Rufus Wainwright – 19.03.2005


Ein Geschichtenerzähler der besonderen Art verzauberte ein Publikum, das großteils gar nicht wegen ihm gekommen war. Rufus Wainwright kam, sang und triumphierte.

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Rolling Stone-Coverstroy sagt »Der Göttliche!«, für Spex Platte des Monats, der Spiegel nennt ihn »Der Schwarm« und auch die meisten anderen sind sich einig: Rufus Wainwright ist ein Talent, das zu übersehen sich nicht lohnt. Ein Songwriter, der mit einer gewissen schelmenhaften Tapferkeit neue (und alte) Wege bestreitet, die ihn zu seiner Idee, seiner Vision eines Songs führen. Das meint hier insbesondere dieses operettenhafte, dieses verspielt-melancholische, dieses traurig-zuckersüße Gefühl, das er versucht zu erklimmen und zu vermitteln. Rufus Wainwright wurde von so vielen Seiten als das große, neue Ding der Popmusik bezeichnet.

Die Erwartungshaltung vor einem Konzert wie diesem ist, würde man all dem Trubel Glauben schenken, enorm. Rufus eröffnet vor Keane, und trotzdem ist der Lautstärkepegel im Publikum während seines Auftrittes unerwartet hoch. Doch einige scheinen an dem Abend nur wegen ihm da zu sein, da ihn seine baldige Solo-Tour nicht nach Österreich führen wird. Auch wenn Rufus Österreich offensichtlich mag, wie wir aus seinen unzähligen Anekdoten entnehmen. Am Vorabend spielte er in Salzburg (klar: Mozart) und war dort von der »Hey, You’re Cute. Come over here.«-Schlagfertigkeit beeindruckt. Einen roten Jodler-Hut hat er mitgenommen, und trägt ihn während des ganzen Wien-Konzerts. Die Stimmung ist gut, seine Laune offensichtlich auch. Letztes Jahr in Schönbrunn, als Vorband von Sting, gefiel ihm das bescheuert-elegante Gehabe der Habsburger, und Rufus’ Geschichten spinnen sich dann in unendlichen Zirkeln, assoziieren frei herum und landen auch bei Psychoanalyse und der Bescheidenheit, die eine Stadt wie Wien für ihn ausstrahlt. Selbige teilt er zwar nicht, er bezeichnet ja fast jeden seiner Songs als »beautiful«, aber es ist auch gut so, denn die Songs, die er an dem Abend präsentiert sind wahrlich eines: schön. Da muss nicht viel herumgesucht werden nach Bacharach-Visionen oder Rehabilitation der Oper. Das ist wunderschöne Popmusik, die in wunderschönen Songs wunderschöne Ideen preisgibt und verheimlicht, und einen nie im Zweifel lässt, ob der Kitsch nun fatal oder genial ist. Rufus Wainwright ist einfach nur auf der Suche nach einem »cute Austrian«, der ihn küssen möchte. Selten zuvor war Kitsch so genial inszeniert, wie an diesen einem Abend.

Warum hier über den Hauptact Keane eben so wenig gesagt werden sollte, wie über die aktuelle Rufus-Platte »Want Two«, ist hoffentlich klar. Manche Konzerte verdienen es eben, einfach nur aus sich heraus gelobt zu werden. Und ein Sympathie-Universum wie Rufus erst recht.

INFO: rufuswainwright.com

Botanica – 17.03.2005


Warum es doch unrecht ist, von »Firewater in halbgrau« oder »Nebenprojekt« zu reden, bewiesen Botanica live im B72. Paul Wallfisch und sein »Truth Fish« auf einer Odyssee durch rockistische Abgründe und (hypothetische) Zirkusse.

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Dass hier die großen Rock-Zitate hergebeten werden müssen, ist mindestens ebenso klar, wie das Vermengen der selbigen mit Klängen der wohlfeinen, osteuropäischen Musik-Sphäre. Da wären wir also, beim Cocktail, der seit 1996 unter dem Namen »Firewater« durch die Welt geistert und mit jedem Album einen weiteren Höhepunkt, eine weitere Zirkusattraktion für uns lechzende Mitbürger setzte. Diese Band adäquat-rockhistorisch und unprätentiös zu beschreiben ist an dieser Stelle sowohl unmöglich, als auch unangebracht. Aber die Erwähnung gehört dazu, auch weil Paul Wallfisch auf seiner Orgel einen Firewater-Sticker hat.

Paul Wallfisch ist einer der Menschen, die mit enormer Produktionswut geschlagen sind, und kaum an einer Stelle ruhig stehen bleiben können. Jahrelang Keyboarder bei Firewater zu sein reichte ihm insofern nicht, als dass es dann doch eine Tod A.-Show war, ein Tod A.-Erfolg und einfach ein von Tod A. geleitetes Projekt. Also: Botanica. Paul Wallfisch und Freunde skizzieren seit 1999 (das grandiose »Malediction«-Album) hier eine andere Vision von Rock-against-Elfenbeinturm. Der (klarerweise) stärkere Schwerpunkt auf Keyboard und Orgel und die Offenheit der Band für Zusammenarbeiten (u.a. Beteiligte von Wilco, Walkmen, KMFDM, Beck, Blondie, Nick Cave, etc.) macht deutlich, wie vielschichtig Botanica als Projekt ausgelegt ist. Weg von der klassischen Rock-Struktur, hin zur Zigeunerkappelle, zur Hochzeitsband und… zur Ballade der Verlierer. Jetzt werdet ihr vermutlich zurecht fragen: »Aber ist es nicht genau DAS, was Firewater so groß machen?!«

Die Antwort ist: Jein. Botanica sind eher Firewater in hellgrün, als eine reines, kleines Nebenprojekt. Und vermutlich hört sich das auf unterschiedlichen Phasen der Band auch sehr unterschiedlich gut an. Im B72, ihrem ersten Wien-Konzert seit vier Jahren, waren sie angenehm gut gelaunt, Paul Wallfisch springt im Publikum herum, schreit sich die Seele aus dem Leib und weint fast, wenn er wütend »You try to get in under my skin« in den Fußboden stampft. Die neue CD »Botanica vs. The Truth Fish« hinterlässt aber einen bei weitem schwächeren Eindruck als die Sachen, die sich in meinem Ohr als »älter« abgespeichert finden. Denn dort zumindest scheint eine gute Ergänzung zu Firewaters »The Ponzi Scheme«-Album zu finden zu sein. Selbige CD im Discman auf dem Nachhauseweg nach diesem schönen, aber stellenweise etwas flachen Abend macht dann deutlich, warum Botanica »nur« den Durst nach einer neuen Firewater-Platte stillen. »Bodies falling to the floor, They're dropping like flies«.

Von Botanica zu verlangen oder zu erwarten, dass ihr »Truth Fish« diesen perfekten Moment einer Platte rekonstruieren kann, ist einfach absurd. Aber ihre Version des Exzesses, des Blues, des Souls und auch des Rocks ist eine anders verortete, als die von Tod A. Wir müssen uns damit zufrieden geben, dass Paul Wallfisch unsere »Bodies« nie zu Fall wird bringen können. Aber wenn er in seinen traurigsten Momenten auf der Bühne zusammenkauert, denken wir vielleicht auch mal darüber nach, ob wir nicht kurz mit ihm weinen sollen. Denn weinen tun alle Menschen unterschiedlich. Die Balladen, die vielleicht das privateste Zeugnis der Welt von Paul Wallfisch sind, können dann doch ganz einzigartig wirken, auf ihre erstaunlich erfrischende Art und Weise. Immerhin etwas. Den Firewater-Sticker auf seinem Keyboard hat er schon überklebt.

INFO: botanicaisaband

Die Hand, die füttert...


... bin auch hier mal wieder ich, aber da ich grad keine Zeit hab und auch ziemlich... ähem... unformulierwütuig bin hier c&p aus einem anderen forum:

www.nin.com bietet unter dem pounkt "current" und dem verschwommenen etwas unter der überschrift "3_17_05" ein 35MB-quicktime-video der neuen single "the hand that feeds". ich trau mich nicht irgendwas über das lied, oder seine qualitäten, oder die damit verbundenen prognosen für "with teeth" zu geben, außer: das ist mitunter das pop-ding schlechthin in reznors werk. das ist schlicht bescheuert. bald werde ich vermutlich von "seine antwort auf bloc-party..." reden, aber bevor das passiert: gebt ihm ne chance. mit dem ding könnte er seinen schelmenstreichen eine ziemlich elegant-undurchdachte krone aufsetzen. und erstmals kanonische nin-hasser ein wenig näher ran lassen....

Zwei Tage fluc_mensa – 11. + 12. 3. 2005


Die großen Unterschiede zwischen den Acts hinderte niemanden daran, den allen innewohnenden Spaß an der Sache zuspüren. Jeans Team am Freitag und die 5-Jahre-Euroranch-Party am Samstag verbreiteten mindestens gute Laune.

Spätestens seit der Überraschung durch Kissogram sind die Berliner Angeblich-Doof-Disco-Acts auf dem Louisville-Label um Patrick »Surrogat« Wagner für mich nicht zu unterschätzen. Die ältere und gediegenere Form tanzbarer Unterhaltung heißt dort seit jeher JEANS TEAM, und vermochte mit dem damaligen Hit »Keine Melodien« gehörig Wellen zu schlagen. »Rock« im Disco-Kontext tendiert hier klar in Richtung Electroclash, und sogar Peaches vermochte »Keine Melodien« zu einer eigenen Interpretation zu bewegen. Die Weichen waren also gestellt für neues Material, als Jeans Team zum zweiten Mal in letzter Zeit (nach dem FM4-Fest) Wien besuchten.

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Das neue Album »Musik von oben« wurde somit auch wieder mal dem Publikums-Test unterzogen und vermochte auch diesmal – natürlich – zu begeistern. Die Lockerheit, die ihnen im Jänner in der Arena vielleicht gefehlt hat, war in der Mensa sogar das dominierende Element, Jeans Team spielten sich selbst schwindlig und endeten mit dem einen oder anderen Elefantenhut am Kopf sogar auf Saint-Exupery-Abwegen. Wer hätte das gedacht. Getanzt wurde wild, und auch wenn sie vielleicht stellenweise etwas zu konstruiert schien, war die Show eine angenehme und wohltuende Abwechslung im manchmal so ermüdenden Icke Micke-Kontext. Die Arroganz, die Jeans Team durchschimmern ließen, mag einige Gäste vielleicht etwas gestört haben, aber im Großen und Ganzen ist diese Arroganz auch nur das kleine Wissen vom großen Scheitern guter Tanzmusik. Gut, dass Jeans Team mal wieder daran erinnern, wie es doch funktionieren kann. »Wien am Meer« schien fast greifbar zu sein.

Der Samstag stand im Zeichen der mittlerweile fünf Jahre auf dem Buckel tragenden Euroranch-Idee. Der »inzestuöse Wanderzirkus« (Selbstbezeichnung), präsentierte auch dieses Mal interessante Acts der kleinen, aber feinen österreichischen Untergrundwelt. So gesellten sich auch einige Herren, die schon auf früheren Euroranch-Festivitäten das Publikum begeistern konnten, auf die Bühne und ließen in kurzen 20-Minuten-Bestandaufnahmen dem Wahnsinn freien Lauf.

Vermisst wurde bei FRITZ OSTERMAYER höchstens die Balalaika und der Hit »Hunger«, denn sonst war in den drei Songs alles an seinem ekelhaft-großartigen konkreten Kitsch versammelt – was erwartet und befürchtet wurde. DER SCHWIMMER war danach für schaurig-schönes Songwritertum im besten und schlechtesten (aber mit Sicherheit auch elektronischen) Sinne zuständig. Die Groove-Box in enger Umarmung mit der Klampfe gab einen charmanten Tanz um einen See aus Stille, den die seiner Musik innewohnende Ruhe auszubreiten schien.
Dass PHILIPP QUEHENBERGER eine Death-Metal-Vergangenheit hatte war nach seinem kurzen Gig ebenso klar, wie auch die Antwort auf die Frage, wer der lauteste Act des Abends werden würde. Sein Krach, der sich geniert, Pop zu sein, und völlig unkonzentriert auf seine Beute losprescht, sorgte für kurzzeitige Verwirrung, Staunen, aber auch (sympathische) Ohrenschmerzen. HERBERT WEIXELBAUM vermochte am Ende seiner kurzen Performance sogar am nahesten ans ihm sonst gar nicht liegende Techno-Ideal zu kommen. Dass dies natürlich kein Techno war, versteht sich von selbst; hier wurde die Groove-Box in einem besonderen und charmanten Pop-Kontext eingesetzt, um unselbstverständliche Gefühle (wie Zuversicht oder Enthusiasmus) zu erzeugen. Wer nicht getanzt hat, spürte wenigstens den Humor, den dieser Kerl mit seiner Musik transportiert.

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Den furiosen Abschluss bestritt die BEAUTIFUL KANTINE BAND (feat. Gastgesang), die wieder einmal ihre Live-Qualitäten unter Beweis stellte und von der ersten zündenden Sekunde an das Publikum fesselte. Die Tanzbeine durcheinander wirbelnd fegte trockener 60er-Rock durch die Halle, bis auch der letzte Kopf mitnickte. Wer »Burgendlands beste Werbeträger« (F. Ostermayer) noch immer nicht live erlebt hat, sollte dies schleunigst nachholen.

Und wer mal wieder Lust auf Unterhaltung bei guter Musik und angenehmen Menschen hat, der sollte die wenigen Tage, die der fluc_mensa noch bleiben, nutzen, denn sie ist wahrlich der beste Ort dafür. Auch weil das SoundBridges-Festival dort stattfinden wird. Auch weil mit Munk, Stereo Total und weiteren Acts immer noch ein erstaunliches Line-Up auf uns wartet. Und auch weil es schwer sein wird, einen Ersatz für solch eine Location zu finden. Zumindest bis zur Eröffnung des fluc2.

Spiegel, Aust und der »wahre Journalismus«



Das aktuelle taz mag druckt einen Auszug aus Oliver Gehrs bei Droemer/Knaur erscheinenden Buches »Der Spiegel-Komplex« vorab. Gehrs, einst selbst Redaktuer beim Spiegel und jetzt Herausgeber des Dummy-Magazins:

»Als Chefredakteur von Deutschland hat es Aust nicht leicht. Es ist praktisch eine politische Funktion, ein bisschen so wie die des Innenministers. Wenn er seinen alten Bekannten Otto Schily trifft, dann sind das Gespräche auf Augenhöhe. Hier der frühere RAF-Anwalt, der mit betretener Miene an Ulrike Meinhofs Grab stand und in geschliffenen Plädoyers hart mit dem Rechtsstaat ins Gericht ging. Der heute für einen starken Staat und eine restriktive Ausländerpolitik kämpft, aber dennoch nicht als gewendeter 68er gilt, weil er schon immer feine Anzüge mit Weste und eine Taschenuhr trug. An seiner Seite der streitbare Journalist, der gegen die USA, gegen Springer und gegen die Atomkraft anschrieb und der heute ein Blatt macht, das ein großes Herz für die Wirtschaftskapitäne hat und ein eher kleines für Minderheiten. Ein Journalist, der auch nicht als gewendeter Linker gelten kann, weil er zwar über Jahrzehnte links gehandelt, aber wohl nie gedacht hat. Wer daraus einen ideologischen Zusammenhang zimmert, ist selbst schuld.«

Lesen!


Keep it in the family


»Die Blume des Bösen« (La Fleur du mal) (FR 2003, Claude Chabrol)
Kino
»Die Bourgeoisie hat die Kohle und den Einfluss. Allein deshalb muss man sich mit ihr beschäftigen. Davon abgesehen habe ich gar nichts gegen bourgeoise Menschen. Sie sind ordentlich gekleidet, sauber, und man kann sich mit ihnen unterhalten.« – Claude Chabrol im Interview mit Katja Nicodemus, 2003

»Wir leben doch schon seit Jahren wie Heuchler« – »Seit Menschengedenken leben die meisten wie Heuchler. Tja, sowas nennt man ›Zivilisation‹« – Tante Line im Gespräch mit François

Hat Claude Chabrol nicht doch ein wenig seinen Frieden mit dem Bürgertum gemacht? Die bourgeoisen Verhältnisse, die er einst zu sezieren sich auf die Fahnen geschrieben hatte, sind mit ihm gealtert und brüchig geworden. Auch wenn das in Frankreich nicht in dem Maße wie hierzulande zutrifft: In Zeiten von Globalisierung, neuen vernetzten Grasroots-Bewegungen und politisch-ideologischer Diversifikation allenthalben ist das alte Feindbild – aus dem auch Chabrol selbst entstammt – nicht mehr so klar erkennbar. Das und eine gewisse Altersmilde kennzeichnen seinen einundfünfzigsten Film.

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»Die Blume des Bösen« ist ein Familienporträt. Der Sohn François (Benoît Magimel, bekannt aus Hanekes »Die Klavierspielerin«) kehrt nach Jahren aus Amerika in seine gutbürgerliche französische Familie zurück, in der alles seinen geregelten Lauf zu nehmen scheint. Während François’ Stiefmutter Anne Bürgermeisterin werden will und sich inmitten des Wahlkampfs befindet, der Vater Gérard eine Apotheke im Stil eines amerikanischen Konsumtempels führt und die Cousine Michèle ihr Psychologiestudium gerade aufgenommen hat, hält zu Hause Tante Line mit großmütterlicher Verve die Familie zusammen. Nichts Neues im Kapitalismus also; bis ein diffamierendes Flugblatt die Familie erschüttert. Inzest und Mord werden ihr vorgeworfen, gar Nazi-Kollaborateure sollen sich im Ahnenstamm finden. Mit und mit offenbaren sich die blinden Flecken der Familiengeschichte, das Unterschlagene. Nichts Neues im Chabrol’schen Kapitalismus also.
»Zeit existiert nicht. Sie ist eine immerwährende Gegenwart.« – Tante Line
Aber wie er das alles erzählt! Mit dieser grausamen Leichtigkeit, mit diesen Bildern, die so ausgelesen schön scheinen wie das Anwesen der Familie, dabei aber gleichzeitig immer alle Schuld in sich tragen, mit diesen Farben und dem Licht, das gleichzeitig verbirgt und offenlegt – das kann man Chabrol bei allem Hang zur redundanten Wiederholung nicht ernsthaft übel nehmen. Genau wie man nicht allen Figuren ihre Schuld anrechnen will, man hätte gerne eine Oma wie Line, gegen ein leicht inzestuöses Verhältnis hätte man auch nichts, sähe die Cousine doch nur so aus wie Michèle. Alles wunderschöne Blumen des Bösen. Allein der Vater scheint das Unkraut zu sein, so wie er seine Frau betrügt.

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Chabrol zeichnet in »Die Blume des Bösen« die Familie als Spiegelbild der Politik. Ebenso wie in den ermüdenden realpolitischen Prozessen ist die Familie als Institution und Schlachtfeld gezeichnet von Paktieren und Fraktionsbildung. Ob der Feind in der eigenen Familie oder der opponierenden Partei sitzt – wer vermag das schon zu sagen? So ist es nur folgerichtig, wenn Anne den Gegenkandidaten als Verfasser der verleumdenden Flugblätter vermutet, dieser sich natürlich dagegen verwehrt und darauf hinweist, man säße doch »im gleichen Boot« und gleichzeitig anderenorts der Verdacht die Runde macht, Gérard sei Verfasser der Flugblätter. Chabrol lässt dieses Geheimnis ungelüftet. Warum auch nicht? Dass hier jeder Dreck am Stecken hat und gleichzeitig doch so eine Art morbiden Gangstercharme aufweist, ist nicht übersehbar. Letztendlich werden sich alle in dem Flugblatt erhobenen Vorwürfe als wahr herausstellen und das ist ja auch genug des Bourgeoisie-Bashings. Man will es ja nicht übertreiben.


Info: IMDB | Offizielle Seite des Films

Deconstructing Hitch


»Psycho« (USA 1998, Gus Van Sant)
TV: VOX


Gus Van Sants Remake des Hitchcock-Klassikers »Psycho« ist eines im Wortsinne: Ein Wieder-Machen nichts als Aufgreifen von Story-Elementen sondern als take-for-take-Umsetzung des Originals.

Bereits in den ersten Bildern, schon während des Vorspanns ist klar, dass etwas nicht stimmt, weil alles übereinstimmt: Die horizontalen und vertikalen Linien, die lakonische Datums- und Uhranzeige, die Kamerafahrt über der Stadt und durch das Fenster hinein ins Zimmer, schließlich Marion Crane auf dem Bett.

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»Warum das alles?«, haben sich wohl die meisten Zuschauer und Kritiker gefragt, wie man an den niedrigen Einspielzahlen auf der einen und den vernichtenden Kritiken auf der anderen Seite ablesen kann. »Warum will Van Sant eine öde Kopie abliefern?« Gegenfrage: Ist das überhaupt eine Kopie? Oder nicht doch bloß ein zitierendes Original?

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* * *

Es spricht einiges dafür, dass ein paar Filme sich ihren eigenen Thron geschaffen haben und das so offensichtlich, dass entweder niemand ein Remake wagen würde (»2001 – Odyssee im Weltraum« zum Beispiel) oder aber dieses Remake aufgrund seiner bemitleidenswerten Lächerlichkeit beim Publikum floppt. Das liegt an den Mythen, die diese Filme aus sich heraus produziert haben und die als kulturelle Artefakte bisweilen losgelöst von ihrem Ursprung im gesellschaftlichen Kollektivgedächtnis weiterleben: Jeder kennt den Monolithen aus »2001«, jedenfalls sicherlich mehr als »2001« selber. Das satanisch verzerrte Gesicht Jack Nicholsons ist uns von Tausenden Photos, Postern, Filmausschnitten eingebrannt worden – »Shining« wird nicht so bekannt sein wie diese Fratze. So steht es auch mit »Psycho«: Niemand, der nicht sofort an den Schatten eines Messers dächte, an einen heruntergerissenen Duschvorhang, an das immer schneller kreiselnde Blut im Abfluß der Dusche. Dieser Argumentation folgend ist ein Remake eines solchen epochemachenden und für das Genre paradigmtischen Über-Films wie »Psycho« schlichtweg nicht möglich.

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Gus Van Sant wählt deshalb einen anderen Weg: Er dekonstruiert »Psycho«. Sich gar nicht mehr der Illusion hingebend, etwas Neues erzählen zu können (weil eben »Psycho« bereits so manifest im Kollektivgedächtnis verzahnt und verankert ist) wirft er sich mit aller mimetischen Kraft gegen das Original und zersplittert es in seine einzelnen Bilder und Codes – freilich ohne, dass das Original ernsthaften Schaden nähme. So (und nur so?) funktioniert dieses Remake: als Kommentar, nicht als Erzählung sondern als Erzählung über eine Erzählung, als dokumentiernde (nicht dokumentarische) Fiktion.

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Die schönsten Widersprüche ergeben sich dabei aus der Diskrepanz zwischen den heutigen Darstellern und den 50er/60er-Jahre-Settings wie den Kostümen und Bauten. Van Sant ist nicht gescheitert, weil das Scheitern in diesem Experiment bereits als Vorraussetzung für sein Gelingen angelegt ist. Er versucht gar nicht erst, das zu verschleiern. So direkt zu Beginn, wenn das Datum mit 1998 angegeben wird, so auch in der Mordszene, die Van Sant mit einigen surrealistischen Bildern ergänzt.

* * *

Van Sant wird einen Heidenspass gehabt haben als er diesen Film den Studios vorstellte. Dass irgendjemand tatsächlich auf einen selbst nur marginalen Profit gewettet haben könnte erscheint so absurd wie Van Sants Experiment charmant. Als Horrorfilm scheitert dieses Remake, als Allegorie auf und Kommentar zu einem der größten Filme des Horrorgenres gibt es wohl kein besseres.


Info: IMDB: Psycho (1960) | IMDB: Psycho (1998) | Die Bilder zeigen ein Screening des Original-Films, leider undatiert [zur Quelle s. auch Kommentare]

Frauen in s/w sind die schönsten!



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»›Paris‹ and ›Sex‹ are still in the Public Domain.«

[via Don]
Salon.com

Kissogram - 03.03.2005


Der coole Dandy aus der Hauptstadt bietet sich allzu gern als Vorurteilsfänger an. »Hauptstadt« meint in dem Fall Berlin, Heimat von Kissogram, diesem Zwei-Mann-Wunder aus dem Hause Louisville. Verdammen wäre hier nicht nur unfair, sondern auch schlicht unnötig. Denn diese Jungs sind ´ne Bombe.

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Man weiß oft so wenig. Da ist ein Track, vielleicht ein zweiter, oder ein Video, das im Gedächtnis bleibt. Ekelhaft stereotype Bilder von jungen Menschen in gut sitzenden Anzügen und knappen Beat-Stromschnellen, die energetisch-tanzbar sein könnten… wenn sie nicht so langweilig wären. Dazu gesellen sich Reviews, Artikel in anderen Zeitschriften, Schnipsel im großen Trubel des Musikbiz, die zwar den Namen »Kissogram« irgendwie schon platzierten, aber dann doch keinen größeren Berührungswunsch, dafür aber Jeans Team-Verwechslungsgefahr entstehen ließen. Es war wahrscheinlich die Bescheuertheit des angekündigten Hits »Forsaken People Come To Me«, die mich dann doch auf das Konzert gehen ließ. Mit wenig Wissen.

Und dann doch einer dieser Abende, an denen du nicht weißt, warum zum Geier jeder bis jetzt so verächtlich über diese Leute geschwiegen hat. Kissogram als Berliner Geheimtipp zu handeln ist mit Sicherheit der verkehrte Weg, um sie lieben zu lernen. Sehen kann man sie eher als die wuchtige Version von gut komprimiertem Synthie-Pop, der nervös zuckende japanische Melodienbögen auf- und abheult, nur um dich im selben Moment mit der Erkenntnis wegzublasen, dass, wenn es keine Musik gäbe, sie sie einfach erfunden hätten. Irgendwo taucht dann besagtes Interview-Schnipsel doch auf, während du versuchst zu verarbeiten, wie viel gute Laune und Töne von der Bühne ausgehen. Die Disco-Maschine verwürfelt den Rest (deine Beine) zu einem Haufen Verzweiflung, während um dich herum Begriffe wie »Bloody Collar Shadow Man« mit einer unfassbar beharrlichen Belanglosigkeit auftauchen. Schauder und Entsetzen, Überraschung und Chaos. Und wie selten zuvor bist du dankbar dafür, so von einer Band entfesselt zu werden. Als Spontankonzept für einen Abend machen Kissogram jedenfalls verdammt gut Sinn. Wie die Platte »The Secret Life Of Captain Ferber« funktioniert, kann und sollte an dieser Stelle nicht diskutiert werden.

»Modern-City-Coolness«? »Dark-Disco-Revolution«? Nenn es wie du willst. Aber beweg dich.

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