platten.kritk

Weil wir es glauben müssen…


Broken Social Scene sind die vermutlich einzige Band unserer Tage, die, wenn sie »einfach weiter macht«, trotzdem die Popwelt wieder aus den Angeln hebt. Weil sie ohne zu verkrampfen die Popwelt in Ruhe lassen kann. Ganz im Gegenteil: Ausgelassen wird gefeiert, dass keine Songs mehr nötig sind, um alles zu sagen. Postindierock, Rewind.

Als Kevin Drew und Brendan Canning 2001 »Feel Good Lost« aufnahmen, war Postrock noch nicht, oder kaum tot. Auf jeden Fall war ihr Postrock kleiner, aber sexy, elegant und unprätentiös. Die eine oder andere Mithilfe am Album ließ es uns ins gröbere GY!BE-Umfeld einordnen, und die Idee der Broken Social Scene wuchs daraufhin organisch (wie auch die des dafür und von ihnen geschaffenen Labels Arts & Crafts). Bis schließlich 16 Menschen zusammenfanden, um die leichteste Platte ihres Lebens, die zweite Platte, aufzunehmen. Stars, Apostle of Hustle, Metric, Feist, Peaches, Do Make Say Think waren nun die Namen des Netzwerks, das sich hier zusammenbraute. »You Forgot It In People« sollte sie heißen, und sie sollte wahrhaft Wellen schlagen.

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Es ging auf einmal um eine Wegbiegung. Auf einmal, aus heiterem Himmel, war unverfrorener, androider Indierock in »Almost Crimes« oder »KC Accidental« zu hören. Auf einmal strichen Pauken und Streicher über Emily Haines’ Stimme die sanfteste Einschlafmelodie imaginable in »Anthems For A Seventeen Year-Old Girl«. Auf einmal wuchs alles zu weit auseinander, um nur noch »Postrock« oder »Indie« zu sein. »You Forgot It In People« sprach wie keine andere Platte ihrer Zeit (die bei uns erst zwei Jahre später anfing) von der Möglichkeit, dem Selbst einen Streich zu spielen, der Langeweile (also der objektiven Verzweiflung) mithilfe des Überflusses die Energie zu stehlen, ganz wider dem umgekehrt lautenden schwedischen Sprichwort. Wir sind im Jetzt. 2005 kommen alle, wirklich alle Mitglieder der Broken Social Scene wieder zusammen, und nehmen 220 Minuten Post-»You Forgot It In People«-Musik auf. Etwa eine Stunde davon ist das dritte Album: selftitled.

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Überfluss reloaded. Wir sind im HipHop, beim Bellen, beim Aberglauben, bei Träumen kanadischer Schriftstellerinnen, beim »Major Label Debut«, bei der »Windsurfing Nation«, bei Feuer als Augenfarbe, bei »Finish Your Collapse And Stay For Breakfast«, bei Gesichtern, die Küsten entzweien: An Ideen mangelt das neue Album sicher noch weniger als der Vorgänger. Wir sind dabei, einem Kollektiv zuzuhören, wie es seine eigene sprichwörtliche Identität abermals verwirft, um aus was Neuem was Altes zu machen. Broken Social Scene haben niemals einfach die »bessere« Musik gemacht. Sie waren einfach immer genau vor jener Stufe, an der Rock/Jazz/Pop/Whatever anfing langweilig zu werden. Sie machen mit dem neuen Album mehr denn je die gesamte Arbeit des Postrock unnötig, und wer das neue Album lieben will, muss mehr denn je dran glauben, dass Momente stärker als Songs sein können.

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Wenn wir an die Schönheit der heurigen kanadischen Platten (Arcade Fire oder Stars mal als Vorreiter genommen) denken, dann steht »Broken Social Scene« dem in nichts nach. Aber Schönheit ist eben nicht das einzige, was hier kulminiert, gebrochen und recycled wird. Die windigen Einzelheiten der Platte aufzuzählen ist schier unmöglich, da der Anker dazu fehlt. Die Bläser und Streicher sind wie früher die stilprägende Extravaganz, die Gitarren und Bässe das böse Grummeln des jugendlichen Irrsinns, die Stimmen der verzweifelte Traum einer idealen Sekunde. Die Platte dreht sich dramaturgisch und inhaltlich ständig um 181 Grad. Superconnected, versteht sich. »Ibi Dreams Of Pavement (A Better Day)« bringt diese Anliegen mit einer unkonzentrierten, überdosierten und stümperhaft-emotionalen Art und Weise zum Vorschein, eine Emo-Stimme, die betrunken vor sich säuselt, ein Gitarrenintro über dem vernichtenden Schlagzeug, das schlicht zwischen zwei Tönen switcht und Ozeane an Sound dazwischen eröffnet. Wenn der Song in der Mitte bricht, sind es die sanftesten K.O.-Schläge seit den Pixies, und das Ende, mit seinen Winden, seinem Rausch, seinem widerwilligen Nichtzuhaltenseins, wo dann dieses Gitarrenintro wie ein Hauch in der siebten Hintergrund-Spur vorbeizieht, ist schlichtweg eine Farce an Wall-of-Sound-Eskapaden. Das folgende »7/4 (Shoreline)«, das Arts & Crafts schon längst auf der Homepage zum Download angeboten hat, ist die Sonne. »Major Label Debut« braucht so wenig, um wie Medizin zu wirken, wie einst »Anthems For A...«, und »Bandwitch« hat diese eine Gospel/Soul/Weißnichwas-Summline; steinigt mich, aber es klingt so sehr nach allem, was ich von einer Stimme haben möchte, dass ich wirklich keine Ahnung hab, woran es mich erinnert. Unkonzentriert, ausfasernd, overwhelming ist alles, ausnahmslos.

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Am Ende heißt es »It’s All Gonna Break«. Meine Güte, »It’s All Gonna Break«! Und wie oft es bricht! Und wie oft es wieder aufersteht! Und wie oft du nicht weißt, an welchem dieser beiden Enden du dich befindest! Wie keine andere Musik spricht eben Broken Social Scene auch davon, dass Brüche und Schönheit sich nicht ausschließen. So wie sich prinzipiell auch sonst nichts ausschließen sollte. Das schönste »anything goes«, das erfolgreichste »Do it yourself, again and again, forever and ever«, das kaputteste »Je vollkommener, desto mehr Schmerzen.« (Michelangelo), und das schmerzhafteste »Der Splitter in deinem Auge ist das beste Vergrößerungsglas.« (Adorno, again) seit »You Forgot It In People« erscheint am 07. Oktober 2005 bei Arts & Crafts. Und warum? Weil wir es endlich glauben müssen. Bitte.

Stars - "Set Yourself On Fire"


Wie altmodisch. Wie unkonsequent britisch. Wie gemein.

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Denken wir mal an »Heart« zurück. Hm, Eleganz? Epos? Breite statt Weite? Mag alles sein. »Heart« war eine Platte zum lieben. Ich tat es nicht, weil ich sie nicht kannte. Ja, die Stars kamen erst mit »Set Yourself On Fire« in mein Leben. Sie hatten weiß Gott früher Möglichkeit dazu, beim Immergut 2003 waren ausgerechnet sie die einzige Band die ich NICHT gesehen habe. Vielleicht aus Vorfreunde auf die große, große Schwesternband Broken Social Scene. Also gut, Rewind. »Heart«. Was für eine Platte! Was für ein schelmisches Stück wunderschöner Popmusik. Erhaben. Gewaltig. Leichtfüßig. Selbstsicher. Irgendwo voller kindlicher Freude. Und voller Hits, nur der Opener »What The Snowman Learned About Love« oder »Elevator Love Letter« als Beispiele genommen. Oder dieses eine Lied über den Tod, das so unglaublich flott war. Erm…. »Death To Death«, genau. Okay, wir haben das irgendwo. Was dann?

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Dann kam sie, die Platte Nr. 3. »Set Yourself On Fire« trägt sie als Namen und beginnt mit dem nun fast schon überstrapazierten Zitat »When there is nothing left to burn, you have to set yourself on fire!«. Dieser Opener, »Your Ex-Lover Is Dead«, ist mal der erste von unzähligen Gründen, warum die Stars so eine besondere Band sind. Weil sie den Moment spüren, an dem Schönheit ganz von sich aus in der Musik aufsteigen kann, und eben dieser Opener am Ende, wenn die Drums nur mehr Snares aneinanderreihen und sich eine turmhoche Energie aufbaut, dir »Transatlanticism« von Death Cab For Cutie ins Hirn legt, das ganz ähnlich aus seiner eigentlichen Statik die größte Kraft schöpft. Statik. Das muss man sich mal bei den Stars auf der Zunge zergehen lassen.

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»Set Yourself On Fire« versucht ähnlich britisch zu sein wie »Heart«, aber irgendwo gelingt es ihr auf eine andere Art und Weise. Etwas konkreter vielleicht. Etwas verspielter. Wo »Heart« noch trüb war, ist »Set Yourself On Fire« träumerisch hoch tausend. Träumerisch und statisch, so kann’s gehen. »Ageless Beauty« exerziert das auch wunderbar in seiner Schlichtheit vor. Ein ganz nebensächlicher, aber weltgroßer Popsong mit (fast) keinen Kanten, der von Amy Millans Gesang in fantastische Umlaufbahnen geschleudert wird. Überhaupt: der Gesang ist so eine Sache bei denen. Wie sich die beiden Stimmen da umherjagen und gegenseitig ergänzen ist in etwas anderer Form aber doch auch ähnlich bei den Kills oder – schlimmer Gedankensprung – Royal Trux zu finden. Nur war es bei denen eben das gegenseitige Belauern und emotionales Offenbaren. Bei den Stars erzählen diese zwei Stimmen wie eine. Sie sprechen von der zeitlosen Schönheit, die in Musik liegen kann. Sie sprechen von der Revolution. Sie sprechen von uns.

Aber wie war das noch mal mit Broken Social Scene? Ganz einfach, eigentlich. Die Bands sind gute Freunde, gingen miteinander auf Tour und Amy und Evan Cranley spielten bei »You Forgot It In People« mit. Die Stellen, wo diese Freundschaft aufblitzt, sind kleine verschobene Momente wo ein Stars-Song kurz bricht, nur um daraufhin sofort wieder in den bekannten Rhythmus zurückzukommen. In »One More Night« z.B. Aber der große Unterschied ist, dass Broken Social Scene (heute mehr denn je) dem eigentlichsten Ziel des Postrocks, den Song zu überwinden, näher sind als es dem Postrock je lieb war, während die Stars von nichts anderem leben, als wunderschöne Songs zu schreiben. Es scheint, als sind die Stars das, was passiert wäre, wenn Broken Social Scene bei ihrer Loslösung vom »klassischen« Postrock und bei den anfänglichen Versuchen mit Indie-Rock (also der Zeit zwischen Platte 1 und 2) eben etwas stärker zu letzerem abgebogen wären, als sie es schlussendlich mit »You Forgot It In People« taten. Die Stars sind die extrem schönen Broken Social Scene, nur eigener. So schön wie eben heutzutage Death Cab For Cutie sein können. Oder etwas früher Spirtualized (man höre das Ende vom Track »Set Yourself On Fire«!).

»The revolution wasn't bad
We hit the streets with all we had
A tape recording with the sound
Of the Velvet Underground
A K-Way jacket torn to shreds
And a dream inside our heads
And after changing everything
They couldn't tell we couldn't sing
After changing everything
They couldn't tell we couldn't sing
They couldn't tell we couldn't sing
And that changes everything.«

Dieses Ende von »Soft Revolution« macht es allein schon aus. Das macht alles wieder gut, wenn der Tag mies war. Das macht alles ins Lot, damit der letzte Track, »Calender Girl«, dich sanft loslassen kann. Nachdem dir die ganze Platte die Hand hielt, braucht es so einen Moment auch. »I’m alive.«. Denk da mal drüber nach!





The Go! Team - Thunder, Lightning, Strike


Eine kalte Herbstnacht bricht über einer trostlosen Vorstadt des Englands der 80er Jahre herein, du stehst auf der Schwelle eines Hauses und hast Angst davor, in die Stadt zu gehen. Angst vor den wilden Meuten, den Grausamkeiten, dem Terror, den Katzen. Du blickst rauf und der Wind bricht lauthals in dein Gesicht ein. Kälte. Starre. Und immer wieder diese Angst….



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Das waren immer und immer wieder meine Vorstellungen der ersten acht Sekunden von »Thunder, Lightning, Strike«. Es war allein der Wind, dieses gruselige Rauschen. Und was passierte mit jedem Mal wieder? Dieser Überraschungsmoment, dieser Bruch. Als auf einmal mit einer ungeahnten Lockerheit eine E-Gitarre den Wind zerschneidet und die Drumsticks den Takt angeben für eine Odyssee, die jede Zelle des Gefühlten Körpers der ersten acht Sekunden widerspricht. Angst? Verzweiflung? Katzen? Forget it!

Allein dieser Opener »Panther Dash« ist in seinem fundamental-simplen wie genialen Aufbau ein Stück Popkultur der Sonderklasse. Wird hier (wie auch auf den weiteren 37 Minuten) gesamplet und geklaut was nur geht. The Go! Team sind eine kaum erahnbare Mischung aus 80er-Jahre Fernsehserien und Nullziger-Indierockotronic. Mit Drive. Und Wucht. Der blasse Anblick des Retro scheint hier aber schon zur Abschreckung zu dienen. Denn wahrhaft hat es damit nichts zu tun, auch wenn durch die Jahrhunderte hindurch geklaut wird. The Go ! Team gelingt es auf »Thunder, Lightning, Strike« so geschickt, Altes für Neues zu verwenden, ohne die beiden zu verwechseln, wie es mir seit Von Spar nicht mehr vorkam. Nur klingen The Go! Team natürlich britischer. Vielleicht auch nicht so zornig, und von dacher entspannter. Und es ist nichtsdestotrotz unmöglich hier Sampling von Songwriting zu unterscheiden. The art of daaaance: We’re playing drums TWICE!! Excuse me, I need a haircut….

Was da für Perlen noch herumliegen? Neben »Panther Dash«? Das bereits erwähnte »The Power Is On«, Hektik, Fröhlichkeit, Euphorie. »Get It Together«, inkl. Scratch-Exkursion am Ende. (Schon mal was von der neuen Common gehört? Aufgefallen, dass ein Track »Go!« heißt? Mal überlegt wessen jugendliche Gego!e da am Ende reingesamplet wird?)
»Junior Kickstart«! Du grüne Neune! Was für ein Anfang, dieses trocken-zerschmetternde Gitarrenriff, das dann so von den Bläser und den Schlagzeugen in unerreichbare Höhen gehoben wird! Und schließlich »Everyone’s A V.I.P. To Someone«, der ruhige Ausklang, der einfach nicht ruhig werden will. Aber täuscht Euch nicht: Von 11 (in der neuen Europa-Version 13) Stücken ist kein Filler, sondern nur Killer zu finden. (Na gut, außer dem Intermezzo der »Air Raid GTR«, dass »Junior Kickstart« ausklingen lässt….)

Okay, also worum geht’s? Ninja! Go! Power! Kickstart! Junior! Terror! Ladyflash! Panther Dash! Huddle Formation! Thunder! Lightning!! Strike!!!
Allein die Namen, die sie sich und ihren Songs gaben machen deutlich, dass dies hier eine der druckvollsten, frischesten und unverbrauchtesten Musiquen seit Ewigkeiten ist. Und die besten zwei Schlagzeuge seid »Worlds Apart«. Ehrlich.


Seele essen Angst auf


Schnee von gestern? Uns egal.
Da nun hier online (wo er schließlich auch hingehört...), können wir (also ich und spud) euch hier auch ein bisschen was erzählen über... naja, ihr wisst schon.... "die schärfste Band unserer Tage" (Thees Uhlmann).

Wenn Bands alles richtig machen und die großen Festival-Bühnen erobern, trotzdem jedoch jeden noch so kleinen Club mit ihren Superlativen, mit ihrer Energie und mit ihrem Drang erreichen, dann heißt das, dass die Maschine »Rock« begriffen und ausgetrickst wurde. Aber wenn dann auch noch so eine Platte wie »They Think They Are The Robocop Kraus!« daherkommt, dann ist es verdächtig. Verdächtig gut.

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Aus der Nähe von Nürnberg kommt das Wunder her. Eine Band, fünf Freunde, die auszogen um ihre Hardcore-, Emo-, NewWave-, Postpunk-Vergangenheit in einen schmackig-eleganten Pop-Entwurf zu verpacken. Und ihre bisherige History liest sich in der Tat wie ein Märchen ohne Bösewichte: Mitte der Neunziger erste wütende HC-Aufnahmen, eigenes Label gegründet, Pop schummelt sich rein, zweites Album »Tiger« lässt sie zum Geheimtipp werden. Unablässiges (und wirklich, DAS ist wörtlich gemeint) Touren und die richtigen Connections bringen 2003 den Deal mit der Indie-Legende L’Age D’Or. »Living With Other People« hieß das Meisterwerk, das in Anbetracht der jetzt laufenden Welle an stilistisch ähnlichen, international umjubelten Bands eindeutig seiner Zeit voraus schien. Und dann musst du cool genug sein, nicht unterzugehen, nicht abzusaufen, sondern weiterzumachen, bis du in Schweden bei Pelle Gunnerfeldt landest, dem Produzenten der Hives und der (International) Noise Conspiracy. Hm, das mag komisch klingen, immerhin machen TRK alles richtig, was Bands wie diese immer schon falsch gemacht haben. Vor allem sind TRK nicht langweilig. Aber gut, Pelle gibt schon im ersten Mail den Ratschlag »Hört mehr AC/DC!«, was das neue Album zwar nicht wirklich explizit auszeichnet, aber vielleicht doch den Dampf und die Energie bündeln konnte. Die Energie ihrer Konzerte, der sagenumwobenen TRK-Gigs, die den Club definitiv nicht in Ordnung lassen. Diese Energie auf Platte zu bannen scheint unmöglich. Und doch gelingt »They Think They Are…« dieses Kunststück bestens.

Einen Großteil eurer jetzigen Bekanntheit verdankt ihr eurem unnachgiebigem Touren. Seht ihr euch primär als Live-Band oder ist die Studio-Arbeit wesentlicher?
Studio-Arbeit macht schon Spaß, aber ich glaube wir definieren uns schon eher als Live-Band. Das haben wir bisher eigentlich schon immer gemacht, und das ist auch das, wo wir am unabhängigsten agieren können. Bei der Plattenaufnahme bist du immer vom Label abhängig, und rüberkommen tut eh immer fast nichts, also bleibt es bei uns meistens bei den Konzerten. Aber es ist eben schon auch ein Reiz mal ne gute Platte aufzunehmen.

Das Loslassen bei euren Konzerten, dieses Punkige, ist auf der neuen Platte erstaunlich clever rübergekommen.
Ja, Dank den tollen Menschen mit denen wir zusammengearbeitet haben. Wir sind zufrieden wie eigentlich noch nie mit einer Aufnahme. Ich mein, so richtig perfekt kann man das ja nie abfangen. Man kann sich hinsetzen und ne gewisse Stelle üben, bis man sie super spielen kann, oder man kann sie aufgeben. Bei Konzerten kannst du so nicht rangehen. Da musst du was finden, was du dazu spielen kannst, was dazu passt, und was auch im Stress irgendwie noch fehlerfrei spielbar ist.

Wie waren die Aufnahmen? Wart ihr auf einer Wellenlänge mit Pelle Gunnerfeldt?
…und Johann Gustaffson, der Engineer, muss man dazu sagen. Ja, auf jeden Fall waren wir das.

Habt ihr ihm viel erklären müssen oder hat er euch viel erklärt?

Nö, er hat grundsätzlich gar nichts erklärt, weil der nicht viel redet. (lacht) Vom Gemüt her ist er ein richtig typischer Schwede, sagt nix, macht aber. Und das halt dafür umso besser.

Beim Hören eurer Platte kommen immer Assoziationen von wütenden Jungs hoch, die den Club in Schutt und Asche legen wollen. Gibt es einen gewissen Druck eurerseits auf der Bühne Entertainer zu sein?
Druck nicht, aber wie wir mit The Robocop Kraus angefangen haben, war es irgendwie klar vom Konzept her, dass wir uns als Entertainer sehen. Wir haben alle in so Emo-Postpunk-Bands gespielt, da war’s ja dann auch oft so, dass du mit dem Rücken zum Publikum spielst und so. Und da mag die Musik noch so gut sein, aber ein Konzert muss, finden wir, mehr bieten.

Und dieses Mehr, das TRK live bieten, findet auf der neuen Platte Entsprechungen sondergleichen. Nur »In Fact You’re Just Fiction« als Beispiel genommen, ein Popsong ohne Wenn und Aber, der jenes Niemandsland des Rocks beackert, wo alle letztes Jahr noch Franz Ferdinand triumphieren gesehen haben. Heute triumphieren da eben TRK. Oder »You Don’t Have To Shout«, die uneingeschränkte Frechheit des Songtitels, weil Schreien und Jubeln wirklich das dringlichste ist, wozu der Song anstiftet. Diese Songs leben davon, weniger zu wollen als sie bieten. Sie versuchen nicht, fünf Geschichten in einem Song zu erzählen. Sondern zwei. Dies ist wirklich bemerkenswert, vor allem weil der innewohnende Soul, das Gefühl, die Seele in Thomas Langs Stimme das erste Mal seit langem ein Rock-Album zum Erzählen gebracht hat. Und die Musik das erste Mal seit langem so viele Leute bei Konzerten zum Tanzen. Wenig Geschichten großartig zu erzählen heißt eben auch: Großformatigen Witz und unbestechliches Gespür für den Moment zu haben. Wir schreiben 2005, auf einmal werden die Zeichen klar, dass TRK mehr sind als nur irgendein deutsches Provinz-Ideechen. Epitaph ruft an.

TRK stellt man sich am ehesten in einem kleinen, engen Club vor, wo die Hölle los ist. Wie geht’s euch jetzt mit dem Erfolg, mit den großen Festival-Bühnen, mit der Unpersönlichkeit dort?
Ich weiß es nicht genau, vielleicht kann ich euch das im nächsten Jahr sagen. Was wir bisher bei den großen Bühnen gemerkt haben, ist halt, dass du da wieder was lernen musst. Am Anfang war’s bei uns ja auch ein kleiner Club ohne Bühne oder ein besetztes Haus. Dann kamen 100er-Clubs. Es sind halt immer Schritte, wo du was neues Lernen musst, insofern ist das halt jetzt auch einfach ein Schritt, wo du den Ablauf, den Umgang mit der Bühne und mit dem Publikum neu lernen musst. Natürlich fühlen wir uns wohler in Clubs vor zwei-, dreihundert Leuten.

Wie seid ihr zum Deal mit Epitaph gekommen?

Über einen Freund von uns. Der hatte da die Kontakte, hat die mal bei einem Konzert vorbeigeschickt, die sind gekommen und haben gemeint, das würde klappen.

Wann habt ihr davon erfahren?
Eigentlich genau während den Aufnahmen in Schweden. Das hat aber nichts an unserer Arbeit geändert, es ist dadurch kein Druck auf uns ausgeübt worden. Den fand ich beim letzten Album wesentlich größer, wahnsinnige Anspannung. Ich weiß nicht einmal, warum damals der Druck größer war, ist immer sehr subjektiv. Aber das jetzt war wesentlich lockerer.

Reagieren manche Fans jetzt aufgrund des Erfolgs anders? Sind manche enttäuscht? Früher habt ihr ja Interviews mit Intro oder Visions abgelehnt …
Eigentlich haben wir diesbezüglich noch keine negative Kritik gehört, natürlich kann man’s nicht jedem Recht machen. Wir haben damals die Interviews auch nicht aus Prinzip abgelehnt, sondern eher weil wir wollten, dass das Ganze organisch wächst. Also Sachen zu lassen, die vielleicht einfach sind, aber keinen Sinn für uns ergaben. Und dadurch gibt es eben Grenzen, wobei bei uns sehr viel diskutiert wird, welche Interviews wir jetzt machen, und wie weit wir gehen wollen.

Zum Beispiel?
Also, Springer-Presse ist von uns verhasst, aber ich bin mir gar nicht sicher, ob wir da nicht auch schon was hatten. (lacht)

Euer Stil ist nicht der typische schwedische Rock-Chic, aber trotzdem scheint er für euch als Live-Band wichtig zu sein.
Ja, wir haben angefangen mit Hemd und Krawatte, Anzug auch mal. Das war halt Punks-Ärgern bei Konzerten. Das hat aber irgendwann dann nicht mehr funktioniert, momentan sind wir etwas orientierungslos, es bricht gerade etwas auf. Wir suchen uns immer kurz vor jedem Konzert aus, was jetzt Sinn machen würde, und diese Spontaneität gefällt uns zurzeit.

Wie geht es euch mit dem euch oft nachgesagten Soul?
Hm. Das find ich jetzt gar nicht so. Bin selbst jetzt nicht so ein Soul-Fan.

Also doch kein Soul. Aber woher kommt dann diese Angst, die das Ende eines TRK-Songs auszeichnet? Die Angst, dass er nicht wiederkommt? War es nicht genau das, was Soul in all seiner Schönheit ausmacht? Offensichtlich nicht. Zumindest bei TRK weißt du also nie, was Fiktion und was Realität ist. In der Tat sind sie selbst, und ihre Konzerte, vielleicht Fiktion.

Ist das viele Touren anstrengend?
Ja. Es macht enormen Spaß, aber es ist auch anstrengend. In Österreich sind wir halt so oft, weil das Label hier viele Möglichkeiten bietet. Das ist in anderen Ländern oft nicht so.

Und da sollten wir dankbar sein. Zahlreiche Clubs, Ottensheim Openair, Seewiesenfest, Donauinselfest wurden schon in Schutt und Asche gelegt. Und weitere folgen. Und sie sollten nicht verpasst werden. Z.B. der 25. September im Wiener B72....












VÖ: schon längst draußen...
INFO: www.therobocopkraus.de

Death Cab For Cutie - "Plans"


dcfc plansDas ist die Tinte, mit dem dein erster Liebesbrief verfasst wurde. Das ist das "Trotzdem", das entgegenhallt, wenn ein Argument nicht zünden darf. Das ist der Glaube daran, dass bei einer nächtlichen Autofahrt der Mond (im Gegensatz zu den Wolken) immer mitfährt. Das ist der Rat von Freunden, zu anderen Freunden ehrlich zu sein. Das ist das Vergessen des Turnbeutels zu Schulzeiten. Das ist das Verschweigen der Sehnsucht. Das ist das Nacherzählen vom Retten eines fast zertrampelten Moshpit-Opfers. Das ist der Wille, alles richtig zu machen, wenn es alle falsch haben möchten. Das ist der gute Geschmack, den man nie haben wollte. Das ist der blanke Widerwille, endlich aufzugeben. Das ist der Teufel, der nie beim Steinscheißerkarlspiel gewinnt. Das ist der Ozean, den zu überfliegen sich nie jemand getraut hat. Das ist die Idee eines Lächelns, die du deiner Katze immer unterstellst. Das ist der Traum, den du am Morgen immer vergisst. Das ist der Auftrieb, von dem die Physik lächerlicherweise behauptet, er wäre für dein Obenbleiben im Wasser verantwortlich. Das ist das Popcorn, das richtig gesalzen ist. Das ist die Sekunde, die der Atem braucht, um nach einem unfassbaren Song wieder zurückzukehren. Das ist der Zwischenraum, der Schlaf von Wachsein trennt. Das ist der Witz mit Gott und Plänen und so. Das ist die Platte, die du dir unter's Kissen legst, wenn du alleine bist. Und die Platte, die dich an all das erinnert, was du schon immer mal tun wolltest. Zum Beispiel einfach nur aufzählen, an was dich die Platte alles erinnert.

Colleen: »Golden Morning Breaks«


»Oh, it's still abstract. Even if you love it, you may struggle to find the appropriate moments to really spend with it – how much time do you set aside each week to sit quietly with your eyes closed and think about all the different qualities of light you could imagine when you were a child?«
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Was zum Teufel ist das? Postelectronica? Neo-Barockrenaissance (Ha!)? Gefühligkeitsphasendreher?

Colleen macht elektronische Musik mit akkustischen Mitteln. Oder umgekehrt. Wie’s dir beliebt. Denn was genau man hört, also: welche Instrumente diese halb vertrauten, halb seltsamen Töne wiedergeben, das weiß man beim bloßen Anhören so genau nicht. Eine Orgel vielleicht, ein kaputtes Grammophon? Ein Glockenspiel in einem Kellerverließ? Sich durchs Erdreich fressende Insektenlarven auf Morphium? Alles dabei und doch so anders.

Das schöne an der Platte ist, dass man sie doppelt hören kann: Die einzelnen Instrumente wie durch ein Labyrinth verfolgend oder den sich manchmal ins Dissonante bewegenden Strukturen folgend. Und beide Arten zu hören, eröffnen neue Wege durch dahingetupfte Sounds. Zerbrechlichkeit ist hier das Wort der Wahl. Und komme mir keiner mit Quiet-is-the-new-draufgeschissen. Das hier verlässt sich nicht drauf, bloße Stille durch klagende Töne zu simulieren. Colleen eröffnet die Stille für neue Töne, neue Wege durchs Labyrinth.

Dass man dabei zwangsläufig auf die Suche geht nach dem Dahinter, nach dem verrauschten Klang hinter dem Fensterklappern (»Mining in the Rain«, auf Colleens Site zu hören), das ist sowohl die Bedingung dafür, dass die Platte mir so gut gefällt, als auch der Punkt, den diese Musik sich selbst in Frage stellen lässt. Und das, bitteschön, ist Zerbrechlichkeit. Und in diesem Fall sogar: Schönheit.

[Kongenial in Bilder übersetzt hat dies übrigens das Video von Dannemange a.k.a. Jon Nordström]

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Seltsame Koinzidenzen: Ich sehe gerade, dass bei rauschabstand auch schon drüber geschrieben wurde. Da dann auch ContentContentContent! ;)
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Der gesunde Argwohn


Was weiß man schon vom Leben da draußen? Es muss ja nicht immer gleich Krawumm! machen, bevor man aufwacht, die Augen im Kissen rollt, diese drückende Hitze spürt, das Unverständnis, das sie einem entgegenbringt. Der Künstler flieht, meint klar zu sehen, und verschwimmt vor unseren Augen in einer Nebelmaschine an Subjek-Chaos und Verpuffungs-Toleranz=∞. Escape Artist, aus jeder Schlinge deines Lebens! "I believe the sun is simply reflecting the shine from the moon." Jau!

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In diesem Desaster liegt also eine Platte, die viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat, als sie bekam. Fucking Francis is the winning battle. "A Healthy Distrust" nennt sich das neue Meisterwerk von Sage Francis, und gesund ist es allemal. Aber trotzdem: "when the bomb hits (what music will you look to for shelter?) / not that mine'll help ya". Klar. Warum auch. Wieder zurück ins Kissen. Wer sich dem entziehen kann, soll bitte weiter Augenrollen.














Info, mp3s und Video gibts hier.

The Arcade Fire Demo-EP


arcade fire epJeder mir bekannte Live-Mitschnitt eines Arcade Fire-Konzerts der letzten Mai-Tour hatte neben den jedem und jeder im Saal bekannten Songs von »Funeral« auch mindestens zwei weitere Songs, die die rätselhaften Namen »Old Flame« und »No Cars Go« trugen. Auch in Wien war es nicht anders, und die angesprochene, von Arcade Fire 2003 in einem Schuppen zu Demozwecken selbst produzierte EP war wenige Minuten nach Konzertende ausverkauft. Es blieb ein schales, ungewisses Fragezeichen, da waren also diese Songs, die aus einem anderen Universum als »Funeral« kamen, einen gänzlich anderen Status hatten als der Wahnsinn, den »Funeral« auf sich vereinte. Neben der unfassbaren Live-Performance des Kollektivs aus Kanada war diese kleine Scheibe das Einzige, das uns beweisen konnte, dass »Funeral« keine Eintagsfliege ist, sondern dass diese Band auch mehr als ein Album auf dem Niveau verbringen kann.

Und diese besagte Demo-EP bringt alles in allem sieben Beweise, dass sie es kann. Sieben weitere, kleine Perlen, Stücke der großen Tragödie und der kleinen Wunder, des leichten Wahnsinns und der erschütternden Präzision, sieben weitere kleine Meisterwerke, die sich nicht scheuen trunken und betrunken auszuteilen, was »between the click of the light and the start of the dream« passiert. Die »Neighborhood« als ex- und implizites Thema fehlt, Bewegung und Familie scheint hier zentraler zu sein. Und die auf »Funeral« vielleicht erahnten Berührungen mit Broken Social Scene werden mit dem weihnachtlich-ekstatischen Stimmen-Fiasko »Headlights Look Like Diamonds«, welches Anfangs erstaunliche Parallelen zu »Almost Crimes« aufweist, konkretisiert. Wo die Ziehharmonika stärker in den Vordergrund rückt, ist das Weiterdenken zu »Laika« erfühlbar, und dass Regine öfter singt ist einer der vielen Gründe, warum diese EP gegenüber »Funeral« ganz eigenständig angesehen werden kann. Mal ehrlich: wäre es »nur« ein Anhängsel oder ein Rohentwurf davon, wäre es schon großartig, oder? Eben.

Die schön unüberladene Produktion, das perfekt-simple Songwriting, die abgrundtiefen Texte fügen diesem kanadisch-vielköpfigen Universum mit jedem Song eine neue Zwiebelschale hinzu, und lassen mit jedem Durchlauf mehr staunen, dass sich bis zum »Funeral«-Hype niemand finden wollte, der diesen sieben Songs den Weg hinaus in die Welt ebnen wollte. Auf der anderen Seite war es vielleicht auch besser so, wer weiß. Aber nur noch eins: Wären die beiden live erprobten Songmonumente »Old Flame« und »No Cars Go« zusammen mit dem dritten, »Headlights Look Like Diamonds«, auch auf »Funeral« zu finden gewesen, dann müsste selbiges verboten werden, so gut wäre es. Die anderen vier Stücke sind nur genial, leider.

VÖ: 13.06.2005 auf Merge/Rough Trade
INFO: www.arcadefire.com
MP3: Headlights Look Like Diamonds, Old Flame, I'm Sleeping In A Submarine

Der Wanderprediger der Nachgeschichte


We would like to entertain you
We are here that you have fun
We would like to make you happy
For the moment for tonight

At the end of comedy
At the end of tragedy
At the end of misery
At the end of history…


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Der Himmel steht in Flammen, wenn Boris Kovač Saxophon spielt. Ein Gigant, der biegsam und elastisch wie ein Flummi bleibt. Ein kluger, alter Koloss an Kreativität und Hingabe, der sein kleines Orchester in seinen eigenen Rausch mitzerrt und trunken an dionysischer Leichtigkeit mit emotionalen Siebenmeilenstiefeln Abgründe und Höhenflüge des menschlichen Geistes auslotet. Mit der Doppeledition »The Last Balkan Tango« (2001) bzw. »Ballades At The End Of Time« (2003) hat er mit dem Ladaaba Orchest zwei Meisterwerke geschaffen, die in ihrer Intensität und Vielschichtigkeit wenig Vergleiche zu anderen musikalischen Experimenten des Balkans der letzten Jahre zulassen.
Das neueste Werk spinnt sich weiter um Kovač’ zentrale Frage, was nach der (blutigen) Geschichte der Menschheit übrig bleibt. »La Campanella« heißt das Projekt, und besagtes Album, »World After History«, treibt diese Idee zu ihrer musikalischen Perfektion. Hinzugekommen sind Momente der Ruhe und der Meditation, die ihren Atem aus den besuchten Plätzen einer mediterran-pannonischen Reise um den Balkan ziehen. Ein Sammelsurium an bestechend beschwingten Ideen und Klanggeheimnissen breitet sich vor uns aus, das aus der Feder eines Menschen mit Geschichte eine eigene, neue Geschichte kreiert, die den zweifelhaften letzten Abend der Menschheit, an dem selbstverständlich getanzt wurde, überschritten hat. Boris Kovač’ Geschichte ist eine produktive Kondensation aus Theater und Musik, aus Jazz und Folk, aus Trauer und Freude, die erzählt, was möglich wäre, wenn wir hinter uns lassen, was hinter uns ist.



Du hast das Interzone-Festival in Novi Sad gegründet. Was war Interzone, und was ist Interzone heute?

Interzone war eine Idee von mir von vor etwa zehn Jahren. In den 80ern war Novi Sad ein wichtiges Zentrum neuer Musik. Als 1991 alles stoppte, gingen alle Leute, die diese Szene erschaffen haben, ins Ausland, und die meisten kamen nicht zurück. Als ich nach fünf Jahren der Immigration zurückkehrte, war mir klar, dass diese Szene wiederaufgebaut gehört, und obwohl ich mich nicht als Animator sehen wollte, war mir klar, dass wenn ich es nicht tue, es niemand tun wird.
Interzone ist ein Festival für jede Art der neuen Musik, wo wir uns nach neuen Arten aktueller Musik umsehen, ohne Genre-Grenzen wirken zu lassen. Selbstverständlich stand das alles finanziell auf sehr dünnem Eis, weswegen der jährliche Rhythmus hin und wieder unterbrochen werden musste. Vor zwei Jahren war ich das letzte Mal Mitorganisator, danach habe ich diese Rolle jüngeren Leuten überlassen, die sie besser erfüllen können.

Welchen Einfluss hatte Interzone auf die Avantgarde-Szene in Serbien?

Ich glaube nicht, dass es einen großen Einfluss hatte, weil die generelle Situation für kulturelle Aktivitäten sehr schlecht ist. Natürlich war es für manche junge Menschen aus diesem Umfeld eine große Hilfe. Aber 200 Personen können nicht die kulturelle Situation eines Landes ändern.

Warum bist du 1996 nach Jugoslawien zurückgekehrt? Wäre es nicht leichter gewesen, im Ausland zu bleiben?
Ja, an sich schon. Das Land, in das ich zurückkam, steckte bis zum Hals in Problemen, aber auf der anderen Seite bereue ich diese Entscheidung gar nicht. Diese Erfahrung hat mir neue Ängste gezeigt, Ängste, die ich sonst nicht erfahren hätte. Ängste, die du niemandem wünschst. Und diese Ängste haben mich reicher gemacht.

Du bist auch ein Multimedia-Künstler. Wie sehen deine Projekte im Allgemeinen aus?

Ich arbeitete viel mit Theater, und jede meiner Arbeiten hat ein theatralisches Element. Meine Projekte haben meistens vielschichtige Konzepte, weil ich nicht im strengeren Sinne Musiker bin, sondern Musik nur eine von vielen Sprachen ist, die ich bediene, um Effekte zu erzeugen.

Kannst du dich irgendwie in Begriffen wie »Weltmusik« oder »ethnische Musik« wiederfinden?
Nein, leider ist es mir nie gelungen mein Werk zu kategorisieren, was besonders für die Vermarktung problematisch ist, da jedes Produkt seine Schublade braucht. (lacht) Ich mische immer viele verschiedene Einflüsse und sehe Musik als etwas Totales an. Aber ich benutze gewisse Musikformen, die als Neue Kammermusik oder New Jazz erkannt werden können. In den letzten paar Jahren war ich besonders in Weltmusik involviert, da mein letztes Projekt, das Ladaaba Orchest, aus der Szene kam. Aber an sich tue ich mir schwer etwas zu schaffen, was rein in einer Kategorie bleibt…

… was es so schwierig macht, deine Musik anderen zu beschreiben…
...ja, was auch davon lebt, dass ich nur akustische Instrumente verwende. Die geben eine gewisse Fähigkeit, ins Detail zu gehen, feine Elemente zu finden, die ganz besondere Gefühle und Ideen ausdrücken. Das ist der Punkt.
La Campanella vereint klassische Musik, Jazz, auch Folk-Elemente, die aber von sehr vielen unterschiedlichen Folk-Traditionen gefärbt sind. Also nicht nur die fünf oder sechs, die mir am nahesten stehen, sondern auch teilweise sehr spezifische Elemente, wie Vlaškische Musik. In einer gewissen Phase meines Lebens habe ich was Bestimmtes zu sagen, und dann suche ich nach den besten Mitteln, nach der besten Sprache um das auszudrücken. In der letzten Zeit hatte das zum Beispiel auch viel mit Tanzmusik zu tun, Standardtänze…

… »The Last Balkan Tango«.

Ja, genau, aber nicht, weil ich Tango so besonders mag, oder andere Standardtänze, sondern weil ich denke, dass die Leute heutzutage bewegt werden müssen, körperlich und emotional. Das wichtigste war eben immer das Gefühl in Bewegung zu bringen, weil es mir scheint, als ob sie in der letzten Zeit mehr denn je fehlen würden. Ich denke, es ist die Zeit der fehlenden Gefühle.

Alexandar Tišma, einer der bekanntesten serbischen Autoren, ist letztes Jahr verstorben. Hattest du Kontakt zu ihm? Wie wichtig war Tišma für Kovač?
Ich kannte Tišma, wir hatten freundschaftlichen Kontakt, und ich mag seine Arbeit, selbstverständlich. Er hatte auch einen sehr speziellen Zugang zur Frage nach dem Schicksal der menschlichen Geschichte, wobei mein Blick mehr – sagen wir – tragischer war als seiner. Manche seiner Werke kann ich nicht lesen, weil sie einen zu realistischen Blick auf die Geschichte zeigen. Und ich versuche dauernd die Geschichte zu überwinden.


Geschichte überwinden. Mit dieser schweren Last auf den Schultern zaubert dieser Herr Tangos und Walzer auf das Parkett der musikalischen Weltkarte (die diesmal gar bis Argentinien reicht), wie sie leichtfüßiger nicht sein könnten. Als Reiseführer, als einsamer Grenzgänger, als Arrangeur von außerordentlich unüberladenem Format liefert Boris Kovač den nötigen Soundtrack in eine bewegte, humorvolle Zukunft, die um die Schäden weiß, die die Menschen sich selbst und ihrer Umgebung antun können. Und der Balkan, aus dem Kovač seine Ideen nimmt, ist jenes tragische Beispiel, das die angesprochenen Ängste erklären kann. Aus dieser Verzweiflung hat er Musik geschaffen, die nirgends kategorisierbar die schönste Abrechnung mit dem Schrecken liefert. »World After History« ist eine Oper der Tanzwut und der Ekstase, die tausend Jahre und mehr umspannende Feuerwerke der Leidenschaft entfachen kann, wo sonst nur Dunkelheit regiert.


Was sind deine Lieblingsmusiker aus der zeitgenössischen Pop- und Rock-Musik?
(lacht) Ich habe mehr Kontakt zu solcher Musik über das Plattenregal meines Sohnes, vielleicht bin ich zu alt dafür. Ich mag Sting, als einen Großmeister, und aufgewachsen bin ich mit Sachen wie Van Der Graaf Generator. Das war eine Art Rockmusik, wie ich sie leider in den letzten 20, 30 Jahren nicht gefunden habe.

Und wie steht’s mit Improvisation?

Zu Beginn meiner Karriere war das eine sehr wichtige Sache, vor allem in den frühen 80ern, da war ich auch großer ECM-Fan, denn da war das alles richtig frisch und neu.


Die beste Kampfansage gegen die hier angesprochene, heutige Langeweile ist Boris Kovač selbst. Frisch und neu ist seine Welt nach der Geschichte. Und es lohnt sich, diese Welt auszukosten.

kovac wah




VÖ: 23.05.2005 auf Piranha
INFO: www.boriskovac.com

Eine Kryptographie der Liebe


Nachdem in der aktuellen skug mein Interview aus Platzgründen nicht zur Gänze reinpasst, wurde die lange Version online gestellt. Und wenn schon dort nicht, dann will ich auch hier einen meiner größten Helden des laufenden Jahres nicht verheimlichen: David Lipp. :)

Vertauschte Fälle, wirrer Satzbau, elektronische Hymnen und viel Gefühl prägen David Lipps Debüt über den einen, immerwährenden Topos der Popmusik: Liebe. Ein paar Ideen zum Thema, warum es doch gelingen kann, ein ganzes Album dazu aufzunehmen, ohne im Kitsch-Sumpf umzufallen, und warum Sylvester Stallone tolle Filme macht.

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»In immer: Love« ist nicht mutig, denn dazu ist es zu bescheiden. Bei allen Vorbehalten gegenüber pathetischem Stelldichein in alten Songwriterschulen entgeht genau dieses Album den Fallen eines zu durchsichtigen, zu affirmativen oder zu abstrakten Zugangs zur Liebe. »In immer: Love« ist vielmehr zurückgezogen, elegant und in höchstem Maße euphorisch. Ein kleiner Edelstein, der Luftlinien zieht, Herzen vertauscht und kindlich-verspielt um innerste Momente des eigenen Selbstverständnisses kreist. »In immer: Love« fragt uns, warum wir die Liebe so brauchen, und liefert selbst ein paar ganz unvermutete und zum Nachdenken anregende Antworten. Ein Abstraktum, das weder entzaubert noch auslacht, sondern die Gattung des Liebesliedes durch eine subtile Harmonie- und Sprachwandlung aus dem selbstgebastelten Grab der romantischen Verklärung hebt. Das Verschlüsseln offenbart und das Romantisieren erklärt Sozialtechniken, Gott und die Welt der Rendezvous: »Zu Zweit ist nicht alleine. Alleine, das ist zu Zweit.«

Wie lange hast du an »In immer: Love« gearbeitet? Wie war der Produktionsprozess?
Begonnen habe ich im September 2003; ganz fertig wurde die CD erst im Oktober 2004. Die Herangehensweise war sehr intuitiv. Ich habe mich zum Keyboard gesetzt und innerhalb von zwei Wochen beinahe die ganzen Lieder für das Album geschrieben.
Gerade diese schnelle Art zu arbeiten war das Schöne daran für mich; anfangs wusste ich auch noch gar nicht wohin mich diese Lieder bringen würden; mir haben sie eben gefallen und nicht mehr losgelassen. Dazu kommt, dass zu dieser Zeit gerade die Platte »Musik für schöne Menschen« von den 4 Experimentellen die nur 2 sind fertig wurde, was eine sehr langwierige und pingelige Produktion gewesen ist. Die Texte zu den Liedern auf »In immer: Love« entstanden immer parallel zur Musik. Die restliche Zeit habe ich schließlich mit dem Feinschliff (Arrangement, Mischung ...) verbracht.

Der Sound auf dem Album ist mit seinem minimalistisch-elektronischen Einschlag sehr fragil, aber trotzdem nie zu brüchig. Sind die Loops und Synthie-Effekte Kollektionen alter Schnipsel, die du mit dir herumgetragen hast, oder sind sie parallel zum Songwriting und zu den Lyrics entstanden?
Nein, die Loops sind das Songwriting, das bedeutet: alles ist neu entstanden. Der Sound ist meine persönliche Commodore 64-Referenz, hat auch was mit Sentimentalität zu tun. Ich mag das Puristische an dem Sound. Einzig »Fallen in Love« habe ich auf der Gitarre geschrieben, alle anderen Stücke am Keyboard, wo die Soundfrage auch gleich Bestandteil des Songwritings war.

Besagtes »Fallen In Love« erfindet das Rad des Minnesangs neu, ohne zu tief in der Klischeekiste zu wühlen. Magst Du Kitsch?
Das kommt für mich auf die richtige Dosierung an und in welches Umfeld er eingebettet ist. Bei »Fallen in Love« sind die Geigen der Kitsch, eingebettet in das Umfeld des Songs und hierbei essenziell: Der Refrain braucht die nötige »Schmiere«; Streicher stellen für mich auch immer etwas Großes dar, was den Ich-Erzähler des Liedes wiederum armseliger aussehen lässt.

Wie kann die Sprache dabei helfen, das tief sitzende Konzept der Liebe und des Gefühls anders zu kontextualisieren, als es die Musik bisher tat? Warum ist das Spiel mit der Sprache, das Vertauschen von Fällen und Artikeln so ein zentraler Bestandteil der Lyrics?
Hier stellt sich für mich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Text und Musik in der Popmusik. Ich finde, dass die Musik wichtiger ist, weil sie direkter anspricht als der Text. Siehe auch Poplieder, die man über lange Jahre kennt, sich aber erst sehr spät die Lyrics durchliest und dann feststellen muss, wie viel man falsch verstanden hat, weil der Text einfach nicht so wichtig war.
Auf dem Album steht der Text im Vordergrund, die Musik ist nur Stütze dafür. Durch diese Art von Text mache ich mich angreifbar und verletzlich, weil ich Position bekenne, so wie auch die »verliebte Person« immer das schwächere Glied in einer traurigen Liebesgeschichte ist. Es ist ein Versuch mit Sprache das auszudrücken, was man als verliebte Person empfindet (und dadurch wird); den sprachlich nicht ausdrückbaren Rest muss die Musik übernehmen (z.B. durch die Streicher).
Das Spiel mit grammatikalischen und syntaktischen Fehlern bietet mir eine zusätzliche Möglichkeit an Ausdruck, an Stimmungserzeugung, die zwischen den Zeilen mitschwingt. Es sind vielleicht auch Stolpersteine für den Hörer. Der Ich-Erzähler wirkt durch diese Fehler hilflos – er versucht sich selbst als den Besten darzustellen z.B.: »Geschmäcker ist verschieden, nur mein Geschmack lehrt...« und wird dadurch nur umso pathetischer.

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Inwiefern spiegelt »In immer: Love« deine persönliche Situation wider? Ist es deine »Abrechnung« mit der Liebe? Oder dein privates Manifest dafür?
Die Platte hat natürlich einen persönlichen Hintergrund. Mit der Liebe als Thema in der Musik beschäftige ich mich jedoch schon seit ich Lieder schreibe. In der Platte geht es um das Vermissen einer nicht anwesenden Person. Und je länger diese vermisst wird, desto mehr wird sie zu einer Illusion. Das ist der perfekte Liebeskummer, da die zur Illusion gewordene vermisste Person niemals erreicht werden kann (vgl. »Die Blaue Blume« in der Romantik) und auch nicht erreicht werden soll. Würde sie erreicht, dann würde der Stern sehr schnell sinken, weil dann der Alltag hinzukäme. Darum hören die Hollywood-Schmonzetten immer rechtzeitig, zumindest nach dem ersten Kuss, auf.
Je länger ich allerdings an der Platte arbeitete, desto mehr bin ich zum Schluss gekommen, dass das Thema nicht unbedingt Liebeslieder an eine ferne Person sind, sondern eine teilweise recht kühle Selbstbeschreibung. Aus diesen Gründen ist die Platte nicht mein privates Manifest über die Liebe, weil ich im Privaten schon auch gern ein bisschen Wirklichkeit habe.

»Dirty Dancing« und »Over The Top«, die beiden Filme, die du auf dem Album erwähnst, spiegeln gänzlich unterschiedliche Lebenszustände wider. Hier Liebesromanze in den tanzwütigen 80ern, dort die zerrüttete Vater-Sohn-Story um den Kampf, der Beste zu sein. Beide Filme stammen aus dem Jahr 1987. Warum gerade die beiden?
Das hat wieder mit Sentimentalität zu tun und natürlich finde ich »Over the Top« wirklich einen tollen Film, weil er die großen Gefühle beim Namen nennt und weil er eine Art Anleitung für ein rechtschaffenes Leben ist (auch wenn der böse Großvater denkt, dass unser guter Silvester ein Loser ist). Das ist für mich ein Film bei welchem man danach entweder Arm drücken geht oder sein Leben verändert. »Dirty Dancing« mag ich als Film nicht so gern, den Soundtrack jedoch (vor allem natürlich »(I’ve Had) The Time Of My Life« und »She’s Like The Wind«) sehr. Dass beide Filme aus demselben Jahr sind wusste ich gar nicht.
Was diese beiden Filme für mich verbindet: Sie scheuen sich nicht davor große Gefühle zu zeigen in einer sehr direkten Art.

Die Brücke zwischen Menschen ist implizites Thema deiner Songs. Liebe kann sie aufbauen. Liebe kann, wenn sie zur »Vertauschung der Herzen« führt, selbige auch zum Einstürzen bringen. Das Verhältnis vom Subjekt zur Liebe und zum Begehren ist ein seit jeher schwer einzufangendes. Was war für dich die Motivation, so ein Album wie »In immer: Love« aufzunehmen?Warum ist die Liebe das dringlichste der Themen, die dich darauf beschäftigen?
Wahrscheinlich weil die Liebe ein so intensives Gefühl ist, in den ganzen Variationen und Facetten in denen sie auftritt. Das Thema ist für mich sicherlich auch deswegen so interessant weil ich meine eigenen Erfahrungen miteinbinden kann.

Und diese schöne Freiheit bleibt einem als Zuhörerin und Zuhörer auch. »In immer: Love« quetscht Momente, Sprachspiele und Synergien aus unserem Unterbewusstsein nach oben, wo wir uns sonst nie trauen hinzuschauen. Die von Jürgen Hofbauer in den Linernotes angesprochene »Subjektfungibilität« wird zur Pathosfungibilität und eröffnet bisher unbekannte Orte eines elektronischen Musikverständnisses, das den Pop-Song vergöttert, wie der Mensch die Liebe selbst. Insofern ist »In immer: Love« das potenzielle private Manifest von uns allen, die wir uns darauf einlassen. Den ersten Schritt dazu hat David Lipp schon getan.

lipp love


VÖ: Dezember 2004 auf Niesom
INFO: www.davidlipp.com
MP3: Blumen
MP3: Luftlinie

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