Samstag, 14. Mai 2005

Lou Barlow – 11. 5. 2005


»It’s my revival …« sang er als erste Zeile. Lou Barlow, Lo-Fi-Rock-Legende und Songwriter-Genie, gastierte vor einer gut gefüllten Szene Wien und eroberte die Herzen im Sturm. Ein Sympathie-Magnet ohne Wenn und Aber.

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Was soll man zur Geschichte Lou Barlows sagen? Was kann einen Menschen beschreiben, der seit Mitte der 80er den Indie-Rock mitdefiniert hat und damit ein Songbook ausgearbeitet hat, das ungefähr auf jeder zweiten heute erschienenen gitarrenlastigen Popplatte unterschwellig mitzitiert wird? Die Aura, die dieser junge Kerl mit sich herumträgt, ist derartig angereicherter durch die Bands, durch die er bisher ging, dass er solo fast ein wenig beängstigend klein wirkt. Kann er das alleine überhaupt bringen? Kann er ohne Band überhaupt Songs machen?

Als Dinosaur Jr.-Bassist steigt er aus, als sie ihm zu groß wurden, gründet unzählige kleine Projekte, von denen aber nur eines wirklich Erfolg einheimst: Sebadoh. Neben Pavement die einzigen, die wirklich im jungshaft-wirrköpfigen Diktat des Indierocks der 90er innehalten. Das ist jene Lo-Fi-Schiene, die doch um 90 Grad dem damaligen Grunge-Bombast entgegenstand. Jene Songs, die die Hardcore-Schule überwinden konnten, ohne ihr weh zu tun. Mit »Gimme Indie Rock« proklamieren Sebadoh und ein wütender Lou Barlow 1992 den Namen der Stilrichtung, die von da an ohne sie nicht auskommen wird können. Gerade Barlows Songwriting sticht auf den Sebadoh-Platten hervor, liefert Song-Perlen allererster Güte und in ihrem reduktionistischen Rock-Verständnis die beste Heilkur gegen die ausufernden Rock-Utopien dieser Tage. Das Album »Harmacy« von 1996 bringt den (auch finanziellen) Höhepunkt dieser Karriere, vereint Krach und Emo, HC und Grunge unter eine Schöpfungsgeschichte jugendlichen Irrsinns und strahlt seitdem am Firmament des Rocks in einer kleinen, aber feinen Nische der besten Platten, die zu wenig erreichen wollten damals, und dadurch »Nevermind« nicht aushebeln konnten.

Das Abflauen von Sebadoh passiert mit dem heftig kritisierten letzten, selbstbetitelten Album von 1999, von dem eigentlich niemand mehr so richtig etwas wissen wollte, weil Barlow jetzt andere Zugpferde hatte: The Folk Implosion. Andere Formation, anderer Stil, andere Songs. Die Folk Implosion wird schlagartig berühmt durch den Soundtrack zu »Kids« und der Single »Natural One«. Bis 1999, dem Ende von Sebadoh, hat sich auch diese Formation zur Hochblüte heraufgespielt. Das Folk Implosion-Album »One Part Lullaby« ist das invertierte »Harmacy« mit drei Jahren Verspätung. HipHop mit Folk, Gainsbourg-Samples mit Barlowscher Ohrwurmqualität, schlicht: wieder ein Meisterwerk.

Und was macht Barlow seither? Ein Folk Implosion-Restart (»The New Folk Implosion«) misslingt, letztes Jahr dann eine Sebadoh-Tour zum feierlichen Domino-10-Jahres-Jubiläum. Immerhin waren Sebadoh der erste Act, den dieses fantastische Label gesignt hat. Heuer sollen Dinosaur Jr. auch wieder in alter Formation auf der Bühne stehen, also Revival pur. Lou Barlow steht verschmitzt in der Ecke und bringt sein erstes Solo-Album raus: »Emoh«. Die Tour dazu bestreitet er alleine, ohne Begleitband, und der Publikumsbereich ist bestuhlt. Eigentlich unfassbar, wenn man sich zurückerinnert, mit welcher Wut dieser ehemalige HC-Recke noch vor 15 Jahren herumgebrüllt hat. Jetzt sitzen wir gespannt vor ihm und er hat eine Menge Erwartungen zu erfüllen.

Der Abend ist von Anfang an magisch, Barlow ist ein selten sympathischer Wirrkopf, erfüllt jedes Klischee des genial-tollpatschigen Jungen von nebenan. Sein rein akustisches Set ist eine Sammlung von Songs, die alle Bright Eyes dieser Welt ins Hinterstübchen verweisen. Sein Charme und sein Witz, sein verzweifelter Versuch Deutsch zu reden, sind unwiderstehliche Aufforderungen, ihn anzulächeln. Er erzählt Geschichten, die sehr kurz und prägnant Universen erschaffen, er singt vom biologischen Vater von Jesus (»I know, it’s a quite radical concept…«) und wie heiß er die »crazy Mary« wohl fand, und ist dabei aber so unschuldig wie nur irgend möglich. Er stolpert über die Songs und Melodien, lässt sie vorbeischwirren, und Peinlichkeit ist eine seiner größten Tugenden. Herzzerreißende Geschichten über seine »Day Kitty« leiten einen noch herzzerreißenderen Song ein, und Barlow macht unverschämt sympathisch Werbung für »Emoh«. Dauernd, nach fast jedem Song hält er vertrottelt das Album hoch, sagt an, welchen Track er jetzt spielen wird, versucht auf Deutsch den Preis herauszukriegen und wenn es mal peinliche Momente der Stille gibt, zuckt der die Schultern und das Publikum ist dabei wieder voll auf seiner Seite. Lou Barlow ist ein mitunter großartiger Entertainer, der das Publikum nicht aus seinem Bann entlässt.

Dass besagtes Publikum gerne ein paar Sebadoh-Songs gehört hätte, versteht er. »Brand New Love«, eine Single aus Sebadoh-Urzeiten wie das angesprochene »Gimme Indie Rock«, erfüllt in der rein akustischen Fassung alle Kriterien eines nicht zu überbietenden Ohrwurm-Popsongs, der zum Weinen und Lachen, Tanzen und Schluchzen bringt. »Soul And Fire« ist mit seinen 12 Jahren auch ein Song, der einiges durchgemacht hat, und trotzdem bei Barlows Vortrag frisch wie von vorgestern wirkt. »Beauty Of The Ride« von der »Harmacy« ist auch ohne Schlagzeug, Bass und Distortion ein Meilenstein der 90er, und sogar das von allen verschmähte letzte Sebadoh-Album wird auf meinen Wunsch hin mit »Love Is Stronger«, einem der meiner Meinung nach schönsten Barlow-Songs, vertreten.

Wenn man sich diese ganze Revival-Chose in der letzten Zeit anschaut, dann hat Lou Barlow den mit Abstand besten Wurf gemacht. Vielleicht weil er einfach noch immer am Bühnenrand seine CDs selbst verkauft. Vielleicht weil er einfach noch immer einer der größten Songwriter dieses Planeten ist. Vielleicht aber auch nur weil er jung geblieben ist, mit seinen 39 Jahren. Gratulation, Lou. Und weiter so!

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