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Keep it in the family


»Die Blume des Bösen« (La Fleur du mal) (FR 2003, Claude Chabrol)
Kino
»Die Bourgeoisie hat die Kohle und den Einfluss. Allein deshalb muss man sich mit ihr beschäftigen. Davon abgesehen habe ich gar nichts gegen bourgeoise Menschen. Sie sind ordentlich gekleidet, sauber, und man kann sich mit ihnen unterhalten.« – Claude Chabrol im Interview mit Katja Nicodemus, 2003

»Wir leben doch schon seit Jahren wie Heuchler« – »Seit Menschengedenken leben die meisten wie Heuchler. Tja, sowas nennt man ›Zivilisation‹« – Tante Line im Gespräch mit François

Hat Claude Chabrol nicht doch ein wenig seinen Frieden mit dem Bürgertum gemacht? Die bourgeoisen Verhältnisse, die er einst zu sezieren sich auf die Fahnen geschrieben hatte, sind mit ihm gealtert und brüchig geworden. Auch wenn das in Frankreich nicht in dem Maße wie hierzulande zutrifft: In Zeiten von Globalisierung, neuen vernetzten Grasroots-Bewegungen und politisch-ideologischer Diversifikation allenthalben ist das alte Feindbild – aus dem auch Chabrol selbst entstammt – nicht mehr so klar erkennbar. Das und eine gewisse Altersmilde kennzeichnen seinen einundfünfzigsten Film.

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»Die Blume des Bösen« ist ein Familienporträt. Der Sohn François (Benoît Magimel, bekannt aus Hanekes »Die Klavierspielerin«) kehrt nach Jahren aus Amerika in seine gutbürgerliche französische Familie zurück, in der alles seinen geregelten Lauf zu nehmen scheint. Während François’ Stiefmutter Anne Bürgermeisterin werden will und sich inmitten des Wahlkampfs befindet, der Vater Gérard eine Apotheke im Stil eines amerikanischen Konsumtempels führt und die Cousine Michèle ihr Psychologiestudium gerade aufgenommen hat, hält zu Hause Tante Line mit großmütterlicher Verve die Familie zusammen. Nichts Neues im Kapitalismus also; bis ein diffamierendes Flugblatt die Familie erschüttert. Inzest und Mord werden ihr vorgeworfen, gar Nazi-Kollaborateure sollen sich im Ahnenstamm finden. Mit und mit offenbaren sich die blinden Flecken der Familiengeschichte, das Unterschlagene. Nichts Neues im Chabrol’schen Kapitalismus also.
»Zeit existiert nicht. Sie ist eine immerwährende Gegenwart.« – Tante Line
Aber wie er das alles erzählt! Mit dieser grausamen Leichtigkeit, mit diesen Bildern, die so ausgelesen schön scheinen wie das Anwesen der Familie, dabei aber gleichzeitig immer alle Schuld in sich tragen, mit diesen Farben und dem Licht, das gleichzeitig verbirgt und offenlegt – das kann man Chabrol bei allem Hang zur redundanten Wiederholung nicht ernsthaft übel nehmen. Genau wie man nicht allen Figuren ihre Schuld anrechnen will, man hätte gerne eine Oma wie Line, gegen ein leicht inzestuöses Verhältnis hätte man auch nichts, sähe die Cousine doch nur so aus wie Michèle. Alles wunderschöne Blumen des Bösen. Allein der Vater scheint das Unkraut zu sein, so wie er seine Frau betrügt.

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Chabrol zeichnet in »Die Blume des Bösen« die Familie als Spiegelbild der Politik. Ebenso wie in den ermüdenden realpolitischen Prozessen ist die Familie als Institution und Schlachtfeld gezeichnet von Paktieren und Fraktionsbildung. Ob der Feind in der eigenen Familie oder der opponierenden Partei sitzt – wer vermag das schon zu sagen? So ist es nur folgerichtig, wenn Anne den Gegenkandidaten als Verfasser der verleumdenden Flugblätter vermutet, dieser sich natürlich dagegen verwehrt und darauf hinweist, man säße doch »im gleichen Boot« und gleichzeitig anderenorts der Verdacht die Runde macht, Gérard sei Verfasser der Flugblätter. Chabrol lässt dieses Geheimnis ungelüftet. Warum auch nicht? Dass hier jeder Dreck am Stecken hat und gleichzeitig doch so eine Art morbiden Gangstercharme aufweist, ist nicht übersehbar. Letztendlich werden sich alle in dem Flugblatt erhobenen Vorwürfe als wahr herausstellen und das ist ja auch genug des Bourgeoisie-Bashings. Man will es ja nicht übertreiben.


Info: IMDB | Offizielle Seite des Films

Deconstructing Hitch


»Psycho« (USA 1998, Gus Van Sant)
TV: VOX


Gus Van Sants Remake des Hitchcock-Klassikers »Psycho« ist eines im Wortsinne: Ein Wieder-Machen nichts als Aufgreifen von Story-Elementen sondern als take-for-take-Umsetzung des Originals.

Bereits in den ersten Bildern, schon während des Vorspanns ist klar, dass etwas nicht stimmt, weil alles übereinstimmt: Die horizontalen und vertikalen Linien, die lakonische Datums- und Uhranzeige, die Kamerafahrt über der Stadt und durch das Fenster hinein ins Zimmer, schließlich Marion Crane auf dem Bett.

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»Warum das alles?«, haben sich wohl die meisten Zuschauer und Kritiker gefragt, wie man an den niedrigen Einspielzahlen auf der einen und den vernichtenden Kritiken auf der anderen Seite ablesen kann. »Warum will Van Sant eine öde Kopie abliefern?« Gegenfrage: Ist das überhaupt eine Kopie? Oder nicht doch bloß ein zitierendes Original?

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* * *

Es spricht einiges dafür, dass ein paar Filme sich ihren eigenen Thron geschaffen haben und das so offensichtlich, dass entweder niemand ein Remake wagen würde (»2001 – Odyssee im Weltraum« zum Beispiel) oder aber dieses Remake aufgrund seiner bemitleidenswerten Lächerlichkeit beim Publikum floppt. Das liegt an den Mythen, die diese Filme aus sich heraus produziert haben und die als kulturelle Artefakte bisweilen losgelöst von ihrem Ursprung im gesellschaftlichen Kollektivgedächtnis weiterleben: Jeder kennt den Monolithen aus »2001«, jedenfalls sicherlich mehr als »2001« selber. Das satanisch verzerrte Gesicht Jack Nicholsons ist uns von Tausenden Photos, Postern, Filmausschnitten eingebrannt worden – »Shining« wird nicht so bekannt sein wie diese Fratze. So steht es auch mit »Psycho«: Niemand, der nicht sofort an den Schatten eines Messers dächte, an einen heruntergerissenen Duschvorhang, an das immer schneller kreiselnde Blut im Abfluß der Dusche. Dieser Argumentation folgend ist ein Remake eines solchen epochemachenden und für das Genre paradigmtischen Über-Films wie »Psycho« schlichtweg nicht möglich.

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Gus Van Sant wählt deshalb einen anderen Weg: Er dekonstruiert »Psycho«. Sich gar nicht mehr der Illusion hingebend, etwas Neues erzählen zu können (weil eben »Psycho« bereits so manifest im Kollektivgedächtnis verzahnt und verankert ist) wirft er sich mit aller mimetischen Kraft gegen das Original und zersplittert es in seine einzelnen Bilder und Codes – freilich ohne, dass das Original ernsthaften Schaden nähme. So (und nur so?) funktioniert dieses Remake: als Kommentar, nicht als Erzählung sondern als Erzählung über eine Erzählung, als dokumentiernde (nicht dokumentarische) Fiktion.

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Die schönsten Widersprüche ergeben sich dabei aus der Diskrepanz zwischen den heutigen Darstellern und den 50er/60er-Jahre-Settings wie den Kostümen und Bauten. Van Sant ist nicht gescheitert, weil das Scheitern in diesem Experiment bereits als Vorraussetzung für sein Gelingen angelegt ist. Er versucht gar nicht erst, das zu verschleiern. So direkt zu Beginn, wenn das Datum mit 1998 angegeben wird, so auch in der Mordszene, die Van Sant mit einigen surrealistischen Bildern ergänzt.

* * *

Van Sant wird einen Heidenspass gehabt haben als er diesen Film den Studios vorstellte. Dass irgendjemand tatsächlich auf einen selbst nur marginalen Profit gewettet haben könnte erscheint so absurd wie Van Sants Experiment charmant. Als Horrorfilm scheitert dieses Remake, als Allegorie auf und Kommentar zu einem der größten Filme des Horrorgenres gibt es wohl kein besseres.


Info: IMDB: Psycho (1960) | IMDB: Psycho (1998) | Die Bilder zeigen ein Screening des Original-Films, leider undatiert [zur Quelle s. auch Kommentare]

Der Fremde


»Der Fremde« (Lo Straniero) (IT 1967, Luchino Visconti)

»Ich will Deine Gebete nicht. Du siehst so sicher aus, so selbstbewußt, doch im Grunde ist nichts von dem, was Du Sicherheit nennst, auch nur ein Frauenhaar wert. Du bist Dir Deines Lebens ja gar nicht bewußt, weil Du wie ein Toter lebst. Ich weiß, ich weiß, ich stehe jetzt mit leeren Händen da, doch ich bin wenigstens meiner sicher – so sicher wie nie, sicher meines Lebens und des Todes, der mich erwartet. Ich habe sonst nichts, das ist alles, aber damit besitze ich doch wenigstens die Wahrheit. Was kümmert mich der Tod der Anderen oder die Liebe meiner Mutter? was geht mich Dein Gott an?«

– Arthur Meursault (M. Mastroiani) in Viscontis »Lo Straniero«, nach Albert Camus

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* * *

»Ich fing an zu toben und beschimpfte ihn und sagte, er solle nicht beten. Ich hatte ihn beim Kragen seiner Soutane gepackt. Was ich auf dem Herzen hatte, goß ich freudig und zornig über ihn aus. Er sehe so sicher aus, nicht wahr? Und doch sei keine seiner Gewißheiten ein Frauenhaar wert. Er sei nicht einmal seines Lebens gewiß, denn er lebe wie ein Toter. Es sehe so aus, als stünde ich mit leeren Händen da. Aber ich sei meiner sicher, sei aller Dinge sicher, sicherer als er, sicher meines Lebens und meines Todes, der mich erwarte. Ja, nur das hätte ich. Aber ich besäße wenigstens diese Wahrheit, wie sie mich besäße. Ich hätte recht gehabt, hätte noch recht und immer wieder recht. Ich hätte so gelebt und hätte auch anders leben können. Ich hätte das eine getan und das andere nicht. Und weiter? Es war, als hätte ich die ganze Zeit über auf diese Minute und auf dieses kleine Morgenrot gewartet, in dem ich gerechtfertigt würde. Nichts, gar nichts sei wichtig, und ich wisse auch warum. Und er wisse ebenfalls warum. Während dieses ganzen absurden Lebens, das ich geführt habe, wehe mich aus der Tiefe meiner Zukunft ein dunkler Atem an, durch die Jahre hindurch, die noch nicht gekommen seien, und dieser Atem mache auf seinem Weg alles gleich, was man mir in den auch nicht wirklicheren Jahren, die ich lebte, vorgeschlagen habe. Was schere mich der Tod der anderen, was die Liebe einer Mutter. Was schere mich Gott, was das Leben, das man sich wählt, das Geschick, das man sich aussucht, da ein einziges Geschick mich aussuchen mußte und mit mir Milliarden von Bevorzugten, die sich wie er meine Brüder nannten!«

– Arthur Meursault in Camus’ »L’Étranger«, übersetzt von Georg Goyert und Hans Georg Brenner

Apocalypse: Unseen


»Wolfzeit« (Le Temps du loup) (FR/AU/D 2003, Michael Haneke)

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Leeere, leblose Städte berühren Urängste. Die Angst, als Letzter übrig geblieben zu sein. Die Angst, dass mit der Menschheit das Menschliche einer diffusen wie endgültigen Leere gewichen ist. In »28 Days Later«, einem zumindest zu Beginn ultra-minimalistischen und die Story dadurch gekonnt wiederspiegelnden Zombie-Film, wird diese Leere programmatisch: Die Zivilisation ausgelöscht. Endzeit und -spiel begegnen sich im Versuch einiger Jugendlicher, andere Überlebende zu finden. Das sind die Codes des (post-)apokalyptischen Films: Die Zerstörung von Zivilisation, die Suche nach ihr und die Verrohung und Tier-Werdung der Überlebenden in einem Stadium das Hobbes mit »Homo homini lupus« umschrieben hat, der Naturzustand. Damit berühren sich an den Rändern dieser Codes der (Anti-)Kriegs- und der apokalyptische Film und kulminieren bei Haneke in einer Brecht´schen Auffasung von der sterbenden Moral im Krieg – wohlgemerkt, ohne dass Brechts Mittel angewendet werden.

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Eine Familie (Mutter und Vater, Tochter und Sohn, eine Familie Jedermann also) fährt zu ihrer kleinen Blockhütte im Wald. Eine Szene, die man bereits aus »Funny Games« kennt und die vielleicht auch deswegen gar nicht mehr den Anschein erwecken muss, alles sei gut. Die ersten Bilder nämlich deuten bereits auf das Unausweichliche hin: Der Wald ist ein dunkler, die Bäume, durch die sich das Auto der Familie schlängelt, bilden in ihrer Abgeschlossenheit bereits die natürliche Gegenmacht zum Menschlichen. Ebenso die Blockhütte: Beinahe agoraphobisch wirkend verschluckt sie die Angekommenen und stellt sich im dunklen Inneren als winziges eineinhalb-Zimmer-Verließ dar. Überhaupt scheint dies kein normaler Wochenendausflug zu sein. Zu umfangreich ist das Gepäck der Familie und einen Vogel mitsamt Käfig führt man bei Ausflügen nur selten mit sich. Die Ahnung bewahrheitet sich: Kaum eingetreten, sieht sich die Familie mit Eindringlingen konfrontiert, einer weiteren Familie, die anscheinend in der Hütte Zuflucht gesucht hat. Bald eskaliert die Situation, der Vater wird erschossen, der Rest der Familie in die Nacht entlassen.

Der bellum omnium contra omnes ist eröffnet.

La Mala Educación


»La Mala Educación – Schlechte Erziehung« (SP 2004, Pedro Almodóvar)
Kino

Der aktuelle Almodóvar liess mich mit einem großen Fragezeichen im Gesicht aus dem Kino kommen. »La Mala Educación« (Handlung) ist entgegen der Beteuerungen nahezu jeder von mir gelesenen Kritik natürlich nicht nur ein Film ausschließlich über Männer. Es geht auch um Geschlechtszuschreibungen, um »Tunten«, die nicht einfach nur Männer in Frauenklamotten sind. Nach wie vor scheinen in den Köpfen einiger Kritiker Frauenklamotten an Männerkörpern immer nur Verkleidungen zu sein, die »Verkleideten« selbst sich nur noch nicht entschieden zu haben. Warum wird es keinem zugestanden, sich eben dafür zu entscheiden, nicht als Substitution, sondern als Ausdruck? Arroganz?

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Schön, wie Almodóvar die Geschlechtszuschreibungen dann auf ein Genre, das des Film Noir, projeziert und damit ein überaus reaktionäres Genre (neben dem Western vielleicht) überhöht und persifliert. Der Film Noir lebt von drei Dingen: einer starken, schönen, mystifizierten Frau, einem heruntergekommenen, durch geschickte Erzählung dem Zuschauer aber symphatischen (wenn stets auch gebrochenen) »Helden« und der Erzählung an sich, die sich mindestens so virtuos-verschlängelt zu inszenieren hat wie der weibliche Part des Films. All das sind auch die Bestandteile Almodóvars neuen Films – allein die Geschlechtszuschreibungen fallen hier ein wenig anders aus.

Da ist diese eigentlich tieftraurige, äußerst sensible Szene, in der der Klosterschüler seinem Pater »Moon River« vorsingen muss, während jener ihn auf der Gitarre begleitet. Er tut dies mit einer kindlichen Beiläufigkeit, fast abgelenkt mit routinierter Qualität und der dünnen hohen Stimme eines Kindes, dessen Stimmbruch noch auf sich warten lässt. Während er also singt, die Farbe, die Personenkonstellationen innerhalb der Szene, die Inszenierung von ihm und disparat des Paters bereits alles auf den (nur in seinen Auswirkungen gezeigten) Missbrauch hindeutet … wird gelacht. Gelacht aufgrund der peinlich hohen Stimme des Jungen, die anscheinend wohl schon klar macht: »Okay, Tunte, zumindest aber schwul«. Das ist dumm. Verdammt sogar.

Zuckende Erregung


»Shivers« (a.k.a. »The Parasite Murders«) (CAN 1975, David Cronenberg)
TV-Aufzeichnung

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Die Schönheit wird konvulsiv sein oder nicht sein.
– André Breton, »Nadja«

»Shivers« ist Cronenbergs erster Langfilm. Und bereits hier sind die Themen und Motive seiner Filme paradigmatisch angelegt: Körper, Geist, mechanische Manipulation, Eindringen, Sexualität, Psychoanalyse. Der Plot ist schnell erzählt: Ein von einem Wissenschaftler gezüchteter Parasit treibt in einem Luxus-Wohnhblock seine bösen Spielchen mit den Bewohnern. Er dringt in ihre Körper ein und infiziert sie mit ungezügelter Lust, nein, Geilheit.

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Der Parasit, der hier durchaus Gestalt annimmt und nicht nur als bloße Auswölbung der Haut gezeigt wird (ein Symbol, das von unzähligen Filmen genutzt wird, bis hin zu »The X Files«, wo es schon fast als Running Gag funktionierte) erinnert auf der einen Seite an Kot. Auf der anderen Seite wirkt er phallisch nicht zuletzt aufgrund seiner Funktion als Eindringling und als zuckendes, erigiertes Monstrum. Wie in vielen Zombie-Filmen ist das Infizieren auch hier oft begleitet von Lust. Durch intensive Küsse verbreitet sich der Parasit am besten.

Psychoanalytisch gedeutet erinnert das Verhalten der »Befallenen« an die anale Phase. Das Spielen mit dem Parasiten (also: dem Kot), der – obschon einem innewohnend – durchaus noch als externe Bedrohung angesehen wird, dient laut Freud dem Einüben von Halten und Loslassen. Folglich spiegelt sich hier das Verhältnis von Lust bzw. Geist und der »Beherrschung des Schließmuskels« in dem Lustempfinden der Infizierten und dem Versuch, den Parasiten zu entfernen, wie es der Wissenschaftler zu Beginn des Filmes vorführt. Ich gehe dabei davon aus, der Wissenschaftler dient hier als Personifizierung von Geist im Sinne der Vernunft und damit einhergehend als Verleugnung des irrealen Moments der Lust. Man kann also bereits zu Beginn bemerken, dass es Cronenberg hier nicht ausschließlich auf die Verteufelung des Parasiten (der Lust) ankommt. Stets legt er widersprüchliche Elemente an: Der Wissenschaftler (als reiner Geist körperlos oder doch zumindest entsexualisiert) zeigt am meisten von seinem Körper (und damit von seiner Lust), wenn er die Bauchdecke einer Frau aufschneidet um den Parasiten zu entfernen und sich anschließend umzubringen. Der Parasit, auch dem Zuschauer als etwas präsentiert, vor dem man Angst haben sollte, erscheint am Ende je nach Lesart als Heilsbringer der Menschheit oder als Grundstock der Apokalypse.

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P.S.: Der erwähnte Wissenschaftler erinnert so frappant an Fernando Rey, dass es bestimmt interessant wäre, zu untersuchen, ob hier irgendwelche Buñuel-Filme zitiert werden.

Infos: IMDB | Stills | Salon.com zu Cronenberg und seinen Filmen

Überflüssige weiße Männer. Ein paar Gedanken


»Falling Down« (USA 1993, Joel Schumacher)
DVD

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Der Beginn: Ein Zitat aus Fellinis »8 1/2«. Der Werksausweis hinter der Scheibe: abgelaufen. Der Schweiß auf der Stirn: rinnend. Die Kleidung: Biedermann. Die Flagge: Amerika. Das Chaos: Im Kopf und drumherum. Das Nummernschild: Ironie in Wartestellung. Die Eröffnungssequenz beinhaltet bereits alle Motive, die sich duch den Film durchziehen werden.

»Falling Down« handelt von einem, der keinen Ausweg mehr sieht. Anders als Lester Burnham in »American Beauty« ist der namenlose D-Fens nicht mehr in der Lage zu entscheiden. Er wird getrieben. Durch die Straßen, die Ghettos, einem Weg folgend, der vorgezeichnet scheint. Es liegt nicht mehr in seiner Hand. D-Fens ist gleich einer Hülle, die nichts mehr zu verbergen imstande ist. Die Leere in ihr spiegelt sich in den verlassenen Gegenden wieder, in denen D-Fens unterwegs ist. Trifft er doch mal auf Menschen, sind diese stets nur Feinde.

Ein Freund erzählte mir, die negativen Filmkritiken in den USA seien geprägt gewesen von Rassismus-Vorwürfen. Die Gewalt gegen Schwarze, Latinos und Asiaten im Film sei Ausdruck einer weißen Ideologie. Mal abgesehen von der leidigen Vermischung von Autor, Text und Subtext, soviel zumindest stimmt: D-Fens ist ein Weißer, sozial angesiedelt zwischen Mittelschicht und White Trash. Bei genauerer Betrachtung richtet sich die von ihm ausgehende Gewalt aber nicht vor allem gegen Schwarze und Latinos, sondern hauptsächlich gegen die Unterschicht, in die er abzurutschen droht. Das fehlende soziale Netz, seine Arbeitslosigkeit, der Verlust von Frau und Kind macht ihn überflüssig und damit zu einer tickenden Bombe ähnlich wie ein anderer tragischer Auswegloser: Travis Bickle.

Ja, D-Fens ist ein Rassist, das ist aber nicht sein Motiv. D-Fens ist gekennzeichnet durch den »ganz normalen« Rassismus (und übrigens auch: Sexismus) eines minderpriveligierten poor white male, der Ventile für seine Wut sucht. Und er ist durch und durch unpolitisch. Gerade in Szenen, die eigentlich politisch aufgeladen sind, zeigt sich das. D-Fens schwadroniert über Politik und Partriotismus (die Nation als »Wir«) ohne genau zu wissen, was vor sich geht. Genau genommen ist D-Fens ein »white nigga«, so wie ihn Darius James in seinen Texten zeichnet, charakterisiert vor allem durch Negation, durch das Fehlen von als gut deklarierten Eigenschaften wie Arbeit und Familie. Er selber sieht sich als überflüssig an. Wozu bin ich noch nützlich, was kann ich denn schon sein? D-Fens als ein sich selbst Entfremdeter.

Die Spiegelung in seinem Gegenpart: Pendergast (Robert Duvall), der ihn verfolgende und kurz vor seiner Pensionierung stehende Cop. Es gehts ums Heimkommen. Genau wie Pendergast aber erwartet auch D-Fens keine "Heimat" sondern bloß die übriggebliebenen Bruchstücke dessen, was zuvor Geborgenheit bedeutete. Der Film zeigt in seinen beiden Hauptpersonen Pendergast und D-Fens zwei Wege, mit einem zerstörten Leben umzugehen. Resignation herrscht auf beiden Seiten. Doch warum dreht der eine durch, während der andere sich in sich selbst zurückzieht und unsichtbar für seine Umgebung wird? Der Film hütet sich davor, einfache Antworten zu geben. Das macht ihn so streit- und angreifbar. Meines Erachtens macht genau das ihn aber auch (und erst recht) sehenswert.


Info: IMDB

Freiheit und andere Irrtümer


»Oldboy« (Korea 2003, Chan-wook Park)
Kino

oldboy

Was uns in letzter Zeit aus den asiatischen Ländern an Filmen präsentiert wird, ist der schiere Wahnsinn. Nicht nur die stilistische Brillianz der Plots vieler Filme, auch die Zeichen einer anderen Filmsemantik bereichern die westliche Filmwelt in einer Art und Weise wie sie zuletzt vor hundert Jahren zu Beginn des Kinozeitalters von zunächst Amerika und später Rußland aus bereichert wurde. Dennoch glaube ich liegt man nicht falsch, wenn man zugleich eine verstärkte »Globalisierung« der Filmsprachen und -genres konstatiert. Klassische amerikanische Motivwelten wie die des Film-Noir werden in asiatischen Filmen wie in Ye Lous »Souzhou River« oder auch in vielen Mangas zitiert; umgekehrt hat die genuin asiatische Filmästhetik, die sich noch vor zehn Jahren vor allem in der Setgestaltung und den historischen Anklängen bemerkbar machte, ihren Widerklang in Hollywood längst gefunden. Das aktuellste und offensichtlichste Beispiel dafür ist Tarantinos »Kill Bill«.

Nun also »Oldboy«. Auch dieser Film bedient sich westlicher Motive und Genres. Das klassiche Revenge-Movie (oft dachte ich an Soderberghs »The Limey«) trifft auf den Paranoia- und Verschwörungs-Thriller á la Finchers »The Game«. Auf der anderen Seite eine irrsinnig hochgestapelte Ironie, die sich in Szenen wie der einen niederschlägt, in der die Hauptfigur wie zu seligen Nintendo-Zeiten in zweidmensionaler Ebenen-Ästhetik gegen a bunch of enemies antritt. Dann wieder wird »Pulp Fiction« zitiert, wenn das Bild angehalten wird und eine geometrische Verktorzeichnung auf dem Bild erscheint.

Worum geht es? Dae-su Oh, ein Familienvater, ein Jeder- und Biedermann, wird entführt und 15 Jahre lang in einem Zimmer gefangen gehalten – ohne zu wissen, von wem, warum oder wie lange seine Tortur dauern wird. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt bleibt die ganze Zeit über das Fernsehen. Genauso geheimnisvoll und plötzlich wie seine »Inhaftierung« ist sein Freikommen. Dae-su findet sich auf dem grün bewachsenen Dach eines Hochhauses wieder. Doch der Horror beginnt erst. Bald meldet sich sein Entführer und lässt Dae-su fünf Tage Zeit um herauszufinden, warum er eingesperrt war. Schafft er das, will sich der Entführer umbringen, scheitert Dae-su, wird jede Frau, in die er sich verlieben wird, ermodet werden.

Chan-wook Parks Film ist zutiefst existenzialistisch, alle Personen sind vorbestimmt, ferngesteuert und werden im Laufe des Films immer mehr zu Tieren. So sind die expliziten Gewaltdarstellungen nicht bloßer Selbstzweck und Mittel einer falsch verstandenen »Coolness«, sondern illustrieren eindringlich die Verlorenheit der Figuren. Jeglicher Handlungsoptionen beraubt, finden diese ihre Freiheit nur noch in der Rache. Fragen werden nicht gestellt um beantwortet zu werden, sondern um die Leiden auf dem Weg zu ihrer Beantwortung zu durchleben. Dabei enthält sich Park eindeutiger Gut/Böse-Zuschreibungen gerade dadurch, dass er alle Figuren als Getriebene darstellt. Die Motive des Entführers wie auch des Entführten werden »verständlich«.

Eine schöne Parallele ergibt sich, wen man Dae-sus Leben in der Zelle und dem in der vermeintlichen Freiheit vergleicht. So sehr unterscheiden sie sich nicht: Nimmt er in der Zelle das Leben – und auch ganz explizit historische Eckdaten wie den Tod Prinzessin Dianas – nur als Unbeteiligter durch den Fernseher war und erhofft sich draußen in der Freiheit endlich zum handelnden Subjekt zu werden, erlischt diese Hoffnung sehr bald. Auch hier draußen sind die Geschichten nicht seine, die Freiheit bleibt Trugschluß. Geschichte wird gemacht, wir schauen zu. In einer überaus bemerkenswerten Szene verlangt Dae-su in einem Sushi-Restaurant nach "etwas lebendem". Kurz darauf verschlingt er einen Tintenfisch, dessen Tentakel sich ein letztes Mal aufbäumen, bevor sie ganz veschlungen werden. Wer ist hier das Tier? Auch die Einverleibung von Leben in seiner archaischsten Form wird Dae-su nicht zu dem machen, wonach er sucht. Die Freiheit wird sich letztlich auch in der Rache nicht finden.

In Anlehnung an Marx formuliert Béla Bálazs schon 1924, dass neue Kunst auch neue Formen der Rezeption ermöglicht. Gemeint war damals der Austausch der Filmsprachen Amerikas und Europas und den Einfluß, den das auf unser Zeitalter des Kinos haben wird. Filme wie »Oldboy« sind auf dem besten Weg dahin, eine universale Filmsprache zu entwickeln, die nationale und territoriale Gegebenheiten nur noch als Zitat und nicht mehr als Dogma zulässt. Keine schlechte Aussicht.


Info: IMDB | Filmz.de

»Payback«


»Payback« (USA 1999, Brian Helgeland)
TV: ZDF

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Es passiert leider viel zu selten, dass man von altbekannten Gesichtern überrascht wird. Mel Gibson war in meinem Hirn mit den Schlagworten »Familienvater«, »tragisch-witzig« und »putzig« verlinkt. Stand er in der »Mad Max«-Reihe (die übrigens 2005 fortgesetzt wird) noch für den harten, kompromißlosen und relativ ungebrochenen Helden, verlor sich dieses Image nach und nach in klamaukiger Selbstkarrikatur (»Lethal Weapon«) oder in unfreiwillig komischen Filmen wie »Signs« oder »The Patriot«.

»Payback« nun ist auch Karrikatur und Genreparodie – allerdings überhaupt nicht klamaukig sondern sehr genau beobachtend. Gibson spielt den vornamenlosen Porter, der in seine Heimat zurückkehrt um alles umzulegen, was sich zwischen ihn und den ihm zustehenden 70.000 Dollar stellt. Jahre zuvor hatte sein Gangsterkumpan ihn nach einem Coup niedergeschossen und seinen Anteil des Geldes mitsamt seiner Freundin mitgenommen.

Porter wird vorgestellt als gieriger, bösartiger, jenseits aller Moral agierender Killer. Dass er dann schließlich auf der einen Seite tatsächlich ohne mit der Wimper zu zucken einen nach dem anderen tötet entspricht den Genrekonventionen der Revenge-Action. Dass er aber auf der anderen Seite wirklich nur seine 70.000 Dollar haben will, überhöht diesen Ansatz ins Absurde. Porter will sein Geld, bitte abgezählt und keinen Cent zu viel. Im Laufe des Films ändern sich die Feinde. Seinen alten Kumpan Val erschiesst er und nimmt sich nun das Mafia-Syndikat vor, bei dem er sein Geld vermutet. Val hatte sich mit dem unterschlagenen Geld bei ihnen eingekauft.

Der Regisser Brian Helgeland, der mit »Mystic River« einen beachtlichen Film drehte und bereits mit »L.A. Confidential« auf hohem Niveau am Neo-Neo-Film-Noir scheiterte, kennt die Genres, die er parodiert, sehr genau. Das merkt man jedem Bild und besonders auch dem Score an. Wenn sich in Payback mal etwas außerhalb von Räumen abspielt, sind die Figuren eingekeilt in Straßenschluchten zwischen bedrohlichen Skyscrapern. Porter stellt sich dem Zuschauer natürlich qua Off-Stimme selbst vor. Die Frauen sind schön, rätselhaft und unnahbar. Umwege werden keine gemacht, der Weg führt direkt nach oben, und er ist gepflastert mit Leichen. Sollte Gibson jemals an Lungenkrebs erkranken, dieser Film ist schuld daran. Kurzum: Hier wird alles dafür getan, den echten Film-Noir, den echten Revenge-Thriller nachzustellen. Man merkt, dass hier ein Fan dieser Genres arbeitet und genau deshalb nimmt man ihm die Parodie auch ab.

Info: IMDB

»Rubber Gloves«


»Rubber Gloves« (Australien 2001, Anthony Mullins)
TV-Aufzeichnung

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Jill-Ann, eine zunächst mausgrau erscheinende suburbian, verdient sich ihr Taschengeld als Domina für einen distinguierten, älteren Herrn und versucht ihren ausgefallenen Job mit dem der Hausfrau unter einen Hut zu bekommen. Gar nicht so einfach, wenn der Kunde kommt und eigentlich noch die Wäsche gemacht, gebügelt, gebacken und Termine koordiniert werden sollen.

Der Kurzfilm von Anthony Mullins, der 2001 auf dem Aspen-Filmfest vorgestellt wurde, zeigt uns seine Figuren auf emphatische Art und Weise ohne sie bloßstellen zu wollen. Keine Brüller zieht der Film nach sich sondern ein beständiges Schmunzeln. Er lässt uns zurück mit der Erkenntnis, dass Hausarbeit genauso verrückt ist wie SM-Sessions und mindestens doppelt so gefährlich. Beware of the dangerous housewife!

Info: IMDB

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