txt.news 20.02.2005



»Die Gründer von 89mm minimum.movies, Sebastian Krügler und Thilo Becker, suchen nach originellen Produktions- und Vertriebsmöglichkeiten, welche Kosten und langwierigen Produktionszeiten auf ein minimum beschränken könnten. Sie nutzen die legendäre 3,5''-Diskette als Medium, um so die Reduktion auf das Wesentliche mit einem eigenwilligen Format zu vereinen.«

Freie Texte: Susan Sontags Aufsatz »Against Interpretation«, Rainald Goetz’ Tagebuch-Experiment »Abfall für alle«, Guy Debords antikapitalistisches Hauptwerk »Gesellschaft des Spektakels« mitsamt Kommentaren und der Reader »Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft« (PDF) herausgegeben von Tom Holert und Mark Terkessidis.

David Ostrowski. Verdammt, und der ist auch noch ein Jahr jünger als ich.

Schon gefurlt, dennoch sei hier noch mal explizit drauf hingewiesen: »Welche soziographischen Bilder kennt das Kino? Kann es Bilder von Vielen, von Massen, von Migranten, aber eben auch von sogenannten Völkern, glorifizierten Gruppen, siegreichen Klassen herstellen, die als reine Bilder schon das sagen, was sie sagen sollen? Oder bedarf die Darstellung der historisch relevanten Kollektive immer des Narrativs, des Spielfilms und seiner Konventionen? Ist eine Soziographie möglich – im Kino – die nicht in erster Linie eine Historiographie wäre?« Diedrich Diederichsens Vortrag »Ein Bild von der Masse«. [via ThGroh-Furl]

Das Magazin Magma hat es nach Monaten eines angeblichen Online-Umbaus nun doch noch geschafft. Bin gespannt. [edit: s. Kommentare]

Eine neue Ausgabe meines Lieblings-Fanzines (inzwischen angesichts des Umfangs eher: meiner Lieblings-Buchreihe) PNG ist auch soeben erschienen. Diesmal als Beilage: Zum einen ein schicker GHVC-Badge (schwarz) für den Indie-Revert, zum anderen eine Maxi-CD mit vier Stücken von Maritime, Bernd Begemann und die Befreiung, Death Cab for Cutie sowie Marr. Bitte sofort bestellen!

Kettenvideo.de will ein unendliches Fortsetzungsvideo drehen.

Roxomatic vergleicht ausführlich elf Anbieter von Social Bookmarks.

Bei einer Recherche zu Stan Brakhage stieß ich neben der PDF-Ausgabe der »Brakhage Lectures« auf zahlreiche weitere Bücher und sogenannte »Samples« des Ubu-Verlages, darunter »Excerpts from ›The Burial Of The Count Of Orgaz‹ & Other Poems« von Picasso, den »Selected Writings« von La Monte Young & Marian Zazeela, experimentelle Lyrik wie Ira Lightmans »Trancelated« oder »Vexed« von Jessica Grim und eine Sammlung von »Manifestos«, u.a. von Nam June Paik und W.E.B. DuBois. Auch interessant: Nicholas Moores 31 Variationen/Übersetzungen von Baudelaires »Spleen«, erstmals unter verschiedenen Pseudonymen 1968 in der Sunday Times erschienen. Mächtige Quelle!

The Crime In Your Coffee weist hin auf 400 Titelsequenzen aus Horror- und Sci-Fi-Filmen der 50er und 60er Jahre.

Darkwood Dub - "O Danima"


o danimaEine Szene-Erscheinung, die trotzdem Ausnahme-Charakter bewahrt hat. Seit über 10 Jahren sind Darkwood Dub der Inbegriff Belgrader Underground-Soundkultur und lieferten mit jedem ihrer bisherigen Alben einen neuen Meilenstein elektronischer Musik vom Balkan ab. Nach zwei Jahren Pause kommt nun mit »O Danima« eine weitere Wendung in ihrem Stil, aber auch eine vorzügliche Erweiterung ihres bisherigen Repertoires.


Dieses Album funkelt in einem breiteren Pop-Kontext als die bisherigen, erwirkt aber trotz allem den Eindruck strenger und vor allem mehr sophisticated zu sein. Die Songs lassen sich eben mehr als Songs denn als Tracks lesen und sind dann doch mehr akustischer als elektronischer Natur. Wer Darkwood Dub beim Serious!Pop-Festival im Wiener WUK letzten November gesehen hat, weiß auch, dass sie live vor Dynamik und Leichtigkeit nur so strotzen. »Dark« ist das schon lange nicht mehr, und »Dub« nur mehr bis zu einem gewissen Grad, der durchaus auch melancholisch klingen kann, aber immer abgeklärt, warm und durchdacht bleibt. Die erste Single »Prostor izmedju nas« klingt nebenbei wie ein 70er-Avant-Rock-Hit. Nicht nur, dass das sensationell neu, frisch und überhaupt nicht an- oder abgestaubt klingt. Vielmehr besticht auch die Leichtigkeit mit der Darkwood Dub hier um die eigenen Ecken denken. Große Band, große Platte!

VÖ: 10.12.2004 auf B92 Records
INFO: www.darkwooddub.com

Boltzplatz Heroes – 17.02.2005


Nicht so gut wie erhofft. Nicht so schlecht wie befürchtet.

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»Supergroups« haben es nie leicht. Da lastet schon von vornherein der Druck der vielen Namen, die im Hintergrund stehen, die Erwartungen, die sie mit sich bringen. Bei den Boltzplatz Heroes ging es genau deshalb vielleicht auch darum, diesem Druck entgegen zu arbeiten. Oder entgegen zu schlagen, besser gesagt.

Eine Rückbesinnung auf alte Punk- und HC-Wurzeln der beteiligten Leute ist es allemal geworden. Dafür sorgt allein die ungut verzerrte Gitarre (Markus; Bassist von Cosmic Casino), die gekonnt ungekonnt ihre Linien und Akkordfolgen hervorstülpt und ohne Bassverstärkung sehr gut alleine ihre Energie vor sich herschiebt. Kaputt, verschoben, auf wienerisch... deppert scheppert das Schlagzeug (Mäcki; Drums auch bei The Notwist) seine oft kaum erkennbaren Rhythmen und Breaks vor sich hin. Der Gesang (Flo; Schlagzeug bei Sportftreunde Stiller) wird in guter, alter HC-Manier wüst unerotisch vor sich hergerotzt, und die live leider etwas unterrepräsentierten Keyboard-Arrangements (Jörg; ansonsten bei Miles) versuchen einen Eindruck von »Klangschichtung« zu vermitteln, was aber leider (und Gott sei Dank) oft scheitert. Dass fast alle eigentlich andere Instrumente spielen, als hier bei den Boltzplatz Heroes, ist insofern erstaunlich, weil es dann doch immer so klingt, als ob die Jungs nie was anderes gemacht hätten, als so zu spielen, wie sie es hier tun.

Aber Zusammenwachsen ist eine oft lange und beschwerliche Prozedur, die gerade bei Leuten, die aus so unterschiedlichen Kontexten kommen, Zeit brauchen wird. Die gemeinsamen Wurzeln (z.B. das Zusammentreffen am Nichtschulischen Fußballplatz, das die Jungs zusammengebracht hat und sie diese Idee formen ließ) sind zwar durchaus beachtenswert und mögen einen guten Anhaltspunkt für diesen Stilwirrwarr geben, aber erst die Zeit (und die bald erscheinende erste Platte) wird zeigen, ob aus den Boltzplatz Heroes ein neuer Stern am deutschen Indierock-Himmel wird.

Tiger Lou + Fire Fox + Torpedo - 16.02.2005


Ein schwedischer Abend, dem sowohl die Kälte außerhalb, als auch die Wärme innerhalb der kleinen Halle der Arena gerecht wurde.

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Den Anfang machte Fire Fox (also unknown as Andrea Kellermann), die eigentlich mit der Hauptfigur des Hauptacts, Rasmus Kellermann von Tiger Lou, ehelich verbunden ist. Ihr bezauberndes Programm führte uns in sehr verschlungene, schöne Songs mit Drumcomputer, Gitarre und Stimme, die oft sehr tanzbar-punkig treiben konnten, die schwedische Feuergruppe Telefuchs quasi, und dann wiederum aber sehr berührend und zerbrechlich wirkten. Nicht selten weckte sie Assoziationen an Gustav oder Björk, auch wenn sie doch irgendwo ein sehr eigenes, geheimnisvolles Verständnis von der Wechselwirkung zwischen Dynamik und Emotion hat. Eine der sympathischsten Erscheinungen der letzten Zeit.

Danach erklommen Torpedo kurz die Bühne, um mit einer etwas lauteren Version von JoyDivision-angeschwängerten Indie-Punk loszukrachen. Volle Bandbesetzung, volle Lautstärke und ein Sack voll leider mittelmäßiger Ideen, die nie über ihren eigenen Schatten springen konnten.

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Versöhnlich zu Ende ging es mit einem bezaubernden Konzert von Tiger Lou. Die Warmherzigkeit der hier präsentierten Musik haust irgendwo tief in jenen Bereichen der Großhirnrinde, die sich sonst scheuen ihren Kommentar zum Weltgeschehen abzugeben. Musik die große Gesten wie auch kleine Geschenke fabelhaft beherrscht. Musik, deren Emotion fast immer greifbar ist, und deren Gespieltheit sich nicht versteckt, nicht damit geizt, nicht so-tut-als-ob. Und das ist auch ihre größte Stärke, nicht ins Peinliche zu verfallen; genau deswegen kann Tiger Lou mit kompaktem, aber »belanglosem« Indie-Emo-Pop so glücklich machen. Es stellt sich hier nicht mehr die Frage »Wann hast du das letzte Mal geweint? «, sondern »Warum hast du es niemandem erzählt? «. Dankbar, und vielleicht überrascht gehen die Leute nach dem Konzert hinaus und fragen sich, warum jemand so nah am Kitsch entlangschrammen kann, und trotzdem so gut funktionieren kann.

Draußen mag es kalt sein. Aber ein wenig wärmer als vor dem Konzert ist es allemal.

Café Drechsler – 15.02.2005


Drei Jazzern wird nie langweilig. Als Live-Präsenz wird bei Café Drechsler immer veranschaulicht, wie Tanz auch zu konzeptueller Improvisation funktionieren kann.

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Die drei Herren um Café Drechsler werden nicht müde, die Konzerthallen zu besuchen. Sie spielen sich von einem vollen Haus ins nächste und zeigen dabei erstaunlich viel Durchhaltevermögen und Konsequenz. Zu ihrer aktuellen Platte »Radio Snacks« gastierten sie nun auch im Chelsea vor gut gefülltem Haus. Ein Abend wie viele andere.

Was in anderen Fällen durchaus negativ klingen mag, ist aber bei Café Drechsler durchaus positiv gemeint – lässt man sich mal auf ihren Sound ein. Schlagzeug, Kontrabass und Saxophon jagen sich von einer Pause zur nächsten, erklimmen Intensitäts-Gipfel und berauschen förmlich mit einer gut tanzbaren, sauber gespielten Rhythmus-Idee. Cleveres Entertainment zum Abschalten.

Natürlich ist das alles langweiliger, wenn nicht gar ideenloser Jazz, der nicht viel mehr zu bieten hat, als die Supermarkt-Musik um die Ecke, und der einem auf Platte womöglich gar nicht auffallen würde, wenn er im selben Zimmer läuft. Aber steht man mal weiter vorne, vor dem Trio, und lässt einmal dem Tanzbein seinen Lauf, kann ein Abend mit Café Drechsler ein sehr schönes, entspannendes Erlebnis werden. Dazu muss man nicht viel nachdenken. Und das ist wahrscheinlich auch besser so.

The Beautiful Kantine Band – 14.02.2005


Auf dem Weg zur perfekten Surf-Welle und -Musik biegt die Beautiful Kantine Band sehr selten falsch ab. Was auch live eindrucksvoll unter Beweis gestellt wird.

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Man muss es immer wieder sagen: Diese Anzüge sitzen perfekt. Diese Riffs sind genau richtig gestimmt. Und diese Energie muss genau dahin, wohin sie letzendlich auch immer wieder landet: in den tanzenden Körpern der Beautiful Kantine Band-Hörer.

Ihre spröden, althergebrachten Songs sind immer an der Kippe zum Kitsch und ihr Beat ist ein einziges, treibendes Fiasko. Tanzmusik mit einer Prise Melancholie, reichlich angeschwängert mit jener Portion 60ies, die nicht nur psychedelisch, sondern auch punkig wirken kann. Schlager, die bei der Weggabelung »Elvis <> Beach Boys« einfach geradeaus gehen und denen ihre verspielten und unverkopften deutschen Texte extrem gut stehen. A propos…. Erwähnte ich, dass die Jungs auch einfach verdammt gut aussehen?

The Beautiful Kantine Band haben mit ihrem Album »Rock ´n Roll hat unserem Leben einen neuen Sinn gegeben« einiges an Anerkennung eingeheimst. Als Live-Band sind sie vermutlich die beste denkbare Werbung für dieses Album. Gerade ein enthusiastisches und wildes Drum-Set sorgt für die nötigen Bewegungen auf der Bühne, die quasi wellenartig das Publikum mitnehmen können. Nach über einer Stunde Rock und etlichen Zugaben ist dann doch auch die Frage geklärt, ob es erlaubt ist »Retro« cool zu finden. Bei der Beautiful Kantine Band ist die Antwort klar »Ja«.

Der Fremde


»Der Fremde« (Lo Straniero) (IT 1967, Luchino Visconti)

»Ich will Deine Gebete nicht. Du siehst so sicher aus, so selbstbewußt, doch im Grunde ist nichts von dem, was Du Sicherheit nennst, auch nur ein Frauenhaar wert. Du bist Dir Deines Lebens ja gar nicht bewußt, weil Du wie ein Toter lebst. Ich weiß, ich weiß, ich stehe jetzt mit leeren Händen da, doch ich bin wenigstens meiner sicher – so sicher wie nie, sicher meines Lebens und des Todes, der mich erwartet. Ich habe sonst nichts, das ist alles, aber damit besitze ich doch wenigstens die Wahrheit. Was kümmert mich der Tod der Anderen oder die Liebe meiner Mutter? was geht mich Dein Gott an?«

– Arthur Meursault (M. Mastroiani) in Viscontis »Lo Straniero«, nach Albert Camus

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* * *

»Ich fing an zu toben und beschimpfte ihn und sagte, er solle nicht beten. Ich hatte ihn beim Kragen seiner Soutane gepackt. Was ich auf dem Herzen hatte, goß ich freudig und zornig über ihn aus. Er sehe so sicher aus, nicht wahr? Und doch sei keine seiner Gewißheiten ein Frauenhaar wert. Er sei nicht einmal seines Lebens gewiß, denn er lebe wie ein Toter. Es sehe so aus, als stünde ich mit leeren Händen da. Aber ich sei meiner sicher, sei aller Dinge sicher, sicherer als er, sicher meines Lebens und meines Todes, der mich erwarte. Ja, nur das hätte ich. Aber ich besäße wenigstens diese Wahrheit, wie sie mich besäße. Ich hätte recht gehabt, hätte noch recht und immer wieder recht. Ich hätte so gelebt und hätte auch anders leben können. Ich hätte das eine getan und das andere nicht. Und weiter? Es war, als hätte ich die ganze Zeit über auf diese Minute und auf dieses kleine Morgenrot gewartet, in dem ich gerechtfertigt würde. Nichts, gar nichts sei wichtig, und ich wisse auch warum. Und er wisse ebenfalls warum. Während dieses ganzen absurden Lebens, das ich geführt habe, wehe mich aus der Tiefe meiner Zukunft ein dunkler Atem an, durch die Jahre hindurch, die noch nicht gekommen seien, und dieser Atem mache auf seinem Weg alles gleich, was man mir in den auch nicht wirklicheren Jahren, die ich lebte, vorgeschlagen habe. Was schere mich der Tod der anderen, was die Liebe einer Mutter. Was schere mich Gott, was das Leben, das man sich wählt, das Geschick, das man sich aussucht, da ein einziges Geschick mich aussuchen mußte und mit mir Milliarden von Bevorzugten, die sich wie er meine Brüder nannten!«

– Arthur Meursault in Camus’ »L’Étranger«, übersetzt von Georg Goyert und Hans Georg Brenner

Matt Elliott - "Drinking Songs"


drinking songsDas ist also die Fortsetzung des vielbesprochenen Erstlings »The Mess We Made«. Matt Elliott a.k.a. Third Eye Foundation stirbt wieder. Wieder verspricht sein »wirkliches« Alter Ego die Abkehr von den düsteren Drum ´n Bass-Tüfteleien und die Besinnung auf traurig-melancholische Minimal-Songs. Wieder sehen wir dem armen Kerl beim leiden und trinken zu. Klavier und Gitarre surren um sehr weit entfernte Stimmen herum, breiten sich wie Teppiche in unseren Seelen aus und bilden oft elegische Emotionstürme, die gut und gerne auch an Godspeed You! Black Emperor erinnern dürfen.
Was auf »Drinking Songs« herausragt, ist ein starker Bezug zu slawischen Klängen, die uns nie vergessen lassen, dass es doch noch irgendwo auch Tanz und Freude im Suff gibt. War der Vorgänger die Platte eines »ertrinkenden Matrosen« (skug-Review), so ist »Drinking Songs« die Platte eines russischen Kneipenbesitzers, der Folk mit Jungle verwechselt. Im letzten Track landet Elliott doch wieder bei einem 20-minütigen D ´n B-Fiasko. Wir sehen ihm staunend dabei zu, wie er rückwärts taumelnd die ganze Pop-Welt auf seinen müden Schultern ausbalanciert. Ein Kunststück, das.

VÖ: 21.03.2005 auf Ici d' ailleurs
INFO: www.thirdeyefoundation.com

Adam Green - "Gemstones"


gemstonesEin Wunder, der Kerl. Was mal den Stil »Anti-Folk« betiteln sollte, wurde in seinen Händen zu einem der konsensfähigsten und erfolgreichsten Musikphänomene unserer Zeit – in Europa, wohlgemerkt. Seine Heimat Amerika, wo seine Texte nicht halbaufmerksam gelesen werden wie bei uns, wird mit seiner pubertär-subversiven Naivität nicht warm. Adam Green greift schließlich auch tief amerikanische Mythen an, wenn er den Indie-Sinatra mimt oder Jessica Simpson lieblos tituliert. Allein die unterschiedlichen Lesarten seiner Musik, die möglichen ironischen Brechungen und verzwickten, aber unaufdringlichen Um-die-Ecke-Hüpfer, erklären zum Teil seine Kredibilität bei der Ö3- wie auch bei der suhrkamp-Kundschaft. Sein gerade erschienenes Buch »Magazine« wird immerhin von Thomas Meinecke übersetzt und soll das » »On The Road« meiner Generation« sein.
»Gemstones«, die Fortsetzung dieser Erfolgsstory, ist der Soundtrack zum Broadway, den Adam Green die letzten Jahre auf- und abgegangen ist. 15 weitere Pop-Perlen, die vielleicht etwas reifer wirken als diejenigen vom Hit-Vorgänger »Friends Of Mine«, die aber trotz allem funkeln, sich winden, deren Themen und Hauptfiguren öfter sterben oder wechseln als es den identifikationssüchtigen Zuhörern lieb ist. Die bei der letzten Tour quasi unterwegs geschriebenen Songs leben irgendwo zwischen Mythos und Wirklichkeit, und stellen ein kaum ergründbares, weil vielschichtig verwobenes und gleichzeitig leeres Sprachspiel dar. Hätte die Postmoderne das »Genie« nicht umgebracht, wäre er vielleicht der neue Dylan.

VÖ: 10.01.2005 auf Rough Trade
INFO: www.adamgreen.net

Sabine Christiansen erschießen



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Allsonntäglich entfaltet sich ab 20 Uhr die neue deutsche TV-Dreifaltigkeit: Tagesschau, Tatort, Talk mit Sabine Christiansen. Nach den Mythen der Tagesschau (Staatsmänner, Kriege, Katastrophen, Sport) und den tröstlichen Gewissheiten des Tatorts (Alle haben Dreck am Stecken) sondiert Sabine Christiansen das Gesellschaftsterrain. Unerbittlich stellt sie Fragen, die in das Dunkel unserer Zukunft weisen. Es treten auf: die Lobbyisten und ihre Statthalter im Parlament. Multimillionäre warnen davor, dass es kurz vor zwölf sei. Aber, bitte sehr, man könne ja auch ins Ausland gehen. Politiker führen entschlossen das Drama der Sachzwänge auf. Die große Koalition der Dauerreformer gibt sich die Ehre. Fast noch wichtiger als das, was gesagt wird, ist, was systematisch nicht gesagt wird. Komplexe Themen werden dramatisch vereinfacht und fortan in diese Richtung öffentlich diskutiert. Insofern eignet sich diese Sendung wie keine andere, um zu begreifen, wohin die Deutschland AG steuert. (Klappentext)

Medienkritik ist wahrlich nichts neues. Von Platons Schriftkritik über Wittgenstein bis hin zu Luhmann und den Hyperlink-Theoretikern scheint das Thema derart beackert, dass die meisten nur noch müde abwinken: »Alles schon gehört, längst erledigt, Thema für Alt-Linke und Rhetorik-Spinner«.

Jaja, aber: Eine direkte Verzahnung der medien-/schrift-/kulturkritischen Theorien mit ihren praktischen Sujets scheint mir nur anhand von soziologischen Fallstudien zu existieren, deren Ergebnisse zwar verwertet, aber nicht von beliebigen Lesern direkt nachvollzogen werden können. Deshalb meine Freude über dieses Buch. Aha, dachte ich mir, da packt endlich mal jemand am konkreten Beispiel die Quasselrunde an den Eiern. Dachte ich. Geschnitten.

Denn obwohl der Klappentext, der Titel und das Umschlagbild eindeutig signalisieren, es gehe um ebenjene Talkshow »Sabine Christiansen«, will van Rossum eher den ganz großen politischen Bogen schlagen. Die Sendung scheint nur als Feigenblatt für die unverhohlene Neoliberalismus-Kritik van Rossums zu dienen. Natürlich hat diese Kritik ihre Berechtigung, immer mehr sogar. Aber van Rossum muss sich schon die Frage gefallen lassen, warum er dann das trojanische Pferd »Praktische Medienkritik« reiten muss. Zumal seine Analysen bisweilen ins Konspirative hineinragen. Wenn er zum Beispiel in stets gallig-polemischen Ton die Politiker, die Sendung und die Frau Christiansen in einen kausalen Zusammenhang setzt, als würden sie gemeinsam in den Katakomben des Bundestages das nächste Unheil aushecken, um den kleinen Bürger bluten zu lassen. An solchen Stellen geht van Rossum zu weit, weil er es sich zu einfach macht. Richtig dagegen seine (hier leider nur: impliziten) Beobachtungen zur gegenseitigen Einflußnahme von Politik und Medien und den dadurch produzierten Wahrheiten. Aber auch das kann man anderswo besser, tiefer und sorgfältiger argumentiert nachlesen (empfohlen sei hier Andreas Dörners »Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft«).

Noch ein Buch muss erwähnt werden: Der von Stefan Münker und Alexander Roesler herausgegebene Reader »Televisionen« befasst sich mit der goldenen Vergangenheit, ernüchternden Gegenwart und – so die Herausgeber – düsteren Zukunft des Leitmediums Fernsehen. Highly recommended!

[Nachtrag: »Die Gastgeberin, von Anbeginn ihrer Laufbahn darin geübt, einen nicht vorhandenen Verstand zu simulieren, spricht analog ihrer Sendung eine Bedeutung zu, die sie nicht hat«]


Walter van Rossum: »Meine Sonntage mit ›Sabine Christiansen‹. Wie das Palaver uns regiert«. – Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004, 3. Auflage [=KiWi Paperback 831] | 185 Seiten; 8,90 €; ISBN: 3-462-03394-8 | Amazon | Buecher.de

Andreas Dörner: »Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft«. – Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, 1. Auflage [=edition suhrkamp 2203] | 256 Seiten; 11 €; ISBN: 3-518-12203-7 | Amazon | Buecher.de

Stefan Münker, Alexander Roesler (Hrsg.): »Televisionen«. – Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, 1. Auflage [=edition suhrkamp 2091] | 239 Seiten; 7 Abb.; 10 €; ISBN: 3-518-12091-3 | Amazon

RTX - 13.02.2005


Jennifer Herrema wollte nur spielen. Beziehungsweise singen, wenn man das so nennen will. Für ihr Solo-Debüt »Transmaniacon« gastierte die Ex-Royal-Trux-Göttin im Wiener Flex, und machte neben einem schlechten Eindruck auch alle Befürchtungen zunichte, das könnte ein langweiliger Abend werden.

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Bei ihrem ersten Auftreten auf der Bühne hatte Jennifer eine Zigarette im Mund. Etwa eine halbe Stunde wird es dauern, bis sie sich daran erinnert, sie anzuzünden. Immerhin war das Feuer dieser Zigarette völlig nebensächlich im Vergleich zu dem, was sie und ihre Band an Feuer auf der Bühne entfachen sollten. Trocken, gediegen, absolut unantastbar und laut war das Motto des Schwermetalls, das sie uns präsentieren wollte. Gehustet und geröchelt warf sie uns ihre Textfetzen hin, sofern sie ihr selbst noch einfielen. Gitarre und Bass gestimmt auf »Heavy Rock ´n Roll« bemühten sich um alles – außer Empathie.

Alles in allem lässt einen so eine Show, so eine Performance doch staunend zurück. Jennifer Herrema schert sich einen Dreck um den »nötigen« Gestus oder die »coolen« Riffs. Sie trug eine weiße (?) Toga mit schwarzem Adler hinten und vorne drauf und unendlich kaputte Jeans; die gewohnt hellweißen Haare verdeckten ein ekstatisch verzerrtes Gesicht. Eine Erscheinung, die allein schon wegen ihrer Instabilität sehenswert war. Wenn dann mal für zwei Lieder das Mikro ausfällt (oder von ihr selber abgedreht wird?), ist es auch kein Problem. Wer´s hören will, soll näher kommen.

Es mag zur Debatte stehen, ob RTX nun besser oder schlechter oder was anderes oder was unbedeutendes im Vergleich zu Royal Trux ist. Es mag fraglich sein, wie lange jemand wie Jennifer Herrema es so noch aushält. Es mag auch fraglich sein, ob sie uns nicht schon längst in den Rehab-Kliniken dieser Welt mit ihrem schrecklichen Gejaule verschonen sollte. Aber gewiss ist, dass 40 Minuten RTX live absolut ausreichen, um auf den Punkt zu bringen, dass diese Person, diese Musikerin, diese Rock-Lady immer noch die Kraft hat, kaputt genug zu sein, um uns allen vorzuhalten, was für glückliche, perfekte Schweine wir doch alle sind. Und dafür sollten wir dankbar sein.

Boris Kovac & La Campanella - 12.02.2005


Das Famose an diesem Mann ist bis jetzt nicht viel weiter als bis Graz durchgedrungen. Dort spielt er vor ausverkauftem Haus, in der Wiener Szene spielte er sein erstes Konzert vor 40 Gästen. Die aber wurden fantastisch entlohnt.

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Boris Kovac will uns auf eine Reise mitführen. Seine ungemeine Produktionswut kursiert auf vielen verschiedenen Abwegen um das Thema Geschichte und das Ende der selbigen herum. Es geht um die Frage, wie eine Welt jenseits der (blutigen) Geschichte der Menschheit aussehen könnte. Was würdest du tun am letzten Abend Menschengedenkens?

Kovac versucht diese Frage auf vielfältige Weise zu beantworten. Als Multimediakünstler hat er immer schon starke Verbindungen zum Theater gehabt, und das war auch bei diesem Konzert ein ganz wesentlicher Bestandteil: die Inszenierung. Dass ein Tanz auch wirklich getanzt, und nicht nur gespielt wird. Kovac lässt sich frei laufen, erklimmt selber mit jedem Lied, mit jedem Rhythmuswechsel neue Stufen der Erregung und der Freude. Er reist mit uns durch Zeiten und Orte, die uns oft unbekannt oder fremd wirken, lässt uns aber nie aus den Augen. Als Reiseführer ist er bester Freund, Auskenner und Discman in einem. Ein Soundtrack, der wild, impulsiv und vor allem gefühlvoll ist, begleitet uns auf dieser Reise.

Boris Kovac würde wohl das Prädikat „Ausnahmesaxophonist“ verdienen. Seine Begleiter, die das Quintett „La Campanella“ (sax, akk, drum, git, c-bass) vervollständigen, sind gutgelaunte, junge und weniger junge Männer aus Novi Sad in Serbien, die mit Spaß und Enthusiasmus die jazzigen, orientalischen, improvisierten und gut durchdachten Ideen wie Feuerwerke in den Raum schießen. Was auf Platten, wie der monumentalen Doppeledition „The Last Balkan Tango/Ballads At The End Of Time“, schon so großartig funktioniert, gewinnt live durch die überzeugende Darbietung noch mehr an Kraft und Energie. Der Tanz um den Abgrund der Menschheit herum macht Spaß. Und diese Erkenntnis von Boris Kovac präsentiert zu bekommen verleiht ihr ungemeinen Nachdruck.

Dieser Mensch ist aufgewachsen mit Van Der Graaf Generator und hört jetzt, wenn er sich mal auf aktuellen Pop/Rock einlässt, Sting. Nochmal: Sting. So weit weg voneinander liegen also Himmel und Hölle nicht. Verwirrt und träumend verlassen wir den Ort des Geschehens und hoffen, bald wieder von diesem Meister verführt zu werden. In eine Welt jenseits der Geschichte.

Giant Sand - 10.02.2005


Die Wüste ist im Exil angekommen. Zur Präsentation seines aktuellen Album „Is All Over The Maps“ gastierte Howe Gelb in der Szene Wien vor vollem Haus. Gut gelaunt und gleichzeitig berührend.

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Es darf nach Sex Pistols klingen. Der „Wüstenrock“ treibt in Dünen über die Landschaft des Publikums: Latinesque, jazzig, rockend-wie-die-Sau. Der Duft von Kakteen liegt in der Luft, und die Visuals auf der Wand liefern die passenden Bilder dazu. Giant Sand is all over the maps. Kein Fleck wird ausgespart von diesem Ungetüm an Kraft, Dichte und Leichtigkeit. Es darf auch nach Bob Dylan klingen.

Giant Sand werden von Dänen komplettiert, nachdem Joey und John (a.k.a. Calexico) sich von Howe Gelb getrennt haben. Was aber insofern nichts ausmacht, da die zentrale Rolle von Howe Gelb als Frontman, Sänger, Gitarrist, Entertainer, Motivator und Filmvorführer nie in Frage gestellt wird. Auch durch das Publikum nicht. Flirtversuche, billig oder nicht, werden ebenso billig oder nicht abgewiesen. Gelb hat Frau und Kinder, den Ehering versteckt er nicht. Er ist gut gelaunt an diesem Abend, verbreitet wohltuende Atmosphäre, scheint sich sehr sicher zu sein. Berechtigterweise, wird man nachher sagen können. Das Set von Giant Sand vereint vorzüglich alle großen Perlen dieser Musik. 20, 30 Jahre alte Singer/Songwriter-Stücke treffen auf krachenden Garage-Punk. Es ist ebenso flott und energetisch, wie still und zurückgezogen. Ebenso auffordernd, wie sophisticated.

Nur an einer Schlüsselstelle gibt Howe das Kommando aus der Hand… an einen, der es wohl selten wiedererlangen wird. Rainer Ptacek, 1997 verstorbener bester Freund von Howe, Gründungsmitglied von Giant Sand und selbst begnadetes Songwriter-Talent, übernimmt für die Dauer eines Songs die Aufmerksamkeit des Publikums. Ein Videomitschnitt eines seiner Konzerte fügt sich in das Giant Sand-Set ein, und füllt somit auch die Lücke auf, die der Tod von Rainer in den Fans seiner Musik hinterlassen hat. Howe lächelt.

Es bleibt die Erinnerung an einen wunderschönen Abend, der gezeigt hat, dass Howe Gelb (unter welchem Name er auch immer veröffentlicht) nach 30 Jahren Musikmacherei immer noch nicht genug hat. Und dass ihm dankenswerterweise die Ideen noch lange nicht ausgegangen sind.

Apocalypse: Unseen


»Wolfzeit« (Le Temps du loup) (FR/AU/D 2003, Michael Haneke)

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Leeere, leblose Städte berühren Urängste. Die Angst, als Letzter übrig geblieben zu sein. Die Angst, dass mit der Menschheit das Menschliche einer diffusen wie endgültigen Leere gewichen ist. In »28 Days Later«, einem zumindest zu Beginn ultra-minimalistischen und die Story dadurch gekonnt wiederspiegelnden Zombie-Film, wird diese Leere programmatisch: Die Zivilisation ausgelöscht. Endzeit und -spiel begegnen sich im Versuch einiger Jugendlicher, andere Überlebende zu finden. Das sind die Codes des (post-)apokalyptischen Films: Die Zerstörung von Zivilisation, die Suche nach ihr und die Verrohung und Tier-Werdung der Überlebenden in einem Stadium das Hobbes mit »Homo homini lupus« umschrieben hat, der Naturzustand. Damit berühren sich an den Rändern dieser Codes der (Anti-)Kriegs- und der apokalyptische Film und kulminieren bei Haneke in einer Brecht´schen Auffasung von der sterbenden Moral im Krieg – wohlgemerkt, ohne dass Brechts Mittel angewendet werden.

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Eine Familie (Mutter und Vater, Tochter und Sohn, eine Familie Jedermann also) fährt zu ihrer kleinen Blockhütte im Wald. Eine Szene, die man bereits aus »Funny Games« kennt und die vielleicht auch deswegen gar nicht mehr den Anschein erwecken muss, alles sei gut. Die ersten Bilder nämlich deuten bereits auf das Unausweichliche hin: Der Wald ist ein dunkler, die Bäume, durch die sich das Auto der Familie schlängelt, bilden in ihrer Abgeschlossenheit bereits die natürliche Gegenmacht zum Menschlichen. Ebenso die Blockhütte: Beinahe agoraphobisch wirkend verschluckt sie die Angekommenen und stellt sich im dunklen Inneren als winziges eineinhalb-Zimmer-Verließ dar. Überhaupt scheint dies kein normaler Wochenendausflug zu sein. Zu umfangreich ist das Gepäck der Familie und einen Vogel mitsamt Käfig führt man bei Ausflügen nur selten mit sich. Die Ahnung bewahrheitet sich: Kaum eingetreten, sieht sich die Familie mit Eindringlingen konfrontiert, einer weiteren Familie, die anscheinend in der Hütte Zuflucht gesucht hat. Bald eskaliert die Situation, der Vater wird erschossen, der Rest der Familie in die Nacht entlassen.

Der bellum omnium contra omnes ist eröffnet.

La Mala Educación


»La Mala Educación – Schlechte Erziehung« (SP 2004, Pedro Almodóvar)
Kino

Der aktuelle Almodóvar liess mich mit einem großen Fragezeichen im Gesicht aus dem Kino kommen. »La Mala Educación« (Handlung) ist entgegen der Beteuerungen nahezu jeder von mir gelesenen Kritik natürlich nicht nur ein Film ausschließlich über Männer. Es geht auch um Geschlechtszuschreibungen, um »Tunten«, die nicht einfach nur Männer in Frauenklamotten sind. Nach wie vor scheinen in den Köpfen einiger Kritiker Frauenklamotten an Männerkörpern immer nur Verkleidungen zu sein, die »Verkleideten« selbst sich nur noch nicht entschieden zu haben. Warum wird es keinem zugestanden, sich eben dafür zu entscheiden, nicht als Substitution, sondern als Ausdruck? Arroganz?

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Schön, wie Almodóvar die Geschlechtszuschreibungen dann auf ein Genre, das des Film Noir, projeziert und damit ein überaus reaktionäres Genre (neben dem Western vielleicht) überhöht und persifliert. Der Film Noir lebt von drei Dingen: einer starken, schönen, mystifizierten Frau, einem heruntergekommenen, durch geschickte Erzählung dem Zuschauer aber symphatischen (wenn stets auch gebrochenen) »Helden« und der Erzählung an sich, die sich mindestens so virtuos-verschlängelt zu inszenieren hat wie der weibliche Part des Films. All das sind auch die Bestandteile Almodóvars neuen Films – allein die Geschlechtszuschreibungen fallen hier ein wenig anders aus.

Da ist diese eigentlich tieftraurige, äußerst sensible Szene, in der der Klosterschüler seinem Pater »Moon River« vorsingen muss, während jener ihn auf der Gitarre begleitet. Er tut dies mit einer kindlichen Beiläufigkeit, fast abgelenkt mit routinierter Qualität und der dünnen hohen Stimme eines Kindes, dessen Stimmbruch noch auf sich warten lässt. Während er also singt, die Farbe, die Personenkonstellationen innerhalb der Szene, die Inszenierung von ihm und disparat des Paters bereits alles auf den (nur in seinen Auswirkungen gezeigten) Missbrauch hindeutet … wird gelacht. Gelacht aufgrund der peinlich hohen Stimme des Jungen, die anscheinend wohl schon klar macht: »Okay, Tunte, zumindest aber schwul«. Das ist dumm. Verdammt sogar.

Tocotronic: »Pure Vernunft darf niemals siegen«


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Warum Tocotronic hier bisher nur als Live-Band gewürdigt wurden, und ihre aktuelle Platte kaum Erwähnung fand, hat unterschiedliche Gründe. Faulheit war einer davon. Also haben sich die Betreiber dieses Blogs beim Riemen gerissen, und sich trotz der geographischen Entfernung von 950 km auf Synchronie geeinigt. Eine Doppel-Echtzeitplattenbesprechung, deren Chat-Log ihr nun nachlesen könnt.

* * *

[20:22] wiesengrund: Aber hier leben, nein danke. Jemand sagte mir, das klingt nach The Fall.
[20:22] wiesengrund: Dieses Riff… The Fall… astrein…
[20:22] txt: Ich weiß ja nicht. Dafür klingt es doch zu sauber.
[20:22] wiesengrund: Das auf jeden Fall(!)
[20:23] txt: Ich kann dieses Garage-Gerufe auch nicht ganz nachvollziehen. Für mich klingt das alles relativ clean.
[20:23] wiesengrund: Aber es ist im Toco-Universum doch ziemlich dreckig, monoton,…
[20:23] txt: Das schon. Und vor allem: Dunkel!
[20:23] wiesengrund: Ja! Unglaublich!
[20:24] wiesengrund: Als ich erstmals das Lied hörte dachte ich mir, das versöhnt mich mit ihnen! SO dunkel muss es klingen!
[20:24] txt: Verstehe ich. Deswegen erinnert mich das so unglaublich an die letzte Kante-Platte.
[20:25] txt: Auch mutig diese Stück als erstes auszukoppeln.
[20:25] wiesengrund: Oh, die letzte Kante… Eine Wahnsinnsscheibe, die ich mich aber noch nicht mit der Puren Vernunft zu vergleichen traue…
[20:25] txt: Naja, aber Dunkelheit, Tod/Leben/Zombies … das hat schon was gemeinsam.
[20:26] wiesengrund: Auf jeden Fall… Da bin ich echt gespannt auf die Verbindungen…
[20:26] txt: Kommt später auch noch eine recht explizite Textstelle.
[20:26] wiesengrund: Hier am Ende, wenn der Übergang zwischen Strophe und Refrain immer kürzer wird… da bekomme ich meist Gänsehaut.
[20:26] txt: Was hebt das Lied für dich so hervor?
[20:27] wiesengrund: Der Rock? Ich weiß nicht… :)
[20:27] txt: Mist, vorbei.

* * *

[20:27] wiesengrund: Aber das jetzt ist mein wirklicher Favourite… In höchsten Höhen.
[20:27] txt: Ein Liebeslied?
[20:28] wiesengrund: Gute Idee… Ich sah es immer als so eine Art »Wo steh ich?« an. Ein Fragezeichen darüber, was uns prägt und was uns bevorsteht…
[20:29] wiesengrund: Die Linearität der Zeit wird mir hier sehr anschaulich vorgeführt.
[20:29] txt: Ich glaube, was die ganze Platte macht, ist, die Stellen offen zu halten. Man kann nicht entscheiden, ob es die Liebe zu einem Menschen oder zu Zuständen ist.
[20:29] wiesengrund: Ja, da stimme ich dir zu. Sie vermeidet jedes Fettnäpfchen in dieser Hinsicht… aber ohne, dass es dadurch substanzlos wird…
[20:30] txt: Das wird ja auch programmatisch später: Diese Verneinung von festen Standpunkten.
[20:30] wiesengrund: Ja, das Hervorheben von »Graubereichen«. ;)
[20:30] txt: Genau.
[20:30] wiesengrund: Musikalisch ist »In höchsten Höhen« für mich sehr zwingend… sehr klar… sehr durchschaubar…
[20:30] wiesengrund: Und gerade daher sehr reizvoll… irgendwie.
[20:31] txt: Ja, obwohl es musikalisch eigentlich ein atypisches Stück für sie ist, oder?
[20:31] wiesengrund: Finde ich auch. Aber das gefiel eben.

* * *

[20:31] txt: Oh, Der achte Ozean. Das leiert so schön.
[20:31] wiesengrund: So weiter. Ein Lied, das mich ganz besonders fasziniert.
[20:32] wiesengrund: Und zwar wegen seiner Rezeption.
[20:32] txt: Inwiefern?
[20:32] wiesengrund: Weil jeder dazu »schräg«, »schief«, »unstraight«, »leiernd« sagt.
[20:32] wiesengrund: Ganz egal, was ich gelesen habe, über die »Schrägheit« des Songs waren sich alle einig. Woher kommt das?
[20:32] txt: Naja, ist es doch. Das setzt sich später mit dem ebenso oft angemerkten »Lalala« fort.
[20:33] txt: Ich glaube, das ist auch programmatisch. Vielleicht so eine Art V-Effekt?
[20:33] txt: Übrigens ist das Tempo auch leiernd, fällt mir gerade auf.
[20:33] wiesengrund: Für mich wirkte immer nur dieser eine schiefe Akkord kurz vor dem Refrain schräg, der Rest passt sich eigentlich ganz gut in mein gewohtnes Toco-Melodienverständnis ein.
[20:34] txt: Aber diese einzelnen Töne der zweiten gitarre, die werden doch immer so komisch gezogen?
[20:34] wiesengrund: V-Effekt… ja, das könnte sein… es würde dazu passen, dass ja mehrere Stellen des Albums in der zweiten Hälfte die erste zitieren.
[20:35] txt: Selbstreferenzen. Das können sie gut. Schon immer.
[20:35] wiesengrund: Die einzelnen Töne zerlegen die Akkorde nur, so zumindest kommt es mir vor, sie »sezieren« den Song
[20:35] wiesengrund: Die Schiffs-Metapher hab ich noch immer nicht ganz durchschaut… was er genau damit meint.
[20:36] txt: Könnte sein. Und der Gesang? Der leiert doch auch. »Hahand«, »Verstahand« und so
[20:36] wiesengrund: Die Schlussmelodie ist ein Killer.
[20:36] txt: Ich glaube das mit dem Schiff ist ähnlich wie mit dem All. Könnte ja auch ein Raumschiff sein.
[20:36] wiesengrund: Stimmt… obwohl er deutlich von »See« und eben »Ozean« spricht…
[20:37] txt: Also die Suche nach dem Entfernten. Wo eben auch keine Standpunkte mehr möglich sind.
[20:37] wiesengrund: Ja, auf dem Meer gibts keine Anhaltspunkte.
[20:37] txt: Und nun? Der Gegenentwurf?
[20:37] wiesengrund: Quasi… die Beantwortung der eigenen Zweifel vielleicht…

* * *

[20:38] wiesengrund: Eine sehr schöne Akustikgittarre eröffnet hier Keine Angst für niemand
[20:38] txt: Bin mir nicht sicher, ob das wirklich ein Zeichen für Hoffnung ist.
[20:39] txt: Auch interessant: Die Umdeutung von politischen Slogans wie hier zu »seelischen«.
[20:39] wiesengrund: Kommt mir auch nicht so vor. Aber es deutet mit Straßen und Wegen eine Bewegung an… wohin wird aber offen gelassen.
[20:39] txt: Ja. ABER: Die Straßen sind eingezäunt.
[20:39] wiesengrund: Ja, dieses TSS-zitat gefällt ganz vortrefflich.
[20:40] wiesengrund: Das ist richtig, der Zaun ist immer präsent.
[20:40] txt: Und es bleiben die »alten« Wege.
[20:41] wiesengrund: Diese düstere, dunkle Stimme neben Dirks finde ich etwas merkwürdig, die passt mir da nicht ganz ins Bild.
[20:41] txt: Da hörst du mehr als ich. ;)

* * *

[20:41] wiesengrund: :) So, Gegen den Strich, ein Ohrwurm.
[20:41] txt: Definitiv!
[20:41] wiesengrund: The Cure-Riff zu Beginn.
[20:41] txt: Und zum ersten mal das Dandy-Motiv.
[20:41] txt: Cure? Ja. Schön. Jetzt wo du es sagst…
[20:42] wiesengrund: Aber es baut dann schon ein sehr eigenes Songbild auf… ist sehr konsistent.
[20:42] txt: Der ganze Song ist ein einziges Zitat-Monster.
[20:43] txt: Musikalisch jedenfalls klingt es erstaunlich offen.
[20:43] wiesengrund: Der Refrain ist melodisch ganz nah bei meiner erinnerung an »KOOK«, ihrer meiner Ansicht nach besten Platte.
[20:43] wiesengrund: Ja, offen, das triffts gut. Und die Zitate… »Völker auf zum Gefecht« :)
[20:43] txt: Stimme ich mit dir überein.
[20:43] txt: Weisst du von wem »Wähle dir deine Fallen aus« stammt?
[20:44] wiesengrund: Nein, von wem denn?
[20:44] txt: ;) Keine Ahnung.
[20:44] txt: Aber »Talent borrows, genius steals« ist von Wilde.
[20:44] wiesengrund: :) Oh, gut… dann wird das mal nachrecherchiert.
[20:44] txt: *notier*
[20:44] wiesengrund: Ja, auch eine tolle Zeile, finde ich…
[20:44] txt: Sicher!
[20:44] wiesengrund: Bleibt die Frage, was man mit all der Zitiererei anfangen kann.
[20:45] wiesengrund: …oder wohin sie führt.
[20:45] txt: Sie würden jetzt sagen: »Ist doch egal, aber…«
Ist das jetzt wieder mal ein Bild der Liebe in Zeiten der Chole…, äh, Verzweiflung?
[20:45] wiesengrund: *lol* Das würde passen, ja!

* * *

[20:46] txt: Ah, Angel jetzt. Damit werd ich nicht warm.
[20:46] wiesengrund: Ja, erstaunlich wenige werden damit warm… auch so ein Konsens in der Rezeption.
[20:46] txt: Wirklich? Ich habe zu wenig gelesen über die platte bisher.
[20:46] wiesengrund: Ich finde den refrain einfach ideenlos… als ob ihnen einfach nicht mehr eingefallen wär.
[20:47] txt: Und gab es das mit dem »weißen Papier« nicht schon auf einen anderen Toco-Platte?
[20:47] wiesengrund: Vielleicht auf der weißen, die kenn ich echt nicht so gut…
[20:47] txt: Deine Hass-Platte oder?
[20:47] wiesengrund: Ja, ohne Frage. :)
[20:48] wiesengrund: »Angel« würde dort nicht Fehl am Platze sein, kommt mir vor…
[20:48] txt: Ich finde den Anfang des Textes so unglaublich blöd. Dieses »Weine nicht usw.«
[20:48] wiesengrund: Vielleicht ist es genau das, was mich auch an dem Song stört.
[20:49] wiesengrund: Ja, der wirkt etwas … ideenlos, wie gesagt. :9
[20:49] txt: Naja, ich mochte die weiße. ;)
[20:49] wiesengrund: Ja, aber lass uns nicht von der weißen reden, das hat mich z.B. am SPEX-interview mit den Tocos sehr gestört.
[20:49] txt: Ich schweige ja schon ;)

* * *

[20:49] txt: Aber es macht schön viel Platz für mein Lieblingstück, das jetzt gleich folgt, Pure Vernunft darf niemals siegen.
[20:50] wiesengrund: Ja, das nächste Stück ist da wirklich ein Hammer…
[20:50] txt: Allein diese fließende gitarre. Ein Hammer!
[20:50] wiesengrund: Ja, sehr plastische Bilder kommen da in mein Hirn.
[20:50] txt: Muss was lauter machen …
[20:50] txt: Hier auch wieder: »Universum«.
[20:51] wiesengrund: Wegen dem Song wurde das Album z.B. von vielen Altherren-Kritikern verrissen… »Wer solche simplen Texte schreibt, kann nicht erwachsen sein« … als ob das was Erstrebenswertes ist.
[20:51] wiesengrund: Oh, dieser wilde Refrain erinnert mich an – ach du meine Güte – Firewater!
[20:51] txt: Naja, dümmer gehts doch nicht. Das ist so das Niveau von »Die haben einen schlechten Schlagzeuger«
[20:52] wiesengrund: Genau! :)
[20:52] txt: Firewater? Das sind deine Helden. Mit denen kann ich nicht.
[20:52] txt: Das schichtet sich gerade so schön auf. Lage für Lage.
[20:52] txt: Und jetzt der »Lalala«-Part
[20:52] wiesengrund: Dieser Walzer-Rhythmus ist so Un-tocotronisch, oder irr ich mich da?
[20:52] txt: Total!
[20:53] txt: Die zweite Gitarre könnte hier auch ein Bläser sein.
[20:53] wiesengrund: »Tief im Inneren spalten« … Wahnsinnstext!
[20:53] txt: Das hat so unheimlich viel Kraft!
[20:53] txt: Sorry, dumme Platitüde.
[20:53] wiesengrund: Ja, Bläser!!! :) Aber dann wärs schon ein reiner Firewater-Song, das sag ich dir ;)
[20:53] txt: Hehe. Jetzt das Finale »Wir sind so leicht…«
[20:54] wiesengrund: Unglaublich. Dass sie sowas noch können … das hat mich echt erstaunt.
[20:54] txt: Beim Konzert hatte ich an dieser Stelle einen irre dicken Kloß im Hals.

* * *

[20:54] txt: Cheers for Fears
[20:54] wiesengrund: Kann ich mir gut vorstelllen. So der Lagerfeuer-Beginn.
[20:55] txt: Ja, ich alter Hippie :)
[20:55] txt: Noch ein Song, der mich nicht bekommt.
[20:55] wiesengrund: Aber ganz Hippieesque ist es ja nicht, da ist noch was…
[20:55] wiesengrund: so was 80er-mäßiges.
[20:55] txt: 80er?
[20:55] wiesengrund: Ich finde diese Fast-Drummaschine sehr interessant, auch ein Toco-Novum in der Form…
[20:56] txt: Ich dachte eigentlich, es wäre eine. Ist es nicht?
[20:56] wiesengrund: Na, dieses Keyboard, diese an die Wand gepinselte Atmosphäre, die sich breit machen will. Das erinnert mich so an 80er-Serien-Vorspannmusik.
[20:56] wiesengrund: Ich kanns mir nicht vorstellen…, abher womöglich hast du Recht :)
[20:57] wiesengrund: »Lost and proud« … ab hier wirds mir auch etwas unangenehm.
[20:57] txt: Ja, da wird sich zu Unrecht etwas angeeignet, glaub ich.
[20:58] wiesengrund: Das hätte ein Instrumental bleiben sollen. Dieser Aspekt gefällt mir durchaus, aber der Text stört mich.
[20:58] txt: Neenee, da brauch ich mehr Wein zu…
[20:58] wiesengrund: Prost! :D

ticker_tocotronic_2

* * *

[20:58] txt: Ah, Alles in allem, das wiederum überzeugt mich vollkommen.
[20:58] wiesengrund: Ja, befreiender Anfang. Das »hebt ab«…
[20:59] wiesengrund: Ist ein ganz ganz großer Song für mich, ja…
[20:59] txt: sind Überhaupt viele Stellen, wo es zu fliegen beginnt. Trotz der kompakten Profuktion.
[20:59] wiesengrund: Da denkt die Gitarre schon etwas in den verzerrten Maßstäben, wie auf »Mein Prinz« das gleich kommt, und in der Hinsicht wirklich hervorsteht.
[21:00] txt: »So steht es geschrieben oder auch nicht«: Großartig!
[21:00] wiesengrund: Die kompakte »Profunktion« ist allerdings genauso toll wie die komnpakte »Produktion«! :)
[21:00] txt: Jaja, elende Schnellschreiber.
[21:00] wiesengrund: Wie gesagt, manchmal sind sie auch sehr profuktiv, die vertippser.
[21:01] txt: Hehe. Verschreiber? Wo? Ich doch nicht! *entrüst*
[21:01] wiesengrund: Diese Gitarre, erinnert mich auch stark an Cure…
[21:01] txt: Ich finde sie jetzt aber doch nicht mehr so luftig. Das wird immer hermetischer.
[21:01] wiesengrund: Diese Pause jetzt fügt sich, finde ich, gut ein … eröffnet eine neue Dimension …
[21:02] txt: Ja. Was soll dieses Stöhnen eigentlich?
[21:02] wiesengrund: …um dann nochmal loszutreten…. simple Dramaturgie… gut umgesetzt.
[21:02] txt: Ah, Fassbinder jetzt :)
[21:02] wiesengrund: Ja… :)

* * *

[21:02] txt: Nun also Mein Prinz.
[21:02] wiesengrund: Da brettert »Mein Prinz« los.
[21:03] txt: Sag ich doch. ;)
[21:03] txt: Vielleicht der beste Text auf dem Album?
[21:03] wiesengrund: Vielleicht, ja… Jedenfalls bleibt er am stärksten hängen… von Anfang an.
[21:04] txt: Oh, da finde ich aber »Pure Vernunft« eingängiger.
[21:04] wiesengrund: Wirklich? Das hat bei mir etwas länger gedauert.
[21:04] wiesengrund: Die Melodik von »Mein Prinz« ist sehr kompakt… fast schon zu kompakt.
[21:04] txt: »Pure Vernunft« hat mich sofort gehabt. Die anderen Lieder dauerten länger (also so zwei Stunden oder so).
[21:04] wiesengrund: Aber sie packt mich immer wieder… ohne Frage.
[21:05] txt: Ich glaube, das macht die zweite Gitarre hier.
[21:05] wiesengrund: :) Zwei Stunden können auch eine Ewigkeit sein…
[21:05] txt: Das ist schon ziemlich eklig irgendwie.
[21:05] wiesengrund: Eklig?
[21:05] txt: Naja, diese »fette« Gitarre.
[21:05] txt: Irritiert mich immer wider.
[21:06] wiesengrund: Ja, die ist … die hat mich einfach von Anfang an erfasst.
[21:06] txt: Hört sich an wie über meinen uralten Roland gespielt.
[21:06] txt: Komisch halt.
[21:06] txt: *schwurbel*
[21:06] wiesengrund: DA! Einmal kurz bricht die Stimme aus dem Melodiebogen aus! Passiert auf »Aber hier leben« auch einmal kurz… ganz eigenartige Stelle!
[21:07] txt: Ja, das würde auch wieder zu der V-Effekt-Theorie passen.
[21:07] wiesengrund: Du hast einen uralten Roland? :)
[21:07] txt: Naja, so dreizehn, vierzehn Jahre alt.
[21:07] wiesengrund: Wow! Das ist uralt… vielleicht benutzen die Tocs ja auch so einen… ich würde es ihnen nicht übelnehmen.

* * *

[21:07] txt: So jetzt aber Kante-Alarm: Tag der Toten.
[21:07] wiesengrund: Okay, »Tag der Toten«, das kriegt mich eher nicht so, und dich?
[21:08] txt: Musikalisch finde ich das, puh, belanglos. Aber textlich!
[21:08] wiesengrund: Textuell ist da der Kante-Fleck, ja.
[21:08] txt: Überhaupt ist hier eine große Text/Musik-Diskrepanz, die sonst auf dem Album gar nicht auftaucht.
[21:09] wiesengrund: Bleibt die frage, wie lange »Zombi« noch Wellen schlagen wird in der deutschen Pop-Landschaft.
[21:09] txt: Hat es das überhaupt?
[21:09] wiesengrund: Ja, das stimmt, da passt was nicht zusammen.
[21:09] wiesengrund: Oh, ich hab das schon so empfunden.
[21:10] wiesengrund: Aber vielleicht übertreibe ich ja auch stark mit meinen Projektionen.
[21:10] txt: Naja, bei »Pop-Landschaft« denke ich an die Helden, Sportfreunde und sowas.
[21:10] wiesengrund: Ach so. :)
[21:10] txt: Aber ich glaube »Zombi« hat viel Einfluß auf die Musiker an sich gehabt.
[21:10] txt: Oh Gott, schickt mir die Korrektur vorbei!
[21:11] wiesengrund: :) Aach was!
[21:11] txt: Ich meinte deutsche Musiker aus dem ehemaligen Hamburger-Schule-Umfeld.
[21:11] wiesengrund: Ja, die auf jeden Fall.
[21:11] txt: Was hälst du von den Toco/Blumfeld-Vergleichen?
[21:11] wiesengrund: Aber jetzt Schluss mit Kante. Auf zu…

* * *

[21:12] txt: In tiefsten Tiefen
[21:12] wiesengrund: Toco/Blumfeld hab ich nie so ganz verstanden. Kante/Blumfeld ja noch eher…
[21:12] wiesengrund: Liegt aber vielleicht daran, dass ich Blumfeld nie verstanden und/oder gemocht habe.
[21:12] wiesengrund: Und mit den Tocos bin ich immerhin aufgewachsen. :)
[21:12] txt: Naja, sonst ja auch nicht. Aber bei diesem Album und dem letzten Blumfeld-Album?
[21:13] txt: Egal.
[21:13] txt: Das mag ich auch nicht wirklich. Hat so was belämmert-ätherisches.
[21:13] wiesengrund: »Von hier aus gehen wir weiter, von hier aus können wir scheitern« … sagt der Feuerwehmann ins Megaphon.
[21:13] txt: Hihi.
[21:13] txt: Letzter Song schon?
[21:14] wiesengrund: Ja.

* * *

[21:14] wiesengrund: Dieses unglaublich traurige, bewegende Ich habe Stimmen gehört.
[21:14] wiesengrund: Der Opener aller ihrer Konzerte bis jetzt…
[21:14] txt: Ein würdiger Abschluß auf jeden Fall.
[21:14] wiesengrund: Diese einsame Wüsten-Gitarre… Morricone lässt grüßen.
[21:14] wiesengrund: Ja, würdig auf jeden Fall.
[21:15] txt: Das ist unheimlich laid-back und trotzdem zwingend.
[21:15] wiesengrund: Ja, genau!
[21:15] wiesengrund: Und wie es dann da hinaufbaut…
[21:15] txt: Und jetzt … wumm!
[21:15] wiesengrund: Zu diesen Höhepunkten, die dann erlöst werden von Morricone höchstpersönlich.
[21:15] txt: Nein, nicht wirklich wumm, eher semi-wumm.
[21:15] wiesengrund: »semi-wumm«. Genau!
[21:15] wiesengrund: :)
[21:16] txt: Morricone ist aber ein schöner Vergleich.
[21:16] wiesengrund: Dieses »frei sein und gehen« als letztes Statement.
[21:16] txt: »Ich hab ins Dunkel gesehen« könnte auch als Resümee des Albums gelten.
[21:16] wiesengrund: Ich habe mich oft gefragt, ob das der perfekte Song ist, um eine Bandkarriere zu beenden.
[21:17] txt: Mal keinen Teufel an die Wand!
[21:17] txt: Aber du hast Recht.
[21:17] wiesengrund: »Die Schwelle gekreuzt in die Unendlichkeit«
[21:17] txt: »Ich habe Feuer gesehen«
[21:17] wiesengrund: Ja, es past alles irgendwie zu diesem Bild… und programmatisch als ersten Song auf den Konzerten… als Überschrift… als Resümee.
[21:17] txt: *schauder*
[21:18] wiesengrund: Irgendwie könnte ich es ihnen auch nicht übelnehmen. Besser mit so einem Album aufhören, als mit dem weißen. ;)
[21:18] txt: Wobei ich es als Opener nicht wirklich gut finde.
[21:18] wiesengrund: Ich auch nicht!
[21:18] txt: Nein, da kommt noch einiges, glaube ich. Nach so einem Album muss noch mehr da sein.
[21:18] wiesengrund: Der Schluss, mit dieser Bass-Spielerei ist für mich ganz »Rock Pop in Concert«-mäßig.
[21:19] txt: stimmt. Wäre ich jetzt auch nicht drauf gekommen. Noise-alarm jetzt.
[21:19] wiesengrund: Ja, die Unendlichkeit… die Freiheit… das Losbrechen.
[21:19] txt: Das weiße Rauschen.
[21:19] txt: Und aus.

* * *

[21:19] wiesengrund: Toll.
[21:19] txt: Beeindruckend.
[21:20] txt: *Zur Flasche greif*
[21:20] wiesengrund: :) Prost!
[21:20] wiesengrund: Ich denke, dass trotz dieser wenigen Lücken, es so eine Platte ist, die als ganzes funktioniert.
[21:21] txt: Ja, obwohl die Stücke für sich stehen, ergibt sich aus dem ganzen eine eigene Geschichte.
[21:21] wiesengrund: Und die kann dann »Pure Vernunft darf niemals siegen« heißen…

Blood Brothers - "Crimes"


bloods - crimesNein. Das ist nicht das sanfte „Burn, Piano Island, Burn“. Das ist nicht die verweichlichte, schwächelnde Version des Wirrwarrs, das die Blood Brothers mit ihren ersten bisherigen Platten hinterlassen haben. Das ist nicht das Zurückschrauben der bekannt-beliebten kontrollierten Hysterie. Das ist nicht Verrat, nicht Resignation und auf gar keinen Fall Langeweile. Wer all das befürchtet und/oder gehört hat im Vorfeld von „Crimes“, dem mittlerweile vierten Album der Jungs aus Seattle, dem oder der sei gesagt: Nein.



Was auf „Crimes“ passiert ist mehr als erstaunlich. Die Qualität der Blood Brothers, ihr unbeschreibliches Vermögen, Songstrukturen durch ihre ansozialisierte Post-Punk-Hardcore-Brille zu zerschmettern und hysterisch von einem Höhepunkt zum anderen zu kreischen, wandelt sich hier in sehr vielschichtiger Weise. Die Ungreifbarkeit ihrer Musik durchläuft Prozesse der Läuterung, windet sich unwillig, verstärkt sich oft dadurch. Die Anstrengung, die sie den Zuhörern zumuten, ist nicht nur oberflächlich zu spüren (verzerrte Songideen, unkontrollierbare Rhythmen, die Distortion der gefährlich tief gestimmten Gitarre im Refrain von „Peacocks Skeleton With Crooked Feathers“), sondern tritt in verschiedenen Faschingsmasken auf (Soul, Händeklatschen, die großen Augen eines Kindes vor dem Candystore), die immer wieder aufs neue das „Blood Brothers“-Konzept im Kopf der Zuhörer selbst in Frage stellen. Auf einmal kann die Musik auch „schön“, „besonnen“ und „ruhig“ sein. Sie entzieht sich gekonnt den aufgedrängten, widerlichen Erwartungen, die in sie gesetzt werden. Sie sagt „Is anybody listening?“, während sie „Fuck You!“ denkt. Sie lacht den Pop aus, den sie angeblich vereinnahmt, und sie schummelt den Sturm mit in dem Gang, in den sie angeblich runterschaltet. „Love rhymes with pity now. Love rhymes with sympathy now.” Was dort alles geht… wie gesagt: erstaunlich.

Krach? War es schon immer. Komplex? Wenn du willst. Ästhetisch? Erschütternd. Großartig? Verdammt.

VÖ: 17.01.2005 auf V2
INFO: www.thebloodbrothers.com

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