Kissogram - 03.03.2005
Der coole Dandy aus der Hauptstadt bietet sich allzu gern als Vorurteilsfänger an. »Hauptstadt« meint in dem Fall Berlin, Heimat von Kissogram, diesem Zwei-Mann-Wunder aus dem Hause Louisville. Verdammen wäre hier nicht nur unfair, sondern auch schlicht unnötig. Denn diese Jungs sind ´ne Bombe.
Man weiß oft so wenig. Da ist ein Track, vielleicht ein zweiter, oder ein Video, das im Gedächtnis bleibt. Ekelhaft stereotype Bilder von jungen Menschen in gut sitzenden Anzügen und knappen Beat-Stromschnellen, die energetisch-tanzbar sein könnten… wenn sie nicht so langweilig wären. Dazu gesellen sich Reviews, Artikel in anderen Zeitschriften, Schnipsel im großen Trubel des Musikbiz, die zwar den Namen »Kissogram« irgendwie schon platzierten, aber dann doch keinen größeren Berührungswunsch, dafür aber Jeans Team-Verwechslungsgefahr entstehen ließen. Es war wahrscheinlich die Bescheuertheit des angekündigten Hits »Forsaken People Come To Me«, die mich dann doch auf das Konzert gehen ließ. Mit wenig Wissen.
Und dann doch einer dieser Abende, an denen du nicht weißt, warum zum Geier jeder bis jetzt so verächtlich über diese Leute geschwiegen hat. Kissogram als Berliner Geheimtipp zu handeln ist mit Sicherheit der verkehrte Weg, um sie lieben zu lernen. Sehen kann man sie eher als die wuchtige Version von gut komprimiertem Synthie-Pop, der nervös zuckende japanische Melodienbögen auf- und abheult, nur um dich im selben Moment mit der Erkenntnis wegzublasen, dass, wenn es keine Musik gäbe, sie sie einfach erfunden hätten. Irgendwo taucht dann besagtes Interview-Schnipsel doch auf, während du versuchst zu verarbeiten, wie viel gute Laune und Töne von der Bühne ausgehen. Die Disco-Maschine verwürfelt den Rest (deine Beine) zu einem Haufen Verzweiflung, während um dich herum Begriffe wie »Bloody Collar Shadow Man« mit einer unfassbar beharrlichen Belanglosigkeit auftauchen. Schauder und Entsetzen, Überraschung und Chaos. Und wie selten zuvor bist du dankbar dafür, so von einer Band entfesselt zu werden. Als Spontankonzept für einen Abend machen Kissogram jedenfalls verdammt gut Sinn. Wie die Platte »The Secret Life Of Captain Ferber« funktioniert, kann und sollte an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
»Modern-City-Coolness«? »Dark-Disco-Revolution«? Nenn es wie du willst. Aber beweg dich.
in: concert.diary | von: wiesengrund | 9. Mär, 19:41
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