Broken Social Scene – 01.12.2005
Zu zehnt wurde das neue BSS-Album in einer fast vollen Szene Wien präsentiert. Voller Überraschungen, wahnsinniger Momente und unbändigem Spaß an der Sache.
Vielleicht sollte man es vorwegnehmen: Gespielt wurden die besten Stücke aus den besten beiden Alben. Fast ausnahmslos. Gefehlt hat insofern nicht viel, außer vielleicht das opulente »It’s All Gonna Break«, der Schlusstrack vom aktuellen Album, der die meisten der bisherigen Konzerte mit seinem Bolero-Ende schlichtweg explodieren ließ. Für Wien entschied man sich als Schluss für ein neues Stück, einen punkrockigen Orkan, der dann das Publikum so wenig loslassen konnte, dass noch zehn Minuten nach dem Ende des Gigs sich die Band zu noch einer Zugabe überreden ließ. Ein viertelstündiger »Vienna Jam« entließ uns in eine kalte Nacht.
Wie nahe Improvisation, Postrock und Pavement beieinander liegen war also das voll erfüllte Ziel des Abends. BSS waren leider nur zu zehnt, weil so manche Schlüsselfiguren mit den anderen zurzeit sehr erfolgreichen BSS-Umfeldbands auf Tour sind. Die Stars, Metric oder selbst Feist seien hierfür mal Beispiele. Sehr wehgetan hat auch die Abwesenheit der Vorband, The Most Serene Republic, deren Debüt hoffentlich bald auch Europa erobern wird. Zur Tour stießen sie erst zwei Tage nach dem Wien-Gig hinzu, somit musste Andrew Whiteman von BSS und Apostle Of Hustle als Vorsänger einspringen.
Was soll man zu dieser Band noch sagen? Exzess. Trauer. Vielfalt und Wahnsinn. Alles vereint auf einem Menschhaufen, der sich auf der Bühne die Seele aus dem Leib rockt. Bei den langsamen Nummer (»Lover’s Spit«, »Anthems For A Seventeen Year-Old Girl« oder das verlangsamte »Superconnected«) war Gänsehaut obligatorisch, wobei auch erwähnt werden sollte, dass sie von »Major Label Debut«, dem berührenden, kleinen Einod auf dem neuen Album auch (und zwar nicht hintereinander!) die schnelle Version von der Bonus-EP gebracht haben. Es sind ganz viele kleine Details, die so ein BSS-Konzert ausmachen. Wie z.B. »Almost Crimes« den Wall of Sound neu erfindet ohne androiden Indierock zu vergessen. Ganz anders, als auf Platte. Unverschämte Leichtigkeit regiert dieses noch unverschämtere Durcheinander. Song-Giganten wie »Ibi Dreams Of Pavement« werden schlichtweg hingerotzt, als ob sie ein Radio-Jingle wären. Instrumententäusche sind so oder so dauernd an der Abendordnung und Bläser und Geige tun ihr bestes um schlichtweg eins zu bieten: Mehr.
Der einzige Grund, warum von einem BSS-Gig abzuraten ist, ist der, dass er entmystifiziert, was man auf Platte für unglaubliche Sachen hört. Dass er den Widersprüchen Namen gibt. Dass er den Mythos etwas schrumpfen lässt. Aber der Lohn dafür ist, diese grenzlose Sympathie und Liebe dieser Menschen zu spüren. Zu sehen, wie sie aufgehen, und selber mitaufzugehen ist wohl das höchste der Gefühle, das ein Konzert überhaupt zu bieten hat. Insofern: Einfach unübertroffen.
in: concert.diary | von: wiesengrund | 5. Dez, 09:05
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