon einsetzenden Müdigkeit, dass ich dann den Faden verloren habe, vielleicht aber auch an der konsequenten Weigerung der Band »Interstate 5« der letzten Platte (die ja quasi ihre Reunion bedeutete) zu spielen. Aber es lag definitiv nicht an ihren Live-Qualitäten, denn die sind – wie gesagt – cool.
Im Endeffekt haben wir also ein gutes Festival (mit ein paar wenigen Pannen und Unglücksfällen) erlebt, von dem wir hoffen, dass es weiterhin zwischen den kommerziellen Massen-Dingern und so Institutionen wie dem Donaufestival eine nicht-triviale Erweiterung der Wiener Festivallandschaft darstellen wird.