Sinnvermeidungsstrategien


»Der Autor von Grafologie hätte vermutlich ein ebenso großes Ego wie bei Leo diagnostiziert, der Haupteindruck allerdings war der einer geradezu flüchtigen Eile. Seine Abschiedsfloskel konnte ›Alles Liebe‹ heißen, aber auch ›Schönen Gruß‹ und sogar ›Hallo daheim‹ – so wusste man nie, woran man bei ihm war.«

Alan Hollinghurst, Die Schönheitslinie

...



18.Oktober [via dem Sleeve der Northern-Lite-12'' Go With The Flow, die vom Büro 18.Oktober gestaltet wurde]

* * *


Savannah Rose / Plrds.com [via dem guten Kunstbetrieb]

»Quit is the new start.«




Batterie #15

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»›Aber es gibt doch mehr Schwule als Heteros im Ballett?‹
›Etwa ein Drittel der männlichen Tänzer ist schwul. Aber gerade die Jungs aus den Ostblockländern, das sind richtige Männer. Die Männer müssen ja auch Kraft haben und die Partnerin stemmen.‹«

– Felicitas Binder, Choreografin des Kinderballetts der Deutschen Oper Berlin im Interview mit der taz.

Immergut 2006


Immergut 2006Als ich im Mai 04 das erste Mal, quasi blind meiner damaligen Lieblingsband auf ein mir unbekanntes Festival nördlich von Berlin folgte, kam ich zurück ohne mich wiederzuerkennen. Von kanadischen Supergroups bis hin zu zweistündigen Notwist-Gig habe ich dort alles erlebt. Meine Liebe kennegelernt. Zu Naked Lunchs Johnny Cash-Hommage Gänsehaut gekriegt. Zu Tigerbeat geheult ohne Ende.

Das Jahr drauf war klar, das Immergut nicht auszulassen, auch wenn - und das ist ein großes "auch wenn"! - das Lineup bei weitem nicht dieses sensationelle 04-Ding getoppt hat. Ganz ehrlich fand ich nur bei Kante meinen Frieden, der Rest war mittelmäßig bis schlecht. Aber das Immergut lebt auch nicht von sowas. Das Immergut ist ein Familienfest. Ein herzvolles Gettogether der Sympathie, wo die Musik quasi als Soundtrack mal mehr, mal weniger dazupasst. Aber das Immergut ist immer was besonderes. Immer.

Heuer ist das Lineup wiedermal irre. Blumfeld und Yeah Yeah Yeahs. Period. Dann noch Okkervil River. Jason Collett. Period. Bei Art Brut kann man/werd ich mal Pause machen, aber die Reunion der Regierung sollte man auf keinen Fall verpassen. Klez.e kommen, und Delbo auch (Tobias Siebert schlägt bei beiden Projekten bald mit neuen Alben zu). Phantom/Ghost, und vermutlich Tomte auch. Appleseed Cast, Gregor Samsa, Pale runden ab. Und das ist noch einiges frei im Zeitplan, vor allem die drei stärksten Samstag-Slots, die nach Jason Collett folgen. Gerüchte, die ich gerne verbreite (killt mich doch in case of Unwahrheit!), heißen: Amy Millan. Und Broken Social Scene. Immergut 2006Es wird wohl wieder ein Hellofafestival werden. Kaum eine andere Distanz fahr ich so gerne, wie diese 700irnzwas Kilometer. Wir sehen uns Ende Mai.

Ladies and Gentlemen,


… we’re proud to anounce: The Sendestart. Endlich geht’s los.

Hört rein, tratscht es rum, schreibt Mails, ruft an. Und vor allem: Kommt heute abend ab 20.00 Uhr in die Aachener Wohnbar (im Pontstrassencarré neben der Molkerei) um mit uns zu feiern. Hoch die Tassen!

Der innere politische Schweinehund


Meine Güte, was man alles so verpasst, wenn man ein paar Tage zwecks Umzugs und damit verbundenem Providerwechsel ohne Internet auskommen muss. Wärend Marko hier den Laden gerockt hat (Fantastischer Text über Cuff the Duke übrigens!) schleppte ich mit Hilfe von ein paar Buddys (Danke, Leute!) zu viele Platten und viel zu viele Bücher in die neue Wohnung im vierten Stock. Ich hasse Umzüge. Alles was ich will, ist genügend Geld um eine Firma zu beauftragen, die mir den ganzen Kram abnimmt, transportiert, in der Wohnung einrichtet, selbige komplett renoviert und mir nach ein paar Tagen den Schlüssel zur Wohnung aushändigt. That’s it. Erzählte ich von den sechs Stunden, die für den Aufbau eines neuen Kleiderschranks draufgingen? Ach, egal.

Wo war ich? Ach ja. Die Kacke ist wiedermal am Dampfen im Internet und angeschlossenen Lebensräumen. Hirnlose Deppen zeigen uns, was sie unter Meinungsfreiheit verstehen, während andere hirnlose Deppen ebenjene Meinungsfreiheitsbeschneidung direkt mal ins Praktische umsetzen. Unglaublich, wieviel Scheiße (© ix) sich in Hirnen ablagern kann. Gewisse Befürchtungen jedenfalls bestätigen sich. Und komme mir keiner mit dem Urheberrecht. Dass Zypries sich ohne es zu merken von ihrem Rückgrat verabschiedet, war so erwartbar wie es fatal ist. Da werden auch die jetzt natürlich erklingenden Stimmen aus den hinteren Reihen des Kabinetts nichts dran ändern. Immerhin stellt Christian Schlüter in der FR schon mal einige wichtige Fragen:

»Existieren ein Urheber und seine Schöpfung allein durch sich selbst? Oder wie ist es um die Einmaligkeit einer Hervorbringung bestellt, wenn sich Einmaligkeit doch in Wiederholbarkeit begründet?
Das wären so einige, ideengeschichtlich nicht ganz unbeträchtliche, vor allem aber außerjuristische Fragen. Und es gibt mehr davon, etwa: Eigentum ist eine ökonomische Kategorie, wie verträgt sie sich mit einer kognitiven ("geistigen") Disposition? Dass wir bei der Urheberrechtsnovelle vergeblich nach medientheoretischen Ansätzen suchen, versteht sich beinahe schon von selbst. Das Recht ist hier auf eine Unzahl von Zusatzannahmen angewiesen, die es nicht nur überfordern, sondern stets einen schlechten Kompromiss sein lassen.«

Deren Beantwortung wird wohl aber auch wieder nicht aus dem Kabinett kommen. Wundert es da noch irgendwen, dass die Industrie nach dem stetigen Scheitern vom Kopierschutz auf physikalischen Medien immer mehr auch die Aufzeichnungsgeräte selbst in Visier nimmt – und das eben nicht nur noch auf Computer-/DRM-Basis?

Bei aller im Internet zu findenden Aufregung aber erschreckte mich in den letzten Tagen noch mehr als die eigentliche Tatsache dieser ganzen asozialen Rechtebeschneidung mein eigenes innerliches Abwinken bei diesen Themen. Nein, ich möchte nicht noch einen Abend damit verbringen, über Industrie-Lobbyismus zu diskutieren, erst recht nicht mit Leuten, die ohnehin meiner Meinung sind. Ich weiß nicht. Ich glaube – und Gespräche mit Freunden bestätigen mich da – inzwischen ist da eine riesige Resignation, was alles Aufbegehren angeht. Natürlich weiß ich, dass das dumm ist. Natürlich sehe ich ein, dass die Form, wie die französischen Proteste gegen de Villepin und dessen absurd-brutal durchgeboxten CPE ablaufen, genau die richtige ist. Gesamtgesellschaftliche und klassenüberschreitende Vernetzung, mediale Präsens aber eben vor allem: leidenschaftliche Wut, die von mir aus auch mit einem happeninghaften Lächeln präsentiert werden darf. Hauptsache sie wird präsentiert. All das finde ich hierzulande (und leider eben auch in mir): nicht. Ja, na klar, es gibt die Ausnahmen. Spreeblick-Johnny hat das in Bezug auf die Urheberrechtsbestrebungen der Musikindustrie schön vorgeführt. Und Mercedes füllt ihr Blog fast assschließlich mit solchen klugen Beobachtungen. Aber, mal ehrlich, was ist das denn schon? Selbst Initiativen wie Privatkopie.net sind doch nur sehr singuläre Dinge mit vergleichsweise geringem Verbreitungsgrad.

Vielleicht liegt die Resignation daran, dass die politischen Felder der Einflußnahme so kleine sind. Vielleicht auch daran, dass dem diametral gegenüber gesetzt diese ganzen, again, asozialen Tendenzen überhand nehmen, sich nicht mehr auf das eine Thema (Atomstrom! Bürgerrechte! Meinungsfreiheit! Einwanderungsland BRD! etc.) beschränken sondern in allen Bereichen eine Verdummung sondergleichen vonstatten geht, der man nicht mehr durch einzelne Protest begegnen kann (will?).

Letztlich bleibt das natürlich alles Substitut. DU und ICH – wir müssen den Arsch halt schon noch hochbekommen. Fick die Metaebene. Sonst bleibt eben alles doch nur bei den offen eingerannten Türen bei abendlichen Gesprächen.

cheated by the opposite of love (is all)


Yeah Yeah Yeahs - Show Your BonesLove Is All - Nine Times The Same SongZum Aufstehen hintereinander die Yeah Yeah Yeahs- und die Love Is All-Platte hören, führt zu einer interessanten Parallele zwischen "Cheated Hearts" und "Turn The Radio Off". Zufall? Vermutlich.

Shout Out Louds - Howl Howl Gaff GaffU2 - The Joshua TreeErnüchterung des Vorabends: Der mäßige Bastardpop-DJ hat mir unabsichtlich offenbart, dass die Gesangsmelodie am Anfang von "Very Loud", dieser Oberhymne der Shout Out Louds, glasklar U2 ist. Glasklar. Wo die Straßen keinen Namen haben, versinkt es sich leichter im Boden.

StingRod StewartAch, und im-boden-versinken: Zitat des Vorabends war "Sting? Der heißt doch mit bürgerlichem Namen Rod Stewart!"


Placebo - MedsThe Flaming Lips - At War With The MysticsDie Placebo-Platte enttäuscht leider doch, die Flaming Lips-Platte ist leider doch zu lang/eintönig/gleichklingend, um ein Meisterwerk zu sein. Aber gut, nevertheless.

Monochrome - éclatYou Say Party! We Say Die! - Hit The Floor!Ach, und Love Is All: Auch bei wiederholtem Male, werd ich das Gefühl nicht los, mit der neuen Monochrome und You Say Party! We Say Die! schon diese Ecke genug zufriedengestellt zu haben. Fehler?

The Stills - Logic Will Break Your HeartThe Stills - Without FeathersAch, und Kanda: Warum sagt denn keiner was zu den Stills? Nachfolger zum tollen "Logic Will Break Your Heart" folgt im Mai, trägt den Namen "Without Feathers" und hat Collabos mit Metric-Grand Dame Emily Haines und Jason Collett,Metric - Live It OutJason Collett - Idols Of Exile die ihrerseits klarerweise beide bei BSS mittüfteln und in bälde D-Land betouren und grandiose Alben (erstere bei Lado, zweiterer bei City Slang) im Gepäck haben.

Sperrstunde/Closing Time – Naked Lunch & Thomas Woschitz, 21.03.2006


Als »Sperrstunde« Premiere hatte, beim Donaufestival 05, war das Publikum sofort gefangen. Nach einigen erfolgreichen Filmfestivalauftritten ist das Projekt um Österreichs einzig wahre Indie-Melancholiker Naked Lunch und ihren Langzeitpartnerregisseur Thomas Woschitz in ein Stadium gelangt, wo eine volle Szene Wien schlichtweg begeistert ist.

Sperrstunde - Closing Time

Ob man jetzt Filmkonzerte, diese doppelte Reizüberflutung, dieses eigenartige More-than-Soundtrack-Gefühl und diese Gorillaz-Ästhetik mit Leinwand und Band dahinter nun generell mag oder nicht, kann eine knifflige Frage sein. Es hängt vermutlich stark von dem Publikum, eventuell auch von so Lächerlichkeiten wie Bequemlichkeit ab. Aber als Medium, das diese zwei Ebenen auf eine eigenartig neue Weise miteinander verbindet, kann so ein Filmkonzert schon was besonderes sein. Naked Lunch und Thomas Woschitz haben unter Amour Fou- und Donaufestival-Produktion ein ganz besonderes Filmkonzert auf die Beine gebracht: »Sperrstunde«.

Es sind neun Geschichten, die mit neun Songs begleitet, durch die Klagenfurter Nacht schweben und all die Momente einfangen, wo jemand abgewiesen, auf der Straße sitzen gelassen, verlassen wird. Ein eindringliches, mit sehr unprätentiösen Bildern sehr berührend in Szene gesetztes Portrait der Einsamkeit, die nur noch getoppt wird von diesen Songs, die Naked Lunch für diesen Film neu geschrieben haben. Diese Songs, die mir persönlich besser gefallen, als alles, was Naked Lunch bisher gemacht haben. Diese Songs, die – ich wiederhole mich gerne – die Sperrstunde im Herzen schlichtweg verunmöglichen. »Sperrstunde« ist ein sensibles Manifest für den Neuanfang, der nach jedem Abschied erfolgt, was filmisch und musikalisch gekonnt gekoppelt wird. Die erste Nummer »No End« (eine verdammt großartige Notwistonie) wird begleitet von einer Geschichte eines Menschen, der wegen eines Fernsehausfalls das Ende seines Krimis nicht sehen kann, und vom Elektriker aber wegen der Uhrzeit abgewiesen wird. Kein Ende im Anfang. In ähnlicher Tonart, mit oft minutenlangen Onetakern spinnt sich die Geschichte weiter um einsame Bräute, die sich zufällig getroffenen Kriminellen auf der Flucht anschließen, und nächtlichen Putztrupps die wegen letzteren ihren Job verlieren. Die Klagenfurter Allnacht ist hart, frustrierend, nichts Schönes.

Sperrstunde - Closing Time

Beim finalen Schlusspunkt gibt es keine Titel, keinen Abspann, sondern eine Leinwand, die nach oben verschwindet, und den Blick frei gibt auf Naked Lunch, die zum großartigen Songfinale von »Colours« noch einmal unser aller Herzen vereinnahmen. Selten hat es sich so schön angefühlt, eine Band, nach all ihrer schweren Zeit, auf so einem Zenit zu sehen. Und welche Band kann uns mehr von Sperrstunden und Neuanfängen erzählen als Naked Lunch? Eben.

31 Knots – 20.03.2006


Ein erfrischend nervöses Bündel sind sie, die 31 Knots aus Portland. Eine Band, die schon in diversen Ankündigungen (von Immergutaufreisen, bis hin als Vorband von Q And Not U) aufgetaucht ist, aber mir erst jetzt persönlich beweisen konnte, wie spaßig so ein ausgeflippter Abend mit ihnen sein kann.

31 Knots

Die vielen Erzählungen wie toll ein 31 Knots-Gig sein kann waren schon beeindruckend. Man denkt sich dann ein Monstrum im Kopf zurecht und muss selbstverständlich daran scheitern, diese Erwartungen zu erfüllen. Bei den 31 Knots aber steht Spaß am Scheitern am Programm, und so kehrt sich die schlimmste Befürchtung des Abends in seine größte Stärke.

Die drei Herren der 31 Knots machen Indierock, der besser als seine Masche ist. Indierock, der nie aussterbenden Sorte. Eckig, krachig, stolpernd. Nicht fließend, schön und melodiensicher. Da wird randaliert und geschrieen. Ohne sich in irgendwelchen elektronischen Abgründen zu verlieren, das ist astrein Gitarre, Bass, Schlagzeug und Mundwerk. Zur Show gehört, dass sich der Sänger per mitgebrachtem Koffer im Publikum umzieht, und selbiges mit beachtlicher Körpernähe zum Mitausflippen animiert wird. Die 31 Knots haben schon ne Menge Alben draußen, haben die meisten Songs vergessen und scheren sich auch sonst vermutlich um kaum etwas – außer Spaß an der Sache.

Und so ist es dann auch: Es macht Spaß. Nach nicht mal einer Stunde ist der Spaß dann vorbei, du gehst heim und es bleibt einen nette Stunde im Kopf, die aber vermutlich zu Hause kaum eine Fortsetzung finden wird. Eine gute Live-Band, die vermutlich von der Geschichte sehr bald vergessen werden wird, was schade ist. Denn hin und wieder blinzelt bei den 31-Knots so ein Moment durch, wo sie irre gute Melodien drauf haben, oder diese eine Biegung vom Uptempo-Teil in das schluchzende Ende des Songs so genial hinkriegen, dass »Gänsehaut« es nicht annähernd trifft. Da ertappt man sich dabei, den 31 Knots zu wünschen, sie hätten doch lieber eine saubere Songwriter-Pop-Karriere gestartet, um es heute mit Death Cab For Cutie oder ähnlichen Leuten aufzunehmen. Aber lange hält der Gedanke nicht. Songs schreiben ist an so einem Abend einfach uncool. Songs schreiben die Langweiler am Schulhof. Songs braucht die Welt nicht mehr. Dafür mehr Postindiepunkrockwhatever. Mehr Dampf. Mehr gutes Finish. Mehr Zweiminüter. Die 31 Knots sind dahingehend die beste »Ferner liefen …«-Band, die mir seit langem begegnet ist.

the future hangs in my face, that's why 2002 will rock.


Cuff The Duke: Life Stories for Minimum WageIch fühle es immer wieder, wie es riecht. Das Zimmer in dem ich bei einem Bier mit Cuff The Duke sitze und nachdenke. Nachdenke, nachdenklich lausche und nachdenklich nachfrage. Alles etwas gewollt und verkrampft, ein bisschen aus dem Takt, aber nicht zu doll. Nur ein bisschen. Wie ich da sitze und ganz stumm versuche alles in mich aufzusaugen, dieses Etwas zu begreifen, was diese Chemie der Menschen ausmacht, diese Chemie, die sich als »Atmosphäre« oder ähnlich konfusem Zeug in Platten wieder findet. Wir würden dann schlussendlich doch reden, doch etwas austauschen um uns ganz und gar gut zu verstehen, also so ganz hoffnungsvoll gesagt. Um uns ganz und gar nachdenklich zu verstehen und vielleicht auch jenes Fünkchen nötigen Schweigens (aber nicht mehr!) an den Tag zu legen. Es müsste sich alles drehen, eigentlich, so wie in einem Karussell. Ob Kanada oder nicht, sei da mal dahingestellt, aber es müsste sich dauernd drehen, sodass ich immer wieder in ganz unterschiedliche Richtungen schauen müsste, um die Blicke und Gedanken der anderen nachvollziehen zu können. Wir würden anfangen und uns gleich mal ins Kitschige verlieren, mit dem Gedanken spielen, wie es ist, verlassen zu werden, von jemandem, der dein Herz gleichermaßen besitzt, wie er deine Augen blendet. Wie es ist, dann nicht mehr wegzukommen, wie es ist es zu versuchen, und wie es schlussendlich ist, es zu versuchen, es gar nicht versuchen zu wollen. Wie es ist, so zwischen den Rasiermessern (die Riffs!) und stampfenden Lokomotiven (die Beats!) sich auch nur irgendeinen Scheißdreck um Alt.Country zu kümmern (weil: straight-forward, statt experimental!). Wie es ist, so mit Skatern und Cowboys, mit »Indie« und »Country«, (meine Güte, Country!) und warum das so gut geht miteinander, und wohin einen dieses »Country« mit Untertitel »Landscape« in Kanada so bringt (und wie es sich anhört!), und wie es mit Three Gut Records und den Constantines, die ja dann doch weniger dieses »Country« spüren (angeblich!) aber dann doch auch mit den Weakerthans auf Tour waren (Folk! Folk, nicht Country!?), ist, oder wie es ist, dann doch wieder sich immer wieder unter dem »Indie«-Baum zu treffen, in Toronto. Wies es ist, dann aber auch dort abzuhauen. Wie es ist, zu wissen, dass eine Geschichte gut erzählt werden muss, um sie wie einen Tagtraum erleben zu können, wie es ist, Talkshows und christliche Gutenachtgespenster in einem Satz zu schmecken und dabei nicht paranoid zu werden, wie es ist auf einsamen Planeten lange Winter in ewiger Kälte zu verbringen (noch ein Schluck Bier!), und nicht sich in der Prärie zu verirren (ach… Neil Young. Pah!). Wie es ist, wenn alles zu schnell ist, aber doch kaum mitgeschleppt werden kann, weil es zu träge wirkt, zu bedacht an so Blödinnigkeiten wie »Einsamkeit« (für jeden deiner Atemzüge, nehme ich zwei!) und »Geld« hängen bleibt. Unter hinter all dem würde die erste Platte »Life Stories for Minimum Wage« stehen, und mitlaufen, als Soundtrack unser heiteres, mittlerweile kapital entgleistes Beisammensein begleiten. Bis sie dann schließlich nach 20 Minuten, nach nur 20 Minuten einbiegen würde, mit diesem einem C-Ton in das Lied, das meine Nullziger völlig in die Tasche gesteckt hat, und auf einmal alles vergessen wird und ich langsam bei diesem Anfang nervös werden würde, bis es sich dann langsam zu dem Schlagzeug vortrauen würde und ich die ersten Schweißtropfen spüre, und genau weiß, dass ich jetzt Fingernägel kauen würde, wenn nicht alles so furchtbar irreal wäre, und dann langsam dieses Intro zu lang wird, um ein Intro zu sein, und noch einmal leiser wird, um dieses überlogische Riff runterzubeten, ganz sanft, und ich völlig die Kontrolle dabei verlieren würde und nervös im Raum auf und ab gehe, bevor es schließlich mit einer tonnenschweren Explosion dieses Intro endlich bleiben lässt und in den Hauptteil kommt, wo ich gar nicht mehr weiß, wie sich leichte Gitarren anfühlen, weil das alles so richtig groß und bombastisch klingt und ich dann, wenn dieser bebrillte Engel zu singen anfängt beim Wände-Hochgehen in die Knie fallen würde, und mit jedem seiner Worte tausend Tränen hochjagen würde, bis er mir endlich zugesteht, dass alles gut wird, dass alles okay wird, und ich mich endlich, nach diesen Jahren des verzweifelten Wartens fallen lassen kann in ein ewig langes Gitarrenmeer, das mich von einem Strudel in den nächsten schleudert, und mich an all die großen Achtminutenozeane erinnert, die mich seit jeher in völligen Schrecken versetzt haben, und dann werde ich mir wahrscheinlich einbilden, es wäre schon eine Stunde vergangen, aber nach nur ein paar Sekunden kommt das Lied wieder runter und dieser enorme Druck auf der Brust ist weg, und ich liege da und irgendwer wischt mir die letzte Träne aus den Augen, nur damit ich ihm dann noch ein letztes Mal, diesmal als Gast, sagen kann, dass alles gut wird, das alles okay wird, und dass ich es genau so wollte, immer schon. Aus purer Höflichkeit würde ich die Platte ihrem Ende überlassen, aber nur mehr mit halbem Ohr hinhören, weil es eh egal ist, weil es schon zu viel war, weil es eh nichts mehr zu sagen gäbe. Ich würde mein Bier austrinken und gehen, dankbar, erleichtert, verklärt. Cuff The Duke würden mich fragen, ob ich denn die bessere, zweite Platte von 2005 schon gehört habe, und ich würde Kopfschütteln, an die Zeile »The rich get richer and the poor get treated like shit« denken, und sie ihnen abkaufen. Kein »Goodbye« oder so, nur das ewige Problem mit der Wahrheit würde übrig bleiben. Wäre das alles ein Traum gewesen, wäre er zu langweilig, um geträumt zu werden. Aber diese Stücke sind eben nicht so langweilig wie Träume, sie sind eine vollkommen richtig erzählte Geschichte, die das magische Zeug in der Luft zu schimmern bringt, mein Zeug zumindest, meine Landschaftsarchitektur einer (vergangenen) Frühjahresdepression, meine fürstliche Liebe zu all der bigotten Musik da draußen, die sich eh immer größer gibt, als sie ist, und mein Festhalten daran, ihr immer wieder diese Bubblegum abzukaufen. Ich denke also nach, und mir fällt das Interview wieder ein: »Our only real connection to country music is that we’re a song-based band, and the best country music has always been about great, honest songs. Maybe we’ll be to country what The Arcade Fire are to rock’n’roll right now.« und diese Nachdenklichkeit ist somit zu ihrer eigenen Bubblegum des Nachplapperns geworden. Wie schön, dass es nicht weh tut. Wie schön, dass ich nur zu faul bin, um meine Gedanken zu Ende zu denken. Wie schön, dass ich am bitteren Ende meine Augen schließe, um mich selbst nicht davonbrechen zu sehen, und wie schön, dass ich vollends daran glaube, genug Geschichten für ein Leben am Mindesteinkommen zu haben.

Bruno


Bruno

Es muss raus: Ich LIEBE diesen Kerl.

»Sometimes I think that I’m bigger than the sound.«


Yeah Yeah Yeahs - Show Your BonesAngenommen, »Show Your Bones« wäre noch im Winter gelandet: Ich könnte für nichts garantieren. Es wäre so eine immense Übersetzungsarbeit, dieses Monstrum an Bewegung und Unruhe auf das kühle, konservative Stimmungsprofil eines »Wo ist mein Leben geblieben?«-Winterpathos zurückzurechnen. Es wäre auch vielmehr Arbeit gewesen in diesem Zurückrechnen nicht in die »Fever To Tell«-Falle zu tappen, die sich sicher als ein großes Hindernis für »Show Your Bones« auftut: Meidet den Vergleich! Vergesst es! So funktioniert es nicht!

Auch wenn »Fever To Tell« so eine perfekte, so eine schlicht absurd gute Rockplatte war, so rau und ungeschliffen, so glamourös und zerfetzt, so sehr muss man das alles auch einfach in den Mülleimer hauen, wenn man sich »Show Your Bones« nähern will. Es ist so, als ob jeder bestraft wird, der den oben beschriebenen Fehler macht: Zurückrechnen. Tabu. Die Yeah Yeah Yeahs rechnen vor. Sie rechnen vor, indem sie ein Statement für das Weiterentwickeln bringen, eine kontrollierte, in Ankündigungen »folkig« genannte Frühlingsplatte, die eben deshalb nur so, in dieser Zeit des Jahres für mich am besten funktioniert: Als Neunanfang, als etwas frisches, das neue Türen öffnet. Nicht nur im Yeah Yeah Yeahs-Universum.

Yeah Yeah Yeahs

Auch wenn (und das ist ein großes »auch wenn«!) sie eine Sache schon hingekriegt haben, wie ich es von »Fever to Tell« schon gehofft habe: Diese Unterbeweistellung des völlig irren, völlig absurd-schönen, völlig extraterrestrischen Songverständnisses à la »Maps«. Tja, was soll ich sagen? Nach zwei Durchläufen hatte ich mein »Maps« auf »Show Your Bones« gefunden. Dieses absolut wahnwitzige »Cheated Hearts«, wo ich Karen O nichts leichter abkaufe, als dass sie »bigger than the sound« ist. Und wie sehr so ein Statement mal in der heutigen Popmusik nötig war, wo sich grad alle davor drücken irgendwas zu sein. Kurz davor hat Karen O in dem bodenlosen Mittelteil von »Honeybear« schon die Schönheiten des ganzen Jahres in 32 Sekunden zusammengefasst, bevor sie im wilden Ende doch noch das unfehlbar sich-allem-entziehende »Run Away!« proklamiert. Wild, ekstatisch, elektrisch. Und völlig einzigartig.

Überhaupt scheint auch »Cheated Hearts« von diesem Moment zu leben, dass Karen O zurzeit sehr gerne minimal bleibt. Bass, Basedrum und Stimme scheinen die besten Waffen der neuen Yeah Yeah Yeahs zu sein. Dafür kann als Ausgleich die Gitarre in Country-Punk-Hymnen wie »Mysteries« ausgetobt werden. Und wenn sie das tut, kracht’s natürlich, aber es bleibt etwas straffer, etwas cleaner als früher, was eben diese Platte zu einer wunderbar straighten Weiterentwicklung von »Fever To Tell« macht. Statt dort zu bleiben (»better quit staring, cause your looking the same« aus »Dudley«), machen die Yeah Yeah Yeahs nun eine frische, poppige Rockplatte, die quasi »Maps« auf Albumlänge (mit Exzess, ohne Langeweile) weiterdenkt. Was einfach eine wunderbare Idee für diese Jahreszeit ist.

Yeah Yeah Yeahs

Eins sollte man noch erwähnen: Diese Entwicklung, die sicher einigen eingefleischten Fans den Zugang zu »Show Your Bones« erschweren wird, ist eben NICHT dieses Entwickeln-um-der-Entwicklung-willen der ehemaligen Zimmerkollegen der Liars. »Show Your Bones« ist Manifest, nicht konzeptuelle Trance; Unmittelbarkeit, nicht zwangsdekonstruktive Abschweifung; Herz, nicht Hand. Die Yeah Yeah Yeahs haben eine verdammt wichtige Platte zustande gebracht, die allen andern hoffentlich vorrechnet, wie sich ein Rockfrühling anhören muss, um sich selbst nicht ins Grab zu tragen. Was schön ist: Wir müssen nicht nachrechnen, ob das alles stimmt. Die Riffs sind dafür zu sauber, zu klar, zu perfekt. Ich vermutete ja sogar einen Nachmittag lang, diesen stockenden »Phenomenon«-Refrain von Jugendsünde Paradise Now! mit »Lunatic« her zu kennen. Nachrechnen ergab: Haha.

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