Freiheit und andere Irrtümer


»Oldboy« (Korea 2003, Chan-wook Park)
Kino

oldboy

Was uns in letzter Zeit aus den asiatischen Ländern an Filmen präsentiert wird, ist der schiere Wahnsinn. Nicht nur die stilistische Brillianz der Plots vieler Filme, auch die Zeichen einer anderen Filmsemantik bereichern die westliche Filmwelt in einer Art und Weise wie sie zuletzt vor hundert Jahren zu Beginn des Kinozeitalters von zunächst Amerika und später Rußland aus bereichert wurde. Dennoch glaube ich liegt man nicht falsch, wenn man zugleich eine verstärkte »Globalisierung« der Filmsprachen und -genres konstatiert. Klassische amerikanische Motivwelten wie die des Film-Noir werden in asiatischen Filmen wie in Ye Lous »Souzhou River« oder auch in vielen Mangas zitiert; umgekehrt hat die genuin asiatische Filmästhetik, die sich noch vor zehn Jahren vor allem in der Setgestaltung und den historischen Anklängen bemerkbar machte, ihren Widerklang in Hollywood längst gefunden. Das aktuellste und offensichtlichste Beispiel dafür ist Tarantinos »Kill Bill«.

Nun also »Oldboy«. Auch dieser Film bedient sich westlicher Motive und Genres. Das klassiche Revenge-Movie (oft dachte ich an Soderberghs »The Limey«) trifft auf den Paranoia- und Verschwörungs-Thriller á la Finchers »The Game«. Auf der anderen Seite eine irrsinnig hochgestapelte Ironie, die sich in Szenen wie der einen niederschlägt, in der die Hauptfigur wie zu seligen Nintendo-Zeiten in zweidmensionaler Ebenen-Ästhetik gegen a bunch of enemies antritt. Dann wieder wird »Pulp Fiction« zitiert, wenn das Bild angehalten wird und eine geometrische Verktorzeichnung auf dem Bild erscheint.

Worum geht es? Dae-su Oh, ein Familienvater, ein Jeder- und Biedermann, wird entführt und 15 Jahre lang in einem Zimmer gefangen gehalten – ohne zu wissen, von wem, warum oder wie lange seine Tortur dauern wird. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt bleibt die ganze Zeit über das Fernsehen. Genauso geheimnisvoll und plötzlich wie seine »Inhaftierung« ist sein Freikommen. Dae-su findet sich auf dem grün bewachsenen Dach eines Hochhauses wieder. Doch der Horror beginnt erst. Bald meldet sich sein Entführer und lässt Dae-su fünf Tage Zeit um herauszufinden, warum er eingesperrt war. Schafft er das, will sich der Entführer umbringen, scheitert Dae-su, wird jede Frau, in die er sich verlieben wird, ermodet werden.

Chan-wook Parks Film ist zutiefst existenzialistisch, alle Personen sind vorbestimmt, ferngesteuert und werden im Laufe des Films immer mehr zu Tieren. So sind die expliziten Gewaltdarstellungen nicht bloßer Selbstzweck und Mittel einer falsch verstandenen »Coolness«, sondern illustrieren eindringlich die Verlorenheit der Figuren. Jeglicher Handlungsoptionen beraubt, finden diese ihre Freiheit nur noch in der Rache. Fragen werden nicht gestellt um beantwortet zu werden, sondern um die Leiden auf dem Weg zu ihrer Beantwortung zu durchleben. Dabei enthält sich Park eindeutiger Gut/Böse-Zuschreibungen gerade dadurch, dass er alle Figuren als Getriebene darstellt. Die Motive des Entführers wie auch des Entführten werden »verständlich«.

Eine schöne Parallele ergibt sich, wen man Dae-sus Leben in der Zelle und dem in der vermeintlichen Freiheit vergleicht. So sehr unterscheiden sie sich nicht: Nimmt er in der Zelle das Leben – und auch ganz explizit historische Eckdaten wie den Tod Prinzessin Dianas – nur als Unbeteiligter durch den Fernseher war und erhofft sich draußen in der Freiheit endlich zum handelnden Subjekt zu werden, erlischt diese Hoffnung sehr bald. Auch hier draußen sind die Geschichten nicht seine, die Freiheit bleibt Trugschluß. Geschichte wird gemacht, wir schauen zu. In einer überaus bemerkenswerten Szene verlangt Dae-su in einem Sushi-Restaurant nach "etwas lebendem". Kurz darauf verschlingt er einen Tintenfisch, dessen Tentakel sich ein letztes Mal aufbäumen, bevor sie ganz veschlungen werden. Wer ist hier das Tier? Auch die Einverleibung von Leben in seiner archaischsten Form wird Dae-su nicht zu dem machen, wonach er sucht. Die Freiheit wird sich letztlich auch in der Rache nicht finden.

In Anlehnung an Marx formuliert Béla Bálazs schon 1924, dass neue Kunst auch neue Formen der Rezeption ermöglicht. Gemeint war damals der Austausch der Filmsprachen Amerikas und Europas und den Einfluß, den das auf unser Zeitalter des Kinos haben wird. Filme wie »Oldboy« sind auf dem besten Weg dahin, eine universale Filmsprache zu entwickeln, die nationale und territoriale Gegebenheiten nur noch als Zitat und nicht mehr als Dogma zulässt. Keine schlechte Aussicht.


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