Von Spar – 16. 06. 2005
Der Vergleich zum »Müllhaufen der Geschichte« ist kein schlechter. Von Spar sind retrodiskursive Poprocker, die Disco in Punk, Kopf in Bein und Schmelztiegel in Arschtritt überführen, ohne auch nur eine dieser Ingredienzien in ihrer ursprünglichen, »gesunden« Verfassung zu lassen. Krank ist die Welt ja sowieso. Und Geschichte wird nun mal gemacht.
Vor etwas mehr als einem halben Jahr war in der Viennale-Zentrale, oben im Dachgeschoss, bei Teppichboden und zweistelligen Cocktailpreisen eine kleine Gruppe aus Deutschland angetreten, um den Saal in Schutt und Asche zu legen. Eine In-Party des guten Geschmacks wurde für 45 Minuten in eine synthetische Disko unkontrollierbaren Irrsinns verwandelt. Von Spar präsentierten in Blaumännern gekleidet, inkl. Badehauben und Schweißerbrillen, was »Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative«, ihr Debüt-Album, live zu leisten im Stande war. Vielleicht hat die Hälfte des Saales unverständlich den Kopf geschüttelt und auf der Dachterrasse das Fernbleiben von dieser dringlichen Mucke gesucht. Vielleicht hat die andere Hälfte der Ekstase und dem Dynamit den heftigsten Live-Auftritt des Konzertjahres verdankt. Die Bombe Von Spar hat jedenfalls beide Ecken bedient, ohne sich Sorgen darum machen zu müssen, welche der Seiten wohl gerechter ist.
Der Auftritt im B72 neulich war dann deutlich schwächer besucht (kaum ist es nicht gratis, bleiben alle zu Hause), und die vielleicht 50 anwesenden Gäste hatten genug Platz (auch ideell) sich zu bewegen. »Bewegen« ist ein Thema in Von Spars Musik, das ohne Frage als Appell verstanden wird. Sei es als Tanzmusik der Techno-Rhythmen, sei es als Headbang-Einladung im Geiste des Garagensounds. Die Dosis macht den Mix. Die Bewegung im Kopf ist vielleicht das einzige, das dem Tanz hier Paroli bieten kann. Von Spars Texte sind das Pamphlet jenseits des Pamphlets. Parolen, die in der Indie-Welt seit Erscheinen des Albums schnell Einzug gefunden haben, und nächtelanges Verzweifeln und Nachdenken auslösen konnten. »Schritt für Schritt über den Tellerrand hinaus« soll es gehen, und dabei die Konsumgesellschaft als solche endlich als Leitmama abgelöst werden. Das dauernd missverstandene »Wir brauchen mehr Dynamit, Regie!«, das nicht den Kampfaufruf, sondern den Ausverkauf des selbigen thematisiert, und die Ich-Maschinen, mit denen Von Spar ihre Texte schmücken, die »noch mehr Plastik«-Refrains, die Herde von Sparschweinen, die Schockwellen auf dem Parkett, all das war Ausdruck einer kritischen, sensiblen Position im gesellschaftlichen Umfeld, die vor allem Eines riet: Nicht das Maul zu halten. Was Von Spar auch explizieren, wenn sie im Schlussstück des Albums (»Bis es weh tut«) »Ich nerve« als melancholisch-abgeklärtes Motto auf die Geschichte ihres eigenen Schaffens legen.
Von Spar ist das Mischen von bereits Gutem unter dem Vorzeichen des Weitermachens. So wird eben gesampelt und verarbeitet, was auch immer über den Weg läuft. Der Synthesizer kann die 70er ebenso nicht in Ruhe lassen, wie die Gitarre die Ramones, das Schlagzeug den Rave oder die Stimme von Thomas Mahmoud die Referenzen zu (deutschsprachiger) Rock-Geschichte. »Mach kaputt was dich kaputt macht« klingt auf einmal nicht mehr … ähem, peinlich. Dieser Mix wird vor allem dann spannend, wenn man auf dem Album die zwei geladenen Gastsänger findet: Peter Hein singt in »Schockwellen aufs Parkett« den Satz »Geschichte wird gemacht«, der von ihm selbst so sehr geprägt wurde, um jetzt auf einmal ein 2004 erschienenes Album voranzutreiben. Und Frank Spilker merkt an, »Komisch wie schnell sich die Dinge verändern«, und deutet somit auf die Wichtigkeit und die Bedeutung von Von Spar als Ergebnis dieser Veränderung. In besagtem »Ist das noch populär?« ist »die Welt ein riesiger Apfel, die Welt eine riesige Flasche, die Welt eine riesige Zahnarztpraxis«. Reinbeißen, auch wenn es weh tut, austrinken, auch wenn es vergiftet: Bilder malen, auch ohne Worte.
Thomas Mahmoud übernimmt diese (zugegeben kurzen) Gesangsparts live, und so mickrig sie auch sein mögen, zeigen sie die Stärken dieses Ansatzes einer diskurshistorischen Pop-Reformulierungsmaschine am deutlichsten auf. Es bist eben doch du selber, der sich die Stimme nicht verbieten lassen darf. Als ich damals in der Viennale Thomas Mahmoud um einen kurzen Satz für das Inlay der Album-CD gebeten habe, hat er missmutig gemeint, er sei doch nicht Bon Jovi. Aber er hat dann doch etwas reingeschrieben: »Zuhören ist ein Zeichen von Gleichgültigkeit seinen eigenen Zuhörern gegenüber«. Der Müllhaufen der Geschichte, auf dem Von Spar tanzen, reicht also bis Oskar Wild. Am anderen Ende steht z.B. die Mediengruppe Telekommander, deren »Bis zum Erbrechen schreien« live genüsslich geklaucovert wird. Oder eben Bands wie Urlaub in Polen und The Oliver Twist, von denen Von Spar eigentlich das Nebenprojekt ist. Zwischen Weltkritik, postmodernem Theorieblabla und Frankfurter Schule ist also noch genug Platz, um Position gegen die Position zu beziehen, und das Nichtssagende zu verhandeln. Variationsräume im Strukturwandel mitzuformen ist mitunter eine der schwersten Hürden der Popmusik und der Welt, der Bedingungen um sie herum. Wie es Von Spar trotzdem gelingt, diesen universalen Charakter des Popdiskurses (vielleicht würden sie dazu »Die Begierde nach Sein, Werden und Gewesensein« sagen, wie einst in einem Oliver Twist-Interview) einzufangen und in eine extraterrestrische, instabile Umlaufbahn zu donnern, ist nun auch nach der vergangenen Zeit nicht ganz klar. Und vielleicht sollte es auch nicht ganz klar sein, denn die »identity« am Merchandising-Stand ist schneller da als man glaubt. Der (Adornosche) Philosoph als Interpret im musikalischen Sinn kann hierzu tanzen. Der hybride Chic, den sie zurzeit draufhaben, ist mit Sicherheit einer der spannendsten, frischesten, neusten, dringlichsten, achtsamsten, verzweifelsten, klügsten, politischsten und energetischsten, die aus dem Popstandort Deutschland in der letzten Zeit hervorgingen. Es ist der pure Wahnsinn.
in: concert.diary | von: wiesengrund | 21. Jun, 19:47
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