The Arcade Fire Demo-EP


arcade fire epJeder mir bekannte Live-Mitschnitt eines Arcade Fire-Konzerts der letzten Mai-Tour hatte neben den jedem und jeder im Saal bekannten Songs von »Funeral« auch mindestens zwei weitere Songs, die die rätselhaften Namen »Old Flame« und »No Cars Go« trugen. Auch in Wien war es nicht anders, und die angesprochene, von Arcade Fire 2003 in einem Schuppen zu Demozwecken selbst produzierte EP war wenige Minuten nach Konzertende ausverkauft. Es blieb ein schales, ungewisses Fragezeichen, da waren also diese Songs, die aus einem anderen Universum als »Funeral« kamen, einen gänzlich anderen Status hatten als der Wahnsinn, den »Funeral« auf sich vereinte. Neben der unfassbaren Live-Performance des Kollektivs aus Kanada war diese kleine Scheibe das Einzige, das uns beweisen konnte, dass »Funeral« keine Eintagsfliege ist, sondern dass diese Band auch mehr als ein Album auf dem Niveau verbringen kann.

Und diese besagte Demo-EP bringt alles in allem sieben Beweise, dass sie es kann. Sieben weitere, kleine Perlen, Stücke der großen Tragödie und der kleinen Wunder, des leichten Wahnsinns und der erschütternden Präzision, sieben weitere kleine Meisterwerke, die sich nicht scheuen trunken und betrunken auszuteilen, was »between the click of the light and the start of the dream« passiert. Die »Neighborhood« als ex- und implizites Thema fehlt, Bewegung und Familie scheint hier zentraler zu sein. Und die auf »Funeral« vielleicht erahnten Berührungen mit Broken Social Scene werden mit dem weihnachtlich-ekstatischen Stimmen-Fiasko »Headlights Look Like Diamonds«, welches Anfangs erstaunliche Parallelen zu »Almost Crimes« aufweist, konkretisiert. Wo die Ziehharmonika stärker in den Vordergrund rückt, ist das Weiterdenken zu »Laika« erfühlbar, und dass Regine öfter singt ist einer der vielen Gründe, warum diese EP gegenüber »Funeral« ganz eigenständig angesehen werden kann. Mal ehrlich: wäre es »nur« ein Anhängsel oder ein Rohentwurf davon, wäre es schon großartig, oder? Eben.

Die schön unüberladene Produktion, das perfekt-simple Songwriting, die abgrundtiefen Texte fügen diesem kanadisch-vielköpfigen Universum mit jedem Song eine neue Zwiebelschale hinzu, und lassen mit jedem Durchlauf mehr staunen, dass sich bis zum »Funeral«-Hype niemand finden wollte, der diesen sieben Songs den Weg hinaus in die Welt ebnen wollte. Auf der anderen Seite war es vielleicht auch besser so, wer weiß. Aber nur noch eins: Wären die beiden live erprobten Songmonumente »Old Flame« und »No Cars Go« zusammen mit dem dritten, »Headlights Look Like Diamonds«, auch auf »Funeral« zu finden gewesen, dann müsste selbiges verboten werden, so gut wäre es. Die anderen vier Stücke sind nur genial, leider.

VÖ: 13.06.2005 auf Merge/Rough Trade
INFO: www.arcadefire.com
MP3: Headlights Look Like Diamonds, Old Flame, I'm Sleeping In A Submarine

Prix Goncourt 2004



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Laurent Gaudé wurde letztes Jahr für seinen Roman Le Soleil des Scorta mit dem Prix Goncourt, dem renommiertesten Literaturpreis Frankreichs, ausgezeichnet. Gaudé hat neben einigen Theaterstücken zwei weitere Romane geschrieben, Cris (2001) und La Mort du Roi Tsongor (2002), für den er mit dem Prix Goncourt des Lycéens und dem Prix des Libraires (Preis der Buchhändler) bedacht wurde. La Mort du Roi Tsongor wurde in ein Dutzend Sprachen übertragen.

Le Soleil des Scorta ist eine Familiensage, die ein Jahrhundert umspannt und im Süden Italiens, in Apulien, spielt. Die sengende Sonne, die karge Erde und die Armut des kleinen Küstendorfes Montepuccio bestimmen das Leben der Einwohner.

Die Geschichte nimmt mit Luciano ihren Lauf, der nach fünfzehn Jahren Gefängnis 1875 zurück nach Montepuccio kommt und die Schwester seiner ehemaligen Geliebten schwängert. Luciano wird von der Dorfgemeinschaft gesteinigt, sein Sohn Rocco wächst zu einem Verbrecher heran, der sich als Geißel des Dorfes sieht. Auch er wird Kinder zeugen, unter ihnen Carmela, die den Text als Erzählstimme strukturiert. Die Generationen der Scorta lösen einander ab, doch eines verbindet sie: ihre Liebe zur kargen Landschaft, die sie bestimmt, und ihre Familienbande. Sie arbeiten hart und werden nie zu Reichtum kommen, doch jede Generation wird für sich behaupten können, dass sie etwas aus dem Nichts aufbauen konnte, dass sie gelebt, geliebt und gearbeitet hat, und dass sie, wenn auch meist nur kurz, Zusammenhalt und Glück verspürte.

Verschiedene Themen durchziehen den Roman: die Religion, verkörpert durch die wechselnden Gemeindepfarrer, die mal verehrt, mal geächtet werden, der kleine Tabakladen der Scorta, der symbolisch für die Vergänglichkeit steht, denn so wie sich eine Zigarette in Rauch auflöst, so bleibt auch von den einzelnen Generationen außer einigen wenigen Erinnerungen nichts zurück, und letztendlich die Reise nach New York, die Carmela mit ihren Brüdern antritt – doch statt ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten aufgenommen zu werden, werden sie zurück geschickt, zurück nach Montepuccio und somit zurück in die Armut.

Für einen Roman, der nur 250 Seiten umfasst, behandelt Gaudé viele Themen, zu viele eigentlich. Nach einem starken Auftakt und einem interessanten und auch psychologischen Ende (mit einem Erdbeben als Metapher) gerät der Text im Mittelteil stellenweise zu flach. Auch die Figuren werden meist nur oberflächlich angerissen, da es derer zu viele gibt. Trotz allem handelt es sich hierbei um einen gut geschriebenen Roman, den man gerne liest. Man spürt die sengende Sonne durch die Seiten scheinen, man fühlt die Kargheit der Natur und kann den gedrungenen Küstenort und seine Einwohner vor sich sehen, doch den Roman mit dem Prix Goncourt auszuzeichnen ist sicher übertrieben.

Laurent Gaudés Roman erscheint im Dezember 2005 unter dem Titel Die Sonne der Scorta auf Deutsch. Ebenso in deutscher Sprache erhältlich: Der Tod des Königs Tsongor. Der Autor wird bei dtv publiziert.
Laurent Gaude: "Le Soleil des Scorta"; Arles : Actes Sud, August 2004 | 246 Seiten; 29,90 Euro; ISBN 2-7427-5141-6 | Amazon.de

Der Wanderprediger der Nachgeschichte


We would like to entertain you
We are here that you have fun
We would like to make you happy
For the moment for tonight

At the end of comedy
At the end of tragedy
At the end of misery
At the end of history…


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Der Himmel steht in Flammen, wenn Boris Kovač Saxophon spielt. Ein Gigant, der biegsam und elastisch wie ein Flummi bleibt. Ein kluger, alter Koloss an Kreativität und Hingabe, der sein kleines Orchester in seinen eigenen Rausch mitzerrt und trunken an dionysischer Leichtigkeit mit emotionalen Siebenmeilenstiefeln Abgründe und Höhenflüge des menschlichen Geistes auslotet. Mit der Doppeledition »The Last Balkan Tango« (2001) bzw. »Ballades At The End Of Time« (2003) hat er mit dem Ladaaba Orchest zwei Meisterwerke geschaffen, die in ihrer Intensität und Vielschichtigkeit wenig Vergleiche zu anderen musikalischen Experimenten des Balkans der letzten Jahre zulassen.
Das neueste Werk spinnt sich weiter um Kovač’ zentrale Frage, was nach der (blutigen) Geschichte der Menschheit übrig bleibt. »La Campanella« heißt das Projekt, und besagtes Album, »World After History«, treibt diese Idee zu ihrer musikalischen Perfektion. Hinzugekommen sind Momente der Ruhe und der Meditation, die ihren Atem aus den besuchten Plätzen einer mediterran-pannonischen Reise um den Balkan ziehen. Ein Sammelsurium an bestechend beschwingten Ideen und Klanggeheimnissen breitet sich vor uns aus, das aus der Feder eines Menschen mit Geschichte eine eigene, neue Geschichte kreiert, die den zweifelhaften letzten Abend der Menschheit, an dem selbstverständlich getanzt wurde, überschritten hat. Boris Kovač’ Geschichte ist eine produktive Kondensation aus Theater und Musik, aus Jazz und Folk, aus Trauer und Freude, die erzählt, was möglich wäre, wenn wir hinter uns lassen, was hinter uns ist.



Du hast das Interzone-Festival in Novi Sad gegründet. Was war Interzone, und was ist Interzone heute?

Interzone war eine Idee von mir von vor etwa zehn Jahren. In den 80ern war Novi Sad ein wichtiges Zentrum neuer Musik. Als 1991 alles stoppte, gingen alle Leute, die diese Szene erschaffen haben, ins Ausland, und die meisten kamen nicht zurück. Als ich nach fünf Jahren der Immigration zurückkehrte, war mir klar, dass diese Szene wiederaufgebaut gehört, und obwohl ich mich nicht als Animator sehen wollte, war mir klar, dass wenn ich es nicht tue, es niemand tun wird.
Interzone ist ein Festival für jede Art der neuen Musik, wo wir uns nach neuen Arten aktueller Musik umsehen, ohne Genre-Grenzen wirken zu lassen. Selbstverständlich stand das alles finanziell auf sehr dünnem Eis, weswegen der jährliche Rhythmus hin und wieder unterbrochen werden musste. Vor zwei Jahren war ich das letzte Mal Mitorganisator, danach habe ich diese Rolle jüngeren Leuten überlassen, die sie besser erfüllen können.

Welchen Einfluss hatte Interzone auf die Avantgarde-Szene in Serbien?

Ich glaube nicht, dass es einen großen Einfluss hatte, weil die generelle Situation für kulturelle Aktivitäten sehr schlecht ist. Natürlich war es für manche junge Menschen aus diesem Umfeld eine große Hilfe. Aber 200 Personen können nicht die kulturelle Situation eines Landes ändern.

Warum bist du 1996 nach Jugoslawien zurückgekehrt? Wäre es nicht leichter gewesen, im Ausland zu bleiben?
Ja, an sich schon. Das Land, in das ich zurückkam, steckte bis zum Hals in Problemen, aber auf der anderen Seite bereue ich diese Entscheidung gar nicht. Diese Erfahrung hat mir neue Ängste gezeigt, Ängste, die ich sonst nicht erfahren hätte. Ängste, die du niemandem wünschst. Und diese Ängste haben mich reicher gemacht.

Du bist auch ein Multimedia-Künstler. Wie sehen deine Projekte im Allgemeinen aus?

Ich arbeitete viel mit Theater, und jede meiner Arbeiten hat ein theatralisches Element. Meine Projekte haben meistens vielschichtige Konzepte, weil ich nicht im strengeren Sinne Musiker bin, sondern Musik nur eine von vielen Sprachen ist, die ich bediene, um Effekte zu erzeugen.

Kannst du dich irgendwie in Begriffen wie »Weltmusik« oder »ethnische Musik« wiederfinden?
Nein, leider ist es mir nie gelungen mein Werk zu kategorisieren, was besonders für die Vermarktung problematisch ist, da jedes Produkt seine Schublade braucht. (lacht) Ich mische immer viele verschiedene Einflüsse und sehe Musik als etwas Totales an. Aber ich benutze gewisse Musikformen, die als Neue Kammermusik oder New Jazz erkannt werden können. In den letzten paar Jahren war ich besonders in Weltmusik involviert, da mein letztes Projekt, das Ladaaba Orchest, aus der Szene kam. Aber an sich tue ich mir schwer etwas zu schaffen, was rein in einer Kategorie bleibt…

… was es so schwierig macht, deine Musik anderen zu beschreiben…
...ja, was auch davon lebt, dass ich nur akustische Instrumente verwende. Die geben eine gewisse Fähigkeit, ins Detail zu gehen, feine Elemente zu finden, die ganz besondere Gefühle und Ideen ausdrücken. Das ist der Punkt.
La Campanella vereint klassische Musik, Jazz, auch Folk-Elemente, die aber von sehr vielen unterschiedlichen Folk-Traditionen gefärbt sind. Also nicht nur die fünf oder sechs, die mir am nahesten stehen, sondern auch teilweise sehr spezifische Elemente, wie Vlaškische Musik. In einer gewissen Phase meines Lebens habe ich was Bestimmtes zu sagen, und dann suche ich nach den besten Mitteln, nach der besten Sprache um das auszudrücken. In der letzten Zeit hatte das zum Beispiel auch viel mit Tanzmusik zu tun, Standardtänze…

… »The Last Balkan Tango«.

Ja, genau, aber nicht, weil ich Tango so besonders mag, oder andere Standardtänze, sondern weil ich denke, dass die Leute heutzutage bewegt werden müssen, körperlich und emotional. Das wichtigste war eben immer das Gefühl in Bewegung zu bringen, weil es mir scheint, als ob sie in der letzten Zeit mehr denn je fehlen würden. Ich denke, es ist die Zeit der fehlenden Gefühle.

Alexandar Tišma, einer der bekanntesten serbischen Autoren, ist letztes Jahr verstorben. Hattest du Kontakt zu ihm? Wie wichtig war Tišma für Kovač?
Ich kannte Tišma, wir hatten freundschaftlichen Kontakt, und ich mag seine Arbeit, selbstverständlich. Er hatte auch einen sehr speziellen Zugang zur Frage nach dem Schicksal der menschlichen Geschichte, wobei mein Blick mehr – sagen wir – tragischer war als seiner. Manche seiner Werke kann ich nicht lesen, weil sie einen zu realistischen Blick auf die Geschichte zeigen. Und ich versuche dauernd die Geschichte zu überwinden.


Geschichte überwinden. Mit dieser schweren Last auf den Schultern zaubert dieser Herr Tangos und Walzer auf das Parkett der musikalischen Weltkarte (die diesmal gar bis Argentinien reicht), wie sie leichtfüßiger nicht sein könnten. Als Reiseführer, als einsamer Grenzgänger, als Arrangeur von außerordentlich unüberladenem Format liefert Boris Kovač den nötigen Soundtrack in eine bewegte, humorvolle Zukunft, die um die Schäden weiß, die die Menschen sich selbst und ihrer Umgebung antun können. Und der Balkan, aus dem Kovač seine Ideen nimmt, ist jenes tragische Beispiel, das die angesprochenen Ängste erklären kann. Aus dieser Verzweiflung hat er Musik geschaffen, die nirgends kategorisierbar die schönste Abrechnung mit dem Schrecken liefert. »World After History« ist eine Oper der Tanzwut und der Ekstase, die tausend Jahre und mehr umspannende Feuerwerke der Leidenschaft entfachen kann, wo sonst nur Dunkelheit regiert.


Was sind deine Lieblingsmusiker aus der zeitgenössischen Pop- und Rock-Musik?
(lacht) Ich habe mehr Kontakt zu solcher Musik über das Plattenregal meines Sohnes, vielleicht bin ich zu alt dafür. Ich mag Sting, als einen Großmeister, und aufgewachsen bin ich mit Sachen wie Van Der Graaf Generator. Das war eine Art Rockmusik, wie ich sie leider in den letzten 20, 30 Jahren nicht gefunden habe.

Und wie steht’s mit Improvisation?

Zu Beginn meiner Karriere war das eine sehr wichtige Sache, vor allem in den frühen 80ern, da war ich auch großer ECM-Fan, denn da war das alles richtig frisch und neu.


Die beste Kampfansage gegen die hier angesprochene, heutige Langeweile ist Boris Kovač selbst. Frisch und neu ist seine Welt nach der Geschichte. Und es lohnt sich, diese Welt auszukosten.

kovac wah




VÖ: 23.05.2005 auf Piranha
INFO: www.boriskovac.com

Eine Kryptographie der Liebe


Nachdem in der aktuellen skug mein Interview aus Platzgründen nicht zur Gänze reinpasst, wurde die lange Version online gestellt. Und wenn schon dort nicht, dann will ich auch hier einen meiner größten Helden des laufenden Jahres nicht verheimlichen: David Lipp. :)

Vertauschte Fälle, wirrer Satzbau, elektronische Hymnen und viel Gefühl prägen David Lipps Debüt über den einen, immerwährenden Topos der Popmusik: Liebe. Ein paar Ideen zum Thema, warum es doch gelingen kann, ein ganzes Album dazu aufzunehmen, ohne im Kitsch-Sumpf umzufallen, und warum Sylvester Stallone tolle Filme macht.

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»In immer: Love« ist nicht mutig, denn dazu ist es zu bescheiden. Bei allen Vorbehalten gegenüber pathetischem Stelldichein in alten Songwriterschulen entgeht genau dieses Album den Fallen eines zu durchsichtigen, zu affirmativen oder zu abstrakten Zugangs zur Liebe. »In immer: Love« ist vielmehr zurückgezogen, elegant und in höchstem Maße euphorisch. Ein kleiner Edelstein, der Luftlinien zieht, Herzen vertauscht und kindlich-verspielt um innerste Momente des eigenen Selbstverständnisses kreist. »In immer: Love« fragt uns, warum wir die Liebe so brauchen, und liefert selbst ein paar ganz unvermutete und zum Nachdenken anregende Antworten. Ein Abstraktum, das weder entzaubert noch auslacht, sondern die Gattung des Liebesliedes durch eine subtile Harmonie- und Sprachwandlung aus dem selbstgebastelten Grab der romantischen Verklärung hebt. Das Verschlüsseln offenbart und das Romantisieren erklärt Sozialtechniken, Gott und die Welt der Rendezvous: »Zu Zweit ist nicht alleine. Alleine, das ist zu Zweit.«

Wie lange hast du an »In immer: Love« gearbeitet? Wie war der Produktionsprozess?
Begonnen habe ich im September 2003; ganz fertig wurde die CD erst im Oktober 2004. Die Herangehensweise war sehr intuitiv. Ich habe mich zum Keyboard gesetzt und innerhalb von zwei Wochen beinahe die ganzen Lieder für das Album geschrieben.
Gerade diese schnelle Art zu arbeiten war das Schöne daran für mich; anfangs wusste ich auch noch gar nicht wohin mich diese Lieder bringen würden; mir haben sie eben gefallen und nicht mehr losgelassen. Dazu kommt, dass zu dieser Zeit gerade die Platte »Musik für schöne Menschen« von den 4 Experimentellen die nur 2 sind fertig wurde, was eine sehr langwierige und pingelige Produktion gewesen ist. Die Texte zu den Liedern auf »In immer: Love« entstanden immer parallel zur Musik. Die restliche Zeit habe ich schließlich mit dem Feinschliff (Arrangement, Mischung ...) verbracht.

Der Sound auf dem Album ist mit seinem minimalistisch-elektronischen Einschlag sehr fragil, aber trotzdem nie zu brüchig. Sind die Loops und Synthie-Effekte Kollektionen alter Schnipsel, die du mit dir herumgetragen hast, oder sind sie parallel zum Songwriting und zu den Lyrics entstanden?
Nein, die Loops sind das Songwriting, das bedeutet: alles ist neu entstanden. Der Sound ist meine persönliche Commodore 64-Referenz, hat auch was mit Sentimentalität zu tun. Ich mag das Puristische an dem Sound. Einzig »Fallen in Love« habe ich auf der Gitarre geschrieben, alle anderen Stücke am Keyboard, wo die Soundfrage auch gleich Bestandteil des Songwritings war.

Besagtes »Fallen In Love« erfindet das Rad des Minnesangs neu, ohne zu tief in der Klischeekiste zu wühlen. Magst Du Kitsch?
Das kommt für mich auf die richtige Dosierung an und in welches Umfeld er eingebettet ist. Bei »Fallen in Love« sind die Geigen der Kitsch, eingebettet in das Umfeld des Songs und hierbei essenziell: Der Refrain braucht die nötige »Schmiere«; Streicher stellen für mich auch immer etwas Großes dar, was den Ich-Erzähler des Liedes wiederum armseliger aussehen lässt.

Wie kann die Sprache dabei helfen, das tief sitzende Konzept der Liebe und des Gefühls anders zu kontextualisieren, als es die Musik bisher tat? Warum ist das Spiel mit der Sprache, das Vertauschen von Fällen und Artikeln so ein zentraler Bestandteil der Lyrics?
Hier stellt sich für mich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Text und Musik in der Popmusik. Ich finde, dass die Musik wichtiger ist, weil sie direkter anspricht als der Text. Siehe auch Poplieder, die man über lange Jahre kennt, sich aber erst sehr spät die Lyrics durchliest und dann feststellen muss, wie viel man falsch verstanden hat, weil der Text einfach nicht so wichtig war.
Auf dem Album steht der Text im Vordergrund, die Musik ist nur Stütze dafür. Durch diese Art von Text mache ich mich angreifbar und verletzlich, weil ich Position bekenne, so wie auch die »verliebte Person« immer das schwächere Glied in einer traurigen Liebesgeschichte ist. Es ist ein Versuch mit Sprache das auszudrücken, was man als verliebte Person empfindet (und dadurch wird); den sprachlich nicht ausdrückbaren Rest muss die Musik übernehmen (z.B. durch die Streicher).
Das Spiel mit grammatikalischen und syntaktischen Fehlern bietet mir eine zusätzliche Möglichkeit an Ausdruck, an Stimmungserzeugung, die zwischen den Zeilen mitschwingt. Es sind vielleicht auch Stolpersteine für den Hörer. Der Ich-Erzähler wirkt durch diese Fehler hilflos – er versucht sich selbst als den Besten darzustellen z.B.: »Geschmäcker ist verschieden, nur mein Geschmack lehrt...« und wird dadurch nur umso pathetischer.

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Inwiefern spiegelt »In immer: Love« deine persönliche Situation wider? Ist es deine »Abrechnung« mit der Liebe? Oder dein privates Manifest dafür?
Die Platte hat natürlich einen persönlichen Hintergrund. Mit der Liebe als Thema in der Musik beschäftige ich mich jedoch schon seit ich Lieder schreibe. In der Platte geht es um das Vermissen einer nicht anwesenden Person. Und je länger diese vermisst wird, desto mehr wird sie zu einer Illusion. Das ist der perfekte Liebeskummer, da die zur Illusion gewordene vermisste Person niemals erreicht werden kann (vgl. »Die Blaue Blume« in der Romantik) und auch nicht erreicht werden soll. Würde sie erreicht, dann würde der Stern sehr schnell sinken, weil dann der Alltag hinzukäme. Darum hören die Hollywood-Schmonzetten immer rechtzeitig, zumindest nach dem ersten Kuss, auf.
Je länger ich allerdings an der Platte arbeitete, desto mehr bin ich zum Schluss gekommen, dass das Thema nicht unbedingt Liebeslieder an eine ferne Person sind, sondern eine teilweise recht kühle Selbstbeschreibung. Aus diesen Gründen ist die Platte nicht mein privates Manifest über die Liebe, weil ich im Privaten schon auch gern ein bisschen Wirklichkeit habe.

»Dirty Dancing« und »Over The Top«, die beiden Filme, die du auf dem Album erwähnst, spiegeln gänzlich unterschiedliche Lebenszustände wider. Hier Liebesromanze in den tanzwütigen 80ern, dort die zerrüttete Vater-Sohn-Story um den Kampf, der Beste zu sein. Beide Filme stammen aus dem Jahr 1987. Warum gerade die beiden?
Das hat wieder mit Sentimentalität zu tun und natürlich finde ich »Over the Top« wirklich einen tollen Film, weil er die großen Gefühle beim Namen nennt und weil er eine Art Anleitung für ein rechtschaffenes Leben ist (auch wenn der böse Großvater denkt, dass unser guter Silvester ein Loser ist). Das ist für mich ein Film bei welchem man danach entweder Arm drücken geht oder sein Leben verändert. »Dirty Dancing« mag ich als Film nicht so gern, den Soundtrack jedoch (vor allem natürlich »(I’ve Had) The Time Of My Life« und »She’s Like The Wind«) sehr. Dass beide Filme aus demselben Jahr sind wusste ich gar nicht.
Was diese beiden Filme für mich verbindet: Sie scheuen sich nicht davor große Gefühle zu zeigen in einer sehr direkten Art.

Die Brücke zwischen Menschen ist implizites Thema deiner Songs. Liebe kann sie aufbauen. Liebe kann, wenn sie zur »Vertauschung der Herzen« führt, selbige auch zum Einstürzen bringen. Das Verhältnis vom Subjekt zur Liebe und zum Begehren ist ein seit jeher schwer einzufangendes. Was war für dich die Motivation, so ein Album wie »In immer: Love« aufzunehmen?Warum ist die Liebe das dringlichste der Themen, die dich darauf beschäftigen?
Wahrscheinlich weil die Liebe ein so intensives Gefühl ist, in den ganzen Variationen und Facetten in denen sie auftritt. Das Thema ist für mich sicherlich auch deswegen so interessant weil ich meine eigenen Erfahrungen miteinbinden kann.

Und diese schöne Freiheit bleibt einem als Zuhörerin und Zuhörer auch. »In immer: Love« quetscht Momente, Sprachspiele und Synergien aus unserem Unterbewusstsein nach oben, wo wir uns sonst nie trauen hinzuschauen. Die von Jürgen Hofbauer in den Linernotes angesprochene »Subjektfungibilität« wird zur Pathosfungibilität und eröffnet bisher unbekannte Orte eines elektronischen Musikverständnisses, das den Pop-Song vergöttert, wie der Mensch die Liebe selbst. Insofern ist »In immer: Love« das potenzielle private Manifest von uns allen, die wir uns darauf einlassen. Den ersten Schritt dazu hat David Lipp schon getan.

lipp love


VÖ: Dezember 2004 auf Niesom
INFO: www.davidlipp.com
MP3: Blumen
MP3: Luftlinie

Klaus Lemke



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Rock’n’Roll-Übermensch Lemke | Bild: WDR

Der WDR zeigt eine Reihe mit fünf Filmen Klaus Lemkes, darunter zwei deutsche Erstausstrahlungen. Das »Klaus Lemke Special« beginnt heute, zu sehen sind die Filme wöchentlich, jeweils montags um 23.15 Uhr. Vor kurzem gab Lemke der Sueddeutsche ein Interview (via Thomas’ Furl) und heute freut sich die taz über die Retrospektive.
Weitere Infos über Lemke auf der Seite des »Rocker«-Fanclubs.

TV Not The Radio: Mo, 6. Juni bis Mo, 4. Juli 2005

Mo, 06.06., 23.15 Uhr, WDR
»Amore« (Klaus Lemke, 1978)
IMDB

Mo, 13.06., 23.15 Uhr, WDR
»Last Minute Jamaika« (Klaus Lemke, 2003)
IMDB

Mo, 20.06., 23.15 Uhr, WDR
»Träum weiter, Julia!« (Klaus Lemke, 2004)
Erstaustrahlung!

Mo, 27.06., 23.15 Uhr, WDR
»Rocker« (Klaus Lemke, 1972)
IMDB

Mo, 04.07., 23.15 Uhr, WDR
»3 Minuten Heroes« (Klaus Lemke, 2004)
Erstaustrahlung!


Entklammert: Smog


smog riverBill Callahan geht fünf bis sechs Alben zurück.

»A River Ain’t Too Much To Love« ist dem Diskographie-Universum von Bill Callahan dort am nahesten, wo er vor mittlerweile acht Jahren Halt gemacht hat: »Red Apple Falls« ist das vermutlich einzige Werk, mit dem es sich vergleichen lässt. Die drei letzten Alben erschienen ja unter dem Namen (Smog) und brachten etwas mehr Wuchtigkeit mit sich. »A River…« ist da eher wieder das karge, brüchig-folkige »Red Apple Falls«, das damals aus einer Laune heraus nicht produziert wurde. Denn war damals die Welt noch deutlich düster und verhunzt, bricht sie heute spätestens beim dritten Track in etwas fruchtigere Gefilde auf. Im weiteren Verlauf begegnen uns alle alten Smog-Themen, Natur, Familie, Ausgeschlossenheit, Wunder, kindliche Freude, und neue Scherze wie eine Song-Ansage (!) und wunderschön dahinplätschernde Akustik-Gitarren, die sich mit den altbekannten Geigen und Klavieren manchmal auf ein Bier einladen. Großartig: Jim White am Schlagzeug!

Die kleinen, großen Wunderwerke dieser Platte sind unzählbar, das Nirvana-Ding »In The Pines« z.B., oder der Moment, wo »The Well« fast stehen bleibt, nur damit Callahan genug Platz hat um verquiekt »Fuck all Y’all!« zu sagen. Das sind neue Töne, und wie. Lyrische Waghalsigkeiten (»Did that Rapper rape her?«) sind eingewoben in textliche Abgründe sondergleichen. »Bury me in wood, and I will splinter. Bury me in stone, and I will quake. Bury me in water, and I will geyser. Bury me in fire, and I’m gonna phoenix.« sagt er, und wir fragen uns, was mit einem der sperrigsten Querschädel unseres Planeten bloß passiert ist? Nichts. Er hat nur eine der besten Platten seiner Karriere aufgenommen.

VÖ: 30.05.2005 auf Domino

Blog this!



Nachdem ich letzthin um eine Blog-Linklist gebeten wurde: Blogroll geupdatet upgedatet aktualisiert.

Jean-Luc Godard



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TV Not The Radio: Do/Fr, 2./3. Juni bis Do/Fr, 16./17. Juni 2005

Do/Fr, 02./03.06.05, 1.15 Uhr, ZDF
»Week End« (Jean-Luc Godard, 1967)
IMDB

Sa/So, 04./05.06.05, 2.00 Uhr, 3sat
»Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß« (Jean-Luc Godard, 1967)
IMDB

Sa/So, 04./05.06.05, 3.20 Uhr, 3sat
»Masculin – féminin oder: Die Kinder von Marx und Coca Cola« (Jean-Luc Godard, 1966)
IMDB | Salon-Artikel und Trailer

Do/Fr, 16./17.06.05, 1.20 Uhr, ZDF
»Die Außenseiterbande« (Jean-Luc Godard, 1964)
IMDB

Kurzfilm von Gaspar Noé





Wie soilworker meldet bietet die Fansite des Regisseurs Gaspar Noé (»Irréversible«) eine Serie von drei Kurzfilmen des enfant terrible an. Alle gedreht mit der entzückenden Eva Herzigova für Canal+.



Aus (nicht nur) offensichtlichen Gründen gefallen mir die Mini-Teaser (hehe) ziemlich gut. Die total entfesselte Kamera, das dunkle und stroboskopartig aufblitzende Licht erinnern an einige »Irréversible«-Szenen, ohne so verstörend zu wirken. Alle drei Filme zusammen im Direkt-Download (knapp 50 MB).

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