Trail Of Insignificance
Im leichten Schneefall eines bewölkten, kalten Wintertages schimmert die Parkplatz-Auffahrt der Münchner Muffathalle in leicht nebeligem Silber. Die Erinnerung an Dampf und verbrannte Erde sind gleich um die Ecke der eigenen Verwirrtheit. Im Discman schallt es »If you don’t want to then you could at least pretend, that the paper’s your soul and your blood’s in the pen«. Das Verfassen dieses Textes liegt im Halbdunkeln der Auffahrt, in der auch der Trail Of Dead-Tourbus hält. Ich denke darüber nach, während mein Blick den Anhänger des Tourbusses, den »Trailer Of Dead«, streift. Der Dampf brennt in den Augen wie der Rauch am Abend davor.
Scheinwerfer von hinten, volle Dröhnung, als ob sich die Buchstaben des Wortes BOMBAST einfach an die Wand projizieren lassen würden. Die »Ode To Isis«, der Opener des aktuellen Albums »Worlds Apart«, schallte vom Tape in die Halle; Mozarts Segen auf den Schultern brettert der Takt über die Köpfe der Fans, Unbekannten und Freunde. Etwas Großes scheint sich anzubahnen, die Dynamik ist schier greifbar in den Umrissen der Band auf der Bühne. »Will You Smile Again« erschrickt (wie auch auf dem Album) als nächster Song die verzweifelten Erwartungen. Conrad Keely rudert sich durch das Intro, die Scheinwerfer werfen seinen Schatten an die Wand, eine Marionette, die gezogen wird, anstatt zu ziehen. Conrad Keely rudert um sein Leben. »Will You Smile Again« gewinnt.
Ein »Die Hard«-Fan, wie er sich selber nennt, sitzt nach dem Konzert in der kalten Nacht vor der Halle, und hört mich fluchen und toben. Er fragt höflich nach, ob mir denn das Konzert missfallen hat, erkundigt sich über meine Bedenken, versucht sie zu verstehen. Er meint richtigerweise, dass »Source Tags & Codes« zum Live-Spielen geboren wurde, »Worlds Apart« dagegen live völlig unspielbar ist. Als ich erzähle, dass ich bei jedem der alten Stücke der Bühne gegenüber das »Fuck You!« proklamiert habe, das »Worlds Apart« so eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, meint er, dass das aber auch nicht ganz nett ist. Der Band gegenüber. Eine Moral schwebt in der Luft, vor der ich sowohl Angst, wie auch Bewunderung habe. Beleidigung ist ein Zeichen von Gleichgültigkeit den Beleidigten gegenüber. Aber heute finde ich es Scheiße, Trail Of Dead Scheiße zu finden.
Fünf Songs. Mit »Ode To Isis« sechs. Soviel war von »Worlds Apart« verwertbar für den Gig. Conrad rudert weiter. Bei »The Rest Will Follow«, nach etwa 15 Minuten, versagt ihm erstmals die Stimme. Das Schlagzeug links hinter ihm ist zu laut abgemischt, Jason Reece rechts hinter ihm ist chaotisch. Zwei Stunden Schwanzvergleichs-Spaß-Punkrock tobt von vorne durch die Welt der Muffathalle, die Ahnung vorm Auftrittsverbot ist aber in weiter Ferne. Ganz selten versuchen Trail Of Dead doch noch »Worlds Apart« anzustimmen, müssen aber mit jedem Mal einsehen, dass dieses Album nicht auf die Bühne kann. Die Marionetten mühen sich durch die eigenen Songs, von denen mehr und mehr angezweifelt werden kann, dass sie wirklich von ihnen geschrieben wurden, so weit weg klafft dieses schreckliche Desaster vorne und die Unglaublichkeit dieses Albums auseinander.
Die großen Posen des Biz beherrschen Trail Of Dead genauso, wie die geraume Ausdruckskraft der Worte »Power!«, »Fuck!« und »Show!«. Wohin an dem Abend die Kraft und das Wissen eines Werkes wie »Worlds Apart« verschwunden sind, weiß der morgendliche Nebel in der Auffahrt der Muffathalle auch nicht zu klären. Jemand hat den Trailer beschmiert und den beliebtesten aller Rechtschreibfehler hingetan. Der »Trailer Of Death« ist der Stempel der Ungreifbarkeit dieser Band. Peinlich. Schmutzig. Junge Männer, mit viel Energie in den Knochen und jede Menge Selbstvertrauen. Allzu viel zertrümmert haben sie diesmal nicht; »Play to the hilt this unlikely role« wummert in meinem Discman, während die Bilder des Vorabends noch mal vorbeiziehen. Welcher Moment der Klarheit kann bei Leuten, die so gern so falsch abbiegen, so ein Album wie »Worlds Apart« hervorbringen? Welch trauriges Schicksal muss es sein, dieses selbige Album als Erschaffer nicht verstehen zu können? Worin liegt der Reiz, sich diesen Songs immer und immer wieder als Band hinzugeben? Nur um einfach immer und immer wieder daran zu scheitern?
Der Botenjunge lief von Marathon nach Athen, um die Siegesbotschaft zu überbringen. Diese Anekdote der griechischen Geschichte stellt der Schatten von Trail Of Dead an der Wand der Muffathalle dar. Ein willenloser, unbewusster Läufer, der unterwegs vermutlich die schönsten Geheimnisse aus tausenden Jahren Geschichte hervorgebracht hat, und am Ende doch tot zusammenbrach. Conrad Keely rudert vermutlich noch immer, im Tourbus. Ich rudere nach Hause, »Worlds Apart« immer noch im Discman, immer noch im Kampf um das Verständnis, das dieses Epos bieten könnte. Ich weiß nicht welcher der beiden Kämpfe schwerer ist, und welcher mehr Ertrag bringen kann. Ich weiß aber, dass sie seit gestern nicht mehr derselbe sind.
in: concert.diary | von: wiesengrund | 7. Mär, 20:30
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