Tocotronic Neujahrskonzert zum zweiten



Feinen Menschen muss man geben
was sie wünschen, es ist eben
eine Pflicht.
Nichts ist wichtiger als dies.

– Tocotronic, »Mein Prinz«

tocotronic

Ich gebe zu, ich war skeptisch. Ein Sitzkonzert! In einem Theater! Von einer (inzwischen Zwei-)Gitarren-Band! In den tiefsten Tiefen der etablierten Kultur und den höchsten Höhen ihres POP!verständnisses habe Tocotronic drauf geschissen und ein Konzert gegeben, dass mich schlichtweg umgeworfen hat. Tatsächlich war das mein erstes Konzert, das ich im Sitzen verbracht habe – mal abgesehen von den Festival-Gigs, bei denen man sich irgendwann nicht mehr auf den Beinen halten kann. Zurückblickend fällt es mir auch schwer mich an ein Konzert zu erinnern, dass ich ähnlich konzentriert verfolgt habe.

Die Texte nochmal genau zu hören, nicht unbedingt mitzusingen, aber die Worte innerlich arbeiten zu lassen, schwitzige Handflächen zu bekommen, nicht weil man sich bewegt sondern weil man bewegt ist, nie an das nächste Lied zu denken, immer nur: jetzt! jetzt! jetzt!, der Moment, zusammenzuzucken, wenn die Musik auch nur dafür geschrieben zu sein scheint, Begeisterung über die kleinen Stellen in den Stücken, die scheinbar nur für einen selbst geschrieben wurden und über die, an die man immer zurückdenken muss, wenn nur der Name der Band erwähnt wird, erstaunt zu sein, wenn alles anders und doch: genau so! gut ist, die Menschen um einen herum zu vergessen, weil in diesem Raum es nur mich und drei, vier Menschen auf der Bühne gibt, beinahe frenetische Standing Ovations zu geben, in der Hoffnung noch einen Song zu hören (Den einen noch! Kommt schon! Bitte! Muss doch noch drin sein!), sich zu freuen, dass man trotz aller Abgeklärtheit immer noch FAN sein kann, immer noch in der Lage ist, eben nicht zu abstrahieren sondern völlig losgelöst die Musik affirmativ walten zu lassen, schließlich Sekunden nach dem Ende des letzten Liedes diesen Kloß im Hals zu spüren, diesen einen, der sich nur noch selten bemerkbar macht, von früher aber durchaus noch mit wohliger Melancholie in das Heute hinüberwinkt, das habe ich seit langem nicht mehr erlebt.

Danke dafür. Auch den feinen Menschen, die dabei waren.

Tocotronic (Part 1) 01.01.2005


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Was auch immer geschrieben und gedacht wird: Es ist (fast) immer unmöglich Tocotronic textuell einzufangen. Und nun wartet in der Volksbühne Berlin zum Neujahrskonzert ausgerechnet Tocotronic. Ihr neue Platte ist noch gar nicht draußen, die Tour fängt erst im Februar an. Exklusiver konnte also dieses erste Konzert nach fast zwei Jahren nicht sein.

Und als wir in unseren bestuhlten Sitzen Platz nahmen, da war auch irgendwie jedem klar, wie groß das dann doch war, was diese lächerlichen Jungs aus Hamburg in über 10 Jahren Bandgeschichte gemacht haben. Auch Leuten wie mir, der ich z.B. das weiße Album durch und durch verabscheue. "Pure Vernunft darf niemals siegen" nennt sich nun das neue Werk - und macht mehr als alles wieder weg. Daran denke ich, in den Minuten vor dem Konzert. Und an die alten Platten, an jede einzige die ich damals auswendig gelernt habe. Die Frage steht im Raum, ob sie auch die spielen werden.

Das Set legt natürlich den Schwerpunkt auf den neuen Songs, große, lange Stücke, die sich entwickeln, ihr Rockverständnis noch versteckt halten, nicht oberflächlich funkeln. Dirks Stimme - ungeübt wie sie ist - droht oft zu verschwinden, auch bei der Single des neuen Albums "Aber hier leben, nein danke", der Song, der mir klar machte, dass es die Tocos wieder auf den richtigen Weg egschafft haben. Dieser düstere, stoisch ruhige Beat, die Wut und Zaubermacht, die mich stark an mein liebstes Album (KOOK) erinnert. Völlig unvermutet finden sich hintereinander Stücke vom weißen Album und von KOOK ein, harmonieren miteinander und verweben sich zu einem dichten Klangteppich in der Volksbühne, in den Sitzen und Hinterteilen der Besucher jenes Abends.

Ein Punk ganz hinten schreit in einer Pause, ob Dirk denn weiß wie er denn da vorne aussieht. Er zeiht sich die Hose runter und reckt der Bühne den Arsch zu. Dirk sagt "Wie auch immer, das Unglück muss zurückgeschlagen werden", und eröffnet selbiges Stück, das mit einem Schlag klar macht, warum es gar nicht anders laufen kontne für diese Band, als so wie es lief. "Jackpot" folgt, plötzlich "Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen". Womit ich am wenigesten gerechnet habe. Dann wieder neue Stücke, die fantastisch geheimnisvoll zum Träumen verleiten, die Vorfreude auf das Album kitzeln und hervorbringen. Oder umgekehrt?

Mit dem Titeltrack des neuen Albums ist es aus, die Gesichter erstaunt, erheiter, vergessen und verloren. Was ist an diesem Abend passiert? Warum ist diese Band nach so vielen Jahren und so unterschiedlichen Phasen ausgerechent an so einem Ort aufgetaucht um zu zeigen, dass sie noch immer verdammt gute Rockmusik machen? Warum jetzt?

Die Zugaben, ohne den neuen Mann, nur zu dritt, die großen drei. Alleine. "Ich muss reden, auch wenn ich schweigen muss", "Ich bin 3 Schritte vom Abgrund entfernt". Verdammt. So weit weg war das alles. Mit Haut und Haaren verschlungen, fressen sich die Jungs durch ihre Songs, ihre alten Hits, ihr Binsenweisheiten und Parolen, die damals wie heute nicht stimmen konnten, und doch so dringlich herausfordern konnte, selbst welche zu suchen. Ein Exposee für die Macht ohnmächtig zu sein, ein Schrei der Verzweiflung, der Gefallen fand am Verzweifeln. Noch einmal raus, Standing Ovations, noch einmal rein. Hi Freaks.

"Drüben auf dem Hügel" bringt schließlich sämtliche Erwartungen zum Einstürzen. Wie das vereinbar sein soll mit Stücken wie "Pure Vernunft darf niemals siegen" oder "In höchsten Höhen" wusste bis dorthin wahrscheinlich niemand. Aber hier wurde es bewiesen, falls es wen überhaupt interessierte. Mein Lieblingsalbum verabschiedete uns in die Nacht. "Rock Pop in Concert", programmtaisches und vielbedeutendes Schlussstück eines Konzertes, dass seine Exklusivität rechtfertigen konnte, wie selten eines zuvor. Das neue Album wird vielleicht alles gut machen, was dieser Band (auch von mir) als schlecht vorgeworfen wurde. Nur noch 2 Wochen bis dorthin. Und live... nun, die Tour hat ja nicht einmal begonnen.

Part 2: 22.01.2005 Wien, Arena
Part 3: 23.03.2005 Wien, Arena
Part 4: 24.03.2005 Wien, Arena (noch nicht bestätigt)

Info: tocoronic.de

Susan Sontag gestorben

sontag

Mekwürdige Koinzidenzen: Gestern erst etwas über ihren Aufsatz »Against Interpretation« gelesen und mir fest vorgenommen, den demnächst dochmal in der Bibliothek auszuleihen.

»Regarding the Pain of Others« bleibt für mich eines der wichtigsten Bücher, die ich letztes Jahr gelesen habe.

Spiegel | Deutsche Welle | Netzeitung

Sontags Friedenspreisrede in den Kommentaren.

Überflüssige weiße Männer. Ein paar Gedanken


»Falling Down« (USA 1993, Joel Schumacher)
DVD

falling_down

Der Beginn: Ein Zitat aus Fellinis »8 1/2«. Der Werksausweis hinter der Scheibe: abgelaufen. Der Schweiß auf der Stirn: rinnend. Die Kleidung: Biedermann. Die Flagge: Amerika. Das Chaos: Im Kopf und drumherum. Das Nummernschild: Ironie in Wartestellung. Die Eröffnungssequenz beinhaltet bereits alle Motive, die sich duch den Film durchziehen werden.

»Falling Down« handelt von einem, der keinen Ausweg mehr sieht. Anders als Lester Burnham in »American Beauty« ist der namenlose D-Fens nicht mehr in der Lage zu entscheiden. Er wird getrieben. Durch die Straßen, die Ghettos, einem Weg folgend, der vorgezeichnet scheint. Es liegt nicht mehr in seiner Hand. D-Fens ist gleich einer Hülle, die nichts mehr zu verbergen imstande ist. Die Leere in ihr spiegelt sich in den verlassenen Gegenden wieder, in denen D-Fens unterwegs ist. Trifft er doch mal auf Menschen, sind diese stets nur Feinde.

Ein Freund erzählte mir, die negativen Filmkritiken in den USA seien geprägt gewesen von Rassismus-Vorwürfen. Die Gewalt gegen Schwarze, Latinos und Asiaten im Film sei Ausdruck einer weißen Ideologie. Mal abgesehen von der leidigen Vermischung von Autor, Text und Subtext, soviel zumindest stimmt: D-Fens ist ein Weißer, sozial angesiedelt zwischen Mittelschicht und White Trash. Bei genauerer Betrachtung richtet sich die von ihm ausgehende Gewalt aber nicht vor allem gegen Schwarze und Latinos, sondern hauptsächlich gegen die Unterschicht, in die er abzurutschen droht. Das fehlende soziale Netz, seine Arbeitslosigkeit, der Verlust von Frau und Kind macht ihn überflüssig und damit zu einer tickenden Bombe ähnlich wie ein anderer tragischer Auswegloser: Travis Bickle.

Ja, D-Fens ist ein Rassist, das ist aber nicht sein Motiv. D-Fens ist gekennzeichnet durch den »ganz normalen« Rassismus (und übrigens auch: Sexismus) eines minderpriveligierten poor white male, der Ventile für seine Wut sucht. Und er ist durch und durch unpolitisch. Gerade in Szenen, die eigentlich politisch aufgeladen sind, zeigt sich das. D-Fens schwadroniert über Politik und Partriotismus (die Nation als »Wir«) ohne genau zu wissen, was vor sich geht. Genau genommen ist D-Fens ein »white nigga«, so wie ihn Darius James in seinen Texten zeichnet, charakterisiert vor allem durch Negation, durch das Fehlen von als gut deklarierten Eigenschaften wie Arbeit und Familie. Er selber sieht sich als überflüssig an. Wozu bin ich noch nützlich, was kann ich denn schon sein? D-Fens als ein sich selbst Entfremdeter.

Die Spiegelung in seinem Gegenpart: Pendergast (Robert Duvall), der ihn verfolgende und kurz vor seiner Pensionierung stehende Cop. Es gehts ums Heimkommen. Genau wie Pendergast aber erwartet auch D-Fens keine "Heimat" sondern bloß die übriggebliebenen Bruchstücke dessen, was zuvor Geborgenheit bedeutete. Der Film zeigt in seinen beiden Hauptpersonen Pendergast und D-Fens zwei Wege, mit einem zerstörten Leben umzugehen. Resignation herrscht auf beiden Seiten. Doch warum dreht der eine durch, während der andere sich in sich selbst zurückzieht und unsichtbar für seine Umgebung wird? Der Film hütet sich davor, einfache Antworten zu geben. Das macht ihn so streit- und angreifbar. Meines Erachtens macht genau das ihn aber auch (und erst recht) sehenswert.


Info: IMDB

Mosz Labelnight 14.12.2004


Diesmal in der Fluc Mensa: Mosz. 6 Acts. Es klang vielversprechend. Und ja: Es war toll.

Den Anfang machten UNFAIR, deren Krach um knarzende Elektro-Schnipsel verwoben zwar nicht sehr herzer-, aber doch aufwärmend war. Fuckhead Didi Bruckmayr strahlte hierbei die nötige Performance als zittriges Maskottchen hinter dem Mirko in gekonnt-bekannter (und somit fast langweiliger) Manier aus.

Das erste wirkliche Highlight des Abends tellte für mich schon Act 2, PETER SZELY, dar. Soundinstallateur ahoi! Treffsecure Microphones-Sample meets avantgardening Soundscape-Architecture. Elektronisch wurde hier ausgelotet, wie gut Wiener Kaffehäuser in postrockige Weltmusik hineinpassen.
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Somit war der Weg geebnet für den vielleicht von mir am sehnlichsten erwarteten Act des Abends: MARTIN SIEWERT, seineszeichens sowohl akustisch als auch elektronisch hochbegabter Tüftler und Checker, brachte auch mit Begleiter Dieb 13 erstmals eine Gitarre auf die Bühne, die auch mit ihrem ersten, unwiderstehlichen Melodienbogen sofort mein Herz erobert hat. Etwas zu kurz geriet sein Set, dasss im ersten Teil noch durch die Gitarre melancholisch-verstimmt aufbaute, was im zweiten Teil mit einer fast jugendlichen, aber eleganten Narrheit dekonstruiert wurde. Seine CD "No Need To Be Lonesome" ist somit auch mein "want-have" des Abends.

Die Achse Berlin-Wien um Nicholas Bussmann und Martin Brandlmayr stand im Zentrum von KAPITAL BAND 1 , deren verspielte, ja fast ironische Tanzbarkeit aber leider zu etwas überfrachteter Eindimensionalität geführt hat. Schade, da habe ich mir mehr erwartet.

Fließende Form, Echos ohne Widerkehr, Metal fitted in Elektro-hau-dir-in-die-Fresse-Wall-of-Sound trafen bei METALYCÉE den Kern eines ambivalenten, aber doch beachtenswerten Experiments. Eher bekannt als Langzeitprojekt Thilges3, präsentierten sie neben Gustav an dem Abend als einzige einen wirklich neuen Tonträger auf Mosz ("Another White Album"), der hoffentlich ihren Sound beim Bannen auf die CD nicht zu sehr verkürzt. Denn ohne Frage war eins durch die Subwoofer ganz essentiell: Bombast. Wie gut dass dann ohne PA klingt, weiß ich nicht...

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Und zu guter letzt stand noch GUSTAV am Programm. Eva Jantschitsch. "Rettet die Wale", so ihre neue CD auf Mosz, allseits gelobt und zu Recht als eine der interessanteste österreichsichen Veröffentlichungen des Jahres gehandelt. Die Attribute hier wären wohl zerbrechliche Stimme und Pop in einem sehr breiten Quarks-Björk-Notwist-Kontext. Pop, der fast tanzbar, fast angreifbar, fast weinbar ist. Schöne Musik, von der auch zwei Lieder reichen, um glücklich zu machen. Nun gut, das Publikum zwang sie zu noch zwei Zugaben. Also doch vier Geschenke für uns, die wir bis zum bitteren Ende dieser herrlichen Nacht durchharrten.

The Faint/Beep Beep 13.12.2004


Dann war es also soweit. Der großartige Abend im Wiener Flex war gekommen, und die Vorfreude verteilte sich gerecht auf beide Bands, die spielen sollten. Saddle Creek, auf dem Bright Eyes oder Cursive auch laufen, war zu Gast mit ihren beiden aktuellen Vertretren: The Faint und Beeep Beep.

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BEEP BEEP als "Vorband" wurde ihrem Titel aber bei weitem nicht gerecht, zauberten die Jungens aus Nebraska in ihren rauschend-schwitzenden Post-Punk einen Traum nach dem anderen auf die Bühne. In Schockwellen sich ausbreitenden Melodien unterlegt von einem wahnwitzigen David Lovering-Spin Off als Drummer brachten nicht nur die zu eng(!) geschnallte Gitarre eines der beiden Sänger ins Wackeln. Beep Beep machten nicht nur Lust auf ihr Debütalbum "Business Casual", sondern auch auf mehr NewWave-Post-Irgendwas-Desaster an dem Abend.

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Und leider wurden aber THE FAINT dieser Anforderung nicht ganz gerecht. Ja, sicher, ihr Mix aus Gothic-Disco-NewWave-Rock-Modulen birgt erstaunliche Kräfte in sich, und vermochte mit "Agenda Suicide" auch einen erstaunliche Hit zu produzieren. Jedoch bleib es dabei auch Live. Als letztes Lied, logischerweise, als Höhepunkt des Abends. Da bewegt sich dann auch etwas im sonst recht undankbaren Publikum. Aber irgendwie fiel es auch schwer, denn The Faint vermochten nicht Abwechslung in ihr Set zu bringen, die Monotonie, Eintönigkeit ihres Sounds legte schnell offen dar, dass anfangs als Hits vermutete Lieder des neuen Albums "Wet From Birth" (wie etwa "I Dissappear") dann doch nur Spin Offs des einen immerselben Schemas sind. "Agenda Suicide" oder andere Songs der "Danse Macabre" erlangten durch ihren Hauch von Veraltetsein noch einen gewissen trashigen Sympathie-Bonus, aber der rest vermochte wirklich nicht zu begeistern.

So ging der Abend also im umgekehrter Reihenfolge aus, als vermutet. The Faint müssen sich anstrengen und in Bewegung kommen, um wieder persönliche Hitlisten und Live-BestOfs anzuführen. Hands up for Beep Beep. Die waren und werden groß, doch, doch...

Family 5 9.12.2004


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Erwartet habe ich mir nicht viel, bekommen habe ich wohl nicht viel mehr. Family 5 touren zu ihrem x-ten Album durch die Lande und promoten, was sie 1982 schon eingeführten haben: den Soul im Punk. Inszeniert wird das mithilfe der schlanken Bläser, die die flotten, aber nicht sehr ideenreichen Songs begleiten. Punkrock mit mittelgroßer Geste und noch mittelgrößerem Humor. Das Charisma der Band geht wohl einzig und allein von Peter Hein aus, der als Sänger in nicht sehr aufregender Montur versucht den Leuten die Show zu bieten, die sie erwarten, aber gleichzeitig auch an das Alte(r) erinnern möchte, das er repräsentiert. Nur selten erspielt er sich dadurch in mein Herz und bringt mich zum Lachen. "Die alten Zeiten sind vorbei." wäre für jemanden wie mich, der sie gar nicht erlebt hat sicher ein unsagabr arroganter und altkluger Schluss aus Heins Scheitern. Und ich ziehe ihn auch nicht. Nur bleiben Family 5 eben doch nur Family 5, denn wo die Idee fehlt, nützt nicht der tollste Sänger der Welt was.

Nista Nije Nista 8.12.2004


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Sinnlich, reizvoll, verspielt und vertrackt. Die Vier-Wörter-Bilanz eines Konzerts, das mit Sicherheit von seiner innovativen Kraft her in diesem Jahr heraussticht und noch weiter in Erinnerung bleiben wird. Nista nije Nista heißt das Vier-Frauen-Projekt, deren Mitgliederinnen sich an der Uni für angewandte Kunst in Wien kennengelernt haben, die aber mit Serbien, Österreich, Australien und Deutschland recht unterscheidliche Hintergründe mit sich bringen. Nur ein Indiz für das große Happening namens "Vielfalt", und wäre "Schicht" oder "dicht" nicht so strapaziert, wäre es auch "vielschichtig".

Nista nije nista führt in die Irre. Ich lese heute, dass ich einst den Namen aus dem Serbischen mit "Nichts ist Nichts" übersetzt habe. Weil das Serbische meines sprachwissenschaftlichen Wissens nach eine doppelte Negation hat, die sich nicht aufhebt. Tut sie aber, Nista Nije Nista heißt dann überraschenderweise doch "Nichts ist nicht Nichts". Der erste (letzte?) Umwurf des Abends.

Die vier Damen stehen, sitzen und laufen auf einer Bühne, und spielen mit ihren Geräten, Nähmaschinen, Keyboards, Sesseln, Computern, Saxophonen, eine Basedrum (1,50 im Durchmaesser), sehr unstrukturiert, sehr nervös, sehr locker und sehr ungekonnt. Drängte sich am Anfang noch ein Unbehagen auf, dass die einfach "Irgendwas" tun, und es "Kunst" nennen, die intellektuelle Bürde des "Experiments", war das schon nach 2 Minuten weg, als klar wurde, worauf das Projekt hinaus will: Sprache.

Sprache steht und fällt mit Nista Nije Nista. Es ist das zentrale und bestimmende Thema. So werden dann auch Texte gelesen oder gesungen, rezitiert und vor allem mehrstimmig verwirrt. Lyrische Vorträge, und eruptive Sequenzen aus dem Alltag treffen einander und durchdringen sich wie . Während eine der vier Nancy Sinatras "Bang Bang" vorliest (angekündigt: "This next song is a rap"), singt die andere nebenbei "Freedom is Choice, Progress is free. Open Your eyes, and You will fucking see." Kein Stehenbleiben, kein Festhalten, abstrakt und allemal verwoben in den Klangschichten lassen die Wörter hier kaum Fläche oder "space" zu, wo sie koordiniert werden können. Catch 'em if you can. Das Objekt des Hörens ist hier das Hören und Verstehen selbst.

Ach ja: ...you cannot.

Hans Joachim Irmler, Kopf von Faust, sitzt im Hintergrund, macht gemeinsam mit Nista Nije Niste die Konzerte, hält sich aber stark zurück, unterlegt nur hin und wieder ein düsternes Sample, eine holprigen Beat oder ein leises Knarzen. Die meiste Zeit lächelt er eigentlich. Exakt so, wie ich ihn mir nicht vorgestellt habe. Und das "vs." zwischen dem Namen der Band und dem seinen auf der Konzertankündigung ist beschämend, erheiternd und gelogen zugleich.

"nee niemals nicht" heißt ihr Album, da sind sie wieder, die verwirrenden, elenden Negationen. Dass Nichts nie Nichts sein kann, steht nach einem Konzert von Nista Nije Nista aufgrund des aufblitzenden musikalischen (?) Minimalismus, der (Denk-)Pausen und der frivol-depressiven Stimmung im Publikum genauso fest, wie dass es ein Morgen gibt, wo das alles dann in Real Life gesampelt werden kann. Overlapping Talk Talk. Bang Bang. He shot me down. Sie(h) zu, wie Du damit klar kommst.

Am Ende sind sie verwundert. Es war eins ihrer ersten Konzerte, und das Publikum ist nicht weniger geworden, bleibt sogar am Ende. "Wollt ihr etwa noch ein Lied?" fragt Natalija Ribovic in gutem, aber nicht akzentfreiem Deutsch, und die Bejahung des Publikums hat ein erstauntes "Wirklich?" zur Folge. Gut, ja, mag abgedroschen sein. Aber es war ja auch kein Konzert.

INFO: Album

Playlist 10.12.2004

playlist_04_12_10

MP3: The Fatales – Ministry of Defense (via TTIKTDA) | The Dalles – All Goes Down | The White Stripes – Jolene (Live)
Video: The White Stripes – Jolene (Ausschnitt)

The Delgados 7.12.2004


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Sympathie wäre wohl eine ganz wesentliche Tugend, könnten die Delgados aus Schottland die Welt behrrschen. Zwar verfallen sie nicht in das "Schaut euren Nachbarn an, und sagt 'Ich Liebe dich.' "-Pathos ihres Vorsängers Daniel Mölksmith, aber man merkt den Delgados an, wie sehr es sie freut Konzerte zu geben. Wie sehr es sie freut, Publikum zum Lachen, Tanzen, Klatschen zu bringen.

In der Szene Wien begeisterten sie bei ihrem ersten Österreich-Gig ein durchaus ansehnliche Anzahl an neuen Gesichtern. Das erste mal Wien. Sie waren nervös. Sie haben lange von dieser Stadt geträumt. Seit Ultravox' "Vienna" nichtPlatz 1 der UK-Charts eroberte. Vor langer langer Zeit, 1981 war das. Da waren die Delgados noch jung und verliebt. Gekommen sind sie natürlich zu nichts, Keyboards und Computer brauchten Reparaturen, kein Shoppen, kein Sightseeing. Nur Musik. Sängerin Emma versuchte einer Dame aus der ersten Reihe eine herrlich rote Tasche abzukaufen, der Keyboarder bekam höflicherweise vom Bassisten Zigaretten, aber kein Feuerzeug, wo auch das Publikum aushalf. All' das aber am Rande, unerwähnt, unzentriert. Im Zentrum stand die Musik.

Delgados' Indie-Rockpop kann schon mal beliebig klingen, ja. Er kann auch dank Emma an die Breeders erinnern, vor allem wenn es mal laut wird, wenn sie unvermutet die Distortion einschalten. Aber jeder dieser Momente, jedes Verwenden von verwegenen Elektro-Pop-Klischees, jeder Rhythmuswechsel muten so überrumpelnd an, dass die Band sich selbst (bzw. das oben skizierte Klischee einer Band) völlig überwirft und mit einem saftigen "Catch us, if you can" dem Schubladisierungsspiel des Publikums keine Chance lässt. Ich würde sogar sagen: Großartig.

Aus meinem Gedächtnis zitiert, erzählte der Bassist von der langen Reise zum nächsten Gig nach Bergamo, 850km im Bus. Die längste Reise auf der Tour. Du kannst Ferngucken und Bier trinken. Oder Playstation spielen. Und Bier trinken. Oder Bücher lesen. Und Bier trinken. Was wenig Hoffnung für die Bergamo-Show übrig lässt. Die Wien-Show war ihrem Debüt-Charakter würdig, und neben allen Vorstellungen, Phantasien, Hirngespinsten, Ideen und Träumen oder Wunschvorstellungen, die das neue Album "Universal Audio" erahnen ließ, doch ganz klar: das beste Delgados-Konzert, das ich je gesehen habe.

Dälek 6.12.2004


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1997 waren Dälek das letzte Mal in Wien. Das schreibe ich Klugscheißer jetzt, der damals noch nicht mal einen Hauch von Ahnung von dieser Band hatte. Aber der Grund das zu erwähnen ist relativ simpel, denn Dälek selbst erwähnten es öfters bei ihrem Gig in der Fluc Mensa. Um ihre Freude auszudrücken, dass so viele Leute gekommen sind. Um Respekt zu zollen, Alder. Gut gelaunt, gut eingeheizt, die Nebelmaschine lief auch hochtouren, im Publikum versammelten sich ja auch Wolfgang Schlögl und Konsorten, unerkannt, geheimnisvoll, nebelig das alles.


Besser konnte es wohl nicht sein, Dälek nahmen die Stimmung und das Geschehen auf, wo es nur Anschlussmöglichkeiten bot. Der Terror ihres Sounds knüpfte Verbindungen im Hirn, die das Freestyler-Sample erahnen ließen und gleichzeitig (mit der Hüfte gedacht) dem Beat das Kullern übel nehmen konnten, weil es gar zu bombastisch war. Den Subwoofern der Mensa sei Dank ging Dälek nicht in einem Rausch an Geknarkse unter. So blieb uns einfach keine Wahl als voll mitzugehen, Däleks emphatische Lyrics zu erraten und beschaulich (fast angstvoll zitternd) diese Abstraktheit von HipHop auf's Neue zu würdigen.

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