Tocotronic Neujahrskonzert zum zweiten
Feinen Menschen muss man geben
was sie wünschen, es ist eben
eine Pflicht.
Nichts ist wichtiger als dies.
– Tocotronic, »Mein Prinz«
Ich gebe zu, ich war skeptisch. Ein Sitzkonzert! In einem Theater! Von einer (inzwischen Zwei-)Gitarren-Band! In den tiefsten Tiefen der etablierten Kultur und den höchsten Höhen ihres POP!verständnisses habe Tocotronic drauf geschissen und ein Konzert gegeben, dass mich schlichtweg umgeworfen hat. Tatsächlich war das mein erstes Konzert, das ich im Sitzen verbracht habe – mal abgesehen von den Festival-Gigs, bei denen man sich irgendwann nicht mehr auf den Beinen halten kann. Zurückblickend fällt es mir auch schwer mich an ein Konzert zu erinnern, dass ich ähnlich konzentriert verfolgt habe.
Die Texte nochmal genau zu hören, nicht unbedingt mitzusingen, aber die Worte innerlich arbeiten zu lassen, schwitzige Handflächen zu bekommen, nicht weil man sich bewegt sondern weil man bewegt ist, nie an das nächste Lied zu denken, immer nur: jetzt! jetzt! jetzt!, der Moment, zusammenzuzucken, wenn die Musik auch nur dafür geschrieben zu sein scheint, Begeisterung über die kleinen Stellen in den Stücken, die scheinbar nur für einen selbst geschrieben wurden und über die, an die man immer zurückdenken muss, wenn nur der Name der Band erwähnt wird, erstaunt zu sein, wenn alles anders und doch: genau so! gut ist, die Menschen um einen herum zu vergessen, weil in diesem Raum es nur mich und drei, vier Menschen auf der Bühne gibt, beinahe frenetische Standing Ovations zu geben, in der Hoffnung noch einen Song zu hören (Den einen noch! Kommt schon! Bitte! Muss doch noch drin sein!), sich zu freuen, dass man trotz aller Abgeklärtheit immer noch FAN sein kann, immer noch in der Lage ist, eben nicht zu abstrahieren sondern völlig losgelöst die Musik affirmativ walten zu lassen, schließlich Sekunden nach dem Ende des letzten Liedes diesen Kloß im Hals zu spüren, diesen einen, der sich nur noch selten bemerkbar macht, von früher aber durchaus noch mit wohliger Melancholie in das Heute hinüberwinkt, das habe ich seit langem nicht mehr erlebt.
Danke dafür. Auch den feinen Menschen, die dabei waren.
in: concert.diary | von: txt | 3. Jan, 19:21
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