Die Unbeerdigung des Fühlbaren – The Arcade Fire


funeralWas wurde nicht alles geschrieben und gejubelt, analysiert und argumentiert, dass diese Band mit ihrem Debüt »Funeral« den einzigen großen Wurf geschafft hat, den die selbstverliebte Indie-Musikwelt heutzutage schaffen konnte. Und wenn es nicht so schwer wäre, sich diesem Album zu entziehen, würde es auch hier heißen: »All ihr lieben Spiegel, Fritz Ostermayers, Spexen, Gaps, Blogs, Pitchforks usw., da habt ihr euch wieder mal einen verdammt gut schmeckenden Hype ausgesucht.« Aber die Wahrheit ist leider: Ihr könnt uns alles nehmen, aber nicht dieses Album.

Der günstige Moment ist wohl immer der, der die Grenze der eigenen Verwundbarkeit rückkoppelt mit den eigenen Ängsten, Wünschen und verborgenen Gedanken. Der Moment, wo sich entkristallisiert, was schon immer für unwandelbar gehalten wurde. Der Moment, wo diese Grenzen zuerst produktiv, dann reflexiv und schließlich verwerfbar werden. Ein Pochen, irgendwo tief drinnen, wummert in undurchschaubarem Takt, und schnürt die eigene Kehle zu. Die Angst erwischt zu werden, die Angst rehabilitiert zu werden. Die Angst die eigene, kaputte Seele wieder auf dem rechten Weg zu sehen. Das Aufkratzen von Oberflächen, das Durchdringen von meta-musikalischer Kopflastigkeit kann in einem solchen Moment mehr als nur Welten zum Verschwinden und Wiederauferstehen bringen. Eine nervös kratzende Geige verformt einen Walzer, der an seiner intensivsten Stelle, an seinem Höhepunkt die Indie-Disco neu erfindet. Warum ein Traum was anderes ist als eine Lüge, und zwar was gänzlich anderes, steht dann hier zur Debatte: »Is it a dream? Is it a lie? I think I'll let you decide.« An wieder einer anderen Stelle liegt auch die Antwort begraben auf den Rezeptionsoverkill, um den es hier geht: »They say a watched pot won't ever boil.« Na? Nichts Neues? Dann weiter…

»You can't raise a baby on motor oil, just like a seed down in the soil you gotta give it time.« singen The Arcade Fire in »Neighborhood #4 (7 Kettles)«, dem vielleicht berührendsten Song von »Funeral«. Und würden es die Lyrics dieses Albums nicht an sich schon verdienen einfach unkommentiert abgedruckt zu werden, wäre es auch enorm vermessen hier die analytische Erklärungs-Glocke zu läuten. Genau das wurde aber mit »Funeral« gemacht, mit all den David Bowie-Storys, Instrumentierungsbeschreibungen und Referenzhöllen (wobei hier angemerkt sei, dass eine nicht nur geographisch nahe liegende Verwandtschaft zu einer anderen großen, kanadisch-vielköpfigen Platte des letzten Jahres eigentlich hierzulande nirgendwo erwähnt wurde). »Funeral« erweckte den Drang, darüber zu reden, die Umstände zu erkennen, zu verstehen, warum diese Geschichten um den Tod der Familienmitglieder der Band den Namen »Funeral« auf ein Album heftete, dass niemals einer Beerdigung gleich kommen konnte. Alter Hut im Pop-Journalismus? Meinetwegen. Heißt aber nicht, dass da kein Komma dahinter stehen kann.

»Funeral« ist die Theorie einer Theorie einer Indierock-Platte. Es ist bei »In The Back Seat« so weit weg von Björk, wie in »Neighborhood #3 (Power Out)« von New Order. Es schmilzt in »Une Anneé Sans Lumière« den Eiskasten der Wiener Staatsoper, wo vorher »Crown Of Love« den beschriebenen Walzer-Disco-Bruch vollführt hat. Es denkt jeden Song um die eigene Ecke, und wenn es mehrere sind, fangen sie an vor dem symbolischen Feuer in der Nachbarschaft zu tanzen. Es rehabilitiert sich selbst mit jeder Minute und heilt die Wunden, die allein schon die Pressung dieser Musik auf schwarze und silberne kreisrunde Scheiben geschaffen hat. »Das Gefühl« und »das Pathos« sind dann die einfachsten Ankerpunkte, um »Funeral« an Land zu ziehen. Dass aber eine Platte wie »Funeral« die seltene Kraft hat, genau diese Begriffe im eigenen Struktur-Dschungel neu zu kontextualisieren, ist eben der Punkt, wo es sich jeder Beschreibung entziehen muss.

»My eyes are covered by the hands of my unborn kids, but my heart keeps watchin' through the skin of my eyelids.« Das ist dann der günstige Moment, wo dieser Dschungel den Widerspruch endlich akzeptieren muss. Und der Widerspruch heißt hier eben nicht »Sie können uns alles nehmen, aber nicht das Pathos.« (F. Ostermayer), sondern eher »And if the snow buries my neighborhood, and if my parents are crying, then I'll dig a tunnel from my window to yours.« Der Schnee, die Nachbarschaft, die Tunnel und der erste Hund im Weltall. Fass das alles zusammen und setze ein Komma dahinter. The Arcade Fire,

Urge Overkill – 05.04.2005


Image Hosted by ImageShack.usAlte Herren kommen wieder, um mit alten Hits wieder zu rocken. Kann gut gehen, muss es aber nicht.

Was soll man zu Urge Overkill noch sagen? Was wurde nicht schon längst vor zehn Jahren abgehandelt und für gut befunden? Die ewigen Fragen danach, warum sie es neben Pearl Jam und Nirvana trotz guter Kritiken nie zu dem durchschlagenden Erfolg der anderen gebracht haben? Warum ihr Rock so wegweisend war für Generationen von heute als »Retro« eingestufter Jungsbands von Mando Diao bis Tigerbeat? Nichts davon wäre ansatzweise (ausreichend) beantwortbar, und wenn, dann wurde es, wie gesagt, schon beantwortet.

Da stehen sie also, die alten Herren, und geben sich größte Mühe ein nicht allzu zahlreich erschienenes Publikum anzufeuern. Es steht im Raum, wie eine Band es schaffen soll, so eine historische Brücke zu überwinden, und so alte Songs in neuem Glanz dastehen zu lassen. Sicher war das gut gespielt, ohne Frage. Und bei »Sister Havanna« reckten auch alle ihre Fäuste gen Himmel, wie sie es vermutlich seit Jahren (oder gestern) nicht mehr gemacht haben. Aber schade bleibt es irgendwie trotzdem, dass da nicht mehr rüberkam, als einfaches Aufwärmen altbekannter Modelle. Sich auf die neue Platte von Urge Overkill freuen fällt schwer, so gut die Jungs auch mal waren.

Dass ROCK immer schon ROCK und nichts anderes war, steht aber nach einem Urge Overkill-Gig fest. Auch bei langweilig heruntergespielten Songs bleiben die Songs gigantische Meilensteine einer Geschichte, die keine sein wollte, und doch dank Bands wie Urge Overkill eine wurde. »Girl, You’ll Be A Woman Soon« als Zugabe versöhnte vermutlich auch die letzten Skeptiker im Publikum, auch wenn es noch so anders und vor allem älter als auf dem »Pulp Fiction«-OST klang. Vielleicht war auch nicht mehr rauszuholen aus dem Abend, außer: Versöhnung. Dafür dass sie so schnell wieder verschwunden sind, damals.

Kettcar – 04.04.2005


»Was war und ist, kommt und bleibt, es tut uns nicht leid. So sieht’s aus – unterm Strich: Es tut uns nicht leid« (Kettcar in »48 Stunden«)

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Ich stehe vor genau dem Problem, welches so mancher Rezensent und manche Rezensentin letzten Monat hatte, als es galt, kluge Pop-Schreibe zu Kettcars neuem Album »Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen« zu verfassen. Weggeworfene Anfänge, Unbehagen bei jeder auch noch so abgeschwächter Formulierung. Und ein leichter Unwille bestimmte Kerne dieser Musik zu erfassen und genau abzutrennen. Dafür ist sie zu einzig- und eigenartig.

»Mach immer was dein Herz dir sagt.« lautet eine Zeile aus dem eingangs erwähnten Song, und Kettcar orientieren sich auch in all ihren kryptischen, verschoben-durchdachten Momenten an einem gleich oder ähnlich gearteten Ideal. Was der Großteil des Publikums natürlich dankend und strahlend aufnimmt, auch wenn es manchmal etwas zu aufgesetzt wirkt, um ernst gemeint zu sein. Kettcar halten den Spannungsbogen nicht über die ganze Distanz, aber gegen Ende hin blitzt dann doch wieder eine Idee, ein Song auf, der staunen lässt. Bei mir war das die erste Zugabe, »Ausgetrunken«, die Kettcars Qualität so treffend vereinen konnte: Unvergessliche Textzeilen, ein ganz eigenes, verworrenes Rhythmusgefühl, und zu großen Gefühlen fähiger Indie-Rock mit unverwechselbarer Stimme. Für manch andere vereinte »48 Stunden« eben das, und wieder andere fanden einfach alles toll. (Immerhin hinterließ auch die Vorband Pale einen reichlich unkantig-langweiligen Eindruck.)

Warum also die Bewegung weg von Befindlichkeitslyrik bei Kettcar live funktioniert hat, konnten mir auch die ganzen Fans nach dem Konzert nicht erklären. Warum mittelmäßige Konzerte doch irgendwo auch ein Lächeln verbergen können, auch nicht. Kettcars Anekdoten über ihre immer noch erstaunliche Unbekanntheit und die Missverständnisse, die sie bis jetzt (nicht) nach Wien führten, habe ich immerhin verstanden. Und darüber geschmunzelt. Das was ich dann noch verstehe, ist »Home is where your Kettcar-Album is«.Und wenn das alles ist, okay.

Autechre …



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… bringen mit »Untilted« am 18. April ihr neuestes Album raus.

Und eine Tour gibt’s gleich noch dazu:

Autechre European Tour :: April 05
Thu 14 London. SE1 + Rob Hall, Mark Broom, Baby Ford
8-3am, £13adv Seetickets, Stargreen
Rough Trade CovGdn 0207-240-0105
Fri 15 Glasgow. Arts School ¬
Sat 16 Manchester. Zoo ¬ SOLD OUT
Sun 17 Nottingham. Stealth ¬
Mon 18 Paris. Point Ephemere
Tue 19 Antwerp. Petrol *
Wed 20 Eindhoven. Effenaar *
Thu 21 Hamburg. Blumen Und Planeten *
Fri 22 Berlin. Maria * (+ O.S.T. & Errorsmith)
Sat 23 Köln. Sensor *
Sun 24 Mannheim. MS Connexion *

Mon 25 Reims. La Cartonnerie *
Tue 26 Lyon. DV1*
Wed 27 Geneva. L'Usine *
Thu 28 Marseille. La Friche Belle De Mai *
Fri 29 Rome. Brancaleone *
Sat 30 Bologna. Link *

Alle Dates mit DJ Rob Hall / ¬ = with DJ Mark Broom / * = with SND(live)

Köln, ich komme!

Text zur Musik bei der De:Bug. [via tauben-Furl]

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Scheini (Gast) - 1. Aug, 15:10
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Endlich mal eine Filmkritik als Auslegung die Sinn...
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