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Missionarsstellung


»Stealing Beauty« (IT/FR/UK 1996, Bernardo Bertolucci)
DVD

stealing_beauty

Als letztes Jahr »The Dreamers«, Bertoluccis aktuellster Film, herauskam, war ich hin- und hergerissen: Ja, natürlich, schön gefilmt, okaye bis gute Darsteller, auch klar. Aber. Der Mehwert des Films war mit dem einer durchschnittliche McDonalds-Abspeisung zu vergleichen. Erst fühlt man sich moderat befriedigt, dann merkt man, dass man immer noch Hunger hat bevor dann schließlich an die Stelle des Hungers eine sachte Übelkeit zu Tage tritt.

»Stealing Beauty« hat dasselbe Problem. Stetig kämpfen Darsteller und Landschaft verbissen um die Aufmerksamkeit des Zuschauers, das Leichte weicht dem Hau-Ruck-Gewolltem. Dabei ist natürlich auch hier wieder alles perfekt ausgeleuchtet, ausgestattet, geschminkt und gefilmt (Kamera: Darius Khondji). Allein: Die Geschichte schafft es nicht ein einziges Mal zu fesseln oder doch zumindest Aufmerksamkeit zu erregen.

Wobei die Idee schon etwas für sich hat. Das Motiv des In-die-Welt-hinausziehenden-Mädchens wird hier invertiert, von Amerika nach Italien zieht sie, nicht jedoch nach Rom, nein, in die behagliche kleine Welt der Toskana, wo Sozialkitsch noch als fortschrittlich gedeutet werden darf. Das ließe Platz für Reflektionen über »Drinnen und Draußen«, »Stadt und Land«, »Kindheit und Adoleszenz«. Das alles interessiert Bertolucci aber nicht. Er begnügt sich damit, rein ästhetisch zu wirken, die Geschichte läuft so nebenher und konsequenterweise hätte man sie auch gleich ganz weglassen können. Das hätte dem Film zumindest dieses Angestrengte genommen. So aber verliert er sich in der Diskrepanz von Story und Bildern.

Natürlich wird das alles von einer mehr oder minder sublim angedeuteten Erotik unterlegt, was bei Bertolucci nicht weiter verwundert. Man wird den Gedanken nicht los, einer Lolita-Variante eines lüsternen alten Mannes beizuwohnen. War die Sexualität im »Letzten Tango in Paris« noch eine ungestüme, rohe, eine in der sich Geschichte und Leben gleichsam wiederspiegeln, entspricht sie hier einer Weichzeichner-Erotik ohne jeglichen Anspruch. Missionarsstellung für ganz Spießige.

Das lässt sich natürlich auch als Kommentar zur `68er-Generation lesen: Ein Haufen alternder Menschen, abgeschnitten von jeder Realität einsam hausend, sich selbst immer wieder bestätigend, um ja nicht darüber nachdenken zu müssen, wer denn nun die Revolution eigentlich gefressen hat. Ein Film für die Toskana-Fraktion, viel drumherum, wenig Substanz.


Infos: IMDB

»Die innere Sicherheit«


»Die innere Sicherheit«(D 2000, Christian Petzold)
TV: BR


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Äußerst ruhig erzählte Geschichte einer Tochter und ihrer Eltern, die nach zwanzig Jahren im Untergrund noch immer auf der Flucht vor der deutschen Justiz sind. Die Worte »RAF« oder »Terrorismus« kommen nicht ein einziges Mal vor, Politik wird nicht verhandelt, Ideologie bricht nur im Verhalten der Eltern gegenüber ihrer Tochter aus der Geschichte hevor. Das ist heute. Da sind die Personen Relikte, die Handlungsweisen nur mehr der tägliche einstudierte Standard, der nicht mehr hinterfragt wird.

In einer hervorragend gefilmten Szene warten die drei an einer Kreuzung darauf, dass die Ampel umspringt. Schwarze Wagen nähern sich aus allen Richtungen. Mit den Autos scheint die Zeit still zu stehen. Klassisches Western-Setting: Die Kontrahenten stehen sich beim Duell gegenüber, taxieren sich. Es fehlt hier nicht viel, und die Szene könnte umkippen, unfreiwillig komisch wirken. Man hält mit den Darstellern die Luft an. Richy Müller schließlich steigt aus, hebt die Arme und ergibt sich. Eine Finte. Die Ampeln waren ausgefallen, das Zusammentreffen an der Kreuzung Zufall. Das Private und das Politische.

Info: IMDB | Presseschau | Interview mit dem Regisseur

Camera gets the blues


»Schultze gets the blues« (D 2004, Michael Schorr)
DVD

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Ein unglaublich langsamer Film mit nur wenig Kamerabewegung. Man wünscht sich die eingefangenen Bilder als Photographien an der Wand, aber irgendwann fangen sie an, artifiziell zu wirken, statisch wie Gemälde. Das ist der zweite Teil des Films, da beginnen die Längen.

Die Geschichte erinnert nicht zuletzt von der Personage her an Ken Loach, die Geschwindigkeit mit der das alles eingfangen wird eher an Jarmuschs »Dead Man«. Alles wirkt elegisch und dadurch büßt der Film gerade in der zweiten Hälfte einiges an Spannung ein. Nach seiner Abreise in die Staaten verliert der Film seine Beziehungen. Die zwei, drei eingeblendeten Szenen mit den Freunden zuhause im Pott wirken da sehr bemüht.

Dennoch kein schlechter Film, ganz im Gegenteil und vermutlich der erste, bei dem das deutsche und das amerikanische Outback, diese Nicht-Orte, sich in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit doch noch so ähneln.

Ich frage mich, was für Rollen Horst Krause, der den Schultze spielt, sonst so bekommt. Ist der überhaupt anders zu besetzen? Dieser Kerl ist tatsächlich unglaublich.

Jetzt bereue ich es, den Film nicht im Kino gesehen zu haben. Diese Bilder, übrigens für einen deutschen Film durchaus erstaunlich auf 35mm gedreht, wirken wohl nur da in der umfassenden Schönheit, die auf dem Fernseher bloß angedeutet wird.


Infos: Film-HP | Presseschau

Everything is illuminated


»Lucifer Rising« (USA/UK/BRD 1972, Kenneth Anger)
TV-Aufzeichnung

lucifer_rising

Einer von Angers obskuren Kurzfilmen. Gleich zu Anfang minutenlanges Filmen von Naturgewalten: Lava, Wasser, Feuer. Der Teufel aus der Asche. Das ist natürlich eine höchst katholische Vorstellung des Teufels: Luzifer als der Natur innewohnendes Böses, somit in uns, nichts, was man austreiben könnte. (Angers Ego versagt es ihm natürlich auch nicht, höchstselbst den Beelzebub zu geben, klar.) Wir wohnen der Geburt einer Echse bei, freudig (lustvoll?) beobachtet von einer nur spärlich bekleideten Cleopatra-Figur. Wie bei allen (Kurz-)Filmen Angers wird Symbolik natürlich auch hier mittels Zaunpfahl vermittelt. Er experimentiert hier mit einer Technik, für die David Fincher bei »Fight Club« gefeiert wurde, als sei das eine völlig neue Idee: Anger montiert wenige 24stel-Bilder, länger aber als in »FC«. Außerdem Farbverfremdungen, Bilder einer Wäremekamera, extrem bescheuerte Kostüme – natürlich alles auf die Farbe Rot und die Sagenwelt Ägyptens ausgerichtet.

Dieser Film täuscht eine Handlung nur vor. Er windet sich um einen Erzählstrang, der eigentlich nicht existiert. Die Bilder wirken disparat, zusammenhanglos, notdürftig an einer Kette von fragwürdiger Mysthik aufgehangen, tropfend vor religiösem Kitsch. Die New-Age-Musik wurde im übrigen von Bobby Beausoleil, seines Zeichens an den Morden Charles Mansons beteiligt, im Gefängnis komponiert. Da wächst zusammen, was zusammen gehört. Ein Film, wie er in seiner Fiebertraum-Haftigkeit nur unter Drogen gedreht werden konnte. Dass Mick Jagger und Marianne Faithful hier ihre Finger im Spiel haben, ist da nur noch ein überflüssiges Indiz. Zum Schluß dann noch ein paar unmotiviert ins Bild montierte UFOs – fertig ist die göttliche Erfüllung. Alles ist erleuchtet, herrgott!


Infos: IMDB | Senses of Cinema

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