Kunst, Propaganda und die Lust am Geometrischen


»Triumph des Willens« (D 1934/35, Leni Riefenstahl)
Uni

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Anlässlich der ersten Sitzung des Kolloquiums »Das Gute und das Schöne« wurde Riefenstahls Propaganda-»Klassiker« »Triumph des Willens« gezeigt. Ziel der daraufhin folgenden Diskussion war eine kritische Überprüfung der eigenen moralischen und ästhetischen Maßstäbe: Was ist Kunst? Was ist Propaganda? Kann Propaganda Kunst sein?

Es schälten sich vorrangig zwei Argumentationslinien heraus. Die erste, moralisch argumentierende, die schon die Trennung von ästhetischem Anspruch bzw. künstlerischer Umsetzung auf der einen und Propaganda-Zweck auf der anderen Seite für verwerflich hält; die zweite, die (meines Erachtens nach distanzierter) diese zwei Intentionen entweder grundsätzlich gelöst vom auteur sehen wollte (meine Position) oder aber zumindest eine Trennung aus Bewertungsgründen für unabdingbar hält.

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Die moralisch argumentierende Gruppe störte sich natürlich vor allem an der (zumindest auch projezierten) Intention des Films. Riefenstahl selber verteidigte ihre Propagandafilme stets als rein ästhetische Projekte, die dem NS-Regime zwar gelegen kamen (TdW war eine Auftragsarbeit, der Titel stammt von Hitler persönlich), dabei aber bloß »schön« sein sollten. Bereits hier ergeben sich erste Widersprüchlichkeiten: Die von Riefenstahl umgesetzte Ästhetik bedient meines Erachtens nach bereits ein nazistisches Verständnis von Schönheit. Die filmischen Topoi des – auch schönen, aber vor allem – starken Mannes, des gefolgsamen Mädels, der Masse (die hier nur in zwei Formen vorkommt: der wehrbereite Soldat und Arbeiter und die jubelnden Frauen und Kinder), die Konzentration auf den Übervater Hitler, die Natur als vollkommene Schönheit, schließlich die Ordnung, diese obszöne Geometrie, durch Riefenstahls Montage und Kadrierung ins fast schon Übermenschliche betont und gesteigert. Selbst wenn also Riefenstahls Intention eine rein ästhetische war – und die nachfolgenden Filme wären ein Indiz dafür –, war ihre Vorstellung der ultimativen Ästhetik eine vom Faschismus geprägte.

Wie bereits gesagt, war meine Sichtweise eine andere. Ich möchte den Fokus von der Frage »Was will uns der Autor damit sagen?«, also der ausschließlich hermeneutischen Ursachen- und Intentionsforschung, auf die rezeptive Wirkung lenken. Eine solch filmsoziologische Annäherung würde u.a. zu Vergleichen zwingen; gerade hier böte sich eine vergleichende Betrachtung von Riefenstahls Propaganda mit der Eisensteins (und dort im besonderen: »Panzerkreuzer Potemkin«) an. Genauer gesagt: sie drängte sich auf. Denn die Parallelen in der Montage, der Kameraführung, ja sogar der gesamten Mise-en-Scène bis hin zur Darstellung des Menschen an sich sind unübersehbar.

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Eine solche Betrachtung würde aber, dessen bin ich mir durchaus bewusst, schnell zu Problemen und Mißverständnissen führen. Denn wo genau verlaufen die Demarkationslinien zwischen Kunst, Politik und deren Betrachtung, zwischen vermeintlich »reiner« Ästhetik, ideologischer Propaganda und reflexivem Lesen? Kann man diese Bereiche trennen um dann in einer kulminativen Betrachtung zweier entgegengesetzt politischer Werke allein die ästhetische Reichweite zu betrachten? Und: Wo bleibe dann ich, der eine bestimmte Position einnimmt, die – bewußt oder unbewußt – immer auch das Politische mitdenkt, der also, seien wir ehrlich, nicht im luftleeren Raum über ein Kunstwerk nachdenkt? Soviel steht fest: Das Gebiet ist ein vermintes.

* * *

Ein Kolloquium, das diese Fragen aufwirft, kann kein so schlechtes sein. Vielleicht werden sich einige Fragezeichen im Verlaufe der nächsten Monate in Ausrufezeichen, zumindest aber in Ellipsen verwandeln. Der Seminarplan stellt noch so einige Schmankerl in Aussicht. Über Kants »Kritik der Urteilskraft« und Schillers Kallias-Briefen bis hin zu Adorno, Benn, Warhol und schließlich Woody Allens »Crimes and Misdemeanors« wird referiert werden. Ich selber bereite ein Referat zu Benjamins Kunstwerk -Aufsatz vor. Schau’n mer mal…

Info: Filmportal.de | Goethe-Institut Helsinki | IMDB

Nighthawks in der französischen Literatur



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Der hier besprochene Roman liegt zwar noch nicht in der deutschen Übersetzung vor, ist jedoch im Original gut zu lesen. L'Arrière Saison bedeutet so viel wie Nachsaison. Bleibt nun zu hoffen, dass der Roman bald auf Deutsch erscheint!

Philippe Besson, momentan wohl einer der interessantesten Autoren Frankreichs, hat Edward Hoppers bekanntestes Gemälde, Nighthawks, literarisch umgesetzt. Eines Abends, so Besson bezüglich der Entstehung des Romans, betrachtete er die Figuren auf dem Poster, das er bei sich hängen hatte. Vor allem die Frau im roten Kleid, die in Gesellschaft von drei Männern in einem Café namens Phillies am Tresen sitzt, hatte es ihm angetan. Er konnte sich nicht mehr lösen, der Wunsch entstand, ihre Geschichte zu erzählen, beziehungsweise sie zu erfinden.

Bessons Roman ist, wohlgemerkt, Fiktion und nur eine Version unter vielen möglichen. Das Café selbst verlegte er aus New York an den Strand eines verschlafenen, etwas herunter gekommenen Kaffs an der Ostküste Amerikas. Über die Vergangenheit der Figuren lässt sich streiten, besonders wenn man – und das ist bei einem Gemälde dieses Bekanntheitsgrades nicht ungewöhnlich – eigene Vorstellungen zu den Figuren entwickelt hat. Davon abgesehen fängt Besson überaus treffend die melancholische Stimmung ein, die das Gemälde verströmt: wie in vielen Werken Hoppers spürt man in der literarischen Umsetzung eine diffuse Einsamkeit, die Figuren stehen für sich, sind in sich versunken und verletzlich, doch zugleich umspannt sie in Nighthawks ein feines Netz, eine fast greifbare Intimität, eine unbestimmbare Nähe.

Philippe Bessons Stärke liegt in der psychologischen Entwicklung seiner Figuren. Er folgt ihren Gedankengängen und schält Persönlichkeiten Stück für Stück heraus. Die einzelnen Abschnitte bauen aufeinander auf, verschränken Vergangenheit und Gegenwart, sind in ihrer Ordnung sorgsam komponiert. Louise Cooper, die Frau im roten Kleid, schreibt Theaterstücke, das Café ist ihr Hafen, in den nach zehn Jahren Abwesenheit Stephen Townsend dringt. Sie waren ein Paar, bis Stephen Louise für deren Freundin verließ. Nun ist seine Ehe gescheitert. Stephen muss Louise sehen, muss sie sprechen, sich erklären nach all der Zeit, und während die beiden ihre schmerzhafte Vergangenheit aufarbeiten, braut sich analog und natürlich auch ein wenig metaphorisch über dem Meer ein Sommergewitter zusammen, das man durch die Glasfenster des Cafés herannahen sehen kann. Das Buch ist kurz und intensiv und bildet zwischenmenschliche Beziehungen erstaunlich präzise ab.

Philippe Besson veröffentlichte 2001 seinen ersten Roman, Zeit der Abwesenheit, für den er mit dem Prix Emmanuel-Roblès der Akademie Goncourt ausgezeichnet wurde. 2002 folgte Sein Bruder, von Patrice Chéreau (Intimacy) verfilmt und auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären bedacht. L’Arrière Saison ist sein dritter Roman (Gran Prix RTL-Lire), es folgten Eine Italienische Liebe und Les jours fragiles, ein Roman auf den Spuren Arthur Rimbauds, der ebenfalls noch nicht auf Deutsch erschienen ist.


Philippe Besson: "L'Arrière Saison". -Paris: Collection Pocket, Herbst 2004|191 Seiten; 5 Euro| ISBN: 2266136070| Amazon.fr

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