platten.kritk

the future hangs in my face, that's why 2002 will rock.


Cuff The Duke: Life Stories for Minimum WageIch fühle es immer wieder, wie es riecht. Das Zimmer in dem ich bei einem Bier mit Cuff The Duke sitze und nachdenke. Nachdenke, nachdenklich lausche und nachdenklich nachfrage. Alles etwas gewollt und verkrampft, ein bisschen aus dem Takt, aber nicht zu doll. Nur ein bisschen. Wie ich da sitze und ganz stumm versuche alles in mich aufzusaugen, dieses Etwas zu begreifen, was diese Chemie der Menschen ausmacht, diese Chemie, die sich als »Atmosphäre« oder ähnlich konfusem Zeug in Platten wieder findet. Wir würden dann schlussendlich doch reden, doch etwas austauschen um uns ganz und gar gut zu verstehen, also so ganz hoffnungsvoll gesagt. Um uns ganz und gar nachdenklich zu verstehen und vielleicht auch jenes Fünkchen nötigen Schweigens (aber nicht mehr!) an den Tag zu legen. Es müsste sich alles drehen, eigentlich, so wie in einem Karussell. Ob Kanada oder nicht, sei da mal dahingestellt, aber es müsste sich dauernd drehen, sodass ich immer wieder in ganz unterschiedliche Richtungen schauen müsste, um die Blicke und Gedanken der anderen nachvollziehen zu können. Wir würden anfangen und uns gleich mal ins Kitschige verlieren, mit dem Gedanken spielen, wie es ist, verlassen zu werden, von jemandem, der dein Herz gleichermaßen besitzt, wie er deine Augen blendet. Wie es ist, dann nicht mehr wegzukommen, wie es ist es zu versuchen, und wie es schlussendlich ist, es zu versuchen, es gar nicht versuchen zu wollen. Wie es ist, so zwischen den Rasiermessern (die Riffs!) und stampfenden Lokomotiven (die Beats!) sich auch nur irgendeinen Scheißdreck um Alt.Country zu kümmern (weil: straight-forward, statt experimental!). Wie es ist, so mit Skatern und Cowboys, mit »Indie« und »Country«, (meine Güte, Country!) und warum das so gut geht miteinander, und wohin einen dieses »Country« mit Untertitel »Landscape« in Kanada so bringt (und wie es sich anhört!), und wie es mit Three Gut Records und den Constantines, die ja dann doch weniger dieses »Country« spüren (angeblich!) aber dann doch auch mit den Weakerthans auf Tour waren (Folk! Folk, nicht Country!?), ist, oder wie es ist, dann doch wieder sich immer wieder unter dem »Indie«-Baum zu treffen, in Toronto. Wies es ist, dann aber auch dort abzuhauen. Wie es ist, zu wissen, dass eine Geschichte gut erzählt werden muss, um sie wie einen Tagtraum erleben zu können, wie es ist, Talkshows und christliche Gutenachtgespenster in einem Satz zu schmecken und dabei nicht paranoid zu werden, wie es ist auf einsamen Planeten lange Winter in ewiger Kälte zu verbringen (noch ein Schluck Bier!), und nicht sich in der Prärie zu verirren (ach… Neil Young. Pah!). Wie es ist, wenn alles zu schnell ist, aber doch kaum mitgeschleppt werden kann, weil es zu träge wirkt, zu bedacht an so Blödinnigkeiten wie »Einsamkeit« (für jeden deiner Atemzüge, nehme ich zwei!) und »Geld« hängen bleibt. Unter hinter all dem würde die erste Platte »Life Stories for Minimum Wage« stehen, und mitlaufen, als Soundtrack unser heiteres, mittlerweile kapital entgleistes Beisammensein begleiten. Bis sie dann schließlich nach 20 Minuten, nach nur 20 Minuten einbiegen würde, mit diesem einem C-Ton in das Lied, das meine Nullziger völlig in die Tasche gesteckt hat, und auf einmal alles vergessen wird und ich langsam bei diesem Anfang nervös werden würde, bis es sich dann langsam zu dem Schlagzeug vortrauen würde und ich die ersten Schweißtropfen spüre, und genau weiß, dass ich jetzt Fingernägel kauen würde, wenn nicht alles so furchtbar irreal wäre, und dann langsam dieses Intro zu lang wird, um ein Intro zu sein, und noch einmal leiser wird, um dieses überlogische Riff runterzubeten, ganz sanft, und ich völlig die Kontrolle dabei verlieren würde und nervös im Raum auf und ab gehe, bevor es schließlich mit einer tonnenschweren Explosion dieses Intro endlich bleiben lässt und in den Hauptteil kommt, wo ich gar nicht mehr weiß, wie sich leichte Gitarren anfühlen, weil das alles so richtig groß und bombastisch klingt und ich dann, wenn dieser bebrillte Engel zu singen anfängt beim Wände-Hochgehen in die Knie fallen würde, und mit jedem seiner Worte tausend Tränen hochjagen würde, bis er mir endlich zugesteht, dass alles gut wird, dass alles okay wird, und ich mich endlich, nach diesen Jahren des verzweifelten Wartens fallen lassen kann in ein ewig langes Gitarrenmeer, das mich von einem Strudel in den nächsten schleudert, und mich an all die großen Achtminutenozeane erinnert, die mich seit jeher in völligen Schrecken versetzt haben, und dann werde ich mir wahrscheinlich einbilden, es wäre schon eine Stunde vergangen, aber nach nur ein paar Sekunden kommt das Lied wieder runter und dieser enorme Druck auf der Brust ist weg, und ich liege da und irgendwer wischt mir die letzte Träne aus den Augen, nur damit ich ihm dann noch ein letztes Mal, diesmal als Gast, sagen kann, dass alles gut wird, das alles okay wird, und dass ich es genau so wollte, immer schon. Aus purer Höflichkeit würde ich die Platte ihrem Ende überlassen, aber nur mehr mit halbem Ohr hinhören, weil es eh egal ist, weil es schon zu viel war, weil es eh nichts mehr zu sagen gäbe. Ich würde mein Bier austrinken und gehen, dankbar, erleichtert, verklärt. Cuff The Duke würden mich fragen, ob ich denn die bessere, zweite Platte von 2005 schon gehört habe, und ich würde Kopfschütteln, an die Zeile »The rich get richer and the poor get treated like shit« denken, und sie ihnen abkaufen. Kein »Goodbye« oder so, nur das ewige Problem mit der Wahrheit würde übrig bleiben. Wäre das alles ein Traum gewesen, wäre er zu langweilig, um geträumt zu werden. Aber diese Stücke sind eben nicht so langweilig wie Träume, sie sind eine vollkommen richtig erzählte Geschichte, die das magische Zeug in der Luft zu schimmern bringt, mein Zeug zumindest, meine Landschaftsarchitektur einer (vergangenen) Frühjahresdepression, meine fürstliche Liebe zu all der bigotten Musik da draußen, die sich eh immer größer gibt, als sie ist, und mein Festhalten daran, ihr immer wieder diese Bubblegum abzukaufen. Ich denke also nach, und mir fällt das Interview wieder ein: »Our only real connection to country music is that we’re a song-based band, and the best country music has always been about great, honest songs. Maybe we’ll be to country what The Arcade Fire are to rock’n’roll right now.« und diese Nachdenklichkeit ist somit zu ihrer eigenen Bubblegum des Nachplapperns geworden. Wie schön, dass es nicht weh tut. Wie schön, dass ich nur zu faul bin, um meine Gedanken zu Ende zu denken. Wie schön, dass ich am bitteren Ende meine Augen schließe, um mich selbst nicht davonbrechen zu sehen, und wie schön, dass ich vollends daran glaube, genug Geschichten für ein Leben am Mindesteinkommen zu haben.

»Sometimes I think that I’m bigger than the sound.«


Yeah Yeah Yeahs - Show Your BonesAngenommen, »Show Your Bones« wäre noch im Winter gelandet: Ich könnte für nichts garantieren. Es wäre so eine immense Übersetzungsarbeit, dieses Monstrum an Bewegung und Unruhe auf das kühle, konservative Stimmungsprofil eines »Wo ist mein Leben geblieben?«-Winterpathos zurückzurechnen. Es wäre auch vielmehr Arbeit gewesen in diesem Zurückrechnen nicht in die »Fever To Tell«-Falle zu tappen, die sich sicher als ein großes Hindernis für »Show Your Bones« auftut: Meidet den Vergleich! Vergesst es! So funktioniert es nicht!

Auch wenn »Fever To Tell« so eine perfekte, so eine schlicht absurd gute Rockplatte war, so rau und ungeschliffen, so glamourös und zerfetzt, so sehr muss man das alles auch einfach in den Mülleimer hauen, wenn man sich »Show Your Bones« nähern will. Es ist so, als ob jeder bestraft wird, der den oben beschriebenen Fehler macht: Zurückrechnen. Tabu. Die Yeah Yeah Yeahs rechnen vor. Sie rechnen vor, indem sie ein Statement für das Weiterentwickeln bringen, eine kontrollierte, in Ankündigungen »folkig« genannte Frühlingsplatte, die eben deshalb nur so, in dieser Zeit des Jahres für mich am besten funktioniert: Als Neunanfang, als etwas frisches, das neue Türen öffnet. Nicht nur im Yeah Yeah Yeahs-Universum.

Yeah Yeah Yeahs

Auch wenn (und das ist ein großes »auch wenn«!) sie eine Sache schon hingekriegt haben, wie ich es von »Fever to Tell« schon gehofft habe: Diese Unterbeweistellung des völlig irren, völlig absurd-schönen, völlig extraterrestrischen Songverständnisses à la »Maps«. Tja, was soll ich sagen? Nach zwei Durchläufen hatte ich mein »Maps« auf »Show Your Bones« gefunden. Dieses absolut wahnwitzige »Cheated Hearts«, wo ich Karen O nichts leichter abkaufe, als dass sie »bigger than the sound« ist. Und wie sehr so ein Statement mal in der heutigen Popmusik nötig war, wo sich grad alle davor drücken irgendwas zu sein. Kurz davor hat Karen O in dem bodenlosen Mittelteil von »Honeybear« schon die Schönheiten des ganzen Jahres in 32 Sekunden zusammengefasst, bevor sie im wilden Ende doch noch das unfehlbar sich-allem-entziehende »Run Away!« proklamiert. Wild, ekstatisch, elektrisch. Und völlig einzigartig.

Überhaupt scheint auch »Cheated Hearts« von diesem Moment zu leben, dass Karen O zurzeit sehr gerne minimal bleibt. Bass, Basedrum und Stimme scheinen die besten Waffen der neuen Yeah Yeah Yeahs zu sein. Dafür kann als Ausgleich die Gitarre in Country-Punk-Hymnen wie »Mysteries« ausgetobt werden. Und wenn sie das tut, kracht’s natürlich, aber es bleibt etwas straffer, etwas cleaner als früher, was eben diese Platte zu einer wunderbar straighten Weiterentwicklung von »Fever To Tell« macht. Statt dort zu bleiben (»better quit staring, cause your looking the same« aus »Dudley«), machen die Yeah Yeah Yeahs nun eine frische, poppige Rockplatte, die quasi »Maps« auf Albumlänge (mit Exzess, ohne Langeweile) weiterdenkt. Was einfach eine wunderbare Idee für diese Jahreszeit ist.

Yeah Yeah Yeahs

Eins sollte man noch erwähnen: Diese Entwicklung, die sicher einigen eingefleischten Fans den Zugang zu »Show Your Bones« erschweren wird, ist eben NICHT dieses Entwickeln-um-der-Entwicklung-willen der ehemaligen Zimmerkollegen der Liars. »Show Your Bones« ist Manifest, nicht konzeptuelle Trance; Unmittelbarkeit, nicht zwangsdekonstruktive Abschweifung; Herz, nicht Hand. Die Yeah Yeah Yeahs haben eine verdammt wichtige Platte zustande gebracht, die allen andern hoffentlich vorrechnet, wie sich ein Rockfrühling anhören muss, um sich selbst nicht ins Grab zu tragen. Was schön ist: Wir müssen nicht nachrechnen, ob das alles stimmt. Die Riffs sind dafür zu sauber, zu klar, zu perfekt. Ich vermutete ja sogar einen Nachmittag lang, diesen stockenden »Phenomenon«-Refrain von Jugendsünde Paradise Now! mit »Lunatic« her zu kennen. Nachrechnen ergab: Haha.

Ein Paar Platten, ...


...die ich vorhin vergessen habe zu erwähnen.

Mogwai - Mr. BeastMogwai - Mr. Beast
Na, was soll man sagen? Ziemlich heftiger Shit, ne. Auch wenn man sich bei "Friend Of The Night" in dem Wirrwarr der gefühlten hundertzweiunddreißig Songfragmenten, die da gleichzeitig ablaufen, nicht wirklich zurecht findet, ist Mogwais Rückkehr zu harten Gitarrendroneflächen ziemlich beeindruckend. Das musikalisch perfekte Abbild einer "Glasgow Mega-Snake" muss eben auch genau so klingen. Furchterregnd groß, gefährlich und auf keinen Fall zu unterschätzen.

Liars - Drum's Not DeadLiars - Drum's Not Dead
Aber hier wiederum: Leider. Auf die Dauer können ständige Überraschungen und Selbstüberwerfungen auch langweilig werden. Die dritte Liars ist zwar wieder ein komplett neuer Wurf, besticht aber durch konsequente ... Langeweile. Eine sehr perkussive, Rhythm-Ambient-Angelegenheit ist es geworden. Die Liars schweben in ihrer Mystizismus-Trance elegant an uns allen vobei in ihr eigenes, aus einer "Konzeptgeschichte" um zwei gegensätzliche Hauptcharaktere (hä?) erschaffenes Lagerfeuer. Ein fader Soundtrack zu jedem beklemmenden B-Movie.

Ein paar Platten, ...


... mal im Schnelldurchlauf.

Tilly And The Wall - Wild Like ChildrenTilly And The Wall - Wild Like Children
Um mal gleich an das Duett anzuschließen: Tilly And The Wall machen's auch. Aber auch nicht so wie die Stars (will meinen: "erhaben"), sondern eher so wie die Moldy Peaches (will meinen: "verrückt"). Pluspunkt: Kein Drummer, dafür ein Stepptänzer. Pluspunkt: Ziemlich cool-wildes Songwriting zwischen Folkpop und teils sehr fetten Beats. Architecture In Helsinki meets Of Montreal meets Saddle Creek (und Conor Oberst produzierte mit und machte diese Platte vor über einem Jahr zu seinem ersten Team Love-Release). Feine Sache, auch für Oberst-Hasser.

Ms. John Soda - Notes And The LikeMs. John Soda - Notes And The Like
Wer von Weilheim nicht genug kriegen kann, von 13 & God vielleicht etwas enttäuscht war, und nicht bis in alle Ewigkeit auf Neues von Notwist oder Lali Puna warten will, muss hier zugreifen. Stefanie Böhm (Couch) und Micha Acher (Notwist) haben ein wunderbar poppiges Songwriting-Album hergezaubert, dass nicht nur in der Spalte Indietronika eine rockige Ausnahme darstellt, sondern auch zu meinen liebsten Morr-Releases mittlerweile zählt. Echt fein.

Adam Green - Jacket Full Of DangerAdam Green - Jacket Full Of Danger
Noch unschlüssig. "Nat King Cole" hat mich ja eher abgeschreckt. Aber das ganze funzt ja doch irgendwie. Ich weiß ja nicht, ob der Typ je wie was anderes klingen wird, ist und bleibt immer noch Adam Green, und klingt nicht abgestaubt oder irgendwas ähnliches. Ziemlich frisch; und wenn's sein Debüt wäre, würden alle heulen vor Glück. Oder so. Eigentlich ne gute Platte. Ob man sie ihm wieder abkauft, ist halt die Frage....

Secret Machines - Ten Silver DropsSecret Machines - Ten Silver Drops
Tja. Leider. Also echt, was hab ich mich gefreut. Und gehofft. Und gebangt. Aber das ging nach hinten los. Liebe Secret Machines, so gern ich es gehabt hätte, dass ihr "Now Here Is Nowhere" noch eins draufsetzt, so sehr war das offensichtlich euch nicht so wichtig. Ich mein: Der Sound ist derselbe, es klingt genauso breit und wummrig und weißderteufelwas, aber den Songs fehlen die Ideen, die zündenden Momente. Ein Ozean ohne Küste. Quasi das "Frances The Mute" der Secret Machines. Schade.

Aberdeen City! Aus Boston!


erhaben. es ist dieses coole, feine gespür für das nicht-offensichtliche. diese erhabenheit, die ich an interpol so hasse, und die für die besten british sea power-momente verantwortlich ist.

Aberdeen City

präzise. und zwar punktgenau. es sitzt, so richtig straight, konspirativ-wissend, haargenau in der spalte wischen indie und rock. es fragt nicht danach, es macht einfach. jedes riff trifft. jedes.

jaulend. wenn christopher mclaughlin sich traut zu schreien, zu weinen, zu himmlisch-hymnischen gesangslinien doch noch unerschöpft und gleichzeitig am boden zu klingen, dann ist er mein kopfkissen, in das ich hineinweinen möchte.


ruhig. es ist am wenigsten von allem mitten in die fresse. es traut sich mehr ruhige momente zu, als franz ferdinand, maximo park, bloc party, kaiser chiefs, shout out louds und hastdunichgesehen zusammen.

fließend. es hackt nicht. es pickt nicht auf dir rum. es versucht nicht mit abgeschnittenem beat eigenartige postpunk-tanzverhältnisse heraufzubeschwören. es tut nicht weh, weil weh tun schlecht ist.


krankmachend. es ist trotz einem song, der jedes geschichtsbuch automatisch fälscht, ein album. und ein song. der ewig leben wird.

eiernd. die alte leier mit der leier. schief, hängend, keinen perfekten popsong am anschlag. arm, bedauernswert und unvorsichtig. so unperfekt, wie es grad dringend nötig war.


growing. ganz fies entwächst es dir. kaum vorstellbar am anfang. aber es wird ganz langsam verrückter, bis es gar nicht mehr verrückt genug sein kann.

genial. alle vier bandmitgleider sind gescheiterte wunderkinder, die keine zweite chance erhalten haben. erst jetzt. sie heißt »the freezing atlantic«.

Aberdeen City: The Freezing Atlantic

gut erfunden. wenns nicht wahr ist.

Was den Himmel erhellt...


Es ist nur eine Kleinigkeit, dieses Offbeat-Becken im Refrain von »New York«, und nur dort, und nicht in dem unfassbaren Ende, diesem unglaublichen Orkan. Es ist nur eine Kleinigkeit, mit so einer Kleinigkeit wen aus der Umlaufbahn zu bringen. Es ist nur eine Kleinigkeit, wenn du in die U-Bahn steigst, bei »Ich sang die ganze Zeit von dir« anfängst, und eine Station weiter in den Armen der »Geigen bei Wonderful World« weinst. Es ist nur eine Kleinigkeit, die Liebe zu erfinden. Es ist nur eine Kleinigkeit, wenn »Wir fragten deinen Dealer« als eines deiner Lieblingslieder doch nur eine B-Seite ist. Es ist nur eine Kleinigkeit, ohne Geld zu kalkulieren. Es ist nur eine Kleinigkeit, die Welt durch den Rauch zu sehen. Es ist nur eine Kleinigkeit, wie richtig das Schlagzeug in jedem einzelnen Moment dieser Platte sitzt. Es ist nur eine Kleinigkeit, wenn sich Thees mit Gott prügelt. Es ist nur eine Kleinigkeit, wenn der Beat losgeht. Es ist nur eine Kleinigkeit, mit falscher Strophe und richtigen Refrain unablässig deinen Namen in die Welt zu schreien. Es ist nur eine Kleinigkeit, der ganze weite Weg. Es ist nur eine Kleinigkeit, diese Sven Regener-Trompete. Es ist nur eine Kleinigkeit, Arcade Fire wahrscheinlicher als Weakerthans zu halten. Es sind alles nur Kleinigkeiten, diese schönsten Songs der Welt. Weiß ich, wie lange Tomte für mich sangen? Nein. Aber ich sang offensichtlich die ganze Zeit von ihnen.

Gravenhurst: To understand yourself as a killer


Hosted by ImageShack.us Die Gitarren-Platte für den Herbst kommt von einer Ein-Mann-Band und heisst »Fires In Distant Buildings«. Gravenhurst ist Nick Talbot ist Düsternis ist Gewalt. Deprimierender kann Musik eigentlich nicht ausfallen. Die Platte atmet in ihrer Langsamkeit den Geist von Low und bei dem vorletzten »Song From Under The Arches« meint man zu Beginn einer ent-doomten Version von Bohren & der Club of Gore zu lauschen. Dabei scheint sich aber vor allem Gewalt in ihrer körperlichen und seelischen Form als Leitthema zu etablieren. Die Songzeile »To understand a killer / I must become the killer«, die spätestens in ein paar Wochen das zu Tode zitierte »When there is nothing left to burn / you have to set yourself on fire« der Stars als Lieblingsbonmot der herbstdeprimierten Indiejugend ablösen wird, stellt sich durch das darauf folgende »and I don't need this violence anymore« selbst in Frage. Nick Talbot führt ein Gespräch mit sich selbst, Introspektion, zwei Seelen, ach…

Zitiert wird hier ausgiebig, von Simon & Garfunkel (»Nicole«) bis hin zu Placebo (!), aber die Zitate sind bloß mehr Eckdaten auf einem Weg, der längst beschritten wurde. Die Einsamkeit ist überall, aber hier ist sie am größten. Und wenn Talbot Radiohead zitiert (»I want to have put everything in its place / I want to destroy everything«) nickt man nur noch stumm mit dem Kopf. Alles zu zerstören, um neu anfagen zu können: das scheint Talbots Weg zu sein, dessen Ziel wir nicht zu sehen bekommen werden. Um es klar zu sagen: Katharsis ist hier nicht drin, vergiß es. Die Platte zieht dich tief runter in Höllenkreise und da sollst du verdammt noch mal auch bleiben.

~ ~ ~

das wunderschöne Video zu »Velvet Cell«

Staying alive with: The Earlies


www.theearlies.comAm Anfang vielleicht zwei Sachen vorweg: Erstens hat selten eine freche Aneinanderreihung von Referenzwünschen so fruchtbar gewirkt und funktioniert wie die von Lars Brinkmann in seiner Rezension zu »These Were The Earlies«. Und zweitens hat selten jemand (trotz ganz ähnlicher Referenzgrundlagen) so einen grob fahrlässigen Blödsinn geschrieben wie:


»Nevertheless, The Earlies' ample cleverness gives them personality, and their sumptuous soundscapes offer a reason to keep pushing play. Even when their lyrics are banal ("It's all right, my baby" from "Morning Wind"), the music rarely fails to provide more twists than an M. Night Shyamalan ending.«

Kombiniert mit der Ahnung, dass das Zuhause dieser transatlantischen Kombo weder Texas, noch Manchester, sondern eher Atlantis und die Bong(!) ist, haben wir es quasi eh schon immer gewusst: Selbstverliebte, schwebende Hippies, die nicht glauben wollen, dass es eine Realität gibt, und die wir erst ernst nehmen werden, wenn sie auf der selbigen hart aufgeschlagen sind. Also die erste Platte machen, die nach Neil Young klingt. Bis dahin aber…

Es würde mich vermutlich gar nicht mal so aufregen, wenn The Earlies mir mit dieser selbstverliebten Naivität nicht so sehr ans Herz gewachsen wären. Ich würde vielleicht gar nicht die Fühler ausstrecken, um zu finden, was alles dieser Platte angetan wurde. Mag sein, dass das ein egomanischer Kurzschluss mit sämtlichen Vaterkomplexen ist, aber die Platte, die dich zum Beschützen auffordert ist nun mal auch eine, die du offensichtlich lieb hast. Wie klebrig auch immer du dir das vorstellst.

Klebrig, verwischend, leichtfüßig ist auch die Musik um die es hier geht. »These Were The Earlies« ist in seiner Trance und seiner eleganten Melancholie vielleicht die beste Fortsetzung der Reihe »Ruhige Herbstplatten« (remember?). Trotz der vielschichtigen Arrangements, den jaulenden Bläsern und gewitzten Electroschichtereien, der nervenaufreibenden Chöre und knarzigen Noiseflächen behält es die Vorsilbe »Psych-« ohne monoton, nur auf Drogen konsumierbar oder nervig-elitär zu sein. The Earlies zaubern hier auf eigenem Boden mit Leichtigkeit schwebende Songs und Landschaften, die zwar stellenweise die erwähnten Referenzkanonen nur so explodieren lassen (auch wenn ich The Polyphonic Spree weder raushöre, noch mag – was miteinander zu tun haben könnte), aber im Endeffekt doch nur auf dem Nenner ihrer eigenen Anfänge verharren bleibt, da es sich ja auch um eine Zusammenstellung der ersten paar EPs handelt.

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Eigener Anfang? Würde ja dann auch heißen: Was brachte sie dazu? Da gibt’s sicher bald vieles dazu zu lesen, und eventuell sollten wir den Earlies auch gut zuhören, falls wir gewillt sind, zu erfahren, welcher Zaubertrank so ein Album aus dem Boden stampfen kann, aber ehrlich gesagt sollte man das nicht vorher tun, bevor man nicht dieser Perle selbst die Ehre erwiesen hat. Die himmelhohen, gotischen Luftschlösser über dem Atlantik sind dafür zu eigenständig. Vielleicht doch noch kurz: Ja, ich gehöre zu den Menschen die auf eine Fortsetzung von »Deserter’s Song« gewartet haben. Und ja, ich liebe Spiritualized – auch wegen ihrer drogenbedingten Entgleisungen. Aber beides hat sich durch »These Were The Earlies« nicht verändert, was mich sehr freut. Eigentlich umgekehrt: Ein Monument von Song wie »Morning Wonder« liefert (auch gerade wegen seiner »banalen Lyrics«!!!! s.o.) die stärkste Lebensaufforderung seit … sagen wir »Come Together« von »Ladies and Gentlemen…«. Was gibt es schöneres, als so verführt und geliebt zu werden?

Später geht's nicht


Was bin ich nicht verliebt und ergriffen von "Set Free", der neuen American Analog Set. Eine Band die bis jetzt nicht mal namentlich meinen Horizont gestreift hat erweckte durch den Spex-Artikel letztens ein wenig Interesse, und *schwupps* bin ich gefangen in einem Wald an Erinnerungen und langsamen Atem-Geräuschen. Wie die besten Melodien Lou Barlows, die postrockigsten Radiohead-Ideen, die rentabelsten Low-Anfänge und ausgefuchstesten Spiritualized-Seitehiebe fügt sich ein Netz zusammen, das schöner und verlockender nicht sein könnte. "Set Free" ist eine Hommage an das Staunen, ein Gedenken des Augenblicks. So unkompliziert, so wenig-wollend, so luftig wie das weite Weltall. Genau die richtige Platte zur richtigen Zeit, möchte ich meinen.

Wäre da nicht die eben verlautbarte Schreckensnachricht, dass es aus ist, mit eben dieser Platte. Als ob es nicht schon schlimm wäre Bands erst so spät zu entdecken (immerhin habe ich jetzt noch fünf Studioalben vor mir, die vor "Set Free" waren und gehört werden wollen...), ist es natürlich noch schlimmer, nachdem so eine schöne Platte wie "Set Free" in dein Leben trat, die Geschichte nicht mehr weiterverfolgen zu können. Als ob sie mit der Zukunft abgeschlossen haben, aber ihre Vergangenheit nicht mit mir.

edit: Der wunderbaren Opener "Born On The Cusp": hier.

Für den Fall


"A group of people with influences and tastes spanning the last 183 years of pop music, coupled with the isolation of Australia." steht es auf der wunderbaren Homepage dieser kleinen, unbekannten Band geschrieben. Architecture in Helsinki haben heuer mit "In Case We Die" ihr zweites Album veröffentlicht, und meine Aufmerksamkeit erlangt, als mir jemand flüsterte, es wären die besseren Stars.

Nun, tatsächlich mag die Herangehensweise von AIH der der Stars ähneln, schließlich haben wir hier wie da Vielstimmigkeit, elegante Streicher- und Bläserarrangement und wunderschöne Popsongs, die mal zum Tanzen, mal zum Lachen, mal zum Weinen sind. Nur sind AIH nicht so erhaben, viel hektischer, und auch abwechslungsreicher. Vielleicht ist dieses ungestüme, nicht-in-einem-Modus-verharrende sogar ihre größte Stärke: Es ist definitiv eines der unlangweiligsten Alben dieser Zeit. Mit der dauernden Rhythmus-, Tempus und Instrumentierungsbrüchen wird hier trotzdem wunderbare Schönheit am laufenden Band produziert. Da folgt ein klassich-genialer Gitarren-Indieschrammel-Song mit einer guten (wirklich: guten!) Portion Modest Mouse ("Maybe You Can Owe Me") auf eine freche Disco-Pop-Perle ("Do The Whirlwind"), die (minus der Bläser) auf "Let Us Never Speak Of It Again", dem Debüt von Out Hud, nicht auffallen würde. Und einer der besseren Tracks wäre.

Auf jeden Fall handelt es sich um wunder ausgelassene, jugendlich-wilde Indieschnösen-Musik, die nur viel zu wenig Aufmerksamkeit hat. Ganz abgesehen davon, dass es dann doch auch eine Spur von Eleganz hat, von "Ich brauch keine Aufmerksamkeit, um groß zu sein." Auch schon lange nicht mehr das Gefühl gehabt.

VÖ: Irgendwann heuer per Tailem Bend/Remote Control/Inertia. Bei uns? Hoffentlich bald.
>> AIH's 1 hour DJ-Set bei triple j
>> Foto-Galerie (Flash) ebenda
>> Foto-Galerie (HTML) ebenda
>> Videos zu "It'5" und "Do The Whirlwind" (und zwei Stücken vom Debüt "Fingers Crossed") auf der wirklich ansehnlichen HP

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