Rainer Werner Fassbinder



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Heute wäre Rainer Werner Fassbinder 60 Jahre alt geworden. In der TAZ schreibt Thomas Elsaesser über die »schwierige Beziehung zwischen Fassbinder und der deutschen Geschichte«. In der Welt erinnert sich Günter Rohrbach, der Produzent vieler Fassbinder-Filme, an seinen Freund. »Rainer wäre heute wie Wenders«, meint zumindest Michael Ballhaus ebendort. Man darf das bezweifeln. Im Tagesspiegel erinnert Peter W. Jansen an den Regie-Wahnsinnigen. Und die überhaupt sehr gute Seite der R.W. Fassbinder-Gesellschaft stellt einen Text Ralf Schenks aus dem film-dienst online. Dort ebenfalls zu finden ist Verena Luekens Artikel aus der FAZ über Fassbinder in Paris: »Ein Feminist, ein Philosoph, ein Deutscher«. Weitere Texte zu Fassbinder ggf. in den nächsten Tagen in meinem Furl-Archiv (s. rechts).

* * *

ARD und Bayerisches Fernsehen hieven außerdem Fassbinder-Specials ins Programm. Wie befürchtet leider alles zu nachtschlafender Zeit:

TV Not The Radio: Di, 31. Mai bis Mi, 15. Juni 2005

Di, 31.5., 17.45 Uhr, BR
»Die Abendschau« Ein Rückblick auf Fassbinders Lebenswerk

Di, 31.5., 23.15 Uhr, BR
»Die Sehnsucht der Veronika Voss« (R. W. Fassbinder, 1982)
IMDB

Di, 31.5., 0.55 Uhr, BR
»Berlin Alexanderplatz – Beobachtungen bei den Dreharbeiten« (Making-Of, Hans-Dieter Hartl, 1980)

Mi, 1.6., 23.30 Uhr, BR
»Kino Kino« Porträt
Wdh. am 3.5. um 11.00 Uhr

Mi, 1.6., 0.35 Uhr, ARD
»Die Ehe der Maria Braun« (R. W. Fassbinder, 1978)
IMDB

So, 5.6., 23.00 Uhr, BR
»›Es ist nicht gut, in einem Menschenleib zu leben‹ – Das filmische Weltgericht des Rainer Werner Fassbinder« (Doku, Peter Buchka, 1995)

So, 5.6., 23.55 Uhr, BR
»Fassbinder in Hollywood« (Doku, Robert Fischer, 2002)

Mi, 8.6., 0.50 Uhr, ARD
»Die bitteren Tränen der Petra von Kant« (R. W. Fassbinder, 1972)
IMDB

So, 12.6., 23.30 Uhr, ARD
»Tropfen auf heiße Steine« Fasbbinder-Adaption (François Ozons, 2000)
IMDB
Ozons Umsetzung von Fassbinders gleichnamigen Theaterstück

So, 12.6., 1.00 Uhr, ARD
»Kamikaze 1989« (Wolf Gremm, 1982)
IMDB
mit Fassbinder in der Hauptrolle

Mi, 15.6., 0.40 Uhr, ARD
»Warnung vor einer heiligen Nutte« (R. W. Fassbinder, 1971)
IMDB

Kurz aber unfair: Notizen aus dem Plattenladen



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The Locust: Safety Second Body Last [EP]
Zwei Tracks, sechs Songs Kompositionen. Komplexität und Sexyness. Nach dem vierten, fünften Hören schälen sich Strukturen aus dem Wahnsinn. Ich mag sowas. Auf der Suche nach Melodien. Blood Brothers in noch-mehr-breaks. Drones zwischendurch, wie zum Durchatmen. Gekauft.

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Gorillaz: Demon Days
Es pluckert alles so schön hier. Kinderchöre meet Mad Scientist on deep-dope beats. 70’s Disco, Picknick und Paranoia. Vielleicht alles etwas zu eingängig. Feel Good Inc., November Has Come, F-MF Doom. »All Alone« kommt direkt aus dem Anticon-Labor.


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Benjamin Diamond: Out Of Myself
Songs, die man (fast) alle schon kennt, ohne sie zuvor gehört zu haben. Max Hecker auf ein wenig Speed, nicht zuviel Schatz. Glockenspielchen, Örgelchen, niedlich das alles hier. Dazwischen aber immerhin Lichtblicke, in denen der Singer/Songwriter-Pop etwas zwingender wird: »There Is A Girl«, »Let’s Get High«. Ansonsten alles sehr medioker.

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Teenage Fanclub: Man-Made
Braucht kein Mensch. Ödeödeöde. Blödeöde gar.






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At The Drive-In: This Station Is Non-Operational
Braucht eigentlich auch kein Mensch, der ohnehin alles dieser grandiosen Band hat. Eine Best Of mit den obligatorischen Alibi-Bonussongs. Damn it – gekauft. (File under: Komplettierungswahnsinn)


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The White Stripes: Get Behind Me Satan
Guitar-Wolf raus, Piano-Man rein. Schade drum, aber. Auch so funktioniert das. Natürlich bleibt die Musik strukturell die gleiche (weniger ist mehr), wie Lars Brinkmann ganz richtig in der Spex anmerkte. Aber war die Gitarre nicht doch mindestens ebenso wichtig wie die Stimme? Auf jeden Fall: Weiterhin auf der Suche nach dem amerikanischen Urspung. Gekauft.

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Astra Kid: Stereo
Das Seltsame ist, dass die Platte dennoch funktioniert. Trotz Sportfreunde-Vergleich, trotz bisweilen argem Kitsch. Aber Songs wie »Komm an«, »Klingen bringen« und »Immer heute« funktionieren durch ihre Einfachheit immer. Schöne Stimme auch. Wird vielleicht noch gekauft.

The Go-Betweens + Paul Armfield – 24. 5. 2005


»Oceans Apart« heißt das neueste Werk von Forster und McLennan, und nach einem wieder einmal tollen Gig von Paul Armfield wurde es nun auch Wien live präsentiert.

go-betweens

Paul Armfield kommt von einer Insel südlich von England, auf der alle Menschen Musik machen. Oder fast alle. Er hat mit seiner Band, den Four Good Reasons, letztes Jahr sein Debüt veröffentlicht, von dem er sagt, dass es auf der Isle of Wight in keinster Weise etwas Besonderes wäre. Jede zweite Pub-Band dort, könnte so ein Album aufnehmen, würde sich mal wer darum kümmern. »Songs Without Words« ist ein Folk Noir-Meisterwerk, das Gefühle entkantet und den Songs genau die Wörter gibt, die sie behaupten nicht zu besitzen. Schon letztes Jahr besuchte er mit den Four Good Reasons Wien und bewies, dass diese Songs live ebenso funktionieren können.

Als Vorgruppe der Go-Betweens ist er alleine auf der Bühne, mit seiner Gitarre spielt er ein herzerwärmendes, intensives Set, und kämpft gegen die Ungeduld des Publikums an, das nur die Go-Betweens sehen möchte. Was ihm erstaunlich gut gelingt, gab es immerhin ganz leise in der erste Reihe auch einen Hauch eines »Zugabe!«-Rufes, was sicher nicht dem örtlichen Paul Armfield-Fanclub zu verdanken ist, weil den gibt es nicht.

Tja, und die Go-Betweens… was soll man zu denen noch sagen? Sind diese Songs nicht an sich schon Aussage genug über die Bedeutung, die Geschichte und das Potential dieser Band, immer noch nach fast 30 Jahren mit jedem neuen Wurf nicht stehenzubleiben? Das Bemühen, nicht im Retro-Desaster sein eigenes Werk als einzige Referenzgrundlage zu nehmen, gerade nach dieser unfassbar gut gelungenen Reunion damals, zeigt sich auch live als eine ihrer schwer zu glaubenden Stärken. Die Go-Betweens schaffen eine sensationelle Symbiose zwischen dem Bemühen um den Song, also das daran arbeiten, das sichtbare investieren von Energie, damit der Song ein Song, eine Perle wird, und der Ausgelassenheit, der Lockerheit, dem wilden Charakter, der ihr Schaffen immer mitgeprägt hat. Allein ersteres lässt heute jede zweite Band krampfhaft aussehen. Was damals bei den Go-Betweens DIY hieß und mit Punk nicht wenig zu tun hatte, ist jetzt eben ein abgebrühtes, zeitloses Verständnis der eigenen Fähigkeiten, Songs auf die Bühne zu zaubern, die Universen erzählen können, ohne unser existierendes schelmisch zu verlassen. Auch wenn diese Songs zum Beispiel in Bayrischen Käffern geschrieben wurden, was sie selbst wohl als einen der am weitesten entfernten Orte des Universums ansehen.

Und wenn sie dann sagen, dass die Lichttechniker bitte das Licht abdrehen sollen, das das Publikum blendet, dann ist mit keinem Moment die Frage da, ob das eventuell ihrer ästhetischen Auffassung unserer Gesichter wegen passiert. Nein, es ist das Bemühen und die Ausgelassenheit, immer diese grandios-elegante Schöngeistigkeit, die sie zu einer beeindruckenden Band macht. »Why do people who read Dostoyevsky look like Dostoyevsky?« singen sie in »Here Comes A City«. Den Scherz, das auf die Go-Betwens anzuwenden, erspare ich euch, weil er nicht stimmen würde.

The Kills - 23. 5. 2005


Der rockistische Overkill im Kleinen, die Eskapade einer ausfälligen Nacht, die man lieber nicht vergisst, machte klar, dass The Kills einer der besten Live-Rockbands sind, die es zur Zeit gibt. Dass das »No Wow«, vor dem ihr aktuelles Album so eindrücklich warnt, hier nicht eingetreten ist, ist selbstverständlich.

kills

Mit einem Galopp fangen sie an. Wie auch auf dem aktuellen Album ist der Titeltrack »No Wow«, diese Minimal-Rock-Sau mit nervös-fiebriger Drummachine, die Eröffnung. VV und Hotel sind bis dorthin gut gelaunt, saßen am Bühnenrand, hatten Freude daran die wunderbare Scout Niblett als Vorband anzuhören, aber ab dem Moment, wo »No Wow« mit diesem ersten, galoppierenden Beat einsetzte, waren sie gewandelt. Er: Roboter. Sie: Zombie. Beide zusammen: Inferno.

Hotel starrt. Sein Blick geht stur geradeaus, mindest einmal um die ganze Erde herum, und borht sich in seinen eigenen Hinterkopf, führt dadurch die Zuckungen und mechanischen Bewegungen seines Körpers herbei. Wenn er grad nicht singt, redet er manisch irgendwelchen unverständlichen Text vor sich hin, als ob es von jedem Lied eine alternative Version mit anderen Lyrics gäbe. VV ist völlig aufgelöst, taumelt, weint, stirbt, steht wieder auf. Ihr Gesang ist so intensiv und dreckig, dass Hotel in den wenigen Momenten, wo er bei Bewusstsein ist, zu ihr stielt, um sicher zu gehen, dass seine Partnerin noch da ist. Wenn sie sich mal nahe kommen, ist das ein beängstigendes Spannungsfeld zwischen Leben und Tod. VV und Hotel helfen sich selbst genauso viel, wie sie sich gegenseitig umbringen. Mit Gitarren, mit Stimmen, mit Beats.

Am Ende herrscht völliger Exzess auf der Bühne und im Publikum. In einem See an Distortion liegen die beiden auf am Boden (unklar, ob es einer Vergewaltigung ist) und wissen um das eigene Überleben ebenso, wie um den eigenen Tod. Hier und jetzt steht uns allen da unten, die wir dieses Fiasko miterleben durften nur ein »Wow!« im Gesicht geschrieben. Manche sagen, so sieht die Zukunft von Rock ´n Roll aus. Manche sagen, so sah die Vergangenheit aus. Wenn sich The Kills in der Mitte, im Jetzt, treffen, ist es schlicht der Rock, den sie als einzig durchführbaren ansehen. Und diese Optionslosigkeit auf die Bühne zu hieven ist mehr als Kunst.

Befindlichkeitsupwaking


auch wenns so uninteressant wie nur irgend möglich ist, diese endlose sonne am balkon zu haben beim aufwachen und dazu mit "transatlanticism" das beste lied der welt für solche momente, hat etwas ungemein befreiendes. ich mach mich heute auf den weg nach münchen, dann weiter richtung immergut. und mit dem lied im rücken geht das auf einmal viel leichter. ich würde euch gerne den link zu einem feinen gratis-download anbieten, aber von dem album ist ja bekanntlich nur "Title And Resignation" online available. auch gut, aber nicht das was mich jetzt im moment erschüttern könnte. ich bitte jede leserin und jeden leser diese blogs heute noch in den plattenladen des vertrauens zu gehen, und laut "transatlanticism" zu rufen....

[Ich darf da mal kurz aushelfen:
Death Cab For Cutie: Transatlanticism]

Rope



TV Not The Radio: Di, 24. Mai 2005

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23.45 Uhr, NDR
»Cocktail für eine Leiche« (Alfred Hitchcock, 1948)
IMDB

Jawohl, es gab auch vor Jack Bauer schon Echtzeit-Film-Versuche. Dieser ist ganz besonderes gelungen. Der Rest reicht für einen Eintrag ins Mythen-Lexikon: Erster Farbfilm Hitchs, scheinbar ohne Schnitte (dabei immerhin mit einer Schnittfrequenz von 10 Minuten) und der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit mit James Stewart.

M. Ward – 22. 5. 2005


Der Country kommt in kleinen und großen Schritten zu uns. Klein war an diesem Abend nur der Rahmen. Groß hingegen die Songs.

mward

Matt Ward ist ein Schlaumeier. Ein Geschichtenerzähler, der den Größenwahn der Poesie aber nicht überstrapaziert. Ein Gitarrist der Ruhe, der die Nervosität, das Zappeln (im positiven Sinn) gerne seiner Band überlässt. Was auch hervorragend klapp, die Jungs sind nämlich gut gelaunt, gut gestimmt und gut vorbereitet. Matt Wards schwungvolles Gitarrenspiel wird meist zurückhaltend unterlegt, diese Country-Band will sicher niemandem ins Gesicht schlagen.

Ward erklimmt die schönsten Momente, wenn er die Lockerheit und die Liebe zum Song offen darlegt. Seine aktuelle Platte »Transistor Radio« mag vielleicht etwas halbgar dachherkommen, was sicher auch daran liegen mag, dass er nur covert, aber live erwirken die Songs eine tolle Sogwirkung. Wenn er ansagt, dass er den seiner Meinung nach besten Wiener Songwriter huldigen möchte, und daraufhin auf seiner kaputten Klampfe den Donauwalzer runternudelt, dann hat das schon Kultcharakter.

Oscar Wilde und Das Schöne



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Ich schrieb ja bereits zu dem Kolloquium »Das Gute und das Schöne«. In der heutigen Sitzung wurden zwei Texte Oscar Wildes behandelt: »The Importance of Being Earnest« (1995) und »The Decay of Lying« (1889).

Letztgenannter stellte sich als schwieriger Bastard aus fiktionalem und nicht-fiktionalem Text dar. Während der Text vor allem Wildes Verständnis von Kunst darlegen sollte um daraus eine Kunsttheorie jenseits Dickens, also jenseits des Realismus zu entwickeln, stellt die Form des Textes – ein szenischer Dialog – den Leser vor ein gewichtiges Problem. Dazu später mehr.

Wilde stellt vier für sein Kunstverständnis paradigmatische Thesen auf:

· Art never expresses anything but itself. Wichtig hierbei ist, dass die Kunst nach Wilde auf keinen Fall die Zeit, die Epoche, die Gesellschaft widerspiegeln soll, der sie entspringt. Das stellt einen krassen Bruch mit der auf Hegel beruhenden und wohl auch heute noch vorherrschenden Annahme dar, Kunst sei immer ein Kind der Umstände, innerhalb derer sie entsteht. Diese deskriptive Künste nennt Wilde imitative arts. Wilde lässt aber gewisse Ausnahmen zu: Die Architektur sei eine solche, weil sie als einzige Kunst stets funktionsgebunden sei. (»If we wish to understand a nation by means of it art, let us look at its architecture …«) Das mag man als Inkonsequenz Wildes bezeichnen, spricht er doch eigentlich allem Funktionsgebundenen den Status der Kunst ab.

· All bad art comes from returning to Life and Nature. Erklärt sich aus dem oben Gesagtem. Generell setzt Wilde die Lüge (als Erfindungsgabe von Geschichten) dem Natürlichen (als metaphysisch Gegebenem) entgegen.

· Life imitates art far more than art imitates life. Wilde nennt – reichlich bemüht – als Beispiel den Nebel, der erst als literarische Manifestation (bei Dickens: der dicke Londoner Nebel) dermaßen ins Bewußtsein gelangt, dass er als der spezifische Nebel in der Natur erst beobachtbar wird. Wilde gibt noch weitere Beispiele, die mir nicht minder konstruiert erscheinen. Sehr schön, weil heillos konstruiert sein Japan-Beispiel: »The Japanese people are the deliberate self-conscious creation of certain individual artists. […] In fact, the whole of Japan is a pure invention. There is no such country, there are no such people.« Und all das nur, um zu zeigen, dass die künstlerische Darstellung Japans keinen Widerklang in der der japanischen Realität findet?

· Lying, the telling of beautiful untrue things, is the proper aim of art. Die reine Lüge ist für Wilde die höchste Form der Kunst. Dabei unterscheidet er zwischen der funktions- bzw. zweckgebundenen Lüge (er nennt als Beispiel Politiker, die mittels Lüge wiedergewählt werden wollen) und der reinen Lüge als amoralisches (nicht: unmoralisches) Tun. Auch hier darf die Lüge natürlich nach Wilde nicht auf die Wirklichkeit rekurrieren.

»The Decay of Lying« trägt als Untertitel »An Observation. A Dialogue«. Was bedeutet das für den Text? Zunächst natürlich verändert es seine Struktur. Wir haben nicht mehr den einen Autor, der seinem Leser etwas vermittelt/vermitteln will. Wir verfolgen vielmehr ein Gespräch in dem Vivian, die tonangebende Figur, Cyril ihre Theorie erklärt. Für die Interpretation des Textes ergeben sich daraus Probleme: Wenn Wilde seiner Theorie folgen würde und der Text als szenischer Dialog ein Kunstwerk darstellte, wäre er dann nicht eine Lüge ohne jegliches die Realität widerspiegelndes Potential? Aber wenn der Text eine Lüge wäre, dann wären auch die darin enthaltenen Ansätze einer Kunsttheorie hinfällig. Schießt sich Wilde da nicht selbst von hinten ins Knie? Offenbar reflektiert Wilde nicht den Standpunkt seiner eigenen Theorie, oder genauer: Der Schwachpunkt der Theorie ist, dass sie sich selbst nicht zum Thema hat.

Interessant erscheint mir auch, dass Wildes Kunstverständnis gar nicht so revolutionär ist, wie es zunächst erscheint. Er will zwar mit dem Naturalismus brechen, im Gegensatz zu Schiller eine metaphysikfreie Kunsttheorie auftstellen, hängt aber doch noch einem Verständnis von Kunst als »Das Schöne« im Wortsinne an.

Eine weitere Paradoxie ergibt sich, betrachtet man das Gesamtwerk Wildes: Gerade die während seiner Zeit im Gefängnis, kurz vor Wildes Tod, geschriebenen fairytales sind hochmoralische, gesellschaftskritische Stücke. Wie verträgt sich das mit der Theorie Wildes, die doch nur auf die Unterhaltung abzielen soll? Möglicherweise kann man mit Baudelaire antworten, nach dessen Kunstverständnis, Moral zwar in der Kunst enthalten sein dürfte, diese aber stets dem Kunstvollen (bei Wilde also: der Lüge, der Unterhaltung) untergeordnet sein müsse. Damit ergäbe sich ein Schiller genau umkehrendes Ideal: Wo bei diesem die Stärkung der »moralischen Disposition« dem »Vergnügen« immer vorzuziehen ist, lässt Wilde der Moral gerade soviel Platz, wie es die Unterhaltung erlaubt.

Gerade »The Importance of Being Earnest« scheint aber Wildes eigener Theorie sehr nahe zu kommen: Die Struktur ist hochartifiziell, darin vergleichbar mit Shakespeare. Der Zufall aber als strukturgebender Code wird »nicht wie bei Shakespeare als glückliche Fügung, als Schicksal gehandelt, sondern als Versatzstück ironisch genutzt«. Zwar kann auch dieses Stück moralisch gelesen werden, aber die enthaltene Gesellschaftsparodie ist in ihrer ganzen unrealistischen Absurdität »nicht Spiegelung, sondern Verzerrung des Lebens«. (Zitate aus dem Referat) Die Anti-Logik ist programmatisch.

* * *

Nächster Punkt des Seminarplans ist dann ein Referat über Warhols Brillo Boxes und mein Referat über Benjamins Kunstwerk-Aufsatz. Bis dahin sind aber noch vier Wochen Zeit.

Die menschliche Komödie



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Honoré de Balzac hat mit seiner menschlichen Komödie ein Werk geschafften, das heute sicher seinesgleichen sucht, denn es umfasst 90 Romane und über 2000 Figuren! Der hier vorgestellte Roman, Vater Goriot, gehört zu den bekanntesten Balzacs und stellt zugleich mit dem alten Goriot eine der ergreifendsten Gestalten der menschlichen Komödie.

Sinn dieses Werkes: Die Darstellung der französischen Gesellschaft zwischen Revolution (1792), Restauration (1814-30) und der Julimonarchie (1830-48), ihre Jagd nach Geld, Macht und Prestige, ihre Sucht nach Vergnügungen und ihre bedenkliche Moral.

Der Nudelfabrikant Goriot hat die Zeit nach der Revolution gut genutzt und konnte als gerissener Geschäftsmann ein beträchtliches Vermögen anhäufen. Nach dem Tod seiner Frau überträgt er seine Liebe auf seine Töchter Anastasie und Delphine, die er mit einer beträchtlichen Mitgift ausstattet. Anastasie vermählt sich mit dem Comte de Restaud und Delphine mit dem elsässischen Bankier de Nucingen. Als jedoch während der Restauration der Adel neu erstarkt, können die Töchter den Vater, den sie wie Vampire bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt haben, nicht mehr gebrauchen. Mit einer lächerlichen Pension ausgestattet, siecht dieser in einer Pariser Pension vor sich hin, wo er den verarmten Landadligen Eugène de Rastignac kennen lernt, der, vom schönen Pariser Schein geblendet, selbst aufsteigen will, jedoch auf dem Weg nach oben von seinen tugendhaften Moralvorstellungen (leider nur ein klein wenig) behindert wird.

Am Ende stirbt Vater Goriot einsam und verlassen, nur Rastignac steht ihm in den letzten Stunden bei. Dieser jedoch folgt dann doch den Versuchungen der Oberschicht, vertreten durch Delphine de Nudingen, und opfert seine Tugend der Aussicht nach Reichtum und Macht.

Einzelne Handlungsstränge werden in Balzacs Romanen oft nicht zu Ende geführt, sondern in anderen Romanen wieder aufgenommen. Die Texte verschränken sich so ineinander und werden zusammengenommen zum Spiegel der französischen Gesellschaft. Nach einem etwas ermüdenden Einstieg ganz im Zeichen der balzacschen Erzähltradition (man hat es hier mit einem auktorialen, allwissenden Berichterstatter zu tun, der wertend auf den Leser einwirkt) baut die Handlung schnell an Spannung auf und hält sich bis zum dramatischen Ende, das sich zwar sehr früh abzeichnet, jedoch dank vieler Wendungen immer wieder verzögert wird.

Balzac gehört neben Stendal und Flaubert zu den großen Realisten Frankreichs, doch stehen diese in ihrer Erzählweise unabhängig voneinander. Den heute wichtigsten realistischen Roman liegt zur Zeit ihrer Entstehung noch keine Poetik zugrunde. Der Begriff des Realismus wurde folglich erst nachträglich durch die Literaturwissenschaft postuliert.


Honoré de Balzac: "Vater Goriot". -Frankfurt am Main: Insel Verlag, Oktober 1996|307 Seiten; 7,50 Euro; ISBN: 3458336117|Amazon.de

Es geht los...


Seit 19 Uhr kreisen im knallgelben Licht der untergehenden Sonne wunderschöne Pollen durch die Luft. Am Donaukanal fängt das regen, abendliche Treiben an zu Brummen. Chinesisches Abendessen wird serviert, die erste Biere genommen, Drogenvorrat für den Abend eingekauft. Konzertkarten werden hie und da verhandelt, »RESTLOS AUSVERKAUFT!« prangt von allen Wänden des Eingangsbereichs des Flex. Kamerateams surren vorbei, Gruppen aus Polen, auch Kroatien versuchen sich mit den Einheimischen zu verständigen. The Arcade Fire spielen in besagten Ländern kein Konzert, weswegen sie den weiten Weg gekommen sind. Das coole Fühlen, ich spür’s.

arcade fire live2

***

Es ist eng, schon zehn Minuten vor der Vorband ist es eng. Arcade Fire bitten darum nicht zu rauchen. Schnell noch die letzten Zigaretten genißen, bevor es losgeht. Im Kopf spulen sich Listen ab. Liste 1 sagt »Wake Up« und dann »Laika«, dann der Block an alten Sachen, dann der Hammer-Block mit den besten Albumstücken. Liste 2 sagt »Laika« am Anfang und »Wake Up« als Zugabe, außerdem dabei im Gegensatz zu Liste 1 ist »7 Kettles«. Liste 2 ist aktueller. Angst. Vergiss die Listen, sei bei Arcade Fire, schau auf die Bühne. Es ist dunkel, Eine Absperrung wurde gezogen, das Flex ist noch enger. Die Gesichter um mich herum sind magisch erhellt, jeder Mensch in diesem Raum hier wartete seit Monaten auf diesen Augenblick. Es war elektrisch, ganz und gar unerklärbar gespannt, und wenn jemand nur eine Zigarette zu viel geraucht hätte, wenn das Streichholz auf den Boden gefallen wäre, hatte man das Gefühl, als würde dann ein riesiger Gassee unter uns hochgehen, die Wolke auf der das Publikum zu schweben vermochte. Schweben und warten, um kurz nach Acht betritt Owen Pallet die Bühne.

***

Beinahe-Nervenkollaps, Übernachtigkeit und hemmungslose Nervosität prägten den Tag. Angst, Schweiß und Unvermögen in geraden Sätzen zu reden. It’s the Reinsteigern-Thing. Verarschen ließe sich das mit »Ist ja nur irgendeine Band, von irgendwoher«. Und jeder, wirklich jeder im Raum hätte gewusst, dass es einfach nicht stimmte. »Funeral« ist nicht irgendeine Platte. Das Listenabspulen im Kopf lässt keine Ruhe, ist die beste Ablenkung von den Fangarmen dieses Abends,

Neighborhood #1 (Tunnels) Gewinner: Keiner.
Neighborhood #2 (Laika) Gewinner: Keiner.
Une Annee Sans Lumiere Gewinner: Keiner.
Neighborhood #3 (Power Out) Gewinner: Keiner.
Neighborhood #4 (7 Kettles) Gewinner: Keiner.
Crown Of Love Gewinner: Keiner.
Wake Up Gewinner: Keiner.
Haiti Gewinner: Keiner.
Rebellion (Lies) Gewinner: Keiner.
In The Backseat Gewinner: Keiner.

Der Computer läuft, er muss nur einsehen, dass es immer irgendwann den Punkt geben kann, an dem es einfach sinnlos ist weiterzuspielen. Einfach sinnlos ist weiterzuspielen. Einfach. Sinnlos. Ob ich das je verstehen werde?

arcade fire live3


***

Owen Pallet ist nicht Patrick Wolf, auch wenn er fast so aussieht. Final Fantasy, ich hab’s nur einmal gespielt, das VIII. Damals interessierten mich Computer nicht so, ich hab den ganzen Hype darum nicht ganz verstanden. Owen Pallet ist Final Fantasy, eine Solo-Band. Er und seine Geige sind die besten Freunde. Ein Sampler noch mit an Bord, und los geht’s. Eine halbe Stunde lang wird Owen ins Publikum singen und lachen. Dabei führt er unwahrscheinliche Songs auf seiner Geige aus, lässt die Riffs loopen, schichtet Turm auf Turm und macht mit einer fantastischen Stimme auf einmal schlagartig alles weg, was vorher meinen Kehlkopf zugeschnürt hat. Wenn bei einem kurzen Final Fantasy-Stück im Höhepunkt sich die sieben Geigen-Melodien, die gerade übereinander liegen, schlagartig auflösen ist es Sonnenaufgang, obwohl draußen gerade das Gegenteil herrscht. Patrick Wolfs Gestus ist aber dabei bei Final Fantasy. Auch Label-Kollege Xiu Xiu, krampfähnliche Ausschreie erwecken hier die Erinnerung. Final Fantasy vermag uns für eine halbe Stunde in ein anderes Universum zu katapultieren.

***

Sieben Menschen plus Owen Pallet sind auf der Bühne. Die Zeit ist um, wer jetzt noch gehen möchte kann es tun. Ich überlege kurz, ganz nach hinten zu gehen. Nein doch erste Reihe. Die Wahnsinnigen auf der Bühne lachen. Der erste Akkord schneidet das Flex in kleine Stücke. »Wake Up« ist Chaos. Ein Song, er ist da. Ich lege mich rein. Nicht aufgeben. Es muss weitergehen. Und das tut es auch. Auch wenn ich es vorher aus Live-Mittschnitten erahnt habe, ist jener sensationelle Übergang zwischen »Power Out« und »Rebellion (Lies)« einfach unglaublich. Hier wird die Platte neu erfunden. Was bei einer so unglaublichen Platte mehr als mutig ist. Verrückt, energetisch, zum wahnsinnig werden schön war die Halle des Flex im Widerschein eines Anbeginns einer neuen Epoche getaucht.

arcade fire live

***

Der nächste Tag war auch sonnig. Aber es hörte sich anders an.

The Album Leaf – 18. 5. 2005


Zart und selbstbewusst lieferten The Album Leaf ein wunderbares Konzert ab, diesmal mit Band, Streichern und somit etwas mehr Druck hinter der Sache. Zu spüren war aber trotz allem dieser tolle, feine elektronische Indie-Minimalismus.

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Fast ein Jahr ist es her, seit The Album Leaf »In A Safe Place« in die Welt geworfen haben. Fast ein Jahr schlummert das Wissen um ein eigentlich wirklich herzerwärmendes Album in uns und dringt selten an die Oberflächen unseres popmusikalischen Alltags. Vielleicht weil Alben wie dieses in einer gewissen Zeitlosigkeit gefangen sind, aus der sie auch ihr enormes Potenzial schöpfen. Genau am Nationalfeiertag letztes Jahr wurde manch Wienerinnen und Wienern das erste Mal (unfreiwillig, quasi) der Name »The Album Leaf« präsentiert, und nicht wenigen von ihnen blieb danach der Mund staunend offen stehen. Als Vorband von Sophia in der ausverkauften Szene Wien beeindruckten The Album Leaf mit einem Programm an Laptop-Gefrickel, instrumentalem Melancholie-Affekt und einem guten Gespür für die Langsamkeit und Melodien, und die Zwischenräume zwischen Tönen.

Das Konzert im B72 knüpfte exakt da nahtlos an, nur ging es hier wie gesagt um mehr … Nachdruck. Live-Schlagzeug und Cello vermochten so manchen Song aus seinen Angeln zu heben und zu richtigen Hymnen werden zu lassen. Auch war der quasi-Hit des Albums, »On Your Way«, das einzige Stück mit Text, was durch die Live-Darbietung fast nach famosen Tarwater im Indiekid-Gewand klingen konnte. Die etwas wuchtigeren instrumentalen Stücke klingen dabei immer ein wenig nach The Notwist, die ruhigeren, endlosen Momente immer ein wenig nach Sigur Ros. Ach ja: Sigur Ros. Die waren es auch, die Album Leaf nach einer gemeinsamen Tour baten, »In A Safe Place« doch in Island aufzunehmen. Was die (auch konzeptuelle) Ähnlichkeit der beiden Projekte teilweise erklärt. Die Unterschiede sind vielleicht durch das fehlende esoterische Ausufern bei Album Leaf charakterisiert. Und durch die fehlenden E-Gitarren, die von der akustischen Front ersetzt werden.

Und wer sich eigentlich hinter dem Namen »The Album Leaf« verbirgt? Jimmy LaValle, San Diego-nach-Hardcore-Generation. Die 90er durch ewiges Bandmitglied und Local Hero der Szene, Keyboarder der Noise-Postpunker Locust, Bassist bei Black Heart Procession und so weiter und so fort. Seit 1999 ist er The Album Leaf und produziert so wunderbare Platten wie eben »In A Safe Place«. Die Musik wie gemalt an der Wand zu sehen, ist ein seltenes Erlebnis bei Konzerten. Jimmy LaValle hat’s uns gebracht, sollte er öfter tun.

Blind Date 6



TV Not The Radio: Fr, 20. Mai 2005

22.14 Uhr, ZDF
»Blind Date 6: Tanzen verboten«

Neben »Dittsche« ist das Blind Date mit Anke Engelke und Olli Dittrich die einzige Improvisations-Sendung im deutschen Fernsehen, die hält, was sie verspricht. Ain’t no talkin’ bout crap like »Schillerstraße«! Heute gibts die sechste Folge der unregelmäßigen Serie und Martin Weber in der taz scheint schon mal sehr zufrieden: Lebensnah und todtraurig.

* * *

23.30 Uhr, ARD
»Der alte Affe Angst« (Oskar Roehler, 2002)
IMDB

So ein Film, den ich unbedingt im Kino sehen wollte, der aber nach zwei, drei Wochen nicht mehr lief. Bastarde! Roehler ist ja schon mal interessant, Marie Bäumer auch ne gute, könnte also was werden. Der Schnitt jedenfalls war begeistert. Matthias Dell vermutete gar eine »Zäsur im Werk des Filmemachers«. Und Frau Bäumer gab dem TP noch ein kleines Interview.

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