Mit dem ersten Absatz habe ich so ein bisschen meine Probleme, da er ja eben doch von einer "genuin asiatischen Filmästhetik" ausgeht, die wiederum die westliche Hemisphäre des Filmschaffens, im Sinne von: etwas ganze Neues, maßgeblich beeinflusst. Zum einen gibt es keinen "pan-asiatischen Film" und davon abgeleitet, eine "asiatische Filmästhetik": Hongkong, Bollywood und Japan sind stilistisch, narrativ und vor allem ästhetisch voneinander höchst unterschiedlich. Und das koreanische Kino wiederum ist, soweit bislang mein Eindruck, eher der Versuch, mit Big Budgets das Hongkong-Kino zu imitieren (was, nach einem kurzen Aufbruch etwa 1998/99, zu einer, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eher etwas seelenlosen Filmlandschaft geführt - so zumindest mein Eindruck; Oldboy ist eher eine Ausnahme).
Problematisch finde ich auch den zugesprochenen hermetischen Charakter Asien<=>Westen und die daraus abgeleitete Gegenüberstellung. Meiner Meinung nach ist das so nicht gegeben. Das asiatishe Kino entwickelte sich, unter jeweils regionalen eigenen Voraussetzungen, natürlich im wesentlichen unter dem Einfluss Hollywoods (damit meine ich die früheste Phase) und bediente sich im Laufe der Zeit immer wieder gerne dort, wie auch umgekehrt Hollywood im Laufe seiner Geschichte äußere Einflüsse assimilierte (der Universal-Horror, aber auch der Film Noir wäre etwa ohne den deutschen "expressionistischen" Film nicht denkbar). Ökonomisch ist das auch recht leicht erklärbar, da, zumal in der internationalen Peripherie, sich nur dort eine Kinokultur und -industrie bilden konnte, wo auch Kinos bestehen. Diese bestehen wiederum nur dann, wenn sie bespielt werden: Und in der Anfangszeit der wenig industrialisierten asiatischen Filmnationen waren das im wesentlichen Importe aus der bis dahin größten Filmnation: USA (selbst die UdSSR musste sich in den ersten Jahren ihrer eigenen Filmherstellung mehrere hundert importierte US-Filme gegen einige wenige eigene Produktionen gefallen lassen). Dies spiegelt sich natürlich auch in der Filmgeschichte wieder: Zahlreiche Wuxia Pian Hongkongs sind mehr oder weniger offensichtliche Anlehnungen an klassische US-Western, ähnlich verhält es sich mit zahlreichen Samuraifilmen. Die Reise geht dabei auch umgekehrt: Kurosawas Western-inspirierter Yojimbo diente wiederum Leones Für eine Handvoll Dollar als Vorlage, der aus dem Querimport wiederum einen Western re-destillierte und damit den Italowestern schuf. USA => Japan => Italien und von dort aus wiederum nach USA (wo die Italowestern zumindest der großen Regisseure einigen Erfolg hatten). Solche Beispiele gibt es zuhauf in der Filmgeschichte, vom ganzen Eastern-Boom in den 70er und 80er mal ganz zu schweigen.
Gerade das finde ich auch an Kill Bill spannend: Dass er eben nicht nur eine Hommage an das asiatische (und italienische) Genrekino darstellt, sondern dass er die internationalen, filmhistorischen Reisen der Filmgenres über die Narration thematisiert und verarbeitet. Die Reisebewegung ist dabei (was nur wenige Hinweise so erkennen lassen) zumindest in Teil 1 gebrochen und spiegelt das diffuse Verhältnis der Politik der gegenseitigen Komplimente wider: Der Film beginnt zeitlich linear zwar in den USA, doch über den Rachezettel der "Braut" erfahren wir, dass die Episoden mit O-Ren Ishii in Japan bereits ereignischronologisch "Geschichte" sind. Der Film beginnt in der Tat mit seinem Ende, entwickelt aber durch die Montage eine Reise in asiatische Gefilde und im zunehmenden Verlauf wird der Film auch in der Tat "asiatischer".
Das klingt jetzt alles schrecklich schulmeisterlich und eigentlich will ich gar nicht so rüberkommen. Aber das asiatische Kino ist eben auch recht mythenbehaftet und diese Mythen stehen oft sehr bestimmend über den einzelnen Filmen, weswegen es oft mühsam ist, diese beiseite zu räumen und einen zumindest graduell weniger verzerrten Blick auf sie zu werfen. Und gerade weil sich im asiatischen Raum in der Tat mit die derzeit aufregendsten und spannendsten Filme befinden (ob nun Genre, Kunst, Autorenfilm - so man diese Schranken überhaupt aufrecht erhalten mag), denke ich, dass ein unverstellter Blick da lohnenswert ist. Deswegen liegt mir das einfach auch am Herzen, was mein weites Ausholen hoffentlich verzeiht und es als nicht ganz so klugscheißerisch erscheinen lässt. :)
Danke für deine ausführliche Kritik und den Ausflug in Filmgeschichte. Ich lese so etwas durchaus gerne und empfinde das mitnichten als "schulmeisterlich" - naja, vielleicht ein wenig, aber das nur im Positiven ;).
Natürlich ist mir klar, dass nichts aus Nichts entsteht und auch die frühen asiatischen Filme nicht ohne Vorgänger auskamen. Dennoch, und das ist meine Hypothese, scheint mir der Umfang des Austausches ein größerer zu sein, oder besser: sich auf breiteren Ebenen abzuspielen. Der verstohlene Blick nach Hollywood ist einem selbstbewußten gewichen. Erst durch dieses Selbstbewußtsein wurde es dann möglich, dass Asien wiederum von Hollywood zitiert wurde. Nochmal: Es geht mir hier um den Umfang des Austauschs.
Du hast auch Recht, wenn du behauptest, der asitische Film an sich bestehe so nicht. Allerdings denke ich, dass eine Verallgemeinerung, wie ich sie hier getroffen habe, schon rechtens ist da die asiatischen Filme halt doch untereinander sich ähnlicher sind als im Vergleich zu europäischen oder westlichen im allgemeinen. Auch hier sollte natürlich klar sein, dass die Grenzen nicht trennscharf gezogen werden können. (Macht Wenders nun amerikanische oder deutsche Filme? Was ist mit John Woo? etc.) Ich glaube man kann das mit Europa/Amerika vergleichen: Deutsche Komödien liegen immer noch meilenweit von französischen entfernt (ohne jetzt hier über den ach so schlimmen - schluchz - deutschen Film herziehen zu wollen, daran liegt mir nichts) dennoch gibt es sowohl in deutschen wie auch in französischen oder anderen europäischen Filmen gewiße Konstanten, die sich deutlich von Amerika auf der einen und Asien auf der anderen Seite absetzen.
Im übrigen scheint mir "Oldboy" nicht die große Ausnahme des koreanischen Kinos zu sein. Sein Vorläufer "Sympathy for Mr. Vengeance" gefiel mir auch bereits, schlug auch in eine ähnliche Kerbe wie "Oldboy". Und dann gibt es ja auch noch Kim Ki-duk, von dem ich aber nur "Bad Guy" und "Spring, Summer..." kenne, der ja auch (zumindest visuell) ein Leckerbissen war. Von Ki-duk läuft ja auch hierzulande dieser Tage der neue Film an, über den man auch nur gutes liest. Außerdem wurde mir noch ein Regisseur namens Lee Chan-Dong empfohlen. Ich glaube da gibt es viel zu entdecken.
PS. Du erwähnst den deutschen expressionistischen Film. Hast du dazu die Diskussion im Spex-Forum mitgelesen? Wir sind uns da nicht einig geworden.
Nachtrag: Zu Kim Ki-Duks neuem Film gibt es in der aktuellen Spex auch einen Text/ein Interview. Die aktuelle Ausgabe würde ich dir aber auch und vor allem wegen des Artikels über Machinima, die zwar nichts mit Asien im speziellen aber doch viel mit Film und neuen Kunstform im allgemeinen zu tun haben, empfehlen.
Problematisch finde ich auch den zugesprochenen hermetischen Charakter Asien<=>Westen und die daraus abgeleitete Gegenüberstellung. Meiner Meinung nach ist das so nicht gegeben. Das asiatishe Kino entwickelte sich, unter jeweils regionalen eigenen Voraussetzungen, natürlich im wesentlichen unter dem Einfluss Hollywoods (damit meine ich die früheste Phase) und bediente sich im Laufe der Zeit immer wieder gerne dort, wie auch umgekehrt Hollywood im Laufe seiner Geschichte äußere Einflüsse assimilierte (der Universal-Horror, aber auch der Film Noir wäre etwa ohne den deutschen "expressionistischen" Film nicht denkbar). Ökonomisch ist das auch recht leicht erklärbar, da, zumal in der internationalen Peripherie, sich nur dort eine Kinokultur und -industrie bilden konnte, wo auch Kinos bestehen. Diese bestehen wiederum nur dann, wenn sie bespielt werden: Und in der Anfangszeit der wenig industrialisierten asiatischen Filmnationen waren das im wesentlichen Importe aus der bis dahin größten Filmnation: USA (selbst die UdSSR musste sich in den ersten Jahren ihrer eigenen Filmherstellung mehrere hundert importierte US-Filme gegen einige wenige eigene Produktionen gefallen lassen). Dies spiegelt sich natürlich auch in der Filmgeschichte wieder: Zahlreiche Wuxia Pian Hongkongs sind mehr oder weniger offensichtliche Anlehnungen an klassische US-Western, ähnlich verhält es sich mit zahlreichen Samuraifilmen. Die Reise geht dabei auch umgekehrt: Kurosawas Western-inspirierter Yojimbo diente wiederum Leones Für eine Handvoll Dollar als Vorlage, der aus dem Querimport wiederum einen Western re-destillierte und damit den Italowestern schuf. USA => Japan => Italien und von dort aus wiederum nach USA (wo die Italowestern zumindest der großen Regisseure einigen Erfolg hatten). Solche Beispiele gibt es zuhauf in der Filmgeschichte, vom ganzen Eastern-Boom in den 70er und 80er mal ganz zu schweigen.
Gerade das finde ich auch an Kill Bill spannend: Dass er eben nicht nur eine Hommage an das asiatische (und italienische) Genrekino darstellt, sondern dass er die internationalen, filmhistorischen Reisen der Filmgenres über die Narration thematisiert und verarbeitet. Die Reisebewegung ist dabei (was nur wenige Hinweise so erkennen lassen) zumindest in Teil 1 gebrochen und spiegelt das diffuse Verhältnis der Politik der gegenseitigen Komplimente wider: Der Film beginnt zeitlich linear zwar in den USA, doch über den Rachezettel der "Braut" erfahren wir, dass die Episoden mit O-Ren Ishii in Japan bereits ereignischronologisch "Geschichte" sind. Der Film beginnt in der Tat mit seinem Ende, entwickelt aber durch die Montage eine Reise in asiatische Gefilde und im zunehmenden Verlauf wird der Film auch in der Tat "asiatischer".
Das klingt jetzt alles schrecklich schulmeisterlich und eigentlich will ich gar nicht so rüberkommen. Aber das asiatische Kino ist eben auch recht mythenbehaftet und diese Mythen stehen oft sehr bestimmend über den einzelnen Filmen, weswegen es oft mühsam ist, diese beiseite zu räumen und einen zumindest graduell weniger verzerrten Blick auf sie zu werfen. Und gerade weil sich im asiatischen Raum in der Tat mit die derzeit aufregendsten und spannendsten Filme befinden (ob nun Genre, Kunst, Autorenfilm - so man diese Schranken überhaupt aufrecht erhalten mag), denke ich, dass ein unverstellter Blick da lohnenswert ist. Deswegen liegt mir das einfach auch am Herzen, was mein weites Ausholen hoffentlich verzeiht und es als nicht ganz so klugscheißerisch erscheinen lässt. :)
Best-
Thomas
Danke für deine ausführliche Kritik und den Ausflug in Filmgeschichte. Ich lese so etwas durchaus gerne und empfinde das mitnichten als "schulmeisterlich" - naja, vielleicht ein wenig, aber das nur im Positiven ;).
Natürlich ist mir klar, dass nichts aus Nichts entsteht und auch die frühen asiatischen Filme nicht ohne Vorgänger auskamen. Dennoch, und das ist meine Hypothese, scheint mir der Umfang des Austausches ein größerer zu sein, oder besser: sich auf breiteren Ebenen abzuspielen. Der verstohlene Blick nach Hollywood ist einem selbstbewußten gewichen. Erst durch dieses Selbstbewußtsein wurde es dann möglich, dass Asien wiederum von Hollywood zitiert wurde. Nochmal: Es geht mir hier um den Umfang des Austauschs.
Du hast auch Recht, wenn du behauptest, der asitische Film an sich bestehe so nicht. Allerdings denke ich, dass eine Verallgemeinerung, wie ich sie hier getroffen habe, schon rechtens ist da die asiatischen Filme halt doch untereinander sich ähnlicher sind als im Vergleich zu europäischen oder westlichen im allgemeinen. Auch hier sollte natürlich klar sein, dass die Grenzen nicht trennscharf gezogen werden können. (Macht Wenders nun amerikanische oder deutsche Filme? Was ist mit John Woo? etc.) Ich glaube man kann das mit Europa/Amerika vergleichen: Deutsche Komödien liegen immer noch meilenweit von französischen entfernt (ohne jetzt hier über den ach so schlimmen - schluchz - deutschen Film herziehen zu wollen, daran liegt mir nichts) dennoch gibt es sowohl in deutschen wie auch in französischen oder anderen europäischen Filmen gewiße Konstanten, die sich deutlich von Amerika auf der einen und Asien auf der anderen Seite absetzen.
Im übrigen scheint mir "Oldboy" nicht die große Ausnahme des koreanischen Kinos zu sein. Sein Vorläufer "Sympathy for Mr. Vengeance" gefiel mir auch bereits, schlug auch in eine ähnliche Kerbe wie "Oldboy". Und dann gibt es ja auch noch Kim Ki-duk, von dem ich aber nur "Bad Guy" und "Spring, Summer..." kenne, der ja auch (zumindest visuell) ein Leckerbissen war. Von Ki-duk läuft ja auch hierzulande dieser Tage der neue Film an, über den man auch nur gutes liest. Außerdem wurde mir noch ein Regisseur namens Lee Chan-Dong empfohlen. Ich glaube da gibt es viel zu entdecken.
PS. Du erwähnst den deutschen expressionistischen Film. Hast du dazu die Diskussion im Spex-Forum mitgelesen? Wir sind uns da nicht einig geworden.
Nachtrag: Zu Kim Ki-Duks neuem Film gibt es in der aktuellen Spex auch einen Text/ein Interview. Die aktuelle Ausgabe würde ich dir aber auch und vor allem wegen des Artikels über Machinima, die zwar nichts mit Asien im speziellen aber doch viel mit Film und neuen Kunstform im allgemeinen zu tun haben, empfehlen.