Donaufestival, Woche 03: 04. – 08. 5. 2005


w03Das mit Abstand längste Wochenende sollte das letzte werden. In der Korneuburger Werft, einer etwas kleineren Halle im Vergleich zu Krems, warteten fünf Tage Programm auf die Gäste, das aus allen Ecken und Enden der Musikwelt (und darüber hinaus) zu schöpfen wusste.

»Megacities«. Eine Doku von Michael Glawogger über das Leben und Leiden von Menschen unter den Bedingungen einer Riesenstadt. Als wäre dieser Film nicht an sich schon interessant, wartete zu Beginn des letzten Donaufestivalwochenendes eine Uraufführung eines besonderen Projekts: Musikfilmemacher TIMO NOVOTNY vollbrachte zusammen mit der musikalischen Untermalung von Sofa Surfer MARKUS KIENZL (die beiden durften im Verlauf des Abends auch ein zweites Mal audiovisuelle Kostproben ihrer Experimentierfreude preisgeben) einen Live-Remix von »Megacities«, was sowohl visuell als auch auditiv ungemein erfrischend und anregend war. »Life in Loops« heißt das Projekt, das als Kinofassung im Herbst anlaufen soll, und auf jeden Fall einen Besuch wert ist.
Die weiteren Höhepunkte des ersten Abends bestritten einerseits Wolfgang Schlögl alias I-WOLF mitsamt seiner Band, und einer elektronischen Rhythm-and-Soul-Performance, die stellenweise aber etwas zu dünn ausfiel. Und andererseits die schon in Krems für Aufsehen sorgenden DÄLEK.

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Als wahrer Hauptact des Abends bewiesen sie, was HipHop heutzutage leisten und bewegen kann. Ein progressives akustisches Krachverständnis und eine wahnwitzige Experimentierlaune können hier sogar dazu führen, dass in die Plattennadel geschrieen wird, was für einen Luftzug im Publikum sorgte, der einem Gespenst aus Chaos und Ordnung entsprach. Dälek sind tonnenschwere, industrielle Monotonie, deren Flow Breitwand proklamiert, wo eigentlich nur Schmalspur Platz hat. Dälek sind laut Spex »Public Enemy fürs dritte Jahrtausend« und verweisen selbige aber mitunter locker auf die Plätze, wenn es darum geht, avantgardistische Versperrtheit mit Spannung, Kompaktheit und Eleganz zu verbinden. Alles zusammen klingt dann so gut, wie es HipHop vermutlich seit besagten Public Enemy nicht mehr war. Nämlich existenzbedrohend gut.

Der nächste Tag brachte zuallererst WOLFGANG MITTERER und sein Sextett aufs Programm. Drei akustische Jazzer zusammen mit drei elektronischen Tüftlern loten unter Mitterers kompositorischer Leitung die Brücken zwischen Improvisation und Komposition, Elektronik und Akustik aus. Neben Pulsinger, Tunakan und Dieb13 fand sich auch ein beeindruckend frivoler Reinhardt Winkler am Schlagzeug, was der Sache den absolut nötigen Pepp brachte. Nach etwa zweieinhalb Stunden war aber Höhepunkt längst überschritten. Mit der Hälfte wäre nichts verloren gewesen.

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Eher begeistern konnte da schon die Klagenfurter Indie-Rock-Legenden (oder Newcomer, wie man’s nimmt) NAKED LUNCH, die zusammen mit ihrem Video-Regisseur THOMAS WOSCHITZ ein beeindruckendes Audiovisuelles Ansinnen zeigten. Hinter einer Plane versteckt, spielten Naked Lunch neue Songs, die auf der Plane mit dem Film »Sperrstunde« überlegt wurden. Bedrückende Geschichten aus der Klagenfurter Allnacht, bei denen Menschen wegen Sperrstunden auf der Straße bleiben müssen. Trotz der düsteren, fast bedrohlichen Atmosphäre, die durch das Heraufbeschwören von Kriminalität, Einsamkeit, Selbstmord und Müdigkeit abgerundet wird, bot das Erlebnis vor allem auch durch die neuen, wunderschönen Naked Lunch Songs doch das Gefühl, dass hinter jeder Sperrstunde ein Wiederbeginn steht. Und wenn dann beim letzten Song und dem angesprochenen Selbstmord die Plane nach oben geht, und Naked Lunch noch einmal bei einem grandiosen Song-Finale zu sehen sind, dann schimmert auch das Wissen durch, dass die Herzen die einzigen Orte sind, wo niemals Sperrstunde herrschen sollte.

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Der Freitag stand unter dem Zeichen experimenteller, elektronsicher Musik, wobei diese Subsummierung gerade beim ersten Act, RADIAN, scheitert. Die Österreicher leben seit 1998 in Radianien, irgendwo zwischen Pop, Rock, Dub, U und E, Jazz, Noise, Elektronik und Improvisation und verarbeiten diese ganzen Ecken zu einer postrockig angehauchten, exprimentell-leichtfüßigen Illusion der Tanzbarkeit. Martin Brandlmayers minimalistisches Schlagzeugspiel wirkt derartig aggressiv, dass das »Boygrouphafte« immer weniger zur Parodie wird, auf dem Weg zur Soundforschungshimmelreich. Vertrackt-verschobene Klangschichten treffen auf Popsongs, wo eigentlich nur Luftleere Platz hat. Ganz großartig.

RICHARD DEVINE brachte im Anschluss ein etwas schlaffes Distortion-Set, das sich zu wenig zum Breakcore, und zu weit zum HipHop hinlehnte. Auch war der Ausnahmeelektroniker von Warp Records mit der Uhrzeit sicher nicht glücklich bedient, steigt doch die bpm-Resistenz erst ab Mitternacht auf die von ihm geforderten Höhen an. Im Anschluss daran erforschten die Finnen PAN SONIC, was zwischen Himmel, Hölle, Hier und Jetzt an Klangforschung und experimentellem Noise möglich ist. Die Pioniere der experimentellen Elektronik besuchten damit zum zweiten Mal binnen einem Jahr Österreich und hinterließen, wie immer, einen soliden, klugen Eindruck, der aber immer weniger das Mäntelchen des Eingesessenseins loswird. Pan Sonic sind nun mal keine Underground-Punks mehr.

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Grandios zu Ende ging dieser Abend dann doch mit dem Herrn JAMIE LIDELL. Wie ein verrückt gewordener Marvin Gaye auf Kollisionskurs mit Techno, so wirkte der mit Stacheln versehene Jamie Lidell (die eine Hälfte von Super_Collider) auf der Bühne. Seine Stimme vermochte wahrlich zu berauschen, und der Soul darin war charismatisch, verspielt und vor allem eingängig. Seine elektronischen Klangexperimente und Rhythmusbrüche fügten sich in dieses Bild ohne Probleme ein, und lieferten den sympathischsten, souligsten Elektro-Pop seit langem. Da heißt es Ausschau halten nach der Tour im September!

Der nächste Abend stand dann ganz im Zeichen aktueller experimenteller Elektronik ohne Wenn und Aber. CHRIS CLARK, Warp-Tüftler und Beat-Umherjager, eröffnete den einzig ausverkauften Abend mit leider belanglosen Rhythmuswelten, die vielleicht auf Platte große Geschichten erzählen können, aber live eher mager, weil unausgegoren und eine Spur zu überdreht rüberkamen. Da sind die nahen Verwandten Autechre und Aphex Twin dann doch die vielleicht besseren Live-Acts. Den Übergang zu besonders intensivem Breakcore besorgte dann C64, der quasi als Vorbote einer Sensation das Publikum aufheizte: Nach ihm stand der erste Österreich-Gig der Noise-Legende VENTIAN SNARES auf dem Programm, bei dem mir allerdings die Puste ausging, weswegen auch die Herren AMON TOBIN und CRISTIAN VOGEL an dem Abend nicht mehr zu meinem Gehör fanden.

Der große Abschlussabend am Sonntag bot zwei ganz besondere Bands. Den Beginn machten die den weiten Weg aus Japan angetretenen MONO, was soviel wie »Sache« heißt, wie uns Kante-Sänger Peter Thiessen später versicherte. Breitwand-Klangformat mit betörend energetischem Geschrammel verbindet elegante Schönheit und pathetisch-elegisches Melodieverständnis. (Guter) Postrock in Reinkultur also, was leider aufgrund des etwas fehlenden Bombasts mau rüberkam. Mono sind dann doch nicht sehr weit weg von der ganzen Postrock-Revolution, und das machte es leider nur zu einem mittelmäßigen Konzert.

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Was aber als Abschluss geplant war, war mehr als sensationell. KANTE, Diskurs-Popper aus Hamburg, sind mittlerweile bei ihrem dritten Album angelangt, welches den Namen »Zombi« trägt und seit einem Jahr die deutsche Indie-Rock-Landschaft aufwühlt. Bei einem gut gefüllten Konzert im WUK letztes Jahr haben sie Wien schon präsentiert, was das neue, spannende an der Platte ist. Warum zwei Schlagzeuge, zwei Bläser und jede Menge sonstiger Schnickschnack es schafft, eine so komplexe, tiefgründige Platte wie »Zombi« auf die Bühne zu bringen.
Wie es gelingen kann, dann nach zwei Stunden den Bogen zurückzuspannen und mit »Die Summe der einzelnen Teile«, ihrem Indie-Hit von 2000, die leider zu dem Zeitpunkt vermutlich wegen Müdigkeit schon ausgedünnte Masse noch zum Tanzen zu bringen, ist eine andere Frage. Im Gegensatz zum WUK-Gig dauerte das Abschlusskonzert des Donaufestivals zweieinhalb Stunden. Wer fleißig Kante-Videos schaut, kennt auch ihre Visual-Performer SHOWCASE BEAT LE MOT, die das Donaufestival mit einer Theaterproduktion beglücken konnten. Für den Kante-Gig gab es quasi eine Inszenierung, eine Show in Sonderformat. Das Kante-Konzert war unterlegt von Overhead-Projektionen der Showcase-Leute.

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In der zweiten Hälfte wurde mit Percussions und Drachen gar recht deutlich eine wegweisende Richtung für den spannenden Begriff »Musiktheater« gegeben. Die Kante-Songs standen dabei als Klammer außen rum und als Herzstück der Performance mitten drin der eigenartigen Wahrnehmung, die dieses Konzerterlebnis bescherte. »Zombi« handelt von Krisen und Zuständen der Schwebe, sagen Kante. Es ist beängstigend, wie gut es diese jungen Menschen schaffen, den Ballast des Genres »Hamburger Schule« abzuwerfen und diese Zustände der Schwebe so gekonnt auf der Bühne greifbar zu machen. Einen würdigeren Höhepunkt als Abschluss des Donaufestivals hätte es wohl nicht geben können.

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Körperwelten



Der neue Suhrkamp-Sammelband »Gendertronics« sucht den Körper in der elektronischen Musik.

»mein körper ist ein tempel, / und dieser tempel will gepflegt werden. (hippie) / mein körper ist ein tempel, / und dieser tempel muß zerstört werden. (punk) / hat jemand meinen körper gesehen? (techno)«

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Ein Kalauer, sicher, aber einer, der die richtigen Fragen aufwirft. Er stammt aus Marc Weisers grandioser hate-speech, die vor kurzem mit anderen Texten im neuen vom club transmediale und Meike Jansen herausgegebenen Suhrkamp-Reader »Gendertronics – Der Körper in der elektronischen Musik« erschien.

Die Fragen, an denen sich die Essays, Aufsätze und Gespräche entlang hangeln, sind diese: Was wurde aus dem Körper, den die Vordenker der elekronischen Musik zu überwinden sich auf die Fahnen geschrieben hatten? Sind die elenden Rockismen, die immer auch zu Machismen tendieren, obsolet geworden? Und, da Körperfragen auch immer Genderfragen sind, was wurde aus der Frau in der elektronischen Musik; ist die elektronische Musik eine geschlechtslose? Was trat an die Stelle der phallischen Gitarre, wurde das – ’tschuldigung – Gitarrengewichse durch Modulmasturbation ersetzt/erweitert?

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club transmediale/Meike Jansen: »Gendertronics – Der Körper in der elektronischen Musik«. – Frankfurt a. M: Suhrkamp, 2005 | 204 Seiten; 9,– €; ISBN: 3-518-12394-7 | Amazon.de | Buecher.de

Literatur zum kleinen Preis: Teil I



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Dieses schmale Büchlein, bereits 1895 erschienen, ist nicht nur Cranes persönliches Meisterwerk, es gilt auch im Genre der Kriegsliteratur als Meilenstein und muss - abgesehen von der literarischen Qualität - aus erziehungstechnischen Gründen auf dieser Seite vorgestellt werden.

Den Handlungsbogen stellt der amerikanische Bürgerkrieg; der junge Soldat Henry hat sich freiwillig gemeldet, um seinem Dasein einen heroischen Anstrich zu verleihen, doch als sein Regiment auf die erste Schlacht vorbereitet wird, befallen ihn Zweifel: wird er als Mann aus der Schlacht zurückkehren, am besten mit einer Wunde, einer, wie es der Titel benennt, roten Tapferkeitsmedaille, oder wird er eher aus Angst desertieren? Henry läuft davon, irrt umher, wird bewusstlos geschlagen und erringt per Zufall seine Tapferkeitsmedaille. Als er wieder auf sein Regiment stößt, behauptet er, abgetrieben worden zu sein und auf einem anderen Schlachtfeld seinen Mann gestanden zu haben. Henry jedoch ist sich seiner Feigheit bewusst und weiß, dass er sich noch beweisen muss, um vor sich selbst zu bestehen.

Dem Leser ergeht es während der Lektüre wie den Truppen, beziehungsweise den Soldaten: beide verlieren sie den Überblick über die Wirren des Krieges, über die verschiedenen Fronten, an denen gekämpft wird. Durchblick haben allein die Generäle, die hoch zu Ross ihre Truppen wie Figuren auf einem Schachbrett strategisch und ohne Rücksicht auf Verluste organisieren. Der Krieg wird zur Maschinerie, zum Selbstläufer, zum rotäugigen Monster, zum Blutgott, der seinen Tribut einfordert.

Neben der Initiation des jungen Soldaten Henry stehen der Krieg und die Armeen als Solche im Mittelpunkt. Der einzelne Soldat entpuppt sich als Rädchen im Getriebe; um im Krieg zu bestehen, muss er seine Individualität aufgeben und Teil der Masse werden. Die Armee mutiert zu einem lebenden Organismus, zu einem verschleißenden Körper, dessen Glieder aus Soldaten und nicht aus Menschen besteht. Crane gibt diesen Vorgang der Selbstaufgabe in einer sehr einfachen und zugleich metaphorischen Sprache wieder: er bezeichnet die Truppen mal als alles unterspülende Welle, mal als Reptil, das vorwärts kriecht, mal als Bienen- oder Ameisenschwarm. Crane zeigt sich hier als naturalistischer Autor, der jedoch auch realistische Züge aufweist und so zwischen zwei literarischen Strömungen seiner Zeit steht.

Der Roman legt dar, wie - am Beispiel einer Armee - Massenpsychologie funktioniert, wie sich der Mensch in seinem Denken und Verhalten verändert, wenn er Teil einer Masse wird. Die Masse ist ein Selbstläufer und bezieht ihre Kraft aus der Selbstaufgabe des Individuums. Ob dies positiv oder negativ zu bewertet ist, muss offen bleiben, da Situationen, ähnlich wie in Cranes Text, Veränderungen unterliegen und von einer Sekunde zur anderen umschlagen.


Stephen Crane: "The Red Badge of Courage". -Tor Books; 176 Seiten; 3,49 Euro|ISBN: 0812504798|Amazon.de


Die Genealogie des Schmerzes


nin with teeth»No one’s heard a single word I’ve said. They don’t sound as good outside my head.« (Trent Reznor)

Eine Kopfstimme bohrt sich durch die beiden Stereo-Lautsprecher, hinterlässt Angst und Verzweiflung auf einer hoffnungsvollen Talfahrt durch die Frage, warum du all die Liebe dieser Welt bekommst. Eine Kopfstimme, die gefährlich groß klingt, wie einst bei »Where Is Everybody«, einem der Schlüsseltracks von »The Fragile«, jenem Album, mit dem Trent Reznor alias Nine Inch Nails 1999 die Popmusik im Melting-Pot seiner Soundästhetik zusammenschrumpfte auf zwei Scheiben kondensiertem Vielschichtigkeits-Irrsinn. Wir schreiben 2005, sechs Jahre später kommt Reznor wieder mit »With Teeth«, und muss sich erst mal befreien von dem ganzen verdammten Ballast der Produktion und der Erwartungen in selbige.

»All The Love In The World« ist jener Opener, der die Befreiung liefern sollte. Eine Disko-Pop-Perle, die die Stimmlage gegen den Vier-Viertel-Takt ausspielt und Gospel-Schulungskurs für Altindustrielle bietet. Vorbei also die Zeit der »The Wall«-Vergleiche. Vorbei auch die Zeit der »Downward Spiral«-Selbstvernichtungs-Tour-de-Force von 1994. Und lang vorbei auf jeden Fall die Industrial-Neuerfindung mit der »Pretty Hate Machine« von 1989. Wenn soviel vorbei ist, dann bleibt entweder gar nichts übrig, oder es wird so undurchschaubar wie der trübe Zorn eines alternden Trent Reznor. »With Teeth« ist trüb, vom Artwork und von der Musik her, als ob es direkt aus dem Angstschweiß von Dave Grohl gepresst worden wäre. Sein Beitrag ist ein völlig nachvollziehbarer Fokus auf Live-Drums und dynamische Retro-Rhythmen, was »With Teeth« knackig und soulful macht. Die Songs sollten alle miteinander gute Freunde sein, meinte Trent Reznor im Vorfeld, und es möge nicht erstaunen, dass ein Mensch, der ein Konzeptalbum nach dem anderen im Abstand von 5 Jahren herausbringt, das auch hinkriegt. »With Teeth« ist die Knickerbockerbande der NIN-Platten.

Wo der Schlüssel diesmal liegt? In »Getting Smaller» z.B., einer College-Rock-Hymne von Breitwand-bis-bescheuert-Format. In »Beside You In Time«, der lange fälligen Suicide-Aufarbeitung. In »Right Where It Belongs«, der lange fälligen Notwist-Aufarbeitung. In »Everyday Is Exactly The Same«, dem Industrial-Urgestein, das der nie veröffentlichte Bonustrack der »Pretty Hate Machine« hätte sein können. Und es hätte jenes Album ähnlich gesprengt, wie es das heute tut. Was man getrost über Reznors Werk im Bezug auf die Musik seiner Zeit im Allgemeinen sagen kann. Zu wirklich jeder Zeit. Und wirklich überall.

»I can’t remember how this got started. But I can tell you exactly how it will end.« Und zwar hoffentlich nicht mit diesem Album. Dafür ist es zu gut.

VÖ: 02.05.2005 auf Nothing/Interscope7Universal
INFO: www.nin.com

Donaufestival, Woche 02: 29./30.4.2005


w02Ausweitung der Kampfzonen, Teil Zwei: Das vergangene Wochenende in Krems stand unter dem Schwerpunkt HipHop und brachte aktuelle Giganten auf die Bühne, z.B. die Saul Williams Night und einen bunten Mix von Dälek/I-Wolf bis Mike Ladd.

Seltenheitswert hatte das Ereignis schon: SAUL WILLIAMS, legitimer Chuck D-Nachfolger und unverwechselbarer Slam-Poetry-Prophet, kuratiert eine ganze Nacht des Donaufestivals und lädt bekannte und weniger bekannte Größen aus seinem Umfeld ein, mit ihm zu musizieren. Und von Beginn an ist klar, dass das Perlen der HipHop-Kunst sind, die uns da präsentiert werden, immer wieder aufgelockert von den DJ-Sets von FROSTY und DAEDELUS.

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SUHEIR HAMMAD und BEAU SIA eröffneten den Abend mit einer sensationellen Performance als Spoken-Word-Artists. Gedichte, die mit einer seltenen Kraft und Schwindligkeit Inhalte forcieren, wurden hier zum Besten gegeben, die zwar auch auf Papierform anregend sind, aber durch die Live-Wiedergabe ungemein intensiver und aufregender wirken. Das gesprochene Wort als mächtigstes Instrument des Menschen, teilweise nachzulesen auf http://www.suheirhammad.com/. Auch kraftvoll-poetisch, aber mit etwas mehr Instrumentierung, ging die Songwriterin MIA DOI TODD vor. Zwischen Klavier und Gitarre pendelnd wurden hier zärtlich-berührende Momente kristallisiert und Mias Stimme elegant in die zerbleichenden Songs eingewoben. Diese Stimme, die schon Dntel, Folk Implosion, Prefuse 73 oder eben Saul Williams bereichert hat, ist auch das Markenzeichen von Mia, auch wenn sie manchmal gefährlich an Tori Amos auf Folk-Kurs erinnert.

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Ganz anders, weil knackig-elegant, war die Show von BEANS, der sich – sichtlich spaßgetrieben – keine Ruhe gönnte und blödelnd-arrogant, aber wohltuend locker das Publikum erheiterte. Futuristische Beats ringen hier um die Wette mit sexy Vocals, wobei das Experiment in Soundästhetik immer im Hinterkopf behalten wird. Weit jenseits des HipHop war hingegen MARTIN LUTHER anzutreffen: Soul mit großer Band und emotional geladener Stimme. Allzu gefällig wirkte es stellenweise, wenn die Gitarrenriffs gar zu banal und die Rhythmen ungefährlich wurden.

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Sehr versöhnlich ging es aber zu Ende, als Großmeister SAUL WILLIAMS persönlich die Bühne erklomm. Zentnerschwere Riffs und Beats, schwindlige Lyrics und eine Geschwindigkeit sondergleichen prägten für alle den druckvollen Schlusspunkt dieses tollen Abends. Saul Williams, der Rebellion, Musik und Stimmgewalt vereint wie kaum wer anderer, ist also auch als Kurator doch eine empfehlenswerte Kategorie.

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Die Samstag-Nacht wurde eröffnet von einem eigens für das Donaufestival erschaffenen Projekt, das seinesgleichen sucht: THE DÄLEK/I-WOLF BIGBAND vereint die Soundtüfteleien von Wolfgang Schlögl mit der HipHop-Gewalt von Dälek asu New Jersey. HipHop-Avantgarde mit extremer Soundlage und krachigem Noise-Appeal schichtet hier Klangdecken übereinander, bis sie von klugen, aber exzentrischen Beats unterrollt werden, um als Schatten weiter durch die Songs zu schwirren. Großartig, wie es Industrial schon seit Jahren nicht mehr war. Druckvoll, wie es HipHop wohl seit Public Enemy nicht mehr war.
VAST AIRE schickte ein locker gestaltetes Set hinterher, das mit zwei MCs zwar Spaß, aber nicht allzu viel mehr verbreiten konnte. Sicher war das gekonnt, was die aufführten, aber legitimes Canibal Ox-Erbe sollte etwas mehr Dynamik und vielleicht ein paar Kanten mehr im Rhymeflow zeigen. TTC aus Frankreich war, was das Können anbelangt da noch eine Spur weiter. Auch jenseits der 100 bpm-Marke verstehen es die Franzosen präzise die druckvollen Samples und Rhymes aneinanderzureihen, was vor allem für Tanzwut sorgte. Eine Daft Punk-Party auf Hochtouren, mit einem kräftigen Schuss Humor und Selbstbewusstsein, das auch durch den Gast BUSDRIVER, Wortakrobat und Rap-Koloss, sympathisch vermittelt wurde. Disqualifiziert haben sich die jungen Herren allerdings mit der Mädchen-auf-die-Bühne-hiev-Nummer. Sollte eigentlich nicht nötig sein, so ein gutes Publikum mit so bescheuerter Fleischbeschau zu entwürdigen.

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Zu guter Letzt wartete noch ein Großer auf seine Performance: MIKE LADD. Ein Tom Jones, der sich im Intro gleich als der »HipHop Harry Potter« ausgibt, und dabei enorm gut aussieht, ist wahrlich eine Seltenheit. Mike Ladd ist ein ausgefuchster Poet, ein schnelllebiger Verweis-Zirkus, der von Soul, Blues, Spoken Word und hundert anderen Ingredienzien lebt. Irrationale Dekonstruktion mit politischem Pop-Appeal meint hier: »Ein Mitglied der Gesellschaft zu sein heißt, die Gesellschaft zu TESTEN – aber auf eine konstruktive Art!«, so Mike Ladd im O-Ton. Ein großer Typ, auf jeden Fall, der schlussendlich auch den Bogen zurück spannte und ein paar Tracks mit dem ehrenwerten Beau Sia einstimmte. Ein furioses Duo als Abschluss eines furiosen Wochenendes.

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»Gegen den versnobten Literaturbetrieb«



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Ein Text-Hinweis in eigener Sache.

Anfang diesen Monats erschien ein neues Literaturmagazin: [sic]. Ein Gespräch mit den beiden Herausgebern Daniel Ketteler und Christoph Wenzel über Startschwierigkeiten, Popliteratur, die neu erwachte Lust an der Lyrik und warum Prilblumen noch lange keine gute Literatur hervorbringen.

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[sic] – Zeitschrift für Literatur, Nr. 1; Aachen, Berlin 2005. – hg. von Christoph Wenzel und Daniel Ketteler | 89 Seiten; 5,– €; ISBN: 3-518-12394-7 | [sic]

Fink – 24. 4. 2005


Charmant und verspielt präsentierten die Hamburger Fink in der gut gefüllten Szene Wien ihr neues Album »Bam! Bam! Bam!«. Wohltuender Free-Folk-Pop, der knapp am Kitsch vorbeischrammt, und trotzdem never ever belanglos wirkt.

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Goldene Glitzer-Schnüre hängen von der Decke herunter, als Fink die Bühne betreten. Ihre Hamburger Kollegen Tigerbeat im Hinterkopf behaltend (»All That Glitter Is Not Gold«!) wird der Abend doch keine Glam-Enthusiasmus-Show. Eher ein ganz ruhig-verständliches Songwriter-Treffen zum Thema: Countryesque-verschobener Folk-Pop, mit Anklängen an die Heimat Hamburg, und einem lyrischen Verständnis, das von sperrig-unzulänglich bis idiotensicher-genial reicht.

Fink rocken heute etwas mehr als früher. Der Jazz wird immer kleiner, Element Of Crime immer größer in ihnen. Ihre Songs atmen einen unwiderstehlich selbstberuhigenden LoFi-Atem, machen sich nie die Mühe, eine große sloganhafte Knalligkeit zu haben. Die Songs sind klein, in gewisser Weise, und fühlen sich pudelwohl dabei. Alltagslyrik hier, Mundharmonika da. Sänger Nils Koppruch ist Werbe- und Sympathieträger in einem, kommentiert die Songs gelegentlich, vergisst die Lyrics auch mal, also der typisch-tolle Typ von Nebenan, der verdutzt gar nicht so recht weiß, wie schön das für manche Menschen ist, was er da gerade macht.

Etliche Zugaben verlangt ihnen das Publikum ab. Und wenn man sich an die schönsten Momente von Fink erinnert, an die wo der Song in seiner vertrackten Wirklichkeit nicht gefangen bleibt, sondern mit einem leichten Hopser vom Schlagzeug emporgehoben wird, wenn dann die Gitarre vielleicht auch noch ein trockenes Wüsten-Riff hinterhersetzt und der Bass eine Halbton-Schwebung so elegant wie bedrohlich vollführt, und wenn dann schließlich noch ein »Den Himmel sehen wir uns an, hier und jetzt« vom Sänger die Augen im Publikum nach oben gehen lässt, dann sind diese Momente Zeugen eines Songverständnisses, das vor allem eines hat: Soul. Schlechtestenfalls klingt das wie Kettcar. Bestenfalls wie Die Sterne in ihrer Blütezeit.

Beck - "Guero"


beck - gueroBeck. Sample-Houdini, Vielschichtigkeits-Forscher, Leichtigkeits-Athlet und Neo-Scientologe. Seit 1994 ist die Popwelt ihn nicht mehr losgeworden, seit »Mellow Gold«. Und »Sea Change«, dieses elegische Ungetüm an Leidenskunst, bewies vor drei Jahren, dass er noch lange nicht vorhat, zu gehen. Und nun kommt Beck wieder, geht aber zwei Schritte zurück, einen zur Seite und macht ne halbe Drehung: »Guero«.
Ein trockenes, poppiges Album ist es geworden, ganz nach »Odelay« zurückgelehnt, nicht funkig, nicht traurig. Die erste Single »E-Pro« wollte ja gar ein richtiger Rock-Kracher werden, den (»Guero« mitproduzierenden) Dust Brothers und ihrem omnipräsenten Beatverständnis sei Dank. Becks L.A.-Abum ist ein ungestümer Versuch, sich selbst einen Streich zu spielen, und mal ein Album aufzunehmen, das »nicht zu viel will«. Leider will »Guero« zu wenig. Bis auf das zum auf-den-Boden-knien-Songwriting von »Girl« und der kompakt-treffsicheren Sample-Weltmeisterlichkeit »Hell Yes!« bleibt auf »Guero« eigentlich nur das Resümee, das die letzte Zeile von »E-Pro« schon vorausgeschickt hat: »There’s too much left to taste that’s bitter.«

VÖ: 21.03.2005 auf Geffen/Universal
INFO: www.beck.com

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