RTX - 13.02.2005


Jennifer Herrema wollte nur spielen. Beziehungsweise singen, wenn man das so nennen will. Für ihr Solo-Debüt »Transmaniacon« gastierte die Ex-Royal-Trux-Göttin im Wiener Flex, und machte neben einem schlechten Eindruck auch alle Befürchtungen zunichte, das könnte ein langweiliger Abend werden.

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Bei ihrem ersten Auftreten auf der Bühne hatte Jennifer eine Zigarette im Mund. Etwa eine halbe Stunde wird es dauern, bis sie sich daran erinnert, sie anzuzünden. Immerhin war das Feuer dieser Zigarette völlig nebensächlich im Vergleich zu dem, was sie und ihre Band an Feuer auf der Bühne entfachen sollten. Trocken, gediegen, absolut unantastbar und laut war das Motto des Schwermetalls, das sie uns präsentieren wollte. Gehustet und geröchelt warf sie uns ihre Textfetzen hin, sofern sie ihr selbst noch einfielen. Gitarre und Bass gestimmt auf »Heavy Rock ´n Roll« bemühten sich um alles – außer Empathie.

Alles in allem lässt einen so eine Show, so eine Performance doch staunend zurück. Jennifer Herrema schert sich einen Dreck um den »nötigen« Gestus oder die »coolen« Riffs. Sie trug eine weiße (?) Toga mit schwarzem Adler hinten und vorne drauf und unendlich kaputte Jeans; die gewohnt hellweißen Haare verdeckten ein ekstatisch verzerrtes Gesicht. Eine Erscheinung, die allein schon wegen ihrer Instabilität sehenswert war. Wenn dann mal für zwei Lieder das Mikro ausfällt (oder von ihr selber abgedreht wird?), ist es auch kein Problem. Wer´s hören will, soll näher kommen.

Es mag zur Debatte stehen, ob RTX nun besser oder schlechter oder was anderes oder was unbedeutendes im Vergleich zu Royal Trux ist. Es mag fraglich sein, wie lange jemand wie Jennifer Herrema es so noch aushält. Es mag auch fraglich sein, ob sie uns nicht schon längst in den Rehab-Kliniken dieser Welt mit ihrem schrecklichen Gejaule verschonen sollte. Aber gewiss ist, dass 40 Minuten RTX live absolut ausreichen, um auf den Punkt zu bringen, dass diese Person, diese Musikerin, diese Rock-Lady immer noch die Kraft hat, kaputt genug zu sein, um uns allen vorzuhalten, was für glückliche, perfekte Schweine wir doch alle sind. Und dafür sollten wir dankbar sein.

Boris Kovac & La Campanella - 12.02.2005


Das Famose an diesem Mann ist bis jetzt nicht viel weiter als bis Graz durchgedrungen. Dort spielt er vor ausverkauftem Haus, in der Wiener Szene spielte er sein erstes Konzert vor 40 Gästen. Die aber wurden fantastisch entlohnt.

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Boris Kovac will uns auf eine Reise mitführen. Seine ungemeine Produktionswut kursiert auf vielen verschiedenen Abwegen um das Thema Geschichte und das Ende der selbigen herum. Es geht um die Frage, wie eine Welt jenseits der (blutigen) Geschichte der Menschheit aussehen könnte. Was würdest du tun am letzten Abend Menschengedenkens?

Kovac versucht diese Frage auf vielfältige Weise zu beantworten. Als Multimediakünstler hat er immer schon starke Verbindungen zum Theater gehabt, und das war auch bei diesem Konzert ein ganz wesentlicher Bestandteil: die Inszenierung. Dass ein Tanz auch wirklich getanzt, und nicht nur gespielt wird. Kovac lässt sich frei laufen, erklimmt selber mit jedem Lied, mit jedem Rhythmuswechsel neue Stufen der Erregung und der Freude. Er reist mit uns durch Zeiten und Orte, die uns oft unbekannt oder fremd wirken, lässt uns aber nie aus den Augen. Als Reiseführer ist er bester Freund, Auskenner und Discman in einem. Ein Soundtrack, der wild, impulsiv und vor allem gefühlvoll ist, begleitet uns auf dieser Reise.

Boris Kovac würde wohl das Prädikat „Ausnahmesaxophonist“ verdienen. Seine Begleiter, die das Quintett „La Campanella“ (sax, akk, drum, git, c-bass) vervollständigen, sind gutgelaunte, junge und weniger junge Männer aus Novi Sad in Serbien, die mit Spaß und Enthusiasmus die jazzigen, orientalischen, improvisierten und gut durchdachten Ideen wie Feuerwerke in den Raum schießen. Was auf Platten, wie der monumentalen Doppeledition „The Last Balkan Tango/Ballads At The End Of Time“, schon so großartig funktioniert, gewinnt live durch die überzeugende Darbietung noch mehr an Kraft und Energie. Der Tanz um den Abgrund der Menschheit herum macht Spaß. Und diese Erkenntnis von Boris Kovac präsentiert zu bekommen verleiht ihr ungemeinen Nachdruck.

Dieser Mensch ist aufgewachsen mit Van Der Graaf Generator und hört jetzt, wenn er sich mal auf aktuellen Pop/Rock einlässt, Sting. Nochmal: Sting. So weit weg voneinander liegen also Himmel und Hölle nicht. Verwirrt und träumend verlassen wir den Ort des Geschehens und hoffen, bald wieder von diesem Meister verführt zu werden. In eine Welt jenseits der Geschichte.

Giant Sand - 10.02.2005


Die Wüste ist im Exil angekommen. Zur Präsentation seines aktuellen Album „Is All Over The Maps“ gastierte Howe Gelb in der Szene Wien vor vollem Haus. Gut gelaunt und gleichzeitig berührend.

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Es darf nach Sex Pistols klingen. Der „Wüstenrock“ treibt in Dünen über die Landschaft des Publikums: Latinesque, jazzig, rockend-wie-die-Sau. Der Duft von Kakteen liegt in der Luft, und die Visuals auf der Wand liefern die passenden Bilder dazu. Giant Sand is all over the maps. Kein Fleck wird ausgespart von diesem Ungetüm an Kraft, Dichte und Leichtigkeit. Es darf auch nach Bob Dylan klingen.

Giant Sand werden von Dänen komplettiert, nachdem Joey und John (a.k.a. Calexico) sich von Howe Gelb getrennt haben. Was aber insofern nichts ausmacht, da die zentrale Rolle von Howe Gelb als Frontman, Sänger, Gitarrist, Entertainer, Motivator und Filmvorführer nie in Frage gestellt wird. Auch durch das Publikum nicht. Flirtversuche, billig oder nicht, werden ebenso billig oder nicht abgewiesen. Gelb hat Frau und Kinder, den Ehering versteckt er nicht. Er ist gut gelaunt an diesem Abend, verbreitet wohltuende Atmosphäre, scheint sich sehr sicher zu sein. Berechtigterweise, wird man nachher sagen können. Das Set von Giant Sand vereint vorzüglich alle großen Perlen dieser Musik. 20, 30 Jahre alte Singer/Songwriter-Stücke treffen auf krachenden Garage-Punk. Es ist ebenso flott und energetisch, wie still und zurückgezogen. Ebenso auffordernd, wie sophisticated.

Nur an einer Schlüsselstelle gibt Howe das Kommando aus der Hand… an einen, der es wohl selten wiedererlangen wird. Rainer Ptacek, 1997 verstorbener bester Freund von Howe, Gründungsmitglied von Giant Sand und selbst begnadetes Songwriter-Talent, übernimmt für die Dauer eines Songs die Aufmerksamkeit des Publikums. Ein Videomitschnitt eines seiner Konzerte fügt sich in das Giant Sand-Set ein, und füllt somit auch die Lücke auf, die der Tod von Rainer in den Fans seiner Musik hinterlassen hat. Howe lächelt.

Es bleibt die Erinnerung an einen wunderschönen Abend, der gezeigt hat, dass Howe Gelb (unter welchem Name er auch immer veröffentlicht) nach 30 Jahren Musikmacherei immer noch nicht genug hat. Und dass ihm dankenswerterweise die Ideen noch lange nicht ausgegangen sind.

Apocalypse: Unseen


»Wolfzeit« (Le Temps du loup) (FR/AU/D 2003, Michael Haneke)

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Leeere, leblose Städte berühren Urängste. Die Angst, als Letzter übrig geblieben zu sein. Die Angst, dass mit der Menschheit das Menschliche einer diffusen wie endgültigen Leere gewichen ist. In »28 Days Later«, einem zumindest zu Beginn ultra-minimalistischen und die Story dadurch gekonnt wiederspiegelnden Zombie-Film, wird diese Leere programmatisch: Die Zivilisation ausgelöscht. Endzeit und -spiel begegnen sich im Versuch einiger Jugendlicher, andere Überlebende zu finden. Das sind die Codes des (post-)apokalyptischen Films: Die Zerstörung von Zivilisation, die Suche nach ihr und die Verrohung und Tier-Werdung der Überlebenden in einem Stadium das Hobbes mit »Homo homini lupus« umschrieben hat, der Naturzustand. Damit berühren sich an den Rändern dieser Codes der (Anti-)Kriegs- und der apokalyptische Film und kulminieren bei Haneke in einer Brecht´schen Auffasung von der sterbenden Moral im Krieg – wohlgemerkt, ohne dass Brechts Mittel angewendet werden.

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Eine Familie (Mutter und Vater, Tochter und Sohn, eine Familie Jedermann also) fährt zu ihrer kleinen Blockhütte im Wald. Eine Szene, die man bereits aus »Funny Games« kennt und die vielleicht auch deswegen gar nicht mehr den Anschein erwecken muss, alles sei gut. Die ersten Bilder nämlich deuten bereits auf das Unausweichliche hin: Der Wald ist ein dunkler, die Bäume, durch die sich das Auto der Familie schlängelt, bilden in ihrer Abgeschlossenheit bereits die natürliche Gegenmacht zum Menschlichen. Ebenso die Blockhütte: Beinahe agoraphobisch wirkend verschluckt sie die Angekommenen und stellt sich im dunklen Inneren als winziges eineinhalb-Zimmer-Verließ dar. Überhaupt scheint dies kein normaler Wochenendausflug zu sein. Zu umfangreich ist das Gepäck der Familie und einen Vogel mitsamt Käfig führt man bei Ausflügen nur selten mit sich. Die Ahnung bewahrheitet sich: Kaum eingetreten, sieht sich die Familie mit Eindringlingen konfrontiert, einer weiteren Familie, die anscheinend in der Hütte Zuflucht gesucht hat. Bald eskaliert die Situation, der Vater wird erschossen, der Rest der Familie in die Nacht entlassen.

Der bellum omnium contra omnes ist eröffnet.

La Mala Educación


»La Mala Educación – Schlechte Erziehung« (SP 2004, Pedro Almodóvar)
Kino

Der aktuelle Almodóvar liess mich mit einem großen Fragezeichen im Gesicht aus dem Kino kommen. »La Mala Educación« (Handlung) ist entgegen der Beteuerungen nahezu jeder von mir gelesenen Kritik natürlich nicht nur ein Film ausschließlich über Männer. Es geht auch um Geschlechtszuschreibungen, um »Tunten«, die nicht einfach nur Männer in Frauenklamotten sind. Nach wie vor scheinen in den Köpfen einiger Kritiker Frauenklamotten an Männerkörpern immer nur Verkleidungen zu sein, die »Verkleideten« selbst sich nur noch nicht entschieden zu haben. Warum wird es keinem zugestanden, sich eben dafür zu entscheiden, nicht als Substitution, sondern als Ausdruck? Arroganz?

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Schön, wie Almodóvar die Geschlechtszuschreibungen dann auf ein Genre, das des Film Noir, projeziert und damit ein überaus reaktionäres Genre (neben dem Western vielleicht) überhöht und persifliert. Der Film Noir lebt von drei Dingen: einer starken, schönen, mystifizierten Frau, einem heruntergekommenen, durch geschickte Erzählung dem Zuschauer aber symphatischen (wenn stets auch gebrochenen) »Helden« und der Erzählung an sich, die sich mindestens so virtuos-verschlängelt zu inszenieren hat wie der weibliche Part des Films. All das sind auch die Bestandteile Almodóvars neuen Films – allein die Geschlechtszuschreibungen fallen hier ein wenig anders aus.

Da ist diese eigentlich tieftraurige, äußerst sensible Szene, in der der Klosterschüler seinem Pater »Moon River« vorsingen muss, während jener ihn auf der Gitarre begleitet. Er tut dies mit einer kindlichen Beiläufigkeit, fast abgelenkt mit routinierter Qualität und der dünnen hohen Stimme eines Kindes, dessen Stimmbruch noch auf sich warten lässt. Während er also singt, die Farbe, die Personenkonstellationen innerhalb der Szene, die Inszenierung von ihm und disparat des Paters bereits alles auf den (nur in seinen Auswirkungen gezeigten) Missbrauch hindeutet … wird gelacht. Gelacht aufgrund der peinlich hohen Stimme des Jungen, die anscheinend wohl schon klar macht: »Okay, Tunte, zumindest aber schwul«. Das ist dumm. Verdammt sogar.

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