Mittwoch, 6. April 2005

Die Unbeerdigung des Fühlbaren – The Arcade Fire


funeralWas wurde nicht alles geschrieben und gejubelt, analysiert und argumentiert, dass diese Band mit ihrem Debüt »Funeral« den einzigen großen Wurf geschafft hat, den die selbstverliebte Indie-Musikwelt heutzutage schaffen konnte. Und wenn es nicht so schwer wäre, sich diesem Album zu entziehen, würde es auch hier heißen: »All ihr lieben Spiegel, Fritz Ostermayers, Spexen, Gaps, Blogs, Pitchforks usw., da habt ihr euch wieder mal einen verdammt gut schmeckenden Hype ausgesucht.« Aber die Wahrheit ist leider: Ihr könnt uns alles nehmen, aber nicht dieses Album.

Der günstige Moment ist wohl immer der, der die Grenze der eigenen Verwundbarkeit rückkoppelt mit den eigenen Ängsten, Wünschen und verborgenen Gedanken. Der Moment, wo sich entkristallisiert, was schon immer für unwandelbar gehalten wurde. Der Moment, wo diese Grenzen zuerst produktiv, dann reflexiv und schließlich verwerfbar werden. Ein Pochen, irgendwo tief drinnen, wummert in undurchschaubarem Takt, und schnürt die eigene Kehle zu. Die Angst erwischt zu werden, die Angst rehabilitiert zu werden. Die Angst die eigene, kaputte Seele wieder auf dem rechten Weg zu sehen. Das Aufkratzen von Oberflächen, das Durchdringen von meta-musikalischer Kopflastigkeit kann in einem solchen Moment mehr als nur Welten zum Verschwinden und Wiederauferstehen bringen. Eine nervös kratzende Geige verformt einen Walzer, der an seiner intensivsten Stelle, an seinem Höhepunkt die Indie-Disco neu erfindet. Warum ein Traum was anderes ist als eine Lüge, und zwar was gänzlich anderes, steht dann hier zur Debatte: »Is it a dream? Is it a lie? I think I'll let you decide.« An wieder einer anderen Stelle liegt auch die Antwort begraben auf den Rezeptionsoverkill, um den es hier geht: »They say a watched pot won't ever boil.« Na? Nichts Neues? Dann weiter…

»You can't raise a baby on motor oil, just like a seed down in the soil you gotta give it time.« singen The Arcade Fire in »Neighborhood #4 (7 Kettles)«, dem vielleicht berührendsten Song von »Funeral«. Und würden es die Lyrics dieses Albums nicht an sich schon verdienen einfach unkommentiert abgedruckt zu werden, wäre es auch enorm vermessen hier die analytische Erklärungs-Glocke zu läuten. Genau das wurde aber mit »Funeral« gemacht, mit all den David Bowie-Storys, Instrumentierungsbeschreibungen und Referenzhöllen (wobei hier angemerkt sei, dass eine nicht nur geographisch nahe liegende Verwandtschaft zu einer anderen großen, kanadisch-vielköpfigen Platte des letzten Jahres eigentlich hierzulande nirgendwo erwähnt wurde). »Funeral« erweckte den Drang, darüber zu reden, die Umstände zu erkennen, zu verstehen, warum diese Geschichten um den Tod der Familienmitglieder der Band den Namen »Funeral« auf ein Album heftete, dass niemals einer Beerdigung gleich kommen konnte. Alter Hut im Pop-Journalismus? Meinetwegen. Heißt aber nicht, dass da kein Komma dahinter stehen kann.

»Funeral« ist die Theorie einer Theorie einer Indierock-Platte. Es ist bei »In The Back Seat« so weit weg von Björk, wie in »Neighborhood #3 (Power Out)« von New Order. Es schmilzt in »Une Anneé Sans Lumière« den Eiskasten der Wiener Staatsoper, wo vorher »Crown Of Love« den beschriebenen Walzer-Disco-Bruch vollführt hat. Es denkt jeden Song um die eigene Ecke, und wenn es mehrere sind, fangen sie an vor dem symbolischen Feuer in der Nachbarschaft zu tanzen. Es rehabilitiert sich selbst mit jeder Minute und heilt die Wunden, die allein schon die Pressung dieser Musik auf schwarze und silberne kreisrunde Scheiben geschaffen hat. »Das Gefühl« und »das Pathos« sind dann die einfachsten Ankerpunkte, um »Funeral« an Land zu ziehen. Dass aber eine Platte wie »Funeral« die seltene Kraft hat, genau diese Begriffe im eigenen Struktur-Dschungel neu zu kontextualisieren, ist eben der Punkt, wo es sich jeder Beschreibung entziehen muss.

»My eyes are covered by the hands of my unborn kids, but my heart keeps watchin' through the skin of my eyelids.« Das ist dann der günstige Moment, wo dieser Dschungel den Widerspruch endlich akzeptieren muss. Und der Widerspruch heißt hier eben nicht »Sie können uns alles nehmen, aber nicht das Pathos.« (F. Ostermayer), sondern eher »And if the snow buries my neighborhood, and if my parents are crying, then I'll dig a tunnel from my window to yours.« Der Schnee, die Nachbarschaft, die Tunnel und der erste Hund im Weltall. Fass das alles zusammen und setze ein Komma dahinter. The Arcade Fire,

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