Sonntag, 5. Dezember 2004

Freiheit und andere Irrtümer


»Oldboy« (Korea 2003, Chan-wook Park)
Kino

oldboy

Was uns in letzter Zeit aus den asiatischen Ländern an Filmen präsentiert wird, ist der schiere Wahnsinn. Nicht nur die stilistische Brillianz der Plots vieler Filme, auch die Zeichen einer anderen Filmsemantik bereichern die westliche Filmwelt in einer Art und Weise wie sie zuletzt vor hundert Jahren zu Beginn des Kinozeitalters von zunächst Amerika und später Rußland aus bereichert wurde. Dennoch glaube ich liegt man nicht falsch, wenn man zugleich eine verstärkte »Globalisierung« der Filmsprachen und -genres konstatiert. Klassische amerikanische Motivwelten wie die des Film-Noir werden in asiatischen Filmen wie in Ye Lous »Souzhou River« oder auch in vielen Mangas zitiert; umgekehrt hat die genuin asiatische Filmästhetik, die sich noch vor zehn Jahren vor allem in der Setgestaltung und den historischen Anklängen bemerkbar machte, ihren Widerklang in Hollywood längst gefunden. Das aktuellste und offensichtlichste Beispiel dafür ist Tarantinos »Kill Bill«.

Nun also »Oldboy«. Auch dieser Film bedient sich westlicher Motive und Genres. Das klassiche Revenge-Movie (oft dachte ich an Soderberghs »The Limey«) trifft auf den Paranoia- und Verschwörungs-Thriller á la Finchers »The Game«. Auf der anderen Seite eine irrsinnig hochgestapelte Ironie, die sich in Szenen wie der einen niederschlägt, in der die Hauptfigur wie zu seligen Nintendo-Zeiten in zweidmensionaler Ebenen-Ästhetik gegen a bunch of enemies antritt. Dann wieder wird »Pulp Fiction« zitiert, wenn das Bild angehalten wird und eine geometrische Verktorzeichnung auf dem Bild erscheint.

Worum geht es? Dae-su Oh, ein Familienvater, ein Jeder- und Biedermann, wird entführt und 15 Jahre lang in einem Zimmer gefangen gehalten – ohne zu wissen, von wem, warum oder wie lange seine Tortur dauern wird. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt bleibt die ganze Zeit über das Fernsehen. Genauso geheimnisvoll und plötzlich wie seine »Inhaftierung« ist sein Freikommen. Dae-su findet sich auf dem grün bewachsenen Dach eines Hochhauses wieder. Doch der Horror beginnt erst. Bald meldet sich sein Entführer und lässt Dae-su fünf Tage Zeit um herauszufinden, warum er eingesperrt war. Schafft er das, will sich der Entführer umbringen, scheitert Dae-su, wird jede Frau, in die er sich verlieben wird, ermodet werden.

Chan-wook Parks Film ist zutiefst existenzialistisch, alle Personen sind vorbestimmt, ferngesteuert und werden im Laufe des Films immer mehr zu Tieren. So sind die expliziten Gewaltdarstellungen nicht bloßer Selbstzweck und Mittel einer falsch verstandenen »Coolness«, sondern illustrieren eindringlich die Verlorenheit der Figuren. Jeglicher Handlungsoptionen beraubt, finden diese ihre Freiheit nur noch in der Rache. Fragen werden nicht gestellt um beantwortet zu werden, sondern um die Leiden auf dem Weg zu ihrer Beantwortung zu durchleben. Dabei enthält sich Park eindeutiger Gut/Böse-Zuschreibungen gerade dadurch, dass er alle Figuren als Getriebene darstellt. Die Motive des Entführers wie auch des Entführten werden »verständlich«.

Eine schöne Parallele ergibt sich, wen man Dae-sus Leben in der Zelle und dem in der vermeintlichen Freiheit vergleicht. So sehr unterscheiden sie sich nicht: Nimmt er in der Zelle das Leben – und auch ganz explizit historische Eckdaten wie den Tod Prinzessin Dianas – nur als Unbeteiligter durch den Fernseher war und erhofft sich draußen in der Freiheit endlich zum handelnden Subjekt zu werden, erlischt diese Hoffnung sehr bald. Auch hier draußen sind die Geschichten nicht seine, die Freiheit bleibt Trugschluß. Geschichte wird gemacht, wir schauen zu. In einer überaus bemerkenswerten Szene verlangt Dae-su in einem Sushi-Restaurant nach "etwas lebendem". Kurz darauf verschlingt er einen Tintenfisch, dessen Tentakel sich ein letztes Mal aufbäumen, bevor sie ganz veschlungen werden. Wer ist hier das Tier? Auch die Einverleibung von Leben in seiner archaischsten Form wird Dae-su nicht zu dem machen, wonach er sucht. Die Freiheit wird sich letztlich auch in der Rache nicht finden.

In Anlehnung an Marx formuliert Béla Bálazs schon 1924, dass neue Kunst auch neue Formen der Rezeption ermöglicht. Gemeint war damals der Austausch der Filmsprachen Amerikas und Europas und den Einfluß, den das auf unser Zeitalter des Kinos haben wird. Filme wie »Oldboy« sind auf dem besten Weg dahin, eine universale Filmsprache zu entwickeln, die nationale und territoriale Gegebenheiten nur noch als Zitat und nicht mehr als Dogma zulässt. Keine schlechte Aussicht.


Info: IMDB | Filmz.de

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christian123 - 5. Dez, 23:41

Die ersten zwei Sätze für sich genommen machen mich nachgrübeln, wie lange ich es noch aushalte, mir dieses moderne asiatische Kino aufzusparen. Ich fürchte, wenn ich einmal damit anfange, mich damit auseinanderzusetzen, wird's ein umwerfender Schock ;-)

txt - 6. Dez, 00:02

Dann

habe ich da etwas für dich. Solltest du in Köln oder Umgebung wohnen, lohnt sich bestimmt ein Besuch des nächste Woche stattfindenden »Cineasia Filmfestivals«. Infos: http://www.cineasia-filmfestival.de/
Vor allem »Izo« und »Zebraman« von Takashi Miike werden sich wohl lohnen.

Ansonsten einfach mit Nagisa Oshimas »Im Reich der Sinne« anfangen und dann chronologisch nach vorne arbeiten. Und ja, es könnte ein Schock werden, aber ein heilsamer.

Weitere Besprechungen von Asia-Filmen sind übrigens geplant.
ThGroh - 6. Dez, 02:55

Mit dem ersten Absatz habe ich so ein bisschen meine Probleme, da er ja eben doch von einer "genuin asiatischen Filmästhetik" ausgeht, die wiederum die westliche Hemisphäre des Filmschaffens, im Sinne von: etwas ganze Neues, maßgeblich beeinflusst. Zum einen gibt es keinen "pan-asiatischen Film" und davon abgeleitet, eine "asiatische Filmästhetik": Hongkong, Bollywood und Japan sind stilistisch, narrativ und vor allem ästhetisch voneinander höchst unterschiedlich. Und das koreanische Kino wiederum ist, soweit bislang mein Eindruck, eher der Versuch, mit Big Budgets das Hongkong-Kino zu imitieren (was, nach einem kurzen Aufbruch etwa 1998/99, zu einer, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eher etwas seelenlosen Filmlandschaft geführt - so zumindest mein Eindruck; Oldboy ist eher eine Ausnahme).

Problematisch finde ich auch den zugesprochenen hermetischen Charakter Asien<=>Westen und die daraus abgeleitete Gegenüberstellung. Meiner Meinung nach ist das so nicht gegeben. Das asiatishe Kino entwickelte sich, unter jeweils regionalen eigenen Voraussetzungen, natürlich im wesentlichen unter dem Einfluss Hollywoods (damit meine ich die früheste Phase) und bediente sich im Laufe der Zeit immer wieder gerne dort, wie auch umgekehrt Hollywood im Laufe seiner Geschichte äußere Einflüsse assimilierte (der Universal-Horror, aber auch der Film Noir wäre etwa ohne den deutschen "expressionistischen" Film nicht denkbar). Ökonomisch ist das auch recht leicht erklärbar, da, zumal in der internationalen Peripherie, sich nur dort eine Kinokultur und -industrie bilden konnte, wo auch Kinos bestehen. Diese bestehen wiederum nur dann, wenn sie bespielt werden: Und in der Anfangszeit der wenig industrialisierten asiatischen Filmnationen waren das im wesentlichen Importe aus der bis dahin größten Filmnation: USA (selbst die UdSSR musste sich in den ersten Jahren ihrer eigenen Filmherstellung mehrere hundert importierte US-Filme gegen einige wenige eigene Produktionen gefallen lassen). Dies spiegelt sich natürlich auch in der Filmgeschichte wieder: Zahlreiche Wuxia Pian Hongkongs sind mehr oder weniger offensichtliche Anlehnungen an klassische US-Western, ähnlich verhält es sich mit zahlreichen Samuraifilmen. Die Reise geht dabei auch umgekehrt: Kurosawas Western-inspirierter Yojimbo diente wiederum Leones Für eine Handvoll Dollar als Vorlage, der aus dem Querimport wiederum einen Western re-destillierte und damit den Italowestern schuf. USA => Japan => Italien und von dort aus wiederum nach USA (wo die Italowestern zumindest der großen Regisseure einigen Erfolg hatten). Solche Beispiele gibt es zuhauf in der Filmgeschichte, vom ganzen Eastern-Boom in den 70er und 80er mal ganz zu schweigen.

Gerade das finde ich auch an Kill Bill spannend: Dass er eben nicht nur eine Hommage an das asiatische (und italienische) Genrekino darstellt, sondern dass er die internationalen, filmhistorischen Reisen der Filmgenres über die Narration thematisiert und verarbeitet. Die Reisebewegung ist dabei (was nur wenige Hinweise so erkennen lassen) zumindest in Teil 1 gebrochen und spiegelt das diffuse Verhältnis der Politik der gegenseitigen Komplimente wider: Der Film beginnt zeitlich linear zwar in den USA, doch über den Rachezettel der "Braut" erfahren wir, dass die Episoden mit O-Ren Ishii in Japan bereits ereignischronologisch "Geschichte" sind. Der Film beginnt in der Tat mit seinem Ende, entwickelt aber durch die Montage eine Reise in asiatische Gefilde und im zunehmenden Verlauf wird der Film auch in der Tat "asiatischer".

Das klingt jetzt alles schrecklich schulmeisterlich und eigentlich will ich gar nicht so rüberkommen. Aber das asiatische Kino ist eben auch recht mythenbehaftet und diese Mythen stehen oft sehr bestimmend über den einzelnen Filmen, weswegen es oft mühsam ist, diese beiseite zu räumen und einen zumindest graduell weniger verzerrten Blick auf sie zu werfen. Und gerade weil sich im asiatischen Raum in der Tat mit die derzeit aufregendsten und spannendsten Filme befinden (ob nun Genre, Kunst, Autorenfilm - so man diese Schranken überhaupt aufrecht erhalten mag), denke ich, dass ein unverstellter Blick da lohnenswert ist. Deswegen liegt mir das einfach auch am Herzen, was mein weites Ausholen hoffentlich verzeiht und es als nicht ganz so klugscheißerisch erscheinen lässt. :)

Best-
Thomas

txt - 6. Dez, 16:33

Hallo Thomas.

Danke für deine ausführliche Kritik und den Ausflug in Filmgeschichte. Ich lese so etwas durchaus gerne und empfinde das mitnichten als "schulmeisterlich" - naja, vielleicht ein wenig, aber das nur im Positiven ;).

Natürlich ist mir klar, dass nichts aus Nichts entsteht und auch die frühen asiatischen Filme nicht ohne Vorgänger auskamen. Dennoch, und das ist meine Hypothese, scheint mir der Umfang des Austausches ein größerer zu sein, oder besser: sich auf breiteren Ebenen abzuspielen. Der verstohlene Blick nach Hollywood ist einem selbstbewußten gewichen. Erst durch dieses Selbstbewußtsein wurde es dann möglich, dass Asien wiederum von Hollywood zitiert wurde. Nochmal: Es geht mir hier um den Umfang des Austauschs.

Du hast auch Recht, wenn du behauptest, der asitische Film an sich bestehe so nicht. Allerdings denke ich, dass eine Verallgemeinerung, wie ich sie hier getroffen habe, schon rechtens ist da die asiatischen Filme halt doch untereinander sich ähnlicher sind als im Vergleich zu europäischen oder westlichen im allgemeinen. Auch hier sollte natürlich klar sein, dass die Grenzen nicht trennscharf gezogen werden können. (Macht Wenders nun amerikanische oder deutsche Filme? Was ist mit John Woo? etc.) Ich glaube man kann das mit Europa/Amerika vergleichen: Deutsche Komödien liegen immer noch meilenweit von französischen entfernt (ohne jetzt hier über den ach so schlimmen - schluchz - deutschen Film herziehen zu wollen, daran liegt mir nichts) dennoch gibt es sowohl in deutschen wie auch in französischen oder anderen europäischen Filmen gewiße Konstanten, die sich deutlich von Amerika auf der einen und Asien auf der anderen Seite absetzen.

Im übrigen scheint mir "Oldboy" nicht die große Ausnahme des koreanischen Kinos zu sein. Sein Vorläufer "Sympathy for Mr. Vengeance" gefiel mir auch bereits, schlug auch in eine ähnliche Kerbe wie "Oldboy". Und dann gibt es ja auch noch Kim Ki-duk, von dem ich aber nur "Bad Guy" und "Spring, Summer..." kenne, der ja auch (zumindest visuell) ein Leckerbissen war. Von Ki-duk läuft ja auch hierzulande dieser Tage der neue Film an, über den man auch nur gutes liest. Außerdem wurde mir noch ein Regisseur namens Lee Chan-Dong empfohlen. Ich glaube da gibt es viel zu entdecken.


PS. Du erwähnst den deutschen expressionistischen Film. Hast du dazu die Diskussion im Spex-Forum mitgelesen? Wir sind uns da nicht einig geworden.


Nachtrag: Zu Kim Ki-Duks neuem Film gibt es in der aktuellen Spex auch einen Text/ein Interview. Die aktuelle Ausgabe würde ich dir aber auch und vor allem wegen des Artikels über Machinima, die zwar nichts mit Asien im speziellen aber doch viel mit Film und neuen Kunstform im allgemeinen zu tun haben, empfehlen.

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