Teil 1 von 3 in der Serie »US-Indie, der 2006 die schwierige Aufgabe antritt, ein 05-Meisterwerk zu überbieten«. Na gut, gleich zu Anfang natürlich die Ausnahme:
»Crimes«, der letzte große Wurf der Blood Brothers, ist eigentlich von 2004, wurde aber in diesen Breiten erst 2005 veröffentlicht, und fand sich dann auch in
so manchen Bestenlisten des entsprechenden Jahres. Und ganz ohne die Fragen von damals bezüglich Verweichlichung oder Verrat nochmals aufwerfen zu wollen, war »Crimes« ein seltenes Juwel am Indiehimmel, denn es hatte etwas, was nur wenige Platten besitzen: Überraschungseffekt. Fanverlust und Fangewinn inklusive, abschwitzen erwünscht, wham, bam, 9.5. Eine wichtige Platte. Eine unterschätze Platte. Die Beatles-Platte für Beatles-Hasser.
Vielleicht war es der Schock des sich-selbst-überraschten Zweifels. Wenn es darum geht Poplaunen zu »konservieren«, sie liebevoll beizubehalten, ohne sie zu langweilen, wenn es darum geht, zu fragen, wohin man gegangen ist, und dabei doch den Überblick über die Kreuzungen, die VOR einem liegen zu bewahren, wenn es also um diese große Frage geht, was man tut, wenn man sich selbst überrascht hat, dann kann man Glück haben, oder auch nicht. Und vielleicht war es einfach nur Pech, dass die Blood Brothers so eine verdammt schöne und wichtige Platte damals rausgebracht haben. Man wird vermutlich nie wissen, was genau bei den Bandgesprächen passiert ist, als man sich entschied diese »Crimes«-Variante ihres Wachsinns nicht mehr zur Gänze weiterverfolgen zu wollen.
Und ganz ehrlich: Das ist auch gut so. Niemand hätte eine Wiederholung dieses Schaffens gutheißen können. Ehrlich. Nicht bei den Blood Brothers. Aber der Entschluss, wieder zurückzugehen und auch »Burn, Piano Island, Burn« einzubauen, der darf in Frage gestellt werden. Zwar gewinnt dadurch »Young Machetes« eine Kante, die Fans vielleicht bei »Crimes« vermisst haben, sie erreicht aber auch einen thermischen Nullpunkt, der einen ratlos zurücklässt, ein Gleichgewicht der Kräfte. Ein Gleichgewicht, dass in der Redewendung »weder Fisch noch Fleisch« aufgeht, ein Gleichgewicht zwischen epischer Wut und herzhaftem Pop. Die Blood Brothers haben insofern völlig richtig, und in einer beispiellosen Selbstanalyse ihr Potential klar eingegrenzt und perfekt verarbeitet, ein Überplatte für alles und jeden gemacht. »Young Machetes« ist (leider) die beste Blood Brothers-Platte geworden.
Warum das schade ist, ist deutlich schwerer einzugrenzen. Es hat aber was zu tun mit diesen Momenten wie bei »Laser Life« oder »Spit Shine Your Black Clouds« wo man diese Klugheit völlig klar präsentiert bekommt, diese perfekte Balance aus allem, was die Blood Brothers immer so wichtig gemacht hat. So klar einem das vor Augen liegt, wie perfekt hier die Synthese von Krach und Pop funktioniert, so sehr drängt sich auch auf, es handle sich hier um ein Nullsummenspiel. Es vibriert richtig, es ist ein clear catch, auch bei »Johnny Ripper/Stevie Ray Henderson« oder »Camouflage, Camouflage« stürzen die Songs auf der gewohnte fantastisch schiefe Landebahn ihrer Poplaune zu, und verbrennen sich dabei die Flügel. Ganz großer Pop, das. Und trotzdem kommt aus dem Verbinden alles Guten ein Ganzes heraus, das eben nicht abhebt, sondern landet. Einzig »Lift the Veil, Kiss the Tank« schafft diese Symbiose auf eine ähnlich ungut austarierte Art und Weise wie es z.B. »Love Rhymes With Hideous Car Wreck« oder »Peacock Skeleton With Crooked Feathers« tat. Denn diese nicht ausgewogene Mischung, die war es die »Crimes« so zum wham-bam machte. Die war es, die die Blood Brothers zu ihren Höhen trieb. Selbst dann, wenn sie sich irrwitzig weit aus ihrem Fenster lehnten (z.B. im Titeltrack von »Crimes«; ja nicht mal »selbst dann«, sogar »genau dann«!) war es eben dieser Irrwitz, eben dieses schiefe Konstrukt von Post-HC-Pop, das sich so wenig um seine eigen Stabilität kümmerte, wie um die verschlissenen Referenzen, das uns staunen machte. Und das passiert auf »Young Machetes« leider nicht mehr.
Versteht mich nicht falsch: Es ist und bleibt eine Weltklasse-Platte. Eine Tour des gesunden Versagens und der stimmlichen Verbreitung von Verwirrungstaktiken und Ausweichmanövern, alles verpackt in nimmeruhige Explosionen, farbenfrohes Fiasko, uh-huh, etceteras. Alles ist da. Aber »alles« ist eben manchmal eine Spur zu gut. Eine Spur zu schön. Eine Spur zu wichtig. Es bleibt die Hoffnung, die Blood Brothers erinnern sich wieder an die Überraschung, an das Ungleichgewicht, die Absurdität. Denn das ist es erst, warum wir vor langer, langer Zeit angefangen haben, so Bands wie die Blood Brothers in absurdem, unausgewogenem, überraschendem Ausmaß verdammt großartig zu finden.