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Ottensheim Openair – 01. + 02. 07. 2005


Also, erm, ja. Ist irgendwie alles eingeschlafen grad, aber Verschlimmbesserung sei mal garantiert. Sommerloch gilt nicht. Semester ist auch aus. Zur Feier des letzteren gab es einen Kurzrurlaub bei Linz. Trotz unangenehmen Wetters fand sich dort im Örtchen Ottensheim eine kleine Gemeinde an Festival-Freunden zusammen, um dem mittlerweile zehnten Ottensheim Openair beizuwohnen. Entschädigt wurde das bisschen Regen durch das tolle LineUp und die fantastisch entspannte Atmosphäre.

Vor allem unter dem Wetter und der damit verbundenen schwachen Besucherzahl hatte der Freitag zu kämpfen, an dem aber eindeutig das bessere Programm auf die wenigen hundert Gäste wartete. Der erste »große« Act (sofern bei einem derartigen Underground-Festival davon die Rede sein kann) war dann GUSTAV. Live steht Eva Jantschitsch alleine hinter ihrem Tisch und zaubert. Ja, sie zaubert, denn die Perlen ihres Debüts »Rettet die Wale« so auf die Bühne zu bringen (trotz oder auch wegen der Laptop-Unterstützung) ist Zauberei. Zauberei hat auch immer was damit zu tun, dass man selbst, als Zuschauer, daran glauben muss, um sie spannend zu finden. Dass die Luft während »Mein Bruder« gefährlich im Takt zu vibrieren beginnt, muss man als Gustav-Konzerthörer glauben. Nur dann spürt man auch die besungenen Bomben.

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Und die Einsamkeit von Gustav unter all den Linzer Polizisten spürt man auch nur, wenn man der großen Zauberei »Popsong« Glauben schenkt. Gustav ist eine Meisterin darin, diese Zauberei auf der Bühne mit einer sympathischen, Nähe vermittelnden Art und Weise umzusetzen, ohne abgedroschen zu werden. Menschenfreundlichkeit kann auch mal klappen.
Dass beim abschließenden Mitsingdings »We Shall Overcome« dann eine Dame aus dem Publikum auf die Bühne geholte wurde um den Chor zu singen, und Gustav selbst ihre eigenen Texte zu einem »Da Da Da« entschwanden, hielt wieder einmal als Beweis dafür her, dass Lieder mit Haltung weder »Perfektion« noch »Vehemenz« brauchen, um subtil böse, immanent schön und durch und durch genial zu sein. Protestkultur in einem elektronischen Gewand, das heute Klassiker von Übermorgen produziert, ist also auch auf der Bühne machbar. Auch ohne Jungs.
Nach Gustav trommelten die alten Punk-Haudegen der U.S. Bombs noch mal drauf los, bevor die Bühne für ungefähr eine Stunde in ein Schlachtfeld der Soundschwere verwandelt wurde. »Terrain disfigured« waren die passenderweise ersten Worte, die aus dem dröhnenden Nebel von »Ever Somber« ertönten, dem Eröffnungstück von DÄLEK. Selbigen wurden am Tag zuvor noch als Überraschungsgast ins Festival gebucht und brachten somit sowohl helle Freude, als auch schockiertes Entsetzen ins Publikum. Mindfucking Noise legte sich in Kreissägen imitierenden Gitarrensamples über die schwer kullernden Beats und die trocken-monotonen Reime von MC Dälek. Wie auch letztens beim Donauinselfest vermochten Dälek live auf einer Festivalbühne die Energie ihrer Alben fantastisch umzusetzen, auch wenn das Set selbstverständlich zu kurz war.

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Das menschliche Maschinengewehr, das Dälek sein könnte, ist er live höchstens in Superzeitlupe. Den Zorn in seinem Gestus spürt man aber trotzdem, auch z.B. wenn er versucht mit seinem Blick die Regenwolken wegzubombardieren. Als Mensch in der Musik aufgehen, anstatt sie nur zu konsumieren, ermöglichen Dälek mit der emotional dichten, klanglichen vielschichtigen und technisch brillanten Darbietung allemal. »Unsere Musik wird nie mehr als traurig sein.« hieß es dazu mal in einem Interview, und selten kam es so vor, als ob diese Grenze, dieses Nicht-weiter-kommen, wirklich das weiteste ist, wo sich HipHop (und im weiteren Sinne Pop) hinbewegen können. Die Ablehnung der Formatmusik ist bei Dälek live die Realisierung von Offenheit als Grundidee des HipHop. Und ihre Realisierung von HipHop macht Sinn wie kaum eine anderer unserer Zeit.
Ähnliches für sich verbuchen können fünf junge Herren aus Nürnberg, nur geht es nicht um HipHop, sondern um tanzbaren, wavigen Indierock. Gemeint ist die Band der Stunde, THE ROBOCOP KRAUS, die zu Recht als eine der besten deutschen Live-Bands unserer Zeit gilt. Dass ihr aktuelles, viel umjubeltes Album »They Think They Are The Robocop Kraus« die Live-Energie perfekt auf die Platte zu übertragen wusste, beweist durch Konsistenz, Klugheit und Geschmackssicherheit, dass diese Leute ihr Handwerk verstehen.

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Auf der Bühne sind sie ein Orkan an guter Laune, Weltschmerz, Liebe, Desaster, Tanzen und Niederknien, der in druckvollen Songs über die Köpfe hinwegbläst, und staunende Münder zurücklässt, falls nicht eh jeder schon vorher tanzt. In Ottensheim war ihr Gig der mit Abstand wildeste, und das Publikum entwickelte bei TRK den höchsten Tanz- und Energie-Pegel. Schlicht: Wahnsinniger guter Pop, der W.A.H.N.S.I.N.N. und P.O.P. gleichzeitig buchstabieren kann, ohne beliebig zu klingen. Im Gegenteil: von allen (englischsprachigen) Indie-Retro-Schick-Bands der heutigen Tage zeichnen sich TRK durch eine sehr großformatige Eigenständigkeit aus, weswegen ihnen oft nachgesagt wurde, ihrer Zeit voraus zu sein. Was uns hoffen lässt, dass das nächste »Jetzt!«, der nächste richtige Moment, die nächste Gegenwart, in der diese Band uns beglückt mit einem ihrer Gigs, bald wieder kommt.
Zu Ende ging der Abend mit einem guten, ausgelassenen Set von Ex-Eins Zwo DENDEMANN, der Deutsch-HipHop einst als großer Hoffnungsträger, heute ein bisschen wie Opa-vom-Jahre-Schnee betreibt, und dabei eine gute, unterhaltsame Figur macht.

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Als Schlusspunkt eines so tollen Abends machte es auf jeden Fall Sinn, auch noch mal den alten Eins Zwo-Hit »Danke, Gut« zu hören und sich schließlich einzugestehen, dass »jedes kleine d (…) ein großes Endemann« hat. Großes Ende, Mann.
Der nächste Tag war dann trotz etwas besseren Wetters nicht so ganz berauschend, einzig bemerkenswert war vielleicht die Fadess des LARGE NUMBER-Gigs (immerhin steckt dahinter Ex-Add N To X Ann Shenton), die zwar durch die irrwitzigen Kostüme etwas aufgelockert wurde, aber musikalisch leider nicht zu vertreiben war. Den allerallerletzten Schlusspunkt setze eine neue HipHop-Kollaboration aus DJ Vadim, DJ Woody, Yarah Bravo & Blu Rum 13, die den Namen ONESELF trägt, und mit einer guten, gutgelaunten, und gutgemeinten Show das Publikum super unterhalten hat.

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Jazzy, groovy, Ninja Tuny. Was will man mehr? Noch ein Ottensheim Openair, klar.

Von Spar – 16. 06. 2005


Image Hosted by ImageShack.usDer Vergleich zum »Müllhaufen der Geschichte« ist kein schlechter. Von Spar sind retrodiskursive Poprocker, die Disco in Punk, Kopf in Bein und Schmelztiegel in Arschtritt überführen, ohne auch nur eine dieser Ingredienzien in ihrer ursprünglichen, »gesunden« Verfassung zu lassen. Krank ist die Welt ja sowieso. Und Geschichte wird nun mal gemacht.

Vor etwas mehr als einem halben Jahr war in der Viennale-Zentrale, oben im Dachgeschoss, bei Teppichboden und zweistelligen Cocktailpreisen eine kleine Gruppe aus Deutschland angetreten, um den Saal in Schutt und Asche zu legen. Eine In-Party des guten Geschmacks wurde für 45 Minuten in eine synthetische Disko unkontrollierbaren Irrsinns verwandelt. Von Spar präsentierten in Blaumännern gekleidet, inkl. Badehauben und Schweißerbrillen, was »Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative«, ihr Debüt-Album, live zu leisten im Stande war. Vielleicht hat die Hälfte des Saales unverständlich den Kopf geschüttelt und auf der Dachterrasse das Fernbleiben von dieser dringlichen Mucke gesucht. Vielleicht hat die andere Hälfte der Ekstase und dem Dynamit den heftigsten Live-Auftritt des Konzertjahres verdankt. Die Bombe Von Spar hat jedenfalls beide Ecken bedient, ohne sich Sorgen darum machen zu müssen, welche der Seiten wohl gerechter ist.

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Der Auftritt im B72 neulich war dann deutlich schwächer besucht (kaum ist es nicht gratis, bleiben alle zu Hause), und die vielleicht 50 anwesenden Gäste hatten genug Platz (auch ideell) sich zu bewegen. »Bewegen« ist ein Thema in Von Spars Musik, das ohne Frage als Appell verstanden wird. Sei es als Tanzmusik der Techno-Rhythmen, sei es als Headbang-Einladung im Geiste des Garagensounds. Die Dosis macht den Mix. Die Bewegung im Kopf ist vielleicht das einzige, das dem Tanz hier Paroli bieten kann. Von Spars Texte sind das Pamphlet jenseits des Pamphlets. Parolen, die in der Indie-Welt seit Erscheinen des Albums schnell Einzug gefunden haben, und nächtelanges Verzweifeln und Nachdenken auslösen konnten. »Schritt für Schritt über den Tellerrand hinaus« soll es gehen, und dabei die Konsumgesellschaft als solche endlich als Leitmama abgelöst werden. Das dauernd missverstandene »Wir brauchen mehr Dynamit, Regie!«, das nicht den Kampfaufruf, sondern den Ausverkauf des selbigen thematisiert, und die Ich-Maschinen, mit denen Von Spar ihre Texte schmücken, die »noch mehr Plastik«-Refrains, die Herde von Sparschweinen, die Schockwellen auf dem Parkett, all das war Ausdruck einer kritischen, sensiblen Position im gesellschaftlichen Umfeld, die vor allem Eines riet: Nicht das Maul zu halten. Was Von Spar auch explizieren, wenn sie im Schlussstück des Albums (»Bis es weh tut«) »Ich nerve« als melancholisch-abgeklärtes Motto auf die Geschichte ihres eigenen Schaffens legen.

Von Spar ist das Mischen von bereits Gutem unter dem Vorzeichen des Weitermachens. So wird eben gesampelt und verarbeitet, was auch immer über den Weg läuft. Der Synthesizer kann die 70er ebenso nicht in Ruhe lassen, wie die Gitarre die Ramones, das Schlagzeug den Rave oder die Stimme von Thomas Mahmoud die Referenzen zu (deutschsprachiger) Rock-Geschichte. »Mach kaputt was dich kaputt macht« klingt auf einmal nicht mehr … ähem, peinlich. Dieser Mix wird vor allem dann spannend, wenn man auf dem Album die zwei geladenen Gastsänger findet: Peter Hein singt in »Schockwellen aufs Parkett« den Satz »Geschichte wird gemacht«, der von ihm selbst so sehr geprägt wurde, um jetzt auf einmal ein 2004 erschienenes Album voranzutreiben. Und Frank Spilker merkt an, »Komisch wie schnell sich die Dinge verändern«, und deutet somit auf die Wichtigkeit und die Bedeutung von Von Spar als Ergebnis dieser Veränderung. In besagtem »Ist das noch populär?« ist »die Welt ein riesiger Apfel, die Welt eine riesige Flasche, die Welt eine riesige Zahnarztpraxis«. Reinbeißen, auch wenn es weh tut, austrinken, auch wenn es vergiftet: Bilder malen, auch ohne Worte.

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Thomas Mahmoud übernimmt diese (zugegeben kurzen) Gesangsparts live, und so mickrig sie auch sein mögen, zeigen sie die Stärken dieses Ansatzes einer diskurshistorischen Pop-Reformulierungsmaschine am deutlichsten auf. Es bist eben doch du selber, der sich die Stimme nicht verbieten lassen darf. Als ich damals in der Viennale Thomas Mahmoud um einen kurzen Satz für das Inlay der Album-CD gebeten habe, hat er missmutig gemeint, er sei doch nicht Bon Jovi. Aber er hat dann doch etwas reingeschrieben: »Zuhören ist ein Zeichen von Gleichgültigkeit seinen eigenen Zuhörern gegenüber«. Der Müllhaufen der Geschichte, auf dem Von Spar tanzen, reicht also bis Oskar Wild. Am anderen Ende steht z.B. die Mediengruppe Telekommander, deren »Bis zum Erbrechen schreien« live genüsslich geklaucovert wird. Oder eben Bands wie Urlaub in Polen und The Oliver Twist, von denen Von Spar eigentlich das Nebenprojekt ist. Zwischen Weltkritik, postmodernem Theorieblabla und Frankfurter Schule ist also noch genug Platz, um Position gegen die Position zu beziehen, und das Nichtssagende zu verhandeln. Variationsräume im Strukturwandel mitzuformen ist mitunter eine der schwersten Hürden der Popmusik und der Welt, der Bedingungen um sie herum. Wie es Von Spar trotzdem gelingt, diesen universalen Charakter des Popdiskurses (vielleicht würden sie dazu »Die Begierde nach Sein, Werden und Gewesensein« sagen, wie einst in einem Oliver Twist-Interview) einzufangen und in eine extraterrestrische, instabile Umlaufbahn zu donnern, ist nun auch nach der vergangenen Zeit nicht ganz klar. Und vielleicht sollte es auch nicht ganz klar sein, denn die »identity« am Merchandising-Stand ist schneller da als man glaubt. Der (Adornosche) Philosoph als Interpret im musikalischen Sinn kann hierzu tanzen. Der hybride Chic, den sie zurzeit draufhaben, ist mit Sicherheit einer der spannendsten, frischesten, neusten, dringlichsten, achtsamsten, verzweifelsten, klügsten, politischsten und energetischsten, die aus dem Popstandort Deutschland in der letzten Zeit hervorgingen. Es ist der pure Wahnsinn.

Nine Inch Nails – 14.06.2005


Image Hosted by ImageShack.usTrent Reznor als kleiner großer Showmaster, Druckkochtopf, Rebell des schlechten Geschmacks und ausgeruhter Seelensucher dirigierte seine Nine Inch Nails vor einer ausverkauften Arena in kontrollierten Wahnsinn. Sollte man mal erlebt haben.

Im vollen, aber nicht unangenehm vollen Openair-Kessel ist schon eine beträchtliche Fangemeinde eingetroffen, als die Vorband die auf einmal sehr groß wirkende Bühne besteigt: The Dresden Dolls. Diese zwei Menschen (Schlagzeug, Klavier) haben hierzulande auch schon mal das Flex vollgekriegt, und landeten mit ihrem letztjährigen, selbstbetitelten Album einen der Newcomerhits 2004. Sie und Saul Williams (leider nicht gemeinsam) hat Reznor mitgenommen zur »Bleed Through«-Tour zur »With Teeth«-Platte. Und dem Publikum gefiel’s, waren doch der Lautstärkepegel und die Jubelschreie nach jedem kleinen, aber feinen Dresden Dolls-Stück unerwartet hoch. Die Ekstase nahm hier schon ihrem Lauf, um später in einem Orkan zu kulminieren.

Um es vorweg zu nehmen: Das NIN-Konzert war gut. Und das folgt aus der Gleichung, dass die erste Hälfte nicht gut, und die zweite Hälfte sehr gut war. Als Reznor die Bühne erklimmt ist es noch hell, was die Lichtshow überflüssig und die Stimmung gedämpft hält.
So bombastisch der Sound von Anfang an war, wählte Reznor als Eröffnungsblock einige Stücke der CD »Fragile«, bei denen schnell klar wurde, dass ein so überproduziertes, aufgeladenes, vielschichtiges Songwriting und -arrangement, wie es dort zu finden ist, auf der Bühne immer wie eine Klimper-Folk-Demofassung klingt. Mit »Wish« bricht er das erste Mal dieses Unbehagen auf und brettert in bester Früh-90er-Manier den Song in die Beine und die Fäuste des Publikums, für den er damals den Grammy erhalten hat.

Ab da bessert es sich also, Reznor macht einen erstaunlich großen Bogen um das neue Album, konzentriert sich stark auf alle bisherigen Veröffentlichungen, die allesamt ungefähr gleichgewichtig vorkommen. Das selten gespielte »Reptile« von »Downward Spiral« ist vermutlich der erste Non-Hit an dem Abend, und da ist die Dunkelheit auch passender Weise über uns hereingebrochen. Dieser Slow-Motion-Monolith eines Industrial-Rockosauriers vermochte mit Nachdruck zu vermitteln, dass Trent Reznor ein ungemein kluger, präziser und leidenschaftlich-unausstehlicher Teenage Angst-Apologet immer war und auch noch immer ist. Ganz besonders erfreulich war das vermutlich noch seltener gespielte »Dead Souls«, welches er von Joy Division für den »The Crow«-Soundtrack gecovert hat, und zu einer der besten Coverversionen zählt, die jemals jemand dieser Band angetan hat. Quasi im Spiegelblick folgt als nächstes Stück »Hurt«, welches von Johnny Cash die letzte Ehre erwiesen bekam, als er es kurz vor seinem Ableben 2004 coverte. »Hurt« ist nun mal seit »Downward Spiral« auch ein NIN-Evergreen, die von manchen als »Quotenballade« verschmäht wird, und das Publikum realisierte auch dankenswerterweise, dass hier Mitklatschen absolut unangebracht ist. Aber hymnisches Mitsingen im Refrain entschädigte diese Probleme, mit »Hurt« war Reznor in uns allen, und machte deutlich, warum sich das so gut anfühlt.

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»With Teeth«, das gute, neue Album, bleibt auf Grund seiner fehlenden Live-Rock-Kracher eben etwas auf der Strecke – bei den vielen Hits, die Reznor seit 1989 seinen Fans geschenkt hat. Die besten Stücke darauf sind leider live völlig unspielbar, und was Reznor von »With Teeth« auf die Bühne holt, ist natürlich noch nicht so bekannt, wie die alten Sachen, das Publikum reagiert verhalten. Um ehrlich zu sein störte das Fehlen der neuen Songs nicht besonders. Aber eines fehlte schon: »Getting Smaller«, auf dessen Retro-Rock-Qualitäten man nicht müde werden sollte hinzuweisen, hat mit seinem Kawumm an Drum- und Gitarrenriffs eigentlich eine Live-Pflicht. Das war vielleicht der einzige Punkt, wo Reznor es ausgelassen hat, unsere Köpfe wegzublasen. In so ziemlich jedem anderen Punkt hat’s geklappt. Was ne Menge ist.

The Go-Betweens + Paul Armfield – 24. 5. 2005


»Oceans Apart« heißt das neueste Werk von Forster und McLennan, und nach einem wieder einmal tollen Gig von Paul Armfield wurde es nun auch Wien live präsentiert.

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Paul Armfield kommt von einer Insel südlich von England, auf der alle Menschen Musik machen. Oder fast alle. Er hat mit seiner Band, den Four Good Reasons, letztes Jahr sein Debüt veröffentlicht, von dem er sagt, dass es auf der Isle of Wight in keinster Weise etwas Besonderes wäre. Jede zweite Pub-Band dort, könnte so ein Album aufnehmen, würde sich mal wer darum kümmern. »Songs Without Words« ist ein Folk Noir-Meisterwerk, das Gefühle entkantet und den Songs genau die Wörter gibt, die sie behaupten nicht zu besitzen. Schon letztes Jahr besuchte er mit den Four Good Reasons Wien und bewies, dass diese Songs live ebenso funktionieren können.

Als Vorgruppe der Go-Betweens ist er alleine auf der Bühne, mit seiner Gitarre spielt er ein herzerwärmendes, intensives Set, und kämpft gegen die Ungeduld des Publikums an, das nur die Go-Betweens sehen möchte. Was ihm erstaunlich gut gelingt, gab es immerhin ganz leise in der erste Reihe auch einen Hauch eines »Zugabe!«-Rufes, was sicher nicht dem örtlichen Paul Armfield-Fanclub zu verdanken ist, weil den gibt es nicht.

Tja, und die Go-Betweens… was soll man zu denen noch sagen? Sind diese Songs nicht an sich schon Aussage genug über die Bedeutung, die Geschichte und das Potential dieser Band, immer noch nach fast 30 Jahren mit jedem neuen Wurf nicht stehenzubleiben? Das Bemühen, nicht im Retro-Desaster sein eigenes Werk als einzige Referenzgrundlage zu nehmen, gerade nach dieser unfassbar gut gelungenen Reunion damals, zeigt sich auch live als eine ihrer schwer zu glaubenden Stärken. Die Go-Betweens schaffen eine sensationelle Symbiose zwischen dem Bemühen um den Song, also das daran arbeiten, das sichtbare investieren von Energie, damit der Song ein Song, eine Perle wird, und der Ausgelassenheit, der Lockerheit, dem wilden Charakter, der ihr Schaffen immer mitgeprägt hat. Allein ersteres lässt heute jede zweite Band krampfhaft aussehen. Was damals bei den Go-Betweens DIY hieß und mit Punk nicht wenig zu tun hatte, ist jetzt eben ein abgebrühtes, zeitloses Verständnis der eigenen Fähigkeiten, Songs auf die Bühne zu zaubern, die Universen erzählen können, ohne unser existierendes schelmisch zu verlassen. Auch wenn diese Songs zum Beispiel in Bayrischen Käffern geschrieben wurden, was sie selbst wohl als einen der am weitesten entfernten Orte des Universums ansehen.

Und wenn sie dann sagen, dass die Lichttechniker bitte das Licht abdrehen sollen, das das Publikum blendet, dann ist mit keinem Moment die Frage da, ob das eventuell ihrer ästhetischen Auffassung unserer Gesichter wegen passiert. Nein, es ist das Bemühen und die Ausgelassenheit, immer diese grandios-elegante Schöngeistigkeit, die sie zu einer beeindruckenden Band macht. »Why do people who read Dostoyevsky look like Dostoyevsky?« singen sie in »Here Comes A City«. Den Scherz, das auf die Go-Betwens anzuwenden, erspare ich euch, weil er nicht stimmen würde.

The Kills - 23. 5. 2005


Der rockistische Overkill im Kleinen, die Eskapade einer ausfälligen Nacht, die man lieber nicht vergisst, machte klar, dass The Kills einer der besten Live-Rockbands sind, die es zur Zeit gibt. Dass das »No Wow«, vor dem ihr aktuelles Album so eindrücklich warnt, hier nicht eingetreten ist, ist selbstverständlich.

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Mit einem Galopp fangen sie an. Wie auch auf dem aktuellen Album ist der Titeltrack »No Wow«, diese Minimal-Rock-Sau mit nervös-fiebriger Drummachine, die Eröffnung. VV und Hotel sind bis dorthin gut gelaunt, saßen am Bühnenrand, hatten Freude daran die wunderbare Scout Niblett als Vorband anzuhören, aber ab dem Moment, wo »No Wow« mit diesem ersten, galoppierenden Beat einsetzte, waren sie gewandelt. Er: Roboter. Sie: Zombie. Beide zusammen: Inferno.

Hotel starrt. Sein Blick geht stur geradeaus, mindest einmal um die ganze Erde herum, und borht sich in seinen eigenen Hinterkopf, führt dadurch die Zuckungen und mechanischen Bewegungen seines Körpers herbei. Wenn er grad nicht singt, redet er manisch irgendwelchen unverständlichen Text vor sich hin, als ob es von jedem Lied eine alternative Version mit anderen Lyrics gäbe. VV ist völlig aufgelöst, taumelt, weint, stirbt, steht wieder auf. Ihr Gesang ist so intensiv und dreckig, dass Hotel in den wenigen Momenten, wo er bei Bewusstsein ist, zu ihr stielt, um sicher zu gehen, dass seine Partnerin noch da ist. Wenn sie sich mal nahe kommen, ist das ein beängstigendes Spannungsfeld zwischen Leben und Tod. VV und Hotel helfen sich selbst genauso viel, wie sie sich gegenseitig umbringen. Mit Gitarren, mit Stimmen, mit Beats.

Am Ende herrscht völliger Exzess auf der Bühne und im Publikum. In einem See an Distortion liegen die beiden auf am Boden (unklar, ob es einer Vergewaltigung ist) und wissen um das eigene Überleben ebenso, wie um den eigenen Tod. Hier und jetzt steht uns allen da unten, die wir dieses Fiasko miterleben durften nur ein »Wow!« im Gesicht geschrieben. Manche sagen, so sieht die Zukunft von Rock ´n Roll aus. Manche sagen, so sah die Vergangenheit aus. Wenn sich The Kills in der Mitte, im Jetzt, treffen, ist es schlicht der Rock, den sie als einzig durchführbaren ansehen. Und diese Optionslosigkeit auf die Bühne zu hieven ist mehr als Kunst.

M. Ward – 22. 5. 2005


Der Country kommt in kleinen und großen Schritten zu uns. Klein war an diesem Abend nur der Rahmen. Groß hingegen die Songs.

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Matt Ward ist ein Schlaumeier. Ein Geschichtenerzähler, der den Größenwahn der Poesie aber nicht überstrapaziert. Ein Gitarrist der Ruhe, der die Nervosität, das Zappeln (im positiven Sinn) gerne seiner Band überlässt. Was auch hervorragend klapp, die Jungs sind nämlich gut gelaunt, gut gestimmt und gut vorbereitet. Matt Wards schwungvolles Gitarrenspiel wird meist zurückhaltend unterlegt, diese Country-Band will sicher niemandem ins Gesicht schlagen.

Ward erklimmt die schönsten Momente, wenn er die Lockerheit und die Liebe zum Song offen darlegt. Seine aktuelle Platte »Transistor Radio« mag vielleicht etwas halbgar dachherkommen, was sicher auch daran liegen mag, dass er nur covert, aber live erwirken die Songs eine tolle Sogwirkung. Wenn er ansagt, dass er den seiner Meinung nach besten Wiener Songwriter huldigen möchte, und daraufhin auf seiner kaputten Klampfe den Donauwalzer runternudelt, dann hat das schon Kultcharakter.

Es geht los...


Seit 19 Uhr kreisen im knallgelben Licht der untergehenden Sonne wunderschöne Pollen durch die Luft. Am Donaukanal fängt das regen, abendliche Treiben an zu Brummen. Chinesisches Abendessen wird serviert, die erste Biere genommen, Drogenvorrat für den Abend eingekauft. Konzertkarten werden hie und da verhandelt, »RESTLOS AUSVERKAUFT!« prangt von allen Wänden des Eingangsbereichs des Flex. Kamerateams surren vorbei, Gruppen aus Polen, auch Kroatien versuchen sich mit den Einheimischen zu verständigen. The Arcade Fire spielen in besagten Ländern kein Konzert, weswegen sie den weiten Weg gekommen sind. Das coole Fühlen, ich spür’s.

arcade fire live2

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Es ist eng, schon zehn Minuten vor der Vorband ist es eng. Arcade Fire bitten darum nicht zu rauchen. Schnell noch die letzten Zigaretten genißen, bevor es losgeht. Im Kopf spulen sich Listen ab. Liste 1 sagt »Wake Up« und dann »Laika«, dann der Block an alten Sachen, dann der Hammer-Block mit den besten Albumstücken. Liste 2 sagt »Laika« am Anfang und »Wake Up« als Zugabe, außerdem dabei im Gegensatz zu Liste 1 ist »7 Kettles«. Liste 2 ist aktueller. Angst. Vergiss die Listen, sei bei Arcade Fire, schau auf die Bühne. Es ist dunkel, Eine Absperrung wurde gezogen, das Flex ist noch enger. Die Gesichter um mich herum sind magisch erhellt, jeder Mensch in diesem Raum hier wartete seit Monaten auf diesen Augenblick. Es war elektrisch, ganz und gar unerklärbar gespannt, und wenn jemand nur eine Zigarette zu viel geraucht hätte, wenn das Streichholz auf den Boden gefallen wäre, hatte man das Gefühl, als würde dann ein riesiger Gassee unter uns hochgehen, die Wolke auf der das Publikum zu schweben vermochte. Schweben und warten, um kurz nach Acht betritt Owen Pallet die Bühne.

***

Beinahe-Nervenkollaps, Übernachtigkeit und hemmungslose Nervosität prägten den Tag. Angst, Schweiß und Unvermögen in geraden Sätzen zu reden. It’s the Reinsteigern-Thing. Verarschen ließe sich das mit »Ist ja nur irgendeine Band, von irgendwoher«. Und jeder, wirklich jeder im Raum hätte gewusst, dass es einfach nicht stimmte. »Funeral« ist nicht irgendeine Platte. Das Listenabspulen im Kopf lässt keine Ruhe, ist die beste Ablenkung von den Fangarmen dieses Abends,

Neighborhood #1 (Tunnels) Gewinner: Keiner.
Neighborhood #2 (Laika) Gewinner: Keiner.
Une Annee Sans Lumiere Gewinner: Keiner.
Neighborhood #3 (Power Out) Gewinner: Keiner.
Neighborhood #4 (7 Kettles) Gewinner: Keiner.
Crown Of Love Gewinner: Keiner.
Wake Up Gewinner: Keiner.
Haiti Gewinner: Keiner.
Rebellion (Lies) Gewinner: Keiner.
In The Backseat Gewinner: Keiner.

Der Computer läuft, er muss nur einsehen, dass es immer irgendwann den Punkt geben kann, an dem es einfach sinnlos ist weiterzuspielen. Einfach sinnlos ist weiterzuspielen. Einfach. Sinnlos. Ob ich das je verstehen werde?

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Owen Pallet ist nicht Patrick Wolf, auch wenn er fast so aussieht. Final Fantasy, ich hab’s nur einmal gespielt, das VIII. Damals interessierten mich Computer nicht so, ich hab den ganzen Hype darum nicht ganz verstanden. Owen Pallet ist Final Fantasy, eine Solo-Band. Er und seine Geige sind die besten Freunde. Ein Sampler noch mit an Bord, und los geht’s. Eine halbe Stunde lang wird Owen ins Publikum singen und lachen. Dabei führt er unwahrscheinliche Songs auf seiner Geige aus, lässt die Riffs loopen, schichtet Turm auf Turm und macht mit einer fantastischen Stimme auf einmal schlagartig alles weg, was vorher meinen Kehlkopf zugeschnürt hat. Wenn bei einem kurzen Final Fantasy-Stück im Höhepunkt sich die sieben Geigen-Melodien, die gerade übereinander liegen, schlagartig auflösen ist es Sonnenaufgang, obwohl draußen gerade das Gegenteil herrscht. Patrick Wolfs Gestus ist aber dabei bei Final Fantasy. Auch Label-Kollege Xiu Xiu, krampfähnliche Ausschreie erwecken hier die Erinnerung. Final Fantasy vermag uns für eine halbe Stunde in ein anderes Universum zu katapultieren.

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Sieben Menschen plus Owen Pallet sind auf der Bühne. Die Zeit ist um, wer jetzt noch gehen möchte kann es tun. Ich überlege kurz, ganz nach hinten zu gehen. Nein doch erste Reihe. Die Wahnsinnigen auf der Bühne lachen. Der erste Akkord schneidet das Flex in kleine Stücke. »Wake Up« ist Chaos. Ein Song, er ist da. Ich lege mich rein. Nicht aufgeben. Es muss weitergehen. Und das tut es auch. Auch wenn ich es vorher aus Live-Mittschnitten erahnt habe, ist jener sensationelle Übergang zwischen »Power Out« und »Rebellion (Lies)« einfach unglaublich. Hier wird die Platte neu erfunden. Was bei einer so unglaublichen Platte mehr als mutig ist. Verrückt, energetisch, zum wahnsinnig werden schön war die Halle des Flex im Widerschein eines Anbeginns einer neuen Epoche getaucht.

arcade fire live

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Der nächste Tag war auch sonnig. Aber es hörte sich anders an.

The Album Leaf – 18. 5. 2005


Zart und selbstbewusst lieferten The Album Leaf ein wunderbares Konzert ab, diesmal mit Band, Streichern und somit etwas mehr Druck hinter der Sache. Zu spüren war aber trotz allem dieser tolle, feine elektronische Indie-Minimalismus.

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Fast ein Jahr ist es her, seit The Album Leaf »In A Safe Place« in die Welt geworfen haben. Fast ein Jahr schlummert das Wissen um ein eigentlich wirklich herzerwärmendes Album in uns und dringt selten an die Oberflächen unseres popmusikalischen Alltags. Vielleicht weil Alben wie dieses in einer gewissen Zeitlosigkeit gefangen sind, aus der sie auch ihr enormes Potenzial schöpfen. Genau am Nationalfeiertag letztes Jahr wurde manch Wienerinnen und Wienern das erste Mal (unfreiwillig, quasi) der Name »The Album Leaf« präsentiert, und nicht wenigen von ihnen blieb danach der Mund staunend offen stehen. Als Vorband von Sophia in der ausverkauften Szene Wien beeindruckten The Album Leaf mit einem Programm an Laptop-Gefrickel, instrumentalem Melancholie-Affekt und einem guten Gespür für die Langsamkeit und Melodien, und die Zwischenräume zwischen Tönen.

Das Konzert im B72 knüpfte exakt da nahtlos an, nur ging es hier wie gesagt um mehr … Nachdruck. Live-Schlagzeug und Cello vermochten so manchen Song aus seinen Angeln zu heben und zu richtigen Hymnen werden zu lassen. Auch war der quasi-Hit des Albums, »On Your Way«, das einzige Stück mit Text, was durch die Live-Darbietung fast nach famosen Tarwater im Indiekid-Gewand klingen konnte. Die etwas wuchtigeren instrumentalen Stücke klingen dabei immer ein wenig nach The Notwist, die ruhigeren, endlosen Momente immer ein wenig nach Sigur Ros. Ach ja: Sigur Ros. Die waren es auch, die Album Leaf nach einer gemeinsamen Tour baten, »In A Safe Place« doch in Island aufzunehmen. Was die (auch konzeptuelle) Ähnlichkeit der beiden Projekte teilweise erklärt. Die Unterschiede sind vielleicht durch das fehlende esoterische Ausufern bei Album Leaf charakterisiert. Und durch die fehlenden E-Gitarren, die von der akustischen Front ersetzt werden.

Und wer sich eigentlich hinter dem Namen »The Album Leaf« verbirgt? Jimmy LaValle, San Diego-nach-Hardcore-Generation. Die 90er durch ewiges Bandmitglied und Local Hero der Szene, Keyboarder der Noise-Postpunker Locust, Bassist bei Black Heart Procession und so weiter und so fort. Seit 1999 ist er The Album Leaf und produziert so wunderbare Platten wie eben »In A Safe Place«. Die Musik wie gemalt an der Wand zu sehen, ist ein seltenes Erlebnis bei Konzerten. Jimmy LaValle hat’s uns gebracht, sollte er öfter tun.

I Am Kloot – 17. 5. 2005


I Am Kloot, mit langem »uuuuuuh«. Drei Herren aus Manchester machen sich auf, wunderschöne Popsongs zu schreiben, und lassen den aktuellen Brit-Rock-Retro-Hype außen vor, da es viel kleiner und ruhiger auch geht.

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Vielleicht am Auffälligsten für den ersten Moment ist Sänger John Bramwell. Seine Stimme ist der erste Ankerpunkt, als I Am Kloot die Bühne betreten. Diese Stimme kann mit ihrer leichtfüßigen Melancholie und dem schwer fassbaren Grad an Ironie die wichtigsten Akzente setzen, für einen Abend in einer ausverkauften Szene Wien. I Am Kloot sind Songwriter, die selten Sticks, öfter Besen verwenden, Songwriter, die den Weg »zurück« nicht suchen (»There’s no direction home!«), Songwriter, die das Schrammeln aufgegeben haben, um im Niemandsland des »Morning Rain« ihre Songs zu suchen. Dabei haben sie den Bass immer etwas leiser gedreht als die anderen, und Bramwells Gitarrenspiel erinnert nicht selten an jenes Howe Gelbs.

Aber vielleicht am Erstaunlichsten ist tatsächlich, dass bei I Am Kloot kein großer Schwindel vermutet werden kann, weil es kein großes Konzept dahinter gibt, keine Idee, die enttäuscht werden könnte, kein selbst-auferlegter Druck, den oder den Willen durchsetzen zu müssen. I Am Kloot halten einzig und allein die Idee des »Songs« aufrecht, und die ist ungefähr dreihundertmal älter als alle Bandmitglieder zusammen. Und bei so einem großen Altersunterschied merkt man ihnen den Respekt schon an, im positivsten Sinne. So unüberladen wie I Am Kloot Popsongs zu schreiben, ist weder leicht, noch selbstverständlich. In Wirklichkeit ist es vielleicht der schönste, eleganteste und befreiendste Versuch, den Song zu finden, der ohne Etikettenschwindel und Belanglosigkeit einfach nur Song, und somit Wunderwerk ist. Nicht selten gelingt I Am Kloot dieses Kunstsück. Und das ist bedeutend mehr, als viele andere britische »Songwriterlegenden« von sich behaupten können.

Lou Barlow – 11. 5. 2005


»It’s my revival …« sang er als erste Zeile. Lou Barlow, Lo-Fi-Rock-Legende und Songwriter-Genie, gastierte vor einer gut gefüllten Szene Wien und eroberte die Herzen im Sturm. Ein Sympathie-Magnet ohne Wenn und Aber.

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Was soll man zur Geschichte Lou Barlows sagen? Was kann einen Menschen beschreiben, der seit Mitte der 80er den Indie-Rock mitdefiniert hat und damit ein Songbook ausgearbeitet hat, das ungefähr auf jeder zweiten heute erschienenen gitarrenlastigen Popplatte unterschwellig mitzitiert wird? Die Aura, die dieser junge Kerl mit sich herumträgt, ist derartig angereicherter durch die Bands, durch die er bisher ging, dass er solo fast ein wenig beängstigend klein wirkt. Kann er das alleine überhaupt bringen? Kann er ohne Band überhaupt Songs machen?

Als Dinosaur Jr.-Bassist steigt er aus, als sie ihm zu groß wurden, gründet unzählige kleine Projekte, von denen aber nur eines wirklich Erfolg einheimst: Sebadoh. Neben Pavement die einzigen, die wirklich im jungshaft-wirrköpfigen Diktat des Indierocks der 90er innehalten. Das ist jene Lo-Fi-Schiene, die doch um 90 Grad dem damaligen Grunge-Bombast entgegenstand. Jene Songs, die die Hardcore-Schule überwinden konnten, ohne ihr weh zu tun. Mit »Gimme Indie Rock« proklamieren Sebadoh und ein wütender Lou Barlow 1992 den Namen der Stilrichtung, die von da an ohne sie nicht auskommen wird können. Gerade Barlows Songwriting sticht auf den Sebadoh-Platten hervor, liefert Song-Perlen allererster Güte und in ihrem reduktionistischen Rock-Verständnis die beste Heilkur gegen die ausufernden Rock-Utopien dieser Tage. Das Album »Harmacy« von 1996 bringt den (auch finanziellen) Höhepunkt dieser Karriere, vereint Krach und Emo, HC und Grunge unter eine Schöpfungsgeschichte jugendlichen Irrsinns und strahlt seitdem am Firmament des Rocks in einer kleinen, aber feinen Nische der besten Platten, die zu wenig erreichen wollten damals, und dadurch »Nevermind« nicht aushebeln konnten.

Das Abflauen von Sebadoh passiert mit dem heftig kritisierten letzten, selbstbetitelten Album von 1999, von dem eigentlich niemand mehr so richtig etwas wissen wollte, weil Barlow jetzt andere Zugpferde hatte: The Folk Implosion. Andere Formation, anderer Stil, andere Songs. Die Folk Implosion wird schlagartig berühmt durch den Soundtrack zu »Kids« und der Single »Natural One«. Bis 1999, dem Ende von Sebadoh, hat sich auch diese Formation zur Hochblüte heraufgespielt. Das Folk Implosion-Album »One Part Lullaby« ist das invertierte »Harmacy« mit drei Jahren Verspätung. HipHop mit Folk, Gainsbourg-Samples mit Barlowscher Ohrwurmqualität, schlicht: wieder ein Meisterwerk.

Und was macht Barlow seither? Ein Folk Implosion-Restart (»The New Folk Implosion«) misslingt, letztes Jahr dann eine Sebadoh-Tour zum feierlichen Domino-10-Jahres-Jubiläum. Immerhin waren Sebadoh der erste Act, den dieses fantastische Label gesignt hat. Heuer sollen Dinosaur Jr. auch wieder in alter Formation auf der Bühne stehen, also Revival pur. Lou Barlow steht verschmitzt in der Ecke und bringt sein erstes Solo-Album raus: »Emoh«. Die Tour dazu bestreitet er alleine, ohne Begleitband, und der Publikumsbereich ist bestuhlt. Eigentlich unfassbar, wenn man sich zurückerinnert, mit welcher Wut dieser ehemalige HC-Recke noch vor 15 Jahren herumgebrüllt hat. Jetzt sitzen wir gespannt vor ihm und er hat eine Menge Erwartungen zu erfüllen.

Der Abend ist von Anfang an magisch, Barlow ist ein selten sympathischer Wirrkopf, erfüllt jedes Klischee des genial-tollpatschigen Jungen von nebenan. Sein rein akustisches Set ist eine Sammlung von Songs, die alle Bright Eyes dieser Welt ins Hinterstübchen verweisen. Sein Charme und sein Witz, sein verzweifelter Versuch Deutsch zu reden, sind unwiderstehliche Aufforderungen, ihn anzulächeln. Er erzählt Geschichten, die sehr kurz und prägnant Universen erschaffen, er singt vom biologischen Vater von Jesus (»I know, it’s a quite radical concept…«) und wie heiß er die »crazy Mary« wohl fand, und ist dabei aber so unschuldig wie nur irgend möglich. Er stolpert über die Songs und Melodien, lässt sie vorbeischwirren, und Peinlichkeit ist eine seiner größten Tugenden. Herzzerreißende Geschichten über seine »Day Kitty« leiten einen noch herzzerreißenderen Song ein, und Barlow macht unverschämt sympathisch Werbung für »Emoh«. Dauernd, nach fast jedem Song hält er vertrottelt das Album hoch, sagt an, welchen Track er jetzt spielen wird, versucht auf Deutsch den Preis herauszukriegen und wenn es mal peinliche Momente der Stille gibt, zuckt der die Schultern und das Publikum ist dabei wieder voll auf seiner Seite. Lou Barlow ist ein mitunter großartiger Entertainer, der das Publikum nicht aus seinem Bann entlässt.

Dass besagtes Publikum gerne ein paar Sebadoh-Songs gehört hätte, versteht er. »Brand New Love«, eine Single aus Sebadoh-Urzeiten wie das angesprochene »Gimme Indie Rock«, erfüllt in der rein akustischen Fassung alle Kriterien eines nicht zu überbietenden Ohrwurm-Popsongs, der zum Weinen und Lachen, Tanzen und Schluchzen bringt. »Soul And Fire« ist mit seinen 12 Jahren auch ein Song, der einiges durchgemacht hat, und trotzdem bei Barlows Vortrag frisch wie von vorgestern wirkt. »Beauty Of The Ride« von der »Harmacy« ist auch ohne Schlagzeug, Bass und Distortion ein Meilenstein der 90er, und sogar das von allen verschmähte letzte Sebadoh-Album wird auf meinen Wunsch hin mit »Love Is Stronger«, einem der meiner Meinung nach schönsten Barlow-Songs, vertreten.

Wenn man sich diese ganze Revival-Chose in der letzten Zeit anschaut, dann hat Lou Barlow den mit Abstand besten Wurf gemacht. Vielleicht weil er einfach noch immer am Bühnenrand seine CDs selbst verkauft. Vielleicht weil er einfach noch immer einer der größten Songwriter dieses Planeten ist. Vielleicht aber auch nur weil er jung geblieben ist, mit seinen 39 Jahren. Gratulation, Lou. Und weiter so!

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